Gipfelglück - der Run auf Deutschlands höchsten Berg
„Zugspitz-Extremberglauf“ – schon der Name dieses Laufs
spricht für sich und lässt ein wenig erahnen, dass den Teilnehmer hier
Besonderes erwartet. Nicht die Distanz von 18,3 km ist es, die einen etwas
erschaudern lässt, sondern die Aussicht, auf dieser Strecke stolze 2.363
Höhenmeter überwinden zu müssen, um Deutschlands höchst- und Europas
zweithöchstgelegenes Berglaufziel zu erreichen: Die Gipfelplattform der
Zugspitze auf 2.960 m üNN. Und Kenner der „Szene“ wissen: Mehr Höhenmeter
hat selbst der legendäre K 78 des Swiss Alpine Marathon nicht zu bieten.
In den vergangenen Jahren hatten unerwarteter Schneefall und ein Brand der
Tiroler Zugspitzbahn die Begehung des finalen Teilstücks ab dem Sonnalpin
verhindert – in diesem Jahr stand dem Gipfelsturm jedoch nichts Wege.
Eine solche Herausforderung macht natürlich neugierig, und
so verwunderte es nicht, dass weit über 700 Laufbegeisterte am frühen
Morgen des 24. Juli 2005 über das idyllisch-beschauliche Ehrwald in Tirol
hereinbrachen und sich zum Start auf dem zentralen Martinsplatz sammelten.
Schon um 8.30 Uhr fiel der Startschuss. Und wenige Minuten
später wand sich ein noch kompakter Läuferlindwurm über einen Forstweg
hinein ins dichte Grün des Gaistals. Links und rechts ragten Ehrfurcht
einflößend senkrecht die Felswände des Wetterstein- und Mieminger Gebirges
in den Himmel. In zahllosen, nicht allzu steil, aber stetig ansteigenden
Serpentinen ging es bergan und schon jetzt verfiel so mancher Läufer
konditionsschonend in zügiges Marschtempo. Nach fünf langen Kilometern war
mit der Ehrwalder Alm auf 1502 m üNN die erste der sechs (!)
Verpflegungsstationen an der Strecke erreicht - und knapp 500 Höhenmeter
waren geschafft.
Entspanntes Dahintraben über saftiggrüne Almwiesen war nun
angesagt. Das Glockengebimmel der interessiert den Läuferstrom beäugenden
Kühe machte das Alpenpanorama perfekt. Einige Wanderer am Wegesrand
dürften sich die Bergeinsamkeit aber wohl anders vorgestellt haben. Die
Zeit zur Regeneration währte nicht allzu lange – schon die nächste
Station, die Berghütte an der Hochfeldernalm (1732 m üNN), markierte den
Schlusspunkt der Gemütlichkeit. Ein steiler Pfad führte über Stock und
Stein durch die immer karger werdende Vegetation bergan. Mehr als forsches
Schritttempo war den meisten im Feld nicht mehr möglich. Die Gespräche
verstummten, kaum jemand überholte noch, das Läuferfeld zog sich immer
weiter auseinander.
Knapp über der 2000 Hm-Grenze war der nächste
Kulminationspunkt, das Brandjoch, erreicht. Bei einem Becher Wasser, das
die Helfer selbst in diese Abgeschiedenheit geschleppt haben, genoss ich
kurz innehaltend den wundervollen Ausblick in das vor mir liegende alpine
Seitental. Zu meinen Füßen stürzte der Bergpfad steil hinab, um in der
Ferne genauso steil wieder nach oben zu streben, hinauf zum sogenannten „Gatterl“.
Kurz vor dem Gatterl waren erstmals Kletterkünste gefragt;
stahlseilgesichert musste man sich ein kurzes Stück Fels hochhangeln. Kein
echtes Problem – aber Ursache für einen kleinen Rückstau. Das „Gatterl“
selbst markierte die Grenze von tirolerischem zu bayerischem
Hoheitsgebiet. Wirklich originell in dieser Bergeinsamkeit waren die
„Grenzanlagen“, bestehend aus zwei Landesflaggen und einer kleinen
verriegelbaren Drahttür.
Jenseits des Gatterls war Konzentration angesagt, nicht
weil es sonderlich bergan ging, sondern weil man auf dem Bergpfad
gämsengleich von Fels zu Fels springen musste. Das bereitete nicht nur mir
ein besonderes Vergnügen. Inmitten der nahezu vegetationslosen, aber umso
grandioseren Felslandschaft tauchte die Knorrhütte (2051 m üNN) wie eine
Oase in der Wüste auf. 5 km lagen nun noch vor mir - und nochmals fast
1000 Höhenmeter.
Und jetzt ging es richtig zur Sache. Ein steiler Pfad wand
sich durch Geröllhalden den Hang empor. Schwer fielen die Schritte, schwer
ging der Atem, man spürte die Höhe, vor allem, wenn man es wagte, auf
flacheren Abschnitten wieder in den Laufschritt zu verfallen. Kleinere
Schneefelder waren zu queren. Auf dem nassen, gepressten Schnee war es
äußerst rutschig. Auffällig häufig wiesen Schilder als Motivationshilfen
auf die verbleibende Entfernung zum Gipfel hin.
Und dann war es auf einmal zu sehen: Das Gipfelziel, das
Zugspitzplatt mit seinen dicht gedrängten Aufbauten, in luftiger Höhe
gelegen, aber zumindest optisch gar nicht mehr so weit weg.
Anfeuerungsrufe aus der Ferne durchdrangen vereinzelt die Stille der
Berge. Das machte Mut! Das Sonnalpin, Ziel vergangener Zugspitzläufe auf
2.588 m üNN, war nun relativ bald erreicht und ein Schild verkündete wenig
später: „1 km“.
Um es gleich vorweg zu nehmen: es wurde der langsamste und
wohl auch abenteuerlichste Kilometer meines Läuferdaseins – denn
gleichzeitig waren noch 360 Höhenmeter zu bewältigen. Der Einstieg: Ein
Steilhang voll Geröll. Ein Fortkommen war nur im Schneckentempo möglich.
Nach einem mühevollen Schritt voran ging es einen halben im Rutsch zurück.
Wie in einer Prozession schlichen die Läufer tief gebückt und schweigend
auf Zickzackpfaden den Hang empor. So mancher torkelte verdächtig.
Überholen war quasi unmöglich, sodass sich lange Ketten bildeten. Ein
Warnschrei aus vieler Munde sorgte für einen kurzen Schreckmoment: Ein
Felsblock donnerte den Hang herunter, losgetreten von einem der
Marschierer im oberen Hang. Passiert ist zum Glück nichts.
Der Geröllzone folgte nach schier endlos langen Minuten
der blanke Fels. An Stahlseilen entlang und über Stahlstifte hinweg wurde
der „Lauf“ zur Kletterei. Auffällig präsent war die Bergwacht. Plötzlich
war der Berggrat erreicht: Eine grandiose Aussicht eröffnete sich über den
jenseitigen wildzerklüfteten Bergabhang und den fast 2000 m tiefer
gelegenen jadegrünen Eibsee. Das Ziel erschien zum Greifen nah - aber die
Kletterei über den Grat zog sich hin. Spätestens hier kam aber wieder
Leben in die ermatteten Geister – Tempo und Gespräche nahmen merklich zu.
Der über den Grat hinweg ziehende kühle Wind tat ein Übriges.
Nach 3:20 Std. erreichte ich die Metalltreppen, die aus
dem Fels hinauf auf die Aussichtsplattform der Tiroler Zugspitzbahn und
vorbei an den johlenden Zuschauermengen ins Ziel führten. Ein rauschender
Empfang wurde allen Ankömmlingen bereitet. Mit der Medaille um den Hals
und einem Freibier in der Hand genoss ich den Augenblick und wusste: Für
das Gipfelglück muss man hier hart kämpfen – aber ich konnte mir keine
schönere Art vorstellen, diesen Berg zu erobern.
Gerade mal 2:03:02 Std. hat der Sieger, der englische
Berglaufspezialist Martin Cox benötigt, den anspruchsvollen Parcours zu
bewältigen; mit 2:28:48 Std. war die Österreicherin Petra Summer die
schnellste Frau. Das Gros der Läufer finishte in einer Zeit zwischen 3 und
4 Stunden, in der Zeiterfassung waren aber auch noch Läufer nach 5 ½
Stunden. Für viele dürfte die Zeit ohnehin Nebensache gewesen sein und das
bloße Ankommen im Vordergrund gestanden haben. Geschafft haben es fast
alle, die angetreten sind, und mitnehmen durften sie ein Lauferlebnis der
besonderen Art, einen Lauf, der die Bergwelt in ihrer ganzen Vielfalt und
von ihren schönsten Seiten geboten hat, einen Lauf, dessen Streckenprofil
alle nur denkbaren Varianten bereithielt und läuferisch sicher auch
Grenzerfahrungen vermittelte. Nicht möglich gewesen wäre dieses
Lauferlebnis ohne die ausgezeichnete Organisation und Betreuung auf der
Strecke und auch im Ziel. Nachahmer vorwarnen muss ich nur in einem Punkt:
Der Zugspitz-Extremberglauf hat „Suchtpotenzial“!
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