100 km Lauf in Biel – ich war dabei!
      
      Drei Tage nach meinem 100 km Lauf in Biel liege ich in einem 
      Thermalhotel in der Sonne und versuche, meine vielen Eindrücke von diesem 
      Ereignis Revue passieren zu lassen.
      
      Träume und Ziele
      
      Der Wunsch, die 100 km in Biel zu laufen, war schon sehr lange in mir, 
      Werner Sonntags Buch „Irgendwann kommst du nach Biel“ hatte uns (meinem 
      Mann Peter und mir) diesen Lauf näher gebracht und je mehr wir im 
      Ultrabereich Fuß fassten, umso mehr wurde der Traum zum Ziel.
      Als Peter sich im Jahre 2001 entschloss, diesen Bewerb zu laufen, 
      traute ich mir fast nicht zu, ihn am Fahrrad zu begleiten, geschweige 
      denn, selbst zu laufen. Es regnete damals vom Anfang bis zum Schluss und 
      ich schwor mir „niemals mehr am Fahrrad, wenn, dann laufe ich die 100 km“.
      Es vergingen einige laufreiche Jahre, die Distanzen wurden länger und 
      Biel erschien greifbarer. „Die Grenzen sind dort, wo die Vorstellungskraft 
      endet“ habe ich irgendwo gelesen – ich konnte mir vorstellen, 100 km zu 
      schaffen.
      
      Vorbereitung
      
      Die Entscheidung fiel im Herbst 2004 – ich war wegen einer Erkältung im 
      Krankenstand und hatte viel Zeit, zu lesen. Natürlich war wieder Werner 
      Sonntags „Mehr als Marathon“ darunter und bald war der Entschluss, am 17. 
      Juni 2005 in Biel an den Start zu gehen, gefasst. 
      Ich erstellte gleich einen Trainingsplan, der eine sukzessive 
      Steigerung meiner wöchentlichen Trainingskilometer umfasste. Ich glaube, 
      es waren mehr als 20 Wochen, in denen ich die Kilometerleistung bis ca. 90 
      km/Woche und die einzelnen Laufeinheiten auf bis zu 35 km steigerte, da 
      kam im Februar der erste Tiefschlag: Muskelfasereinriss am rechten 
      Oberschenkel und damit vorerst Laufverbot!
      Mit Langlaufen und Ergometer versuchte ich die erworbene Form zu 
      halten, sobald die Schmerzen nachließen, probierte ich natürlich gleich 
      wieder zu laufen – wieder Schmerzen, wieder Pause.
      So vergingen einige Wochen, in denen ich kaum 30 km pro Woche lief, 
      meinen Trainingsplan konnte ich vergessen, musste ich auch Biel vergessen? 
      Nein, ich wollte nach Biel und gab daher nicht auf, es konnte nicht alles 
      umsonst gewesen sein. Ich schonte mich so gut es ging, lief aber die 
      geplanten Bewerbe wie den Halbmarathon in Graz und Linz sowie den 
      Welschmarathon und Wien-Marathon als Vorbereitung.
      Der Welsch-Marathon, der ähnlich hügelig ist, wie der 100er in Biel, 
      war für mich die Generalprobe. Mein Sohn Lukas begleitete mich auf dem 
      Fahrrad, da er mich auch in Biel begleiten wird. Es ging mir ausgezeichnet 
      und all meine Zweifel waren beseitigt. Optimistisch und voller Freude 
      blickte ich der „Nacht der Nächte“ von Biel entgegen.
      
      Anreise und Vorbereitung
      
      Wir (Peter, Lukas und ich) reisten am Donnerstag an, die Strecke war 
      835 km lang und durch einige Staus brauchten wir zwölf Stunden und kamen 
      ziemlich erschöpft in Biel an. Wir bezogen unsere Zimmer im Hotel und 
      fuhren zur Startnummernausgabe ins Eisstadion. Für Lukas mussten wir eine 
      Begleitlizenz lösen und er erhielt eine Startnummer mit der Aufschrift 
      „Coach“. Im Eisstadion und dem Zelt tummelten sich schon viele 
      Gleichgesinnte und die Vorfreude, aber auch das Kribbeln im Bauch nahm zu. 
      Nach einem gemütlichen Abendessen beim Italiener und ein paar Gläsern 
      Rotwein gingen wir früh zu Bett. Schlaf ist wichtig, denn die kommende 
      Nacht ist lang!
      Den nächsten Tag nutzten wir, um das schöne Seengebiet rund um 
      Biel zu erkunden. Das Wetter war herrlich warm, fast zu warm für den Lauf, 
      aber besser so, als es regnet. Wir fuhren nach Aarberg und gingen über die 
      berühmte Holzbrücke, über die wir am Abend laufen würden, fuhren dann 
      weiter nach Murten, wo ich vor 30 Jahren bei unserer Maturareise 
      Zwischenstation am Weg nach Paris gemacht hatte. Der Tag war schön, die 
      Landschaft, die Städte – aber ich konnte es nicht genießen, die Nervosität 
      stieg von Stunde zu Stunde. Ich sehnte den Start herbei, endlos schien mir 
      die Zeit bis 22 Uhr. Am Nachmittag hielt ich es nicht mehr aus, ich musste 
      ins Zimmer, mich hinlegen und versuchen, mich mit Yoga-Übungen zu 
      beruhigen – es klappte erstaunlich gut und ich schlief sogar ein wenig.
      Um 18 Uhr begann mein Countdown, ein Ritual, das mir vertraut war, die 
      übliche Vorbereitung auf den Bewerb: Gefährdete Stellen mit Hirschtalg 
      eincremen, das Dress anziehen, Chip montieren, Pulsmesser anlegen, 
      Startnummer fixieren, etc. Aus Sorge, später keinen Parkplatz mehr zu 
      finden, fuhren wir um 19 Uhr zum Eisstadion und waren natürlich viel zu 
      früh dort, aber ich war ruhiger, als wir an Ort und Stelle waren.
      Ein Blick auf die Pulsuhr brachte einen leichten Schock: keine Anzeige! 
      Anscheinend hatte die Batterie ihren Geist aufgegeben. Da half nichts 
      mehr, ich musste ohne Pulskontrolle nach Gefühl laufen, die Zeit konnte 
      mir ja Peter sagen, der mein Tempo laufen wollte.
      Lukas, unser Coach, war mit einem Rucksack ausgestattet, der alles 
      enthielt, was wir in der langen Zeit eventuell brauchen würden: Pflaster, 
      Sonnenschutz, Kappe, Schmerztabletten, Salben und vieles mehr.
      Die Velo-Fahrer, wie die Radfahrer in der Schweiz genannt werden, 
      starteten bereits 20 Minuten vor den Läufern und fuhren gemeinsam nach 
      Lyss, wo sie auf die Läufer warten. Wir vereinbarten, mittels Handy in 
      Kontakt zu bleiben - Bussi, baba, alles Gute – und schon machte sich Lukas 
      mit hunderten anderen Velo-Fahrern unter den Beifall der Läufer auf den 
      Weg. „Wir kommen bald nach“ riefen wir; ja – schön langsam wird’s auch für 
      uns ernst, langsam begaben wir uns in den Startbereich, nicht vorne, wir 
      wollen’s ja gemütlich angehen. Durchkommen lautet die Devise, die Zeit ist 
      nebensächlich, ich rechnete mit ca. 15 Stunden, Zielschluss ist nach 20 
      Stunden, das müsste sich ausgehen.
      
      Der Lauf
      
      Peter und ich wünschen einander mit einem Kuss alles Gute, hinter uns 
      betet andächtig ein junger Mann, die Platzsprecherin wünscht allen, gesund 
      ins Ziel zu kommen, der Startschuss fällt und mit einem 
      Kreuzzeichen beginne ich wie immer den Weg ins Ungewisse, denn auf den vor 
      mir liegenden 100 km kann viel passieren. Langsam setzt sich das ca. 2000 
      Läufer zählende Feld zum 47. Bieler 100-km-Lauf in Bewegung, niemand 
      scheint es eilig zu haben, ganz anders als bei kurzen Läufen, wo gleich 
      hektisch überholt wird, der Weg ist noch lang, jeder wird seine Position 
      finden.
      Die ersten Kilometer führen uns durch die Stadt Biel, 
      begeisterte Menschenmasse säumen die Strecke, es herrscht eine tolle 
      Stimmung. Es ist noch nicht ganz dunkel, langsam lassen wir die Stadt 
      hinter uns, der erste Anstieg kommt und der Großteil der Läufer geht vom 
      Laufen in ein flottes Gehen über, das scheint auch mir vernünftig, denn 
      wir werden unsere Kräfte noch brauchen. Am Ende des Anstieges gibt es eine 
      Labestation, es ist eine recht warme Nacht, ich schätze ca. 16 Grad, also 
      ist es wichtig, von Anfang an viel zu trinken. Nun geht’s bergab und dann 
      biegen wir in einen Feldweg ein. Jetzt beginnt die Nacht der Nächte erst 
      richtig, keine Straßenbeleuchtung mehr, nur der Mond erhellt die Nacht. 
      Die Dunkelheit umhüllt uns, mystisch umfängt uns die Nacht, ich fühle mich 
      geborgen, gleichmäßig laufen wir auf flachen Kieswegen in Richtung 
      Aarberg. Es ist schön, hier zu sein, danke lieber Gott, dass ich laufen 
      kann! Die Füße bewegen sich automatisch Schritt für Schritt vorwärts, dem 
      großen Ziel entgegen.
      Aber noch ist es zu früh, ans Ziel zu denken, es ist nur möglich, einen 
      so langen Lauf zu bewältigen, wenn man ihn in kleine Etappen einteilt und 
      die erste ist bald geschafft: Aarberg! Bei km 18 laufen wir über 
      die schöne alte Holzbrücke und am Hauptplatz erwarten uns hunderte 
      begeisterte Zuschauer. Gerade schlägt die Turmuhr Mitternacht, als wir 
      über den schönen alten Marktplatz laufen und zur nächsten Labestation 
      kommen.
      Das nächste Ziel ist Lyss, ca. 5 km entfernt, wo uns Lukas 
      erwartet. Er hatte uns gleich nach unserem Start angerufen und uns 
      mitgeteilt, dass er sich bei Mc Donalds ein Menü genehmigt hatte, nun 
      teilte ihm Peter mit, dass wir bald bei ihm sind, es lief alles nach Plan 
      – 2 ½ Stunden hatten wir ausgerechnet, das passt genau, Lukas wartete mit 
      gezücktem Fotoapparat, er hatte das lange Raddress angezogen, denn beim 
      Warten ist es halt doch nicht so warm, wie wir Läufer das empfinden.
      Nun sind wir zu dritt und unser großes Familienerlebnis kann beginnen. 
      Gemeinsam eine so große Herausforderung anzunehmen und zu bewältigen, das 
      verbindet und gibt Kraft.
      Immer wieder kommen wir durch kleine Ortschaften, wo uns die Leute 
      applaudieren, viele machen ein Fest daraus, der Duft von gegrilltem 
      Fleisch weht zu uns herüber, die Stimmung ist gut, die laue Nacht bringt 
      viele Zuschauer und das hilft auch uns Läufern. Immer wieder strecken uns 
      Kinder die Hände zum Abklatschen entgegen.
      In Oberramsern bei km 38 endet die erste Etappe des gleichzeitig 
      stattfindenden Stafettenlaufes und auch für die 100 km-Läufer wird eine 
      elektronische Zwischenzeit genommen. 4 Stunden, 51 Minuten und 19 Sekunden 
      sind wir bis hierher unterwegs gewesen, das ist o.k., nur nicht zu schnell 
      beginnen, das rächt sich am Ende.
      Die Strecke ist gut markiert, alle 5 km gibt es eine große Tafel, 
      welche die bereits zurückgelegten Kilometer anzeigt. 40 km steht nun 
      drauf, bald ist ein Marathon geschafft, langsam beginnt der Körper müde zu 
      werden, die Muskeln schmerzen schon, Verspannungen im Genick werden 
      spürbar und noch nicht einmal die Hälfte der Strecke ist bewältigt. Diese 
      Phase ist die schwierigste des ganzen Laufes, hoffentlich wird es bald 
      hell – wo geht denn die Sonne auf? Sieht man schon was?
      Schritt für Schritt vorwärts, km um km – „es zaaaht si“ sagt Peter – 
      ja, das stimmt, aber da, sieht man nicht schon einen hellen Streifen am 
      Horizont – wir laufen Richtung Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. 
      Rötlich färbt sich der Himmel, es dämmert, ein schöner Tag kündigt sich 
      an. Peter fotografiert unermüdlich und versucht, die Stimmung einzufangen 
      und ich brauche nur zu laufen.
      Nach 6 Stunden und 45 Minuten ist Halbzeit – 50 km zeigt das 
      Schild, ein Foto und weiter geht’s – ab jetzt geht’s heimwärts, das baut 
      auf, die verbleibende Strecke ist nun kürzer als die, die wir schon 
      gelaufen sind.
      Das nächste Etappenziel ist Kirchberg bei km 56, dort laufen wir 
      wieder über eine Zeitnehmungsmatte (7:35:19) und bei einer großen 
      Labestation kann man sich ordentlich stärken für den nun folgenden 
      sogenannten „Ho-Tschi-Minh-Pfad“ auf dem keine Fahrradbegleitung erlaubt 
      ist.
      Die Labestationen sind perfekt, es gibt alles, was ein Läuferherz, oder 
      besser gesagt – Magen begehrt: Wasser, Iso, Tee, Cola, Energieriegel, Gel, 
      Suppe, Brot, Gebäck, Bananen, Orangen – dennoch weiß man nicht mehr, was 
      man essen soll – das Süße verpickt den Mund, am liebsten nehme ich noch 
      Suppe und Brot, eventuell einen Becher Tee oder Cola und viel Wasser 
      hinterher. Ich neige zu Sodbrennen, aber das ist nicht so schlimm und soll 
      mich nicht am Laufen hindern.
      Auf geht’s, der berühmt-berüchtigte „Ho Chi Minh Pfad“ wartet, 
      tschüß Lukas, wir sehen uns in ca. 80 Minuten bei km 65 wieder. Es ist 
      Gott sei dank schon hell, denn es ist nicht leicht, auf diesem schmalen 
      Pfad am Emmendamm entlang zu laufen. Die müden Beine müssen nun höher 
      gehoben werden, um nicht über Steine oder Wurzeln zu stolpern. Peter hat 
      diesen Pfad 2001 bei strömendem Regen und Dunkelheit bewältigt, das muss 
      schlimm gewesen sein. Mir geht es aber immer noch recht gut, langsam setze 
      ich einen Fuß vor den anderen, nur nicht gehen, es ist so schwer, dann 
      wieder zu laufen. Viele gehen schon, nein, ich will nicht gehen, dann 
      brauche ich für diesen schrecklichen Pfad noch länger. Ich will ihn hinter 
      mich bringen, so schnell es geht, also laufe ich, ich laufe wie 
      aufgezogen, ganz automatisch, Schritt für Schritt dem Treffpunkt mit Lukas 
      entgegen. 10 km können verdammt lang sein, nimmt das denn gar kein Ende? 
      Doch, irgendwann steht dann die KM 65-Tafel und bald schon sehen wir Lukas 
      inmitten anderer wartender Velo-Begleiter, wieder fotografiert er uns. Er 
      ist tapfer, denn auch er hat schon Schmerzen, das lange Sitzen tut ihm 
      weh, der Sattel scheuert, das Schmieren mit Hirschtalg bringt keine 
      Linderung mehr. Auch Peter leidet schon sichtlich, seit km 52 spürt er 
      eine Blase an der Ferse, die bei jedem Schritt schmerzt – nun heißt es für 
      uns drei durchbeißen!
      Bei der nächsten Labestation holt sich Peter die Sonnenbrille aus dem 
      Rucksack, die Sonne scheint schon hell, bald wird es heiß werden. Nun geht 
      es ständig bergauf, wir gehen und laufen abwechselnd, auch unsere 
      Laufkollegen machen es so. Man sieht immer die gleichen Läufer, mal 
      überholt man sie, mal wird man überholt, je nachdem, ob man sich gerade in 
      einer Geh- oder in einer Laufphase befindet. Manche leiden schon 
      sichtlich, was werden die Zuschauer über uns denken, die jetzt bei einer 
      „Stange“ Bier im Gastgarten sitzen? Die müssen uns ja für verrückt halten, 
      dass wir uns freiwillig so quälen.
      Die km-Anzeigen scheinen immer weiter auseinander zu stehen, denn 5 km 
      können doch nicht so lang sein. Und doch, sie kommen: 70 km, 75 km – 
      endlich die letzte Zwischenzeitnehmung bei km 76 in Bibern, der 
      letzte Abschnitt beginnt. 10 Stunden, 37 Minuten und 26 Sekunden sind wir 
      nun schon unterwegs, ab hier kann viel Zeit verloren, aber auch viel 
      gutgemacht werden. Der letzte große Anstieg, dann geht es lange bergab – 
      ich weiß nicht mehr, ob ich lieber bergauf oder bergab laufe, es ist schon 
      beides gleich mühsam.
      Lukas fährt voraus ins Ziel, dann kann er sich hinlegen, wir werden 
      sicher noch drei Stunden für die letzten 20 km brauchen. Was sind schon 20 
      km, wenn man schon 80 geschafft hat? Viel, sehr viel! Laufen, auch wenn’s 
      weh tut, nicht gehen, das dauert sonst noch ewig. Jetzt reicht’s – ich 
      will endlich fertig werden – noch 15 km, unglaublich, wie lang wir für 5 
      km brauchen.
      Die Sonne brennt uns ins Genick – jetzt hätte ich mein Wüstenkapperl 
      gebraucht und die Wasserflasche, aber Lukas ist ja schon vorausgefahren. 
      Wann kommt endlich die nächste Labestation? Die Hitze macht mir zu 
      schaffen. Unermüdlich tasten wir uns voran, langsam, viel zu langsam, 
      kommen wir vorwärts.
      Der Feldweg entlang der Aare wäre sicher schön, wenn ich hier an 
      einem Sonntagmorgen joggen würde, aber jetzt ist er nur heiß und staubig. 
      Endlich ist wieder ein Ort vor uns zu sehen, schaut nett aus, ist jetzt 
      aber sekundär, hoffentlich gibt’s hier eine Labestation, ich verdurste! 
      Ja, Gott sei Dank, Wasser, ein Bissen Brot, nochmals Wasser, ich mag schon 
      nichts mehr essen. Weiter, weiter, nur nicht lange stehen bleiben, das 
      Anlaufen ist so schwer.
      Jetzt muss bald die 90 km Tafel kommen, dann können wir die letzten 
      Kilometer herunterzählen. Was soll das? Noch ein Anstieg, damit hatte ich 
      nicht gerechnet, aber was soll’s – gehen wir hinauf, drüben geht’s ja 
      wieder hinunter. Wie lange ein Kilometer sein kann, wenn man mehr als 8 
      Minuten dafür braucht – und doch, das Ziel naht mit jedem Schritt.
      Peter muntert eine Läuferin mit „bald ist es geschafft“ auf und sie 
      stöhnt: „Das wird ja auch Zeit, ich hab’ nämlich keine Lust mehr“. Das 
      verbindet und hilft, denn man weiß, es geht jetzt nicht nur dir so, jetzt 
      leiden alle, aber nicht mehr lange!
      95 km steht auf der Tafel, ab jetzt wird jeder km angezeigt, noch 4, 
      noch 3, ich kann es nicht glauben, dass das so zäh wird. Da km 99, nur 
      noch 1 km – ein Foto, glücklich und ohne Schmerzen genießen wir den 
      letzten Kilometer.
      Unter dem Applaus und den Anfeuerungsrufen der vielen Zuseher nähern 
      wir uns dem lang ersehnten Zielbogen. Hand in Hand laufe ich mit Peter 
      durchs Ziel, 100 km Strapazen sind vergessen, glücklich und weinend vor 
      Freude umarmen wir uns.
      
      Im Ziel
      
      Wir bekommen unsere Medaillen und rufen Lukas an, denn auch er muss 
      teilhaben an unserem Erfolg. Er hat eingeschlafen und verspricht, schnell 
      zu kommen. Wir gehen ins Zelt, um die Urkunde und das heiß ersehnte „Finisher-Leiberl“ 
      abzuholen. Mein Kreislauf spielt durch die Hitze und die schlechte Luft im 
      Zelt kurz verrückt, aber bald ist Lukas mit einem Getränk da und es geht 
      mir gleich wieder gut.
      Ich kann’s nicht fassen: in 14 Stunden, 12 Minuten und 7 Sekunden 
      habe ich die 100 km von Biel geschafft! Bei einer Stange Bier stoßen wir 
      drei auf unseren Erfolg an und sind stolz und glücklich.
      
      Nach dem Lauf
      
      Da es im Zielgelände keinen freien Schattenplatz gibt, beschließen wir, 
      gleich ins Hotel zu fahren. Dort lässt plötzlich die ganze Anspannung aus 
      und wir fallen mit unserem Laufdress ins Bett und schlafen eine 
      Viertelstunde. Dann aber raffen wir uns auf, duschen und gehen in ein nahe 
      gelegenes Restaurant zum Essen. Bald übermannt uns die Müdigkeit wieder 
      und um 17 Uhr gehen wir schlafen. Ich schlafe sehr unruhig, träume heftig, 
      wache oft auf und immer denke ich „Du hast es wirklich geschafft!“ Die 
      Schmerzen zählen nicht, ich mache schon Pläne – was ist mein nächstes 
      Ziel?
      Ja, es stimmt: Ultralauf macht süchtig – aber es gibt Schlimmeres!