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Bericht vom
Athen - Marathon am 5.11.2006 von Klaus Sobirey

Auf klassischen Pfaden – die 42,195 Km von Marathon nach Athen

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Foto von der Region  um Marathon

Landschaft bei Marathon, wo der Start des Athen Marathons ist
Bildquelle WIKIPEDIA

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Auf klassischen Pfaden – die 42,195 Km von Marathon nach Athen

Fast 2500 Jahre ist es her, dass athenische Truppen in der Ebene von Marathon im Nordosten der attischen Halbinsel das Heer der persischen Invasoren bei der Schlacht von Marathon stoppten und zum Rückzug zwangen. Um diesen Sieg den bange wartenden Bewohnern des Stadtstaats Athen zu verkünden, soll ein athenischer Soldat namens Pheidippides flugs vom Schlachtfeld nach Athen geeilt und nach Überbringung seiner Botschaft dahin geschieden sein. Eine tragisch-heroische Geschichte, allerdings mit einem kleinen Haken – sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine bloße Legende. Aber das interessiert heute eigentlich niemanden mehr wirklich.

Immerhin dauerte es knappe 2400 Jahre, ehe sich die Veranstalter der ersten olympischen Spiele der Neuzeit um Pierre de Coubertin dieser Überlieferung besannen und im Jahre 1896 als historische Reminiszenz an dieses Ereignis einen besonderen Langstreckenlauf von Marathon nach Athen ins olympische Programm aufnahmen. Allerdings maß dieser Lauf noch keine 40 Km. Weitere 12 Jahre mussten dann noch vergehen, ehe der „Marathonlauf“ erstmals sein heute „offiziell“ anerkanntes Maß von 42,195 Km erhielt - und das letztlich nur aufgrund einer Laune des englischen Königshauses, das anlässlich der Olympischen Spiele in London 1908 den Start partout von einem Fenster ihres Schlosses in Windsor erleben wollte.

Und so kommt es, dass auf einer Strecke, die in der Antike wohl nie im Laufschritt durchmessen wurde, über eine Distanz, die auf die Bequemlichkeit eines neuzeitlichen Monarchen zurückzuführen ist, seit 1992 der klassischste aller Marathonklassiker ausgetragen wird: Der „Athens Classic Marathon“ vom historischen Schlachtfeld bei Marathon in die griechische Hauptstadt.

Lange Zeit schien es so, als ob die Veranstalter dieses Marathons bestrebt waren, den Läufer von heute die Leiden des antiken Vorbilds nochmals nacherleben zu lassen. Jedenfalls eilte dem Athener Marathon der wenig schmeichelhafte Ruf besonders dürftiger Streckenversorgung und auch sonst eher minimalistischer Organisation voraus. Allerdings kostete die Teilnahme lange Zeit auch nichts.

Das hat sich seit ein paar Jahren entschieden geändert, wovon ich mich bei der 24. Austragung am 5. November 2006 selbst überzeugen konnte. Für den Start muss man nun zwar immerhin 70 € berappen, aber dafür bekommt man schon im Vorfeld, neben einer gut gefüllten Startertüte (mit T-Shirt, Rucksack, Handtuch und weiteren mehr oder weniger nützlichen Devotionalien) eine Pasta-Party geboten, die Maßstäbe setzt: viererlei Nudelgerichte, Salat- und Käsebuffet, Getränke, alles zur freien Auswahl und soviel man will, lassen das Läuferherz höher schlagen. Einziger Wermutstropfen: Das Ganze findet in einer für den Anlass überdimensionierten, ehemals olympischen Halle in der städtischen Peripherie statt, die man ab Stadtzentrum per Tram zwar gut, aber erst nach einer Stunde erreichen kann. Auch würde die Ergänzung um eine Läufermesse sicher zu einer weiteren Belebung beitragen.

Wer in Athen mitlaufen will, muss früh aufstehen. Denn zum Prozedere vor dem Lauf gehört der kollektive Transport zum Start. Es ist noch stockdunkel und bitterkalt, als ich um kurz nach sechs Uhr vor dem zentral gelegenen Panathenäischen Stadion eintreffe, dem späteren Ziel des Laufs. Hier steht schon laut brummend eine Busflotte bereit, um die gut 2600 Teilnehmer zum Start zu chauffieren. Die Busse nehmen dabei genau den Weg, der später laufend zurückzulegen ist. Nicht wenige werden dabei erstmals mit der Tatsache konfrontiert, dass die Strecke durch hügeliges Gelände führt und beträchtliche Anstiege bereit hält. Und so mancher Seufzer verrät, dass dieser Umstand nicht nur Freude auslöst.

Die Sonne geht langsam auf, als mein Bus eine dreiviertel Stunde später das anlässlich Olympia 2004 neu errichtete kleine Stadion der Ortschaft Marathon erreicht. Ungern verlasse ich den warmen Bus, schleiche hinaus in den eisigen Morgenwind mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Im Umkleidebereich des Stadions herrscht drangvolle Enge, denn viele wollen dieses einzig warme Plätzchen weit und breit nicht aufgeben. Draußen kann man nur durch ständige Bewegung der Auskühlung entgehen. Recht international wirkt die Läuferschar. Viele Franzosen und Deutsche, aber auch überraschend viele US-Amerikaner mache ich im Sprachenwirrwarr aus. Die 1 ½ Stunden bis zum Start vergehen dennoch recht schnell. Nach feierlicher Ableistung eines marathonischen Eides fällt um 8.30 Uhr der ersehnte Startschuss und entlässt den Läuferpulk auf das breite Asphaltband der verkehrsgesperrten Schnellstraße zwischen Marathon und Athen.

Über die Laufstrecke ist das Wesentliche schnell gesagt: Das Profil auf den ersten 13 Km ist flach, danach geht es in ständigem Auf und Ab dahin, bis bei Km 32 der Kulminationspunkt fast 240 m ü NN erreicht ist, danach primär leicht bergab bis zum Ziel. Nur sporadisch führt die Strecke durch Natur, es dominieren eher gesichtslose Ortschaften – etwa Nea Makri, Rafina, Pekermi, Pellini – , die sich lang gestreckt, bisweilen in einander übergehend die Straße entlang ziehen.

Für denjenigen, der den meditativen, entspannten Lauf auf einer schier endlosen Geraden ohne besondere optische und akustische Reize liebt, ist die Strecke wahrscheinlich das Höchste. Der Wind und das Getrappel der Schuhe sind bisweilen das Einzige, was zu hören ist. Wer Stimmung an der Strecke sucht, ist aber definitiv am falschen Ort. Nur vereinzelt und distanziert beobachten Dorfbewohner das Treiben. Auch die zahlreich entlang der Strecke in schmucker Uniform postierten Polizistinnen und Polizisten führen nicht wirklich zur Belebung bei. Ganz und gar nicht distanziert sehen den Läuferstrom nur die vielen Hunde, für die so etwas wie Ausnahmezustand herrscht und die im Daueralarm laut bellend Haus und Hof verteidigen.

Ein netter Exkurs erwartet uns bei Km 4: Von hier zweigt eine Pendelstrecke zum historischen Grabhügel Marathons ab, der einmal zu umrunden ist. Auf dem Hinweg habe ich Gelegenheit, die schwarzafrikanische Spitze des Lauffeldes in Augenschein zu nehmen, auf dem Rückweg die teilweise schon walkende Nachhut. Für Abwechslung sorgen zudem die vielen Versorgungsstationen. Alle 2,5 Km geben engagierte Helfer Wasser, alle 5 km zusätzlich Isogetränke, jeweils verschwenderisch in Halbliterflaschen, aus. Verdursten muss hier wahrlich niemand.

Trotz der Eintönigkeit der Strecke: mir gefällt der Lauf. So entspannt, fern jeder Hektik, habe ich die Marathondistanz selten erlebt. So erreiche ich ziemlich locker bei Km 35 die Stadtgrenze Athens. Eigentlich hatte ich zumindest ab hier einen etwas steigenden Zuschauerzuspruch erwartet. Aber weit gefehlt – Athen präsentiert sich an diesem Sonntagvormittag fast wie eine Geisterstadt. Als ich endlich Menschentrauben am Straßenrand erblicke, ist fast das 42 Km-Schild erreicht.

Ein letzter Schlenker noch - und hinein geht es über eine schwarze Tartanbahn zum Zieleinlauf ins wundervolle Panathenäische Stadion. In klassischer Hufeisenform existiert dieses Stadion bereits seit der Antike. Nach zwischenzeitlichem Verfall wurde es anlässlich der olympischen Spiele von 1896 und 2004 stilgerecht aufwändig restauriert. Von den langen, in der Sonne leuchtenden Sitzreihen aus weißem Marmor, brandet uns Beifall entgegen, auch wenn von den 50.000 Plätzen des Stadions letztlich nur ein kleiner Teil belegt ist. Ein wundervoller Anblick, ein grandioses Finale. Und hier endlich erahne ich auch jenen „Geist der Antike“, der auf dem Rest der Strecke – zumindest für mich - nicht wirklich zu verspüren ist.

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