Eines Abends, 18 Uhr, Pfarrhaus Vaduz. Pfarrer Markus
Kellenberger verabschiedet im Hausflur zwei Bürger seiner Kirchgemeinde,
für die er sich kurzfristig eine halbe Stunde Zeit genommen hat – Treffen
mit Bürgern gehört zum Alltag in seinem Berufsleben. Zeit zum Essen bleibt
heute nicht: Nach dem Interview steht um 19:30 Uhr schon wieder die
Abendmesse an. Wann im Pfarrhaus Feierabend ist und die Lichter ausgehen –
Pfarrer Markus Kellenberger weiß es selber nicht. Sogar schon mitten in
der Nacht wurde er gebraucht. „Ich bin 24 Stunden am Tag verfügbar und bin
einfach für die Menschen da“, sagt Kellenberger. Wer diese
Berufsauffassung hat, muss bedingungslos flexibel sein. Kein Arbeitstag
gleicht dem anderen, von Planung oder einer geregelten Arbeitszeit wie in
anderen Berufen kann keine Rede sein. Nur die Gottesdienste – oft zwei am
Tag – und der Religionsunterricht sind fix im Tagesablauf. Zwischendurch
gibt es allerlei Administratives zu erledigen, vieles jedoch ist spontan
und kurzfristig: „Plötzlich rufen Bürger an mit Sorgen oder Anliegen, oder
ich werde ins Spital oder ins Pflegeheim gerufen, weil jemand im Sterben
liegt“, erzählt Kellenberger. So verbringt der beliebte Kirchenmann jeden
Tag viele Stunden in seinem „Clergy Man“, der schwarzen Priesterkleidung.
Der gebürtige Solothurner hat schon eine bewegte Berufs- und
Sportlerlaufbahn hinter sich, trotz seiner erst 37 Lebensjahre. Er gehörte
zu den besten Schweizern Ruderern, fuhr zu Weltmeisterschaften. Dennoch
setzte Kellenberger nicht auf die Karte Sport. Er absolvierte ein Studium
als Maschineningenieur an der ETH Zürich, betätigte sich anschließend in
der Erforschung der Physik. Es folgte ein radikaler Kurswechsel:
Kellenberger entschloss sich, Priester zu werden. Seitdem ist er Pfarrer
mit Leib und Seele, seit mehreren Jahren nun schon in Liechtenstein.
Lauftraining in knapp bemessener Freizeit
Für Kellenberger ist es immer wieder eine Herausforderung, Beruf und
Sport unter einen Hut zu bringen. Oft ist das Lauftraining, welches er am
liebsten in den Bergen absolviert, seine einzige Freizeitaktivität.
Kellenberger – ein Vollblutsportler – würde allzugerne den Trainingsumfang
steigern, weiß aber, dass der Beruf Vorrang hat: „Ein intensiveres und
systematisches Training ist im Moment Wunschdenken, da müsste ich zu viele
Kompromisse eingehen im Beruf. Manchmal bin ich morgens im Glauben, einen
geruhsamen Tag mit einem längeren Training vor mir zu haben, und dann
kommt doch alles anders, sodass eine Planung ohnehin unnütz wäre.“ Mit der
Frage nach dem richtigen Mass Training ist Kellenberger nicht selten mit
sich selber im Clinch; dies ist der Fall, wenn er realisiert, dass an
Wettkämpfen viel mehr drin liegen würde als er momentan zu leisten vermag.
„Dann kommt der alte Sportlerehrgeiz in mir wieder auf“, lacht er. Doch
Kellenberger stellt klar, dass er auch gar kein Bedürfnis mehr hat,
Hochleistungssport zu betreiben: „Ich betreibe heute den Sport anders als
früher, nicht mehr stur nach einem Plan, egal wie man sich fühlte.“
Kellenberger mit seiner Erfahrung als Spitzensportler weiß sehr wohl, wie
er in etwa das Training gestalten muss, um dennoch das Optimum zu
erreichen. „Natürlich beachte ich gewisse Grundsätze in der Gestaltung,
doch eigentlich wird mein Trainingsplan jeden Tag neu geschrieben“,
schmunzelt der Kirchen-Marathonmann. Die Pulsuhr kennt er lediglich vom
Hörensagen und bei wievielen Herzschlägen seine anaerobe Schwelle liegt –
jener Punkt, bei dem man in die so genannte Sauerstoffschuld gerät –, weiß
Kellenberger nicht genau. Aber er spürt sie. Jedenfalls ist der
vielbeschäftigte Pfarrer der Meinung, dass sein Training mit all diesen
Gegebenheiten effizienter nicht sein könnte.
Via LGT Alpin-Marathon zum Saisonziel Swiss Alpine
Marathon
Bemerkenswert ist, wie weit es Kellenberger damit bringt. Die Jahre als
Spitzensportler mit eisenhartem Training kommen ihm zweifellos zugute.
Schon damals als Ruderer war er eher der Ausdauertyp und fühlte sich auf
den längeren Strecken zuhause. „Auf den langen Distanzen schlug ich meine
Gegner fast immer; bei keinem einzigen Ruderwettkampf war ich bei
Rennhälfte auf einem schlechteren Rang klassiert als im Ziel, ja meistens
machte ich noch Plätze gut“, blickt Kellenberger zurück. Noch heute als
Marathonläufer ist ihm die zweite Hälfte lieber, wenn es zudem noch bergan
geht, umso mehr. Deshalb sind ihm der LGT Alpin-Marathon, der Swiss Alpine
Marathon und der Jungfrau-Marathon geradezu auf den Leib geschnitten.
Der 6. LGT Alpin-Marathon am 11. Juni ist für Markus Kellenberger der
erste richtige Prüfstein in dieser Saison. Die Zeichen stehen gut, dass
der Pfarrherr zum drittenmal aufs Podest laufen kann, denn eine Zeit um
3:20 Stunden traut er sich durchaus zu. „Jedenfalls habe ich das Gefühl,
besser in Form zu sein als 2004. Damals musste ich das Training merklich
reduzieren, da ich die beiden Pfarreien
Triesen und Vaduz
nebeneinander betreute, was sehr zeitintensiv war“, erinnert sich
Kellenberger. Obschon der LGT Alpin-Marathon für ihn stets etwas früh
kommt, lässt er es sich nicht nehmen, vor eigenem Publikum zu laufen. Die
Sympathiewelle für den sportlichen Pfarrer treibt ihn regelmäßig zu
Höchstleistungen an. In guter Erinnerung ist sein 3. Rang 2002, welcher
für ihn selbst am überraschendsten kam. Die Organisatoren mussten eigens
die Siegerehrung vorziehen, weil Kellenberger schon bald zu einer Hochzeit
musste und man das Brautpaar nicht warten lassen wollte… .
Den schönsten Erfolg durfte Kellenberger am
Swiss Alpine Marathon 2002
verbuchen: In furioser Weise lief er auf den vierten Rang, ein Rennen, das
ihm liegt. Auch dieses Jahr läuft Kellenberger in Davos die Königsdistanz
über 78,5 Kilometer, sein erklärtes Saisonziel. Illusionen auf einen
Podestplatz macht er sich allerdings keine, dazu trainiert er zu
sporadisch verglichen mit anderen Spitzenläufern. Für den
Jungfrau Marathon hingegen
muss er dieses Jahr Forfait geben. Am 11. September ist Pfarrer
Kellenberger bereits für zwei Hochzeiten gebucht.
Als Missionar nach Südamerika
Markus Kellenberger war noch nie einer, der nicht wusste, was er wollte
– weder beruflich noch sportlich. Und so weiß der Pfarrer schon sehr
genau, wie seine nächsten Jahre, ja vielleicht die nächsten Jahrzehnte,
aussehen: Aller Voraussicht nach 2008 wird er sich nach Südamerika
verabschieden, höchstwahrscheinlich in die Anden von Peru oder Bolivien.
Dort will sich Kellenberger in abgelegenen Gebieten – fernab von
Zivilisation wie wir sie kennen – als Missionar betätigen. „Ich glaube
einfach, dass das meine Berufung ist“, meint er. Als Mission definiert er
viel mehr als nur Gottesdienste und Religionsunterricht abhalten: die
Tätigkeit als Missionar in ärmeren Ländern beruht darauf, den Menschen zu
helfen. Kellenberger wird ganz gut ohne sportliche Wettkämpfe sein können,
so glaubt er zumindest: „Ich kann mich sehr gut selber herausfordern.
Schön ist für mich einfach, in den Bergen zu sein und mich darin zu
bewegen.“ Wann er denn zurückkommt? Vielleicht in 30 bis 40 Jahren, wenn
es die Gesundheit zulässt, vielleicht auch gar nicht mehr. So weit in die
Zukunft mag sich Kellenberger denn doch nicht festlegen.