In der Ruhe liegt die Kraft - 40 Jahre Schwarzwald Marathon in
Bräunlingen
Bräunlingen
.... hm, nie gehört. Wo ist das eigentlich? Die meisten, die nicht
gerade aus der Region kommen, dürften mit Bräunlingen nicht allzu viel
verbinden. Und wenn man sich unbefangen diesem etwas abseits der großen
Verkehrswege im südlichen Schwarzwald gelegenen, beschaulichen
6000-Seelen-Städtchen mit seinem verschlafenen Stadtkern und den
pittoresken Fachwerkhäusern nähert, fällt es etwas schwer, sich
vorzustellen, dass gerade dies zumindest „marathonhistorisch“ ein
wirklich bedeutsamer Ort ist. Aber wer genau hinschaut und weiß, wo er
suchen muss, der kann hier auch ganzjährig Hinweise auf den besonderen
Marathonbezug Bräunlingens finden. Da sind zum einen die kleinen
Pfeilmarkierungen mit dem dezenten Aufdruck „Schwarzwaldmarathon“, die
in den umliegenden Wäldern ganzjährig die Marathonstrecke kennzeichnen.
Und wer sich auf dem Platz vor der großen Stadthalle am Ortsrand
umblickt, wird eine granitene Marathonstele entdecken, in der alle
Siegerinnen und Sieger seit dem ersten Lauf eingraviert sind, und auf
der in markanten Lettern verkündet wird: „Weltpremiere Frauenmarathon
der Damen“. Nicht in Boston, nicht in London oder Berlin und auch nicht
in einer der anderen heute so namhaften Marathonstädte, sondern hier, in
diesem versteckten Winkel, fand am 06.10.1968 weltweit erstmals ein
Marathon unter offizieller Beteiligung von Frauen statt. Und so ganz
nebenbei ist der Schwarzwald Marathon in Bräunlingen der (fast) älteste
Volksmarathon in Deutschland.
Für den 13./14 Oktober 2007 stand daher ein besonderes, fast schon
denkwürdiges Jubiläum an: Organisatoren und Läufer konnten das 40jährige
Bestehen des Schwarzwald-Marathon feiern. Damit wird in Bräunlingen
schon lange, bevor sich der Marathon zum neuzeitlichen Massenphänomen
entwickelt hat, Marathon gelaufen. Bis in die 80er-Jahre hinein zählte
der Schwarzwald Marathon teilnehmermäßig zu den „Großen“ in der
allerdings noch relativ überschaubaren Szene der Volksmarathons. Bis zu
2.850 Marathonis (1985) strömten damals nach Bräunlingen. Man mag es
heute kaum glauben: es gab Zeiten (1971), da war der
Schwarzwald-Marathon der teilnehmerstärkste Marathon der Welt, und da
konnte damals nicht einmal New York mithalten.
Aber das ist alles Teil der Historie. Die Gegenwart wird bestimmt durch
völlig andere Rahmenbedingungen. Gerade im Oktober konkurrieren zahllose
Marathons um die Gunst der Läufer. Vor allem die großen City-Marathons
ziehen die Massen an. Da kann ein kleinerer Marathon wirtschaftlich
leicht „unter die Räder kommen“. Auch in Bräunlingen ist das Feld der
Marathonteilnehmer im Laufe der Jahre immer weiter zurück gegangen. Dass
dem Schwarzwald Marathon der schleichende Niedergang erspart geblieben
ist, liegt daran, dass es den Initiatoren des Laufs rund um ihren
OK-Chef Klaus Banka gelungen ist, eine Laufveranstaltung zu konzipieren,
die einerseits den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht,
angefangen von der Erweiterung des Streckenangebots bis zur Zeitmessung
per Chip, die aber auf der anderen Seite deren Traditionen und Identität
bewahrt hat. Das spricht sich herum und kommt gut an – und so ist der
Schwarzwald-Marathon auch heute noch eine feste Größe im Laufkalender.
Dreh- und Angelpunkt des „Events“ Schwarzwald-Marathon ist die geräumige
Stadthalle in Bräunlingen. Vor der Halle ist das mit vielerlei Fahnen
ausstaffierte Start- und Zielareal aller Läufe angelegt. Schon ab dem
frühen Samstag Nachmittag ist vor und in der Halle richtig viel los. Die
meisten Läufer kommen nicht lediglich zur Abholung der Startunterlagen
bzw. zur Anmeldung, sondern bleiben, häufig von der Familie begleitet,
und so herrscht in der Halle durchgängig bis in den Abend so etwas wie
Festzeltstimmung. Viele kennen sich, der größte Teil der Teilnehmer
stammt - bei aller propagierter Internationalität (Teilnehmer aus 30
Nationen sind angekündigt) - aus der Region und viele nehmen, wie ich
schnell feststellen kann, bereits zum x-ten mal teil. Bei einer kleinen
Marathonmesse bietet sich die Gelegenheit, das Laufequipment zu
vergünstigten Preisen aufzustocken, noch beeindruckender ist für mich
allerdings das üppige Kuchenbuffet. Vor der Halle bieten ein Biergarten
und ein Kunst- und Handwerkermarkt ein weiteres Alternativprogramm.
Parallel zur offiziellen Eröffnung der „Nudel-Party“ starten zwischen 15
und 16 Uhr die ersten Laufwettbewerbe: der 10 km-Lauf und das 10 bzw. 21
km-Walking. Fast 800 Menschen nehmen daran teil und füllen nach
vollbrachter Tat zusätzlich die Halle. Man muss schon ein Weilchen
suchen, um da noch einen Sitzplatz in den langen Bankreihen zu finden.
Richtig „ernst“ wird es für die meisten dann am nächsten Tag. Für 9.30
Uhr ist der gemeinsame Start der Marathon- und Halbmarathonläufer
angesetzt. Erst seit 1998 ist der Halbmarathon im Programm, doch hat er
teilnehmermäßig dem Marathon längst den Rang abgelaufen. So ist es von
den immerhin fast 2000 Teilnehmern, die am Sonntag Morgen auf das
Startgelände strömen, nurmehr ein knappes Drittel, das sich für die
vollen 42 km angemeldet hat.
Das Wetter ist aus Läufersicht großartig: sonnig und kühl. Der
Morgenkälte kann man bestens in der warmen Stadthalle entfliehen, wo das
Gedränge entsprechend groß ist. Erst kurz vor dem Start formiert sich
das Starterfeld in den nach der erwarteten Zielzeit vorgesehenen vier
Blocks.
Lautstark werden die letzten zehn Sekunden herunter gezählt, ehe mit dem
Startschuss die Stecke freigegeben wird. Die ersten paar hundert Meter
geht es auf breiter Straße durch den verkehrsgesperrten Ortskern
Bräunlingens. Zum Glück bietet die Strecke gerade hier noch viel Raum -
denn wegen der fehlenden Kontrolle der Blockzuordnung hat eine ganze
Reihe Starter anscheinend mal wieder nicht den richtigen (sprich: dem
eigenen Laufvermögen entsprechenden) Block „gefunden“. Doch so besteht
genügend Ausweichmöglichkeit und die Chance zur raschen Neuordnung des
Läuferfelds. Der Applaus der bereits zahlreich am Straßenrand Strecke
stehender Zuschauer begleitet uns durch die Stadt.
Kaum ist die erste Hektik des Starts verflogen, sind wir auch schon
draußen aus der Stadt. In langen Geraden durchschneiden asphaltierte
Wege Wiesen und Felder. Nur unmerklich steigt die Laufstrecke an. Weit
reicht der Blick auf diesen ersten Kilometern über die offene, im
Morgendunst scheinbar gegenstandslose Landschaft, in der der Wald nur
schemenhaft am Horizont sichtbar ist. Fast schon ein wenig surreal wirkt
das schier endlose schmale Läuferband, das sich durch die einsame,
stille Szenerie windet.
Die erste große Verpflegungsstation bei km 6,5 bedeutet gleichzeitig
einen Szenenwechsel. Diese Station markiert quasi den „Eintritt“ in das,
für das der Schwarzwald bekannt ist und dem er seinen Namen verdankt:
die dichten Nadelwälder. Und etwas wesentlich anderes bekommen wir auf
den nächsten 32 km auch nicht zu sehen.
Gut ausgebaute und vor dem Lauf zum Teil mit Sand noch speziell
präparierte Forstwege führen durch die Weite der Wälder. Jeder Kilometer
ist ausgeschildert. Das Profil der Strecke ist relativ flach, was man im
Schwarzwald nicht unbedingt erwarten würde. Zwar sind auf der ersten
Streckenhälfte 300 Höhenmeter zu überwinden, doch sind die Anstiege
zumeist moderat und langgezogen und auch ohne große Tempoeinbußen zu
belaufen. So läuft es sich sehr entspannt durch die üppige Natur.
Wunderschön ist der Wald vor allem dort, wo sich die Sonnenstrahlen im
Dunst zwischen den hohen, schlanken Baumstämmen abzeichnen und das
saftige Grün des moosbedeckten Bodens zum Leuchten bringen.
Fast schon etwas irritiert bin ich, auf einmal lautes Rufen und
Geklatsche in der Ferne zu hören. Nicht ganz zufällig hat sich bei km 12
mitten im Wald eine beachtliche Menschentraube versammelt, die die
ankommenden Läufer geradezu enthusiastisch begrüßt. Der Grund: Hier
trennt eine Marathonweiche die Voll- von den Halbmarathonläufern.
Während die Marathonis weiter gen Westen traben, treten die
Halbmarathonis bereits den Rückweg an, der sie nach einem „Abkürzer“ von
zwei Kilometern bei km 35 wieder auf die Marathonstrecke führt.
War die Läuferkette bis km 12 noch relativ geschlossen, so ändert sich
das nun schlagartig, denn der überwiegende Teil der Starter hat ja die
„Kurzvariante“ gewählt. Im ersten Moment fühlt sich die plötzliche
Einsamkeit fast schon etwas seltsam an, aber letztlich trägt sie noch
stärker zum Erlebnis des Naturlaufs bei. Oft höre ich außer dem
Vogelgezwitscher nur das leise, gleichmäßige Schrappen meiner Schuhe auf
dem Weg. Ich genieße die friedliche, relaxte Stimmung, der Lauf gewinnt
zunehmend meditativen Charakter. Die etwa alle 6 km platzierten gut
ausgestatteten Versorgungsstationen, die neben Wasser, Tee und
Isogetränken gegen den „Hungerast“ auch Obst und Brotstücke anbieten,
sind aber dennoch eine willkommene Abwechslung für mich.
Etwa bei km 17 erreichen wir mit 1.000 ü. NN den höchsten Punkt der
Strecke. Der Kurs verharrt die nächsten Kilometer in etwa auf diesem
Höhenniveau, zugleich wird die Strecke aber winkeliger, Auf- und
Abpassagen wechseln bisweilen in kurzen Abständen. Auch der Wald
präsentiert sich immer wieder mit verändertem Erscheinungsbild,
Wiesenflächen unterbrechen ab und an das Dickicht. Längst habe ich die
Versuche aufgegeben, mich zu orientieren, und so lasse ich mich auf den
Naturwegen einfach dahin treiben. Eine fiepende Zeiterfassungsmatte etwa
bei km 25 signalisiert schließlich, dass wir das westliche Ende der
großen Marathonrunde erreicht haben und die Strecke wieder in Richtung
Bräunlingen dreht. Ausgesprochen angenehm ist, dass es nun tendenziell
vor allem bergab geht, zwar nur leicht, aber dafür beständig.
Und weiter geht es in langen Geraden Kilometer um Kilometer durch Wald,
Wald, Wald – bis wir bei km 35 auf Unterbränd stoßen. Der ganze Ort
scheint auf den Beinen zu sein und die Bewohner des kleinen Weilers
bereiten uns einen herzlichen Empfang. Eine Blaskapelle vor der
Dorfkirche heizt die Stimmung an. Kaum angekommen sind wir aber auch
schon wieder aus dem Ort heraus. Es folgt eine besonders schöne
Streckenpassage, die uns hoch über dem Ufer des
Kirnbergsees
entlang führt. Wunderschön ist der Blick über den im dunstigen
Gegenlicht schimmernden, naturumwucherten Seekessel – leider ist er uns
aber nur kurz vergönnt. Dann schluckt uns wieder der Wald.
Kurz hinter km 38 endet der Waldweg endgültig und über Wiesen und Weiden
geht es, nun auf Asphalt, direkt auf Bräunlingen zu. Die letzten hundert
Meter vor dem Ziel sind dicht von Zuschauern gesäumt, die uns mit ihren
Anfeuerungsrufen den letzten Schwung für den Zieleinlauf geben. Fast
alle Zieleinläufer werden über Lautsprecher persönlich mit Namen begrüßt
– eine nette Geste. Im Ziel herrscht nach der Beschaulichkeit der
Laufstrecke ungewohnter Trubel und fast schon Volksfeststimmung.
Bräunlingen weiß eben seinen Marathon zu feiern.
Wenig später werden in der Stadthalle die Erstplatzierten der beiden
Läufe geehrt, die in diesem Jahr allesamt dem deutschsprachigen Raum
entstammen. Die Männerkonkurrenz des Jubiläumsmarathons gewinnt der
Pfälzer Hans-Jörg Dörr in nicht unbedingt sensationellen 2:40:45, bei
den Frauen hat – nicht zum ersten Mal - Birgit Bartels aus dem nahen
Hinterzarten mit 3:05:27 die Nase vorn. Die Siege im Halbmarathon holen
sich der Schweizer Patrick Wieser und Raphaela Sieber aus Unterkirnach
in 1:11:34 bzw. 1:25:47.
Was bleibt? Bräunlingen bietet ein toporganisiertes, familiäres
Marathon-Event, eine Veranstaltung mit hohem Wohlfühlfaktor, die jeder
Naturliebhaber unter den Läufern genießen wird. So verwundert es nicht,
dass die Zahl derer, die hier immer wieder an den Start gehen, besonders
hoch ist.
Noch Fragen? Dann bitte einfach unter
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