Wir laufen mittlerweile an offenen Feldern vorbei. Wie
gut, dass sich momentan kaum ein Lüftchen rührt. So wird mein Laufelan
nicht gebremst.
Die Kilometermarke 5 rauscht nach 23:37 Minuten vorbei. Das wäre für
mich selbst bei einem 10 Kilometerwettkampf recht flott!
Mittlerweile laufen wir durch Minfeld, wo wir auch auf die erste
Verpflegungsstelle treffen. Die Sonne scheint und es wird für die
Jahreszeit recht warm werden. Also heißt es nun von Anfang an trinken. Ich
fasse einen Becher Wasser und spüle damit ein Power Gel hinunter, damit
meine Brennstoffzellen die nötige Energie erhalten und flugs geht es
weiter.
Wir laufen nun wieder über eine offene Landschaft. Wo ist denn
der groß angekündigte Urwald?
Immer noch passieren wir ein liebliches Kulturland. Dabei biegen wir von der Straße auf einen hübschen Fahrweg ab.
Zahlreiche Bäche durchziehen hier die Landschaft. Aber in welche
Richtung fließt denn dieser Bach? Gerne wüsste ich, laufen wir nun leicht
bergan oder bergab? Das Wasser steht aber förmlich, also muss es hier in der
Tat sehr flach sein.
Endlich erreichen wir den Rand des großen Urwalds. Als
wir ihn ihn abtauchen spüre ich die angenehm kühle Waldluft. Dabei
genieße ich den Frühlingsgesang der Vögel. Um wie viel schöner ist
dieser als der laute Sound einer zweitklassigen Straßenband am
Streckenrand?
Bei einer scharfen Rechtskurve mitten im Wald, haben
sich zahlreiche Schlachtenbummler aufgestellt, die uns kräftig anfeuern.
Da kommt ja glatt noch Stadtmarathonstimmung auf!
Schnell lassen wir dieses Zuschauerknäuel hinter uns und
tauchen auf einer ewig langen Gerade immer tiefer in den Bienwald ab. Leider sind die Wildkatzen wohl
gerade heute noch tiefer abgetaucht. Da hier schon bald die Wende der Halbmarathonläufer
folgt, kann ich zwar keine seltene Waldfauna bestaunen, jedoch die im Formel 1 - Tempo entgegenkommende Halbmarathonelite.
Mensch, den Läufer vor mir den kenne ich doch! Das ist
Anton Lautner, der wie ich so oft fotografierend als
Laufberichterstatter läuft. Nur heute gebe
ich alles und fotografiere nicht, während er hier etwas herumhopst,
Fotopausen einlegt und wieder ein Stückchen weiter läuft. Das macht er
alles so locker! Anton gib mir doch etwas von deinem Lauftalent ab!
Bei der Marathonwende habe ich ihn ungesehen fast erreicht und
will ihn schon stolz mit den Worten begrüßen: "Anton, da schaust Du
aber wie
schnell ich heute bin!". Da legt er plötzlich den Turbogang ein und
rennt von dannen. Sollte ich langsamer geworden sein? Nein, ich
laufe weiterhin wie ein Uhrwerk. KM 11 in 4:46, KM 12 in 4:46, KM 13 in
4:46 ... :-) Wow, bin ich gut drauf!
Wem die Stunde schlägt
Kurz vor Schaidt begrüßt uns die einzige Musikband auf
der Strecke mit einigen Zuschauern. Wir verlassen nun den Wald und
laufen in der prallen Sonne. Das scheint mir nicht zu bekommen.
Plötzlich passiere ich KM 18 mit dem bisherigen Laufgefühl nicht in 4:46
sondern in 4:58. Dabei fängt meine Lunge etwas das Meckern an. Es
scheint Ozon in der Luft zu sein! Ich bin dagegen hoch empfindlich. So
ein Mist!
Ein gutes Stück hinter der Wende kommt mir Olaf
entgegengelaufen und fragt mich erstaunt, was ich denn so weit vorne
suchen würde. Gerne hätte ich sicherlich zu seiner Freude geantwortet: Weil ich Trainingspläne
missachtet habe! Aber leider fehlt mir die Zeit zu antworten.
Jedenfalls baut mich Olafs Hochachtung auf. Außerdem
sind wir wieder im Wald, wo mich die Sonne weniger plagt.
Nach 1:41:07
erreiche ich die Halbmarathonmarke. Ich weiß, dass es nun ernst wird.
Wird der Zeitpuffer nach dem alarmierenden Signal ab KM 18 ausreichen
noch das erstrebte Ziel einer Zeit unter 3:31:00 zu erreichen? Dazu
müsste ich die zweite Hälfte in einem Schnitt von 5:13 - 5:14 laufen.
KM 22 passiere ich nach 5:02 und KM 23 nach 5:01. Uff noch alles im
grünen Bereich! Aber die Lunge diese alte Meckertante lehnt sich schon wieder
auf. Auch machen sich die ersten
Ermüdungserscheinungen bemerkbar. KM 24 laufe ich mit
Mühe in 5:09 und den nächsten KM 25 gleich nochmals mit noch mehr Mühe
wieder in 5:09. Mit 2:01:03 stelle ich immerhin einen neuen persönlichen 25 KM
Rekord auf, aber was hilft mir das auf den endlosen verbleibenden 17 km?
Wie ein Laufstreber strenge ich mich auf dem nächsten Kilometer besonders an.
Aber alles für die Bienwalder Wildkatz! Mit
Entsetzen passiere ich die KM Marke 26 in 5:28. Die Kilometerabstände
haben bis jetzt alle gestimmt. Daran kann es nicht liegen! Ich erleide
stattdessen gerade einen katastrophalen und wohl irreversiblen Leistungseinbruch. Hier hilft
auch keine mentale Stärke mehr. Ich muss vor den Tatsachen kapitulieren
oder alles auf eine Karte setzen und mich mit hohem Risiko 1 1/2 Stunden
quälen. Das ist mir aber als Genussläufer die Sache nicht wert.
Also
entscheide ich mich für den ersten, bequemeren Weg, der denn heißt: Es geht um
nichts mehr, also laufe ich den Rest einfach möglichst locker im
Wohlfühltempo durch.
Ohne mein Gewissen wegen meinem missratenen Training und missachteter
Ratschläge in
den Wochen zuvor zu quälen, jogge ich nun nach diesem Motto weiter.
Dabei überholt mich nun ein Läufer nach dem anderen. Das muss mein
beleidigtes Ego wohl oder übel wegstecken.
Auffallend ist hier das erstaunlich hohe Niveau der
teilnehmenden Läufer. Geher jenseits der 30 Kilometermarke sehe ich hier
so gut wie nicht.
Bei der magischen 30 er Marke werde ich auch förmlich vom 3:30 Zugläufer
durchgereicht, vor dem ich lange Zeit einen großen Vorsprung hatte. Ich
versuche gleich gar nicht noch ein Stück mit dieser Laufgruppe
mitzuhalten. Es hätte ja doch keinen Sinn.
Trotzdem erlebe
ich nochmals zwischen KM 28 und 31 so was wie ein kleines
Zwischenhoch bevor ich jenseits der 32 KM Marke endgültig in den Hades
abstürze. Wieder nörgelt die Lunge. Ich kann nur noch mit Müh und Not
ein 6:00 - Tempo halten.
Ab KM 36 übersteige ich dann sogar diese Marke. Es
geht nun wirklich mit mir steil bergab. Bald werde ich nur noch wie eine
Schnecke dahin kriechen! Ich blicke ängstlich zurück. Wann wird mich
Olaf einholen, der mir jüngst wegen meinem Renntempo noch so erstaunt zugewunken hat?
Wir laufen nun wieder in der offenen Landschaft. Die
Sonne prellt herunter, produziert munter Ozon und auch der Wind lehnt
sich nun gegen uns auf.
KM 39 in 6:20! Wenigstens hat dieses Trauerspiel
nun bald ein Ende!
Ich sehe schon die Endzeit 3:45 gefährdet, als ich KM 40 in 6:43
passiere.
Aber nun ist der Tiefpunkt überwunden! Mich holt ein Läufer
ein, der nicht wesentlich schneller als ich läuft. Da hänge ich mich
dran! Das Experiment klappt. KM 41 in der berauschenden Zeit von 6:24.
Immerhin fast 20 Sekunden schneller als der vorherige Kilometer.
Da winkt mir doch schon Anton entgegen! Gleich werden wir ins Stadion
abbiegen! |