Nur noch 8 km bis zum Ziel, doch das eigentliche Rennen beginnt erst
jetzt. Die ersten 13 km forderten nicht mehr Anstrengung als die meisten
anderen Landschaftsläufe, doch nun wird es steil. Sehr steil sogar! Hier
kann im hinteren Teil des Feldes niemand mehr laufen. Alle gehen,
schleppen sich mit Mühe den steilen Weg hinauf. Ich kannte das
Streckenprofil, hatte Reportagen früherer Infernos gelesen, aber dass es
so steil ist hätte ich nicht erwartet.
Bisher hatte ich auf diesem Lauf Glück mit dem Wetter, denn ich konnte
die ganze Zeit fast wolkenlos die tolle Aussicht genießen. Doch nun
hängt über mir am Hang eine lückenlose Wolkenschicht. Der Anblick vielen
Läufer vor mir, die schon weit, weit über mir wie auf einer
Ameisenstraße die Serpentinen in die nebelumwogte Höhe krabbeln, wirkt
beunruhigend.
Gegen 12 Uhr löscht der Nebel die herrliche Aussicht aus. Später erfahre
ich am Ziel, dass es meiner Freundin genau umgekehrt ging. Annette
konnte aus beruflichen Gründen in diesem Jahr kein Berglauftraining
machen, fuhr daher schon vor 8 Uhr mit der Bahn auf 1600 m und wanderte
zum Gipfel, wo sie den Zieleinlauf der Sieger erleben wollte. Morgens
lag die Strecke unterhalb 2200 m noch komplett im Nebel, aber dafür war
gegen 12 Uhr, als die schnellen Läufer hinauf kamen, oben herrliche
Fernsicht. |
12 Uhr: Lauf in die Wolken |
12 Uhr: Aussicht am Ziel auf dem Schilthorngipfel |
Der Aufstieg scheint kein Ende zu nehmen. Inzwischen hat der Nebel die
gesamte Umgebung verschluckt. Kein Panoramablick lenkt von der
kräftezehrenden Steigung ab. Dann erreiche ich endlich die
Schilthornhütte. Einen kurzen Moment lang reißt ein Stück des Nebels auf
und ich sehe scheinbar unerreichbar weit vor mir das Drehrestaurant am
Gipfel. Schon kann ich die Lautsprecherdurchsagen von oben hören. Die
Sieger sind schon lange dort, aber für mich scheint das Ziel noch
unerreichbar fern zu liegen.
Nun folgt ein Abschnitt, auf dem man endlich wieder fast normal laufen
kann. Es kommt mir wie eine Erlösung vor, den steinigen Pfad
entlangzueilen. Trotz noch immer relativ dichtem Läuferfeld gibt es auf
dem engen Weg nie Probleme. Langsamere Läufer machen den schnelleren
immer Platz, niemand bremst oder drängelt.
Allmählich nimmt die Steigung wieder zu, und nun spüre ich, dass meine
Taktik heute nicht aufgehen wird. Da ich mehr Gebirgswanderer statt
Bergläufer bin wollte ich vor allem im steilen Gelände Gas geben und
möglichst viele Leute überholen. Doch vermutlich bin ich auf den ersten
Kilometern zu viele Abschnitte gerannt. Nun fällt mir jeder Schritt
enorm schwer.
In der Nähe der Bergbahnstation Birg liegt eine Messmatte für die
Zwischenzeit. Schon liege ich einige Minuten hinter meiner Planung. Doch
das Endergebnis ist mir inzwischen völlig egal, denn ich bin so
erschöpft, dass ich keine Ahnung habe, wie ich überhaupt noch zum Ziel
kommen kann. Zum ersten Mal bin ich bei einem Wettkampf nahe daran, mich
einfach auf den Boden zu setzen und aufzugeben.
Noch einmal folgt ein kurzer, fast flacher Abschnitt. "Gut", denke ich
mir. "Zumindest ein paar hundert Meter keine Quälerei!"
Ich versuche zu
laufen, doch nach 100 m muss ich selbst auf ebenem Weg langsam gehen.
Ein Trost ist nur, dass die anderen vor und hinter mir ebenfalls am Ende
sind.
Kilometer 20 - normalerweise ein Grund zum Aufatmen, zum Jubeln, denn
das Ziel ist nahe. Wer die Strecke nicht kennt freut sich aber zu früh,
denn der härteste Teil liegt noch vor uns. 1 km mit etwa 300
Höhenmetern, das ist noch eine ordentliche Portion steiler als die
bisherige Strecke. Nun führt der hervorragend markierte Weg so heftig
die Felsen hinauf, dass man ab und zu die Hände zu Hilfe nehmen muss.
Spätestens jetzt lohnt es sich, wenn man Trail-Schuhe statt welchen mit
dünnen Sohlen hat. Vor mir läuft jemand barfuß! Ihn bewundere ich
mindestens ebenso wie die Läufer, die eine Stunde schneller ans Ziel
kommen und den Blinden, der mit einem Guide mal wenige Meter vor, mal
hinter mir geht. |
Schilthorn und Schilthorntraverse |
Schuhe verloren? |
Noch nie in meinem Leben war ich so erschöpft wie jetzt. Mit jedem Schritt
scheint das Ziel noch unerreichbarer. Ein Schild kündigt an: ?500 m.
Jetzt plage ich mich eine extrem steile Felstreppe hinauf. Statt auf den
letzten 500 m wie geplant noch zehn Leute zu überholen lasse ich die
anderen an mir vorbei. Ich gehe wie in Zeitlupe, als hätte jemand die
Schwerkraft verdoppelt. So ähnlich fühlt sich Aquajogging an. Doch
obwohl ich damit rechne, jeden Moment umzukippen und von den Sanitätern
die letzten Meter zum Ziel getragen zu werden, bin ich unendlich froh,
jetzt hier zu sein. Um keinen Preis würde ich auf dieses Erlebnis
verzichten wollen, und ich bin mit jedem kraftlosen Schritt stärker
überzeugt, irgendwann noch einmal beim Inferno zu starten. |
Die härtesten 500 m meines Lebens |
Vor mir liegt ein schmaler Felsgrat, rechts und links von einem Zaun
gesichert. Gerade reißt der Nebel ein Stück auf, so dass ich über mir
wieder das Restaurant sehe. Plötzlich ragen sogar links ein paar
wunderschöne Berggipfel über die Nebeldecke. Ich juble, fotografiere ...
und würde am liebsten einfach nur stehenbleiben, die Aussicht genießen
und den Aufstieg vergessen. Doch oben sehe ich meine Freundin stehen,
die meine letzten Meter fotografieren will. Ich wanke voran. Jetzt darf
ich auf keinen Fall umkippen. Die Felsen hinauf, dann ist vor mir eine
weitere Treppe. Für manche sicherlich die Stairway to Heaven, für mich,
der sich fühlt wie ein Zombie, eine Höllenstiege. |
Gratwanderung |
Rückblick zum Grat |
Irgendwie schaffe ich es, auch diese Stufen zu bewältigen. Später meint
Annette, ich hätte noch niemals so fertig ausgesehen. Nun noch ein paar
Meter über die Terrasse laufen, dann durchs Ziel. Geschafft und
überlebt! Trotz aller Erschöpfung bin ich überglücklich, denn es war ein
großartiger Lauf.
Nun gibt es nochmals allen Grund, den Veranstaltern ein gewaltiges Lob
auszusprechen: Am Ziel muss ich nicht nach meiner Tasche mit der warmen
Kleidung suchen, denn diese wird mir schon wenige Meter hinter der
Ziellinie von einem Ordner gereicht. Die Getränkeversorgung ist
ebenfalls ideal geregelt, denn sie findet nicht im Freien sondern in
einem warmen, windgeschützten Innenraum statt. |
"Zombie" Günter auf der letzten Stufe |
Obwohl es mein erster Wettkampf dieser Art ist, erreiche ich bei den
Männern Platz 336 von 380 Klassieren. 3:54 - nur drei Minuten weniger
als meine Marathonbestzeit aus Berlin. Als ich mit einem anderen Läufer
rede sagt dieser, dass es ihm ebenso erging. Er kam zwar 20 Minuten vor
mir ins Ziel, war aber auch nur 6 min schneller als in Berlin. Da auch
die schnellsten Läufer zwischen 2:02 und 2:09 brauchten kann man den
Berlin-Vergleich wohl pauschal sehen. Annette und sich setzen uns
anschließend noch einige Zeit in das aus einem James-Bond-Film bekannte
Drehrestaurant, bis wir nach draußen gehen und neben der finalen Treppe
den Zieleinlauf des Inferno-Triathlon Siegers erleben. Unglaublich: Nach
über 9 Stunden, 3,1 km Schwimmen, 127 km und 3325 Höhenmetern auf dem
Rad sowie einer vier Kilometer längeren Variante des Berglaufs kann Marc
Pschebizin die Treppe noch hinaufrennen! |
Der Triathlon Sieger auf der Stairway to Heaven |
Beim nächsten Mal will ich diese Stufen auch so putzmunter schaffen wie
er. Fest versprochen!
Zum guten Abschluss darf man dann kostenlos mit der Gondelbahn hinab
nach Mürren fahren, wo im Sportzentrum die Pastaparty ist (Nach dem
Lauf!). Anschließend geht es ebenfalls kostenlos hinab nach
Lauterbrunnen.
Fazit
Hervorragend organisierter Lauf. Landschaftlich sehr reizvoll.
- Tipp 1: vorher ausprobieren, ab welcher Steigung Ihr am
effektivsten von Laufen zu Gehen wechselt.
- Tipp 2: Trail-Running-Schuhe.
Übrigens kostet eine normale Berg-und Talfahrkarte auf das Schilthorn
89 Franken, der Halbmarathon aber nur 50 Franken. Hier spart man beim
Laufen sogar Geld. |
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