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Achtung Suchtgefahr!
Sonnabend, 14. Juli 2007. In Frankreich feiern sie
Nationalfeiertag, bei der Tour ihre mehr oder weniger verdienten Siege
und ich feiere heute mit lieben Freunden ein Lauffest. Wenn ich es
schaffe werden am Ende 74 gelaufene Kilometer im Trainingsbuch stehen.
Aber der Reihe nach.
09.00 Uhr, Klosterfelde, Triftstraße. Achtzehn Laufhungrige haben sich
am Tag der Rückkehr des Sommers zusammengefunden. Zum Laufen. Aus der
Triftstraße geht es über die Heidestraße raus aus dem Ort nach Ruhlsdorf,
ab über die etwas sandigen Wege, vorbei an hoch stehenden Maisfeldern.
Neben mir läuft Eckart, der kann jede Gesellschaft unterhalten. Er weiß
immer ganz genau, wie viele Kilometer er diese Woche, diesen Monat,
dieses Jahr gelaufen ist. Und er kennt all seine Ergebnisse: von der
Spartakiade 1973 in Angermünde über den Titel bei den Deutschen
Meisterschaften über 100 Kilometer bis hin zum letzten Wochenende, als
er noch in Schwerin 30 Kilometer unter die Füße nahm. Ein Verrückter.
Dicht dahinter Peter. Bereits dreimal hat er sich an oder um Silvester
in ein Studio begeben und lief auf dem Laufband unvorstellbare Strecken.
Zuletzt Anfang diesen Jahres 1000 Kilometer in knapp 14 Tagen. Noch ein
Verrückter. Oder Michael. Heute ganz locker aber meist sehr flink
unterwegs. Fünfter Platz beim Lauf von Athen nach Sparta (246km). Dann
auch von Nemea nach Olympia, dort gewann er. Bei unglaublicher Hitze.
Ein total Verrückter!
Was treibt diese Leute an?
Ruhlsdorf. Die Hauptstraße entlang, beim Dorado
vorbei über die neue Verbindung nach Marienwerder. Dort am Sportplatz –
was für ein Schmuckstück! Gedanken an den Marathon, den es jetzt schon
dreimal dort gab. Marathonläufer. Auch alles Verrückte? Irgendwie schon,
denn war es nicht so, dass der erste Lauf über diese Distanz, damals,
vor 2500 Jahren ein tragisches Ende nahm? „Wir haben gewonnen!“ so
sprach der Bote
und brach tot zusammen. Nach (s)einem Lauf von Marathon nach Athen. Kein
gutes Omen. Was hielt den Mann aber bis zum Absetzen seiner Botschaft am
Leben und warum genau danach der Zusammenbruch? Nun, darüber kann man
gut nachdenken, während man am Finowkanal entlangläuft, ein erstes
schattiges Stück am Lehrpfad. Aber schon schnell verlassen wir den
schützenden Wald, nach zwölf Kilometern geht es auf die Straße Richtung
Biesenthal, später wird es ein Radweg. Kaum Autos, kaum Menschen. Außer
uns, neben mir Christian. Er gehört zu den drei Menschen weltweit, die
nachweislich bisher die meisten Marathonläufe absolviert haben . . . .
Warum macht der das? Natürlich – der ist verrückt! |
Kurz nach dem Start
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Fans
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Der Autor Jörg
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Kilometer 16. Wir überqueren die Autobahn. Wurde nicht
für die Strecken, die wir heute laufen das Auto erfunden….
Nebengedanken, schnell weiter. Das Tempo ist egal. Alle laufen in zwei
großen Gruppen dicht beieinander. Es geht Richtung Finowfurt. Bald sind
es zwei gelaufene Stunden. Einige werden schweigsamer, andere laufen
„…wie im Rausch.“ –
Endorphine! Unser Gehirn ist doch eine wunderbare Erfindung denke
ich, während ich an der Hirsch-Apotheke nach 19 km auf den Weg am
Finowkanal einbiege.
Die frisch rekonstruierte Schöpfurther Schleuse im Rücken weiter in
Richtung Eberswalde. Es beginnt das schönste Stück des Weges. Im
Schatten des alten Baumbestandes nehme ich meine Gedanken über unser
Gehirn wieder auf. Wenn man so etwas ja eigentlich anstrengendes wie das
Laufen so oft und über so lange Zeiten immer wieder versucht – da muss
doch mehr dahinter stecken. Ja natürlich, Runners High – und hier ist
nicht die „Nutriabrücke“ gemeint, die von leicht erhobener Position
einen schönen Blick über einen seitlichen Zufluss erlaubt. Halbmarathon.
Runners High beschreibt ein Glücksgefühl beim Laufen. Der Schlüssel
dafür sind körpereigene Hormonstoffe, Endorphine, die in größerer Menge
als normal ausgeschüttet eine gewisse Euphorie verursachen. Und Euphorie
wirkt ja oftmals sehr ansteckend. Wohl daran muss es gelegen haben, dass
uns eine Gruppe von Radfahrern mit „La Ola“ ihre Anerkennung und ihren
Beifall bekundeten. Auf Höhe der Schleuse Wolfswinkel, ein wunderbar
verträumter Ort der Verliebten als auch Läufern gleichermaßen gefallen
muss werde ich mir über die Wortschöpfung „Endorphine“ klar – endogen
kommt vom „körpereigen, aus dem Inneren“, und der zweite Teil wurde dem
„Morphin“ entlehnt, was die Bedeutung erahnen lässt. Fast unbemerkt
haben wir die Drahthammerschleuse erreicht, ein wunderschön gestaltetes
Areal entlang dem Familiengarten und ein Wechsel der Laufseite entlang
des Kanals. Also weiter. Morphine – Morphium – sind Läufer also
Drogenabhängig? Laufen wir also nur, um dieses „Morphium“ in uns zu
spüren? Vielleicht ist es ja wirklich so, denn eine Reihe von
Untersuchungen hat gezeigt, dass Laufen wirklich zur Sucht werden kann.
Was nun wieder die Frage aufwirft, ab wann es eine Sucht ist? Und
wonach? |
Am Finowkanal
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Die Brücke am Kupferhammerweg reißt mich kurz aus meinen Gedanken, starker
Autoverkehr lässt keinerlei Sehnsucht aufkommen, diesen Ort öfter zu
durchlaufen….doch das anschließende Stück durch Eberswalde entschädigt
schnell, merkt man doch die Stadt kaum auf diesem Weg.
Der Weg ist das Ziel. Laufen als Selbstzweck. Laufen um das „Runners
High“ zu durchleben, immer wieder. Laufen um Stolz auf eine erbrachte
Leistung zu empfinden, Laufen um sich einfach nur wohl zu fühlen, Laufen
als Gemeinschaftserlebnis.
Viele Gründe, ein jeder könnte Grundlage einer Sucht sein. Wenn wir
Sucht als einen Zustand unbezwingbaren Verlangens verstehen, wie es mein
Lexikon sagt. Um ein Wohlgefühl zu erreichen oder aber um ein
Missempfinden zu beseitigen. Da prüfe sich nun jeder selbst. Morphium
ist ja ursprünglich als Schmerzmittel eingesetzt worden, und in unserem
Körper tun die Endorphine etwas ganz ähnliches. Läufer kennen das …
“Nach dreißig Minuten war mit meinem Knie wieder alles in Ordnung!“ –
hört man oft. Aber falsch. Der Schmerz, der den Läufer vorher noch
plagte wurde durch seine Endorphinausschüttung nur überdeckt,
ausgeblendet. Genauso wie das Endorphin die Körpertemperatur senken
kann, beim Laufen von großem Vorteil, oder aber die Stimmung hebt.
Runners High eben. Jenseits der Stadtschleuse, nach erlaufenen 30
Kilometern geht es weiter in Richtung Niederfinow.
Vorbei an der Ragöser Schleuse, am Ende des Weges wieder weg vom Kanal
hinein in den Wald. Rechts grüßt ein Gartenlokal, die „Sauerei“,
einladend für denselben Abend zum Tanz. Das wird wohl eher nichts mehr…
Wobei ja auch das Sucht sein kann. Wenig später erreichen wir als große
Gruppe den Zeltplatz Triangel, unser heutiger Wendepunkt. Die ersten
beenden hier planmäßig ihren Lauf. 37 Kilometer sollen reichen. Alle
anderen begeben sich auf den Rückweg, die gleiche Strecke, ähnliche
Gedanken. Die Sonne mischt sich unterdessen in die Sinnfindung zum Thema
Laufen gehörig ein, versucht mit 32 Grad Celsius ein Argument dagegen
ins Spiel zu bringen. So ist das aber eben – Laufen hat eben auch immer
etwas mit der umgebenden Natur zu tun. Vielleicht ist das ja auch ein
Teil der (Sehn-)Sucht – war doch diese Art der Fortbewegung für viele
zehntausend Jahre die für den Menschen natürliche. Was aber weniger der
Sucht als eher der Notwendigkeit zuzuschreiben war. Wieder an der
Drahthammerschleuse erleben wir die verbindende Wirkung des Laufens aufs
Neue – Eberswalder Sportfreunde hatten einen Verpflegungsstand aufgebaut
und gaben uns so Frische und Kraft für die nächsten Kilometer. Auf dem
Rückweg gibt es wieder neue Details zu entdecken, ob nun in den Gärten
entlang der Strecke oder auf dem Wasser, auf dem sich nun zahlreiche
kleinere und größere Boote bewegen. Interessant übrigens, dass die
Endorphinausschüttung unabhängig vom Lauftempo ist, wenn aber in Gang
gesetzt das Empfinden für das gelaufene Tempo stark beeinflusst.Viel
zu schnell schon verlassen wir in Finowfurt den Weg am Kanal, und einige
Läufer verlassen auch den Lauf, bleiben im wahrsten Wortsinn auf der
Strecke. Nur noch fünf der Gestarteten begeben sich auf das letzte
Stück, das Hochgefühl des Laufens ist einer schier übergroßen
Erschöpfung gewichen. Der Weg von Ruhlsdorf zurück nach Klosterfelde
wird zur wahren Prüfung, jede Faser des Körpers schreit nach Schatten,
Wasser wäre auch nicht schlecht. Und baden gehen. Und Cocktails am Pool.
Wenn ich zurück bin werde ich trinken, gaaaanz viel. Und allein deshalb
schon laufe ich jetzt bis zum Ende . . . und am Ende des Weges steht die
Zufriedenheit, ja der Stolz: ich habe heute mich selbst und die Strecke
bezwungen. Und ich habe ein wunderschönes Stück Heimat laufend erlebt.
Ich habe meine Sucht gelebt. Und ich bin natürlich komplett verrückt,
denn wie anders soll man das sonst irgend jemanden erklären?!?!? |
Im Ziel
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