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Die durch die Höh(l)le gehen ....
7. Untertage-Marathon in Sondershausen 2008 - Ein Bericht von Klaus Sobirey
Prolog
Mir ist heiß, verdammt heiß. Der Schweiß läuft in Strömen. Um mich herum: nur
Fels, Sand und Staub – vor mir und hinter mir – bis zum Horizont. Und das schon
seit 35 Kilometern. Ich habe Durst, schon wieder, immer wieder. Wo ist die
nächste Wasserstelle? Nichts zu sehen. Es hilft nichts. Auch wenn es schwer
fällt: Ich muss weiter, immer weiter ...
Bin ich in der Sahara? Oder in irgend einer anderen Wüste dieser Erde?
Nein, auch wenn es so erscheinen mag. Ich bin mitten in Deutschland, genauer
gesagt, mittendrin und zusätzlich 700 Meter darunter. Während sich +/- 700 Meter
weiter oben vernünftige Menschen jahreszeitgemäß glühweinschlürfend auf
Weihnachtsmärkten tummeln, frönen hier gut 400 „Spinnerte“ dem Marathonlauf
unter Extrembedingungen: bei Temperaturen von bis zu 29 Grad C, äußerst geringer
Luftfeuchtigkeit, Steigungen von bis zu 20 % und Helm auf dem Kopf.
Es ist still, unheimlich still. Ich höre nur das träge Trapsen meiner Schritte
und meinen schweren Atem. Sonst nichts. Niemand ist vor mir, niemand hinter mir.
Ich bin allein. Irgendwie bin ich wohl doch mitten in der Wüste. Einer Wüste
mitten in Deutschland.
Was vorher geschah
Es ist 7 Uhr, als ich mit dem Auto Sondershausen, 45 km nördlich von Erfurt
gelegen, erreiche. Es ist noch finster. Um mich herum: Schmuddelwetter, Regen
bei 3 Grad C über Null. Die Landstraße ist menschenleer. 100 Jahre lang, bis
Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war Sondershausen ein Zentrum des
thüringischen Kalibergbaus. Doch das ist Vergangenheit. Aber eine Vergangenheit,
die um Sondershausen herum durchaus noch präsent ist. Schemenhaft tauchen sie
auf einmal in der Dunkelheit auf: Silhouetten metallener Ungetüme, einstmals
Fördertürme, und riesige Hallen, stumme Zeugen dieser Zeit. Die unterirdischen
Relikte – Stollen in Tiefen zwischen 600 und 1100 Metern und angeblich von den
Außenmaßen des Straßennetzes Erfurts – lassen sich nicht einmal ansatzweise
erahnen.
Aus der Not hat man eine Tugend gemacht. Der Bergbau ist tot – es lebe das
Erlebnisbergwerk. Das Bergwerk „Glückauf“ wurde für Besucher und Events aller
Art konserviert und präpariert und damit ein regionaler Tourismusmagnet
geschaffen. So kommt es, dass man hier nicht nur ein Schaubergwerk mit Salzsee
und 50 m-Rutsche, sondern auch unterirdisch Konzerte besuchen, Mountainbiken
oder eben auch Marathon laufen kann.
Mein Ziel ist der Brügmann-Schacht, benannt nach dem Begründer des ältesten
Kalischachts der Region. Schilder zum „Erlebnisbergwerk“ weisen schon weit vor
der Stadt den richtigen Weg. Von der Stadt selbst bekomme ich nichts mit. Denn
die Schilder dirigieren mich an Sondershausen vorbei direkt ins weitläufige
Gewerbegebiet. Auch hier: nächtliche Stille. Fast fahre ich in der Dunkelheit an
meinem Ziel vorbei. Gerade noch sehe ich, wie einige Gestalten auf einem
Parkplatz zwischen Autos umher huschen. Jetzt weiß ich: Das Ziel ist erreicht.
Ich packe meine Tasche und reihe mich ein in den um diese Zeit erst tröpfelnden
Strom der Ankömmlinge, die einem beleuchteten Hof entgegen streben. Mit dem
Licht kommt auch das Leben. Im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes des Brügmann-Schachts
treffen sich Läufer und deren Begleiter zur Abholung der Startnummern. Für 7.15
bis 8.45 Uhr ist die Ausgabe terminiert, ich bin also bei den Ersten.
Normalerweise kann man von hier über die Schachtröhre 1 direkt ins Startgelände
unter Tage abfahren. Zur Entlastung wurde in der Vergangenheit zudem ein etwas
umständlicherer Zugang über die 3 km entfernte Schachtröhre 5 eingerichtet. Das
war 2007 und auch 2006 so. In diesem Jahr ist der Zugang über die Schachtröhre 1
wegen unerwarteter Bauarbeiten jedoch versperrt. Das heißt: Alles muss über die
Schachtröhre 5 abgewickelt werden. Darauf und die sich daraus ergebenden
zeitlichen Verschiebungen, auch die des Starts von 10 auf 11 Uhr, wurden wir per
E-Mail schon vorgewarnt.
Aber die Jungs vom OK sind vorbereitet: Kaum habe ich meine Startnummer, sitze
ich schon in einem warmen Bus und brause mit der ersten Läufergruppe durch das
Gewerbegebiet in Richtung Schachtröhre 5. Vor einer zugigen Halle stoppen wir.
Drinnen: Der Aufzug. Ein archaisch wirkendes Metallmonster, das schon optisch so
gar nichts mit einem gewohnten Gebäudelift gemein hat. Laut scheppern
Klingelschläge durch den Raum. Diese zeigen, je nach Schlagzahl, den
Operationsmodus des Aufzugs an. Ein paar Minuten muss ich nur warten. Dann ist
er da: Der drei(!)-stöckige Liftkäfig. Ein Geschoss nach dem anderen wird
befüllt, bevor es auf Tour geht. Ich komme gleich mit der ersten Fuhre mit, als
einer der letzten im Untergeschoss. Pro Geschoss haben etwa 15 Personen Platz.
Wobei der Begriff „Platz“ die Wirklichkeit nicht ganz zutreffend beschreibt.
Denn mit unserem Gepäck sind wir eingezwängt wie Sardinen in der Dose. Um uns
herum: Metallgitter. Die Aufzugtür: Ein dicker Kunststoffvorhang, der beim Ein-
und Ausstieg hochgezogen wird. Kaum Zeit habe ich, mich an die Situation zu
gewöhnen. Schon fällt der Vorhang, Schläge ertönen, ein Ruck geht durch den
Aufzug, ich spüre die Bewegung. Sofort wird es dunkel. Alles verstummt. Das
Abenteuer beginnt.
Vor dem Start
Gleichmäßig und ruhiger als gedacht geht es hinab, 700 Meter weit, etwa vier
(geschätzte) Minuten lang. Ab und an lässt ein von irgendwoher flackerndes Licht
einen kurzen Blick auf die nackte Wand der Aufzugröhre erhaschen. Die Spannung
löst sich ein wenig, Lachen ertönt. Schnell wird es wärmer. Ein weiterer Ruck:
Wir sind angekommen. Scheppernd wird der Vorhang hochzugezogen. Und als erstes
empfängt mich eine Hitzewand. Oh je, denke ich mir nur. Anno 2003 beim
Hitzemarathon in Wien hatte ich mir geschworen, Marathon nie wieder bei Wärme zu
laufen. Und jetzt bin ich hier und tue mir wieder so etwas an, und das sogar
vorsätzlich ..... Gleichzeitig fällt mein Blick auf den hell erleuchteten, hier
viele Meter breiten und hohen Stollen mit seinen furchigen und doch insgesamt
sanft gerundeten Wänden und dem hellen, vom Salz mattglitzernden Gestein.
Richtig großzügig wirkt der Raum, alles andere als beklemmend. Auch wenn es heiß
ist: Die Luft ist hervorragend, alles andere als stickig. Schnell schlägt der
erste Schrecken in Faszination um.
Für den Transfer zum Startgelände warten auf uns bereits Grubentransporter. Auf
der großen, offenen Ladepritsche mit drei langen, gepolsterten Bankreihen haben
knapp 25 Leute Platz. Auch hier wird es eng. Aber, wie ich schnell feststellen
darf: Das ist gut so. Denn keine halbe Minute später rasen wir in einem
Irrsinnstempo durch das unterirdische Stollenlabyrinth. Die Felswände neben und
über mir fliegen nur so vorbei, es geht urplötzlich nach links und nach rechts,
hinauf und hinab. Man kann kaum vorhersehen, wo es in der nächsten Sekunde
weitergeht. Ich setze mein ganzes Gottvertrauen in den Fahrer und denke mir nur:
Der wird schon wissen, wie er hier fahren kann und wohin er fahren muss. Ich
komme mir vor wie in einer Rohrpost, die auf verschlungenen Wegen durch ein
Leitungssystem gejagt wird. Der Weg und die Zeit vergehen wie im Rausch. Im
Nachhinein habe ich keine Vorstellung, wie lange wir unterwegs waren, es werden
wohl nur ein paar Minuten gewesen sein. Jedenfalls: Auf einmal stoppt der Wagen.
Leicht benommen – oder positiver ausgedrückt: berauscht – steigen wir vom Wagen.
Was mir sofort sehr angenehm auffällt: Hier ist es mit etwa 22 Grad C deutlich
kühler als am Aufzugausgang.
Das Start- und Zielgelände ist gleichzeitig auch das unterirdische Zentrum des
Erlebnisbergwerks für „Normalbesucher“. Es besteht nicht etwa nur aus einem
Stollen, sondern aus einem ganzen Netz verbundener, längs und quer verlaufende
Felsröhren, von denen wiederum weitere Hohlräume abzweigen. Auch hier wirken die
Stollen alles andere als beklemmend: 5 bis 8 Meter Platz ist in der Breite und 3
bis 4 Meter und mehr in der Höhe. Der Boden ist eben, der Fels wölbt sich recht
gleichmäßig in einem Halbrund über uns. Man erkennt gut, wie das Gestein
gleichmäßig aus dem Fels gefräst wurde, was der Felsoberfläche ein fast schon
künstlerisch anmutendes Profil verleiht. Zum Teil ist die Höhlendecke von einem
Netz aus kleinen Lämpchen, einem Sternenhimmel gleich, verhängt. Andere Stellen
werden von bunten Leuchten illuminiert. Zahllose Holztische- und Bänke sind
bereits für die Läufer und deren Begleiter aufgestellt. Etwa 520 Personen, davon
gut 420 Läufer(innen) werden erwartet.
Es ist erst 8.30 Uhr und noch recht ruhig. So habe ich ausgiebig Zeit, die
Örtlichkeit zu erkunden. In einem Seitenstollen finde ich „Mephistos Zeche“,
eine Mischung aus Stollenbar und -imbiss, wo bereits eifrig angesichts des
erwarteten Ansturms gewerkelt wird. Zu einer Salzheringsemmel kann ich mich aber
dann doch nicht durchringen. Überaus beeindruckend ist der abzweigende gewaltige
„Konzertsaal“ mit bis zu 340 Sitzplätzen. Dessen Bühne wird schon für die
spätere Siegerehrung präpariert. Unweit davon: der „Festsaal“ mit Platz für bis
zu 60 Personen für Dinner-Events der besonderen Art. In einem weiteren
„Nebenraum“ ist gar eine gut ausgestattete Sanitätsstation eingerichtet. In den
Stollen sind diverse kleinere und größere Gebrauchsgegenstände aus dem Bergbau
und Mineralienfunde aus- und aufgestellt, in einen Felswinkel ist eine
Madonnenstatue (oder ist es die Heilige Barbara?) eingelassen. Interessant ist
auch ein großer Plan, der den unterirdischen Streckenverlauf des Laufs abbildet.
Darin erkennt man gut, dass jede der vier 10,5-km-Runden des Marathons eine Art
Ellipse bildet, bei der sich der Laufkurs am Ende des ersten Viertes und am Ende
des dritten Viertels einer jeden Runde kurzzeitig berührt.
Die Grubentransporter karren immer mehr Leute heran. Langsam füllen sich die
Stollen, wird es lauter, bunter, trubeliger, aber nie hektisch oder beengt. Für
zusätzliche Stimmung sorgt eine Grubenkapelle in Tracht, unterbrochen von den
Ansagen eines Moderators. Ich ruhe mich aus und entschließe mich zu einem
zweiten Frühstück.
Die Zeit vergeht schnell. Erst etwa eine Viertelstunde vor dem „offiziellen“
Starttermin um 11 Uhr sehe ich eine gewisse Wanderbewegung in Richtung des
Startstollens. Hier wird die „Laufprominenz“ vom Moderator vorgestellt, u.a.
Sigrid Eichner, die verkündet, heute ihren 1334. Marathon zu laufen. Und noch
immer kommen Fahrzeuge mit neuen Läufern an. Der Moderator stellt klar, dass
erst dann gestartet wird, wenn alle Läufer da sind. Und so passiert um 11 Uhr
gar nichts.
Eine Viertelstunde später ist es aber soweit. Wir werden gebeten, hinter dem
„Start“-Banner, Aufstellung zu nehmen. Einen fast schon bizarren Anblick bietet
das dichte, den Stollen in voller Breite und weit in die Tiefe ausfüllende
Läuferband. Alle sind temperaturangemessen leicht gekleidet, tragen aber den
verpflichtenden Helm auf dem Kopf, die meisten auch eine Stirnlampe.
Darauf hingewiesen werden wir, dass der Start aber noch nicht der richtige Start
sei, sondern erst 300 Meter weiter „scharf geschossen“ werde. A la Formel 1
sollen, von einem Führungsfahrzeug eingebremst, sich bis dahin auch die
schnellen Läufer warmlaufen und im Feld bleiben und sich das Startfeld auch
schon ein wenig entzerren. Nachdem wir kollektiv lauthals die letzten zehn
Sekunden herunter gezählt haben, wird mit einem lauten Gong um 11.20 Uhr der
„Vor-Start“ frei gegeben und der Tross setzt sich gemächlich in Bewegung. Das
mit dem „Scharfschießen“ an der offiziellen Startlinie läuft dann aber doch
nicht so ganz fließend. Jedenfalls muss das Feld erneut stehen bleiben und
verdichtet sich entsprechend schnell wieder.
Um 11.22 Uhr ist es aber soweit: Ein letztes Kommando – und es geht los.
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Runde 1 – locker auf und ab
Entspannt und voller Vorfreude laufe ich los, neugierig auf das, was mich
erwartet. Der leicht sandige, aber feste und ebene Untergrund ist sehr gut zu
belaufen. Kaum unterwegs erwartet uns jedoch bereits die erste lange Steigung.
Kein Problem für mich - das trabe ich noch ganz locker hinauf, auch wenn sich
der Anstieg zieht und zieht und ich schon jetzt merke, dass der Schweiß sich
seinen Weg aus den Poren bahnt. Mehrere hundert Meter lang begleitet uns gleich
hier am rechten Stollenrand ein Korso ehemaliger Grubenfahrzeuge, vor allem
ausgemusterter LKW, oder besser gesagt, das, was nach dem "Ausschlachten" übrig
geblieben ist. Ein Torso reiht sich dicht hinter den anderen, vom Sand und Staub
der Zeit in hellem Grau eingehüllt, scheinbar für die Ewigkeit dem Schicksal
überlassen. Der Stollen ist hier noch etwas breiter als sonst und weniger als
vier Meter sind es ohnehin nie. Ich kann gar nicht so schnell schauen, so
schnell zieht sich das Läuferfeld bereits auf dieser Steigung auseinander. Nur
kurz gewährt ein kurzes Abwärtsstück schließlich eine Verschnaufpause und schon
wieder geht es weiter hinauf.
Gerade recht kommt die erste Getränkestation etwa bei km 2,5. Das erste
Rundenviertel ist geschafft. Noch nie habe ich so früh so viel Wasser in mich
gekippt. Zum Standardprogramm jeder Versorgungsstation gehören auch
Pfefferminztee und Cola, zudem werden Bananen- und Orangenstücke sowie
getrocknete Früchte angeboten.
Gleich hinter der Station geht es hinab - mächtig steil hinab. Eine derartig
intensive Profilierung der Strecke hätte ich hier unten nicht erwartet, auch
wenn ich schon wusste, dass uns pro Runde 310 Meter Höhendifferenz erwarten. Ich
lasse es laufen, versuche durch lange flache Schritte die Beine zu entlasten,
werde immer schneller - und hoffe nur, dass das auch längerfristig gut geht. Der
Boden wirkt an einigen Stellen ziemlich glatt, ein Eindruck, der durch die
kristalline Beschaffenheit des Gesteins verstärkt wird. Ins Rutschen gekommen
bin ich allerdings nie. Die Abwärtspassage scheint gar nicht enden zu wollen,
hinter jeder Kurve geht es wieder und weiter hinab. Und ich merke auch: es wird
immer wärmer, unangenehm warm. Je tiefer wir kommen, desto intensiver und
durchdringender wird die Hitze. Schwefeldämpfe ziehen mir in die Nase. Der
Schweiß läuft mir nun schon in Strömen.
Etwa bei km 3,7 erreichen wir die tiefste Stelle der Strecke. Hier ist es wohl,
wo das Temperaturmaximum von 29 Grad C erreicht wird. Stetig geht es in der
Hitze in kurzen Intervallen auf und ab. Erst jetzt merke ich, dass kaum noch
Läufer um mich herum sind, was aber auch daran liegt, dass die vielen
Stollenwindungen weiterreichende Ausblicke verhindern. Bei km 4 laufe ich in
einen breiten dunklen Stollen hinein und merke erst gar nicht, dass ich hier
falsch bin. Ansonsten hat man allerdings wenig Gelegenheit, sich zu verlaufen.
Abzweigende Stollen sind zumeist mit Bändern „abgesperrt“. Die gesamte
Laufstrecke ist mit Neonröhren erleuchtet, mal mehr, aber mal auch weniger. Wo
es weniger ist, wird es auch schon mal so dunkel, dass man den Boden zu seinen
Füßen nicht mehr sieht. Hier ist die Stirnlampe wirklich von Vorteil – wenn auch
kein Muss –, um Unebenheiten rechtzeitig zu erkennen.
Etwa bei km 5 erreichen wir den nächsten Verpflegungsposten. Drei Becher
Flüssigkeit müssen es jetzt schon sein, ehe ich mich auf die nächste Etappe
wage. Und die hat es in sich. Denn sogleich folgt die nächste Steigung, die wohl
längste und härteste auf dem Rundkurs. Angesichts der Hitze entschließt sich
fast jeder um mich herum früher oder später zum flotten Walken. Der Schweiß
tropft mir mittlerweile schon von der Helmkante herunter. Schier endlos zieht
sich die Berganpassage hin und wenn man glaubt, jetzt sei es geschafft, lauert
hinter der nächsten Kurve schon wieder die nächste Steigung. Dass es wieder ein
wenig kühler wird, merke ich dabei erst gar nicht. Ab km 6,5 geht es wieder in
angenehmeren kurzen Auf- und Ab-Intervallen dahin, die läuferisch gut zu
bewältigen sind.
Auf Höhe der Verpflegungsstation bei km 7,5 berührt die Strecke kurz den
Streckenteil, den wir fünf Kilometer vorher durchlaufen haben. Ein rot-weißes
Band teilt hier den Stollen der Länge nach. Die Gegenspur ist im Moment aber
verwaist. Und ich kann es kaum glauben: Es geht (fast) flach und ohne Kurven
weiter – immer nur geradeaus, bis zum sich in der Dunkelheit verlierenden
Horizont. Zum ersten Mal finde ich so etwas wie einen Laufrhythmus. Gut zwei
Kilometer geht es fast meditativ durch den häufig nur schwach erhellten Stollen
dahin, es folgt ein längeres sanftes Gefälle, ehe sich der Stollen in ein paar
finalen Drehungen hinab in den Zielbereich windet.
Noch bevor wir ihn – eigentlich erst im letzten Augenblick – sehen, schallen uns
schon die Anfeuerungsrufe und das Klatschen der wartenden Laufbegleiter, Musik
und die Stimme des Moderators entgegen. Es sind keine Massen, die da auf uns
warten, aber der Empfang ist für jeden Ankömmling überaus herzlich, emotional
und persönlich. Nur ein schmaler Korridor trennt die Zuschauerreihen entlang der
Strecke, was uns den Einlauf noch intensiver erleben lässt. Bei jedem Einläufer
wird die Zeit individuell über den mit der Startnummer befestigten Messchip
erfasst, dann dürfen wir uns auf die Zielverpflegung stürzen.
Runde 2 – noch gut dabei
Und schon geht es weiter. Das Durchlaufen des Zielbereichs erscheint mir im
Nachhinein wie ein Flash. Kaum da bin ich auch schon wieder weg, umfängt mich
wieder die Stille des Stollens. Doch dieser Flash ist ausgesprochen motivierend
und ich fühle mich zu Beginn der zweiten Runde richtig gut. Das Schwitzen hat
nachgelassen, die erste lange Steigung neben dem Fahrzeugfriedhof bereitet keine
größere Mühe und ich stelle mir – nach 55 Minuten für das erste Streckenviertel
schon vor – das Ganze unter vier Stunden schaffen zu können.
Erstaunt bin ich, festzustellen, dass mir vieles auf dieser zweiten Runde ganz
neu und unbekannt vorkommt, als sei ich hier noch nie gewesen. Der Vorteil: Es
gibt immer wieder scheinbar Neues zu entdecken. Der Nachteil: Manches Teilstück
kommt mir länger vor als ich es in Erinnerung habe, vor allem die
anstrengenderen. Das Läuferfeld hat sich noch weiter auseinander gezogen, oft
liegen 20 Meter und mehr zwischen einzelnen Teilnehmern.
Dass das Profil seinen Tribut fordert, spüre ich aber dann doch: Beim langen
Gefällestück im zweiten Viertel machen sich erstmals leise die
Oberschenkelmuskeln bemerkbar und in der Hitze der langen Steigung im dritten
Viertel setzt das Marschieren noch etwas früher ein als bei der ersten Runde.
Zumindest beim Gehen setze ich den Helm ab, um dem Kopf ein wenig Luft und
Kühlung zu verschaffen. Überhaupt gehe ich dazu über, mir bei jeder
Getränkestation einen halben Becher Wasser überzukippen. Das belebt – zumindest
für ein Weilchen.
Wieder erlebe ich die lange Gerade zum Schluss der Runde fast schon als
Erholung. Und wieder ist der Einzug in den Zielbereich ein tolles Erlebnis. Für
diejenigen, die nicht mehr wollen oder können, besteht die Möglichkeit, den Lauf
als Halbmarathon im Rahmen einer gesonderten Wertung zu beenden. Doch das ist
nur eine Minderheit. Für alle anderen geht es in die nächste Runde. |
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Runde 3 – es wird hart ...
Halbzeit. Die Vorstellung, dieselbe wie die zurück gelegte Distanz noch mal
zurück legen zu dürfen, löst in mir gespaltete Gefühle aus. Einerseits genieße
ich das besondere Erlebnis, die Stimmung, den eigenwilligen „Flair“ hier unten,
andererseits fühle ich in besonderer Weise, wie meine physischen Energien
schwinden. Deutlich mehr als bei anderen Läufen, auch etwa Bergläufen an der
frischen Luft, merke ich, wie der verlorene Schweiß die Kraft raubt, ein
Verlust, der auch durch häufiges Trinken letztlich nicht zu kompensieren ist.
Und wenn es so etwas wie einen (kleinen) Kritikpunkt an dieser Veranstaltung
gibt, dann ist es der, dass nichts zum Ausgleich des Mineral- und Salzverlusts
vorgehalten wird, idealerweise so etwas wie eine Bouillon.
1:57 Std. habe ich bis km 21 benötigt. Mir schwant schon, dass ich die 4
Stunden-Zielmarke kaum halten werden kann. Beschwingt und motiviert durch die
Anfeuerungsrufe im Zielbereich packe ich aber zunächst zum dritten Mal die
„Straße der Schrottmobile“ an.
Die Abstände der Läufer sind noch größer geworden. 50 Meter und mehr liegen
bisweilen zwischen ihnen. An den Verpflegungsstationen gibt es dafür absoluten
Individualservice. Diese Stationen etwa alle 2,5 km bestimmen immer mehr als
Fixpunkte mein Denken. Leider nur scheinen die Distanzen zwischen ihnen immer
mehr zu wachsen, weil ich für die jeweiligen Etappen auch immer mehr Zeit
benötige.
Auf der langen Gefällstrecke zu Beginn des zweiten Streckenviertels muss ich
mich im Tempo zurücknehmen, da ich schon merke, wie sich ein Krampf in den
Beinen anschleicht. Richtig hart wird es aber dort, wo es wieder flach und dazu
noch heiß wird. Ich habe das Gefühl, mit Gewichten an den Beinen zu laufen. Fast
schon ein wenig beruhigend ist, dass zumindest die meisten um mich herum
gleichfalls deutlich an Dynamik einbüßen. Kollektiv schleichen wir das
Steilstück im dritten Viertel hinauf.
Erst als wir das flache letzte Streckenviertel erreichen, schaffe ich es,
läuferisch wieder aufzuleben. Nach 3:07 Std. beende ich die dritte Runde. Im
Zielgelände wird schon der Einlauf des Siegers erwartet – er wird nach 3:13 Std.
einlaufen, wie ich später nachlesen werde. Ich muss mich aber noch eine weitere
Runde bewähren.
Runde 4 – ... und noch härter
Mir ist heiß – verdammt heiß ...... (siehe „Prolog“)
Die letzte Runde wird zum Härtetest. So manchen sehe ich krampfgebeutelt dahin
stelzen. Zum Glück bleibt mir das erspart. Doch auch mein Lauf wird immer mehr
zur Schleicherei und Schinderei, ganz gleich, ob es nun rauf oder runter geht.
Ein letztes Mal erlebe ich die langen Auf- und Abwärtspassagen, die nicht enden
wollenden Kurven und innerlich mache ich zahllose „Häkchen“ hinter den
jeweiligen Abschnitten. Selbst der lange flache Abschnitt zum Schluss wird für
mich zu einer einzigen Überwindung.
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Im Ziel
Als ich mich nach langen 4:32 Std. ins Ziel rette, weiß ich, dass ich eine der
wohl härtesten Marathonstrecken, die es gibt, hinter mich gebracht habe.
Letztlich 287 LäuferInnen beenden die volle Distanz in diesem Jahr.
Noch einmal erlebe ich den freundlichen Empfang der unermüdlichen Zuschauer. Vom
Moderator werden wir persönlich mit Namen angekündigt und begrüßt. Medaille,
Urkunde, Finisher-Shirt – all dies gibt es sodann im und nahe dem Zielbereich.
Die Ehrung der Sieger aller Altersklassen in der Konzerthalle fällt deutlich
imposanter aus als bei vielen größeren Marathons.
Erst danach setzt langsam der kollektive Drang zur Rückkehr an die Erdoberfläche
ein, wobei sich angesichts der Zugangsengpässe Wartezeiten nicht vermeiden
lassen. Aber das nehmen die Läufer recht gelassen. Noch einmal erlebe ich die
rasante Fahrt auf dem Transporter durch die Stollen, die lange Auffahrt durch
die Schachtröhre 5. Oben angekommen erwarten mich allerdings Dunkelheit, Kälte,
Regen und ich weiß: jetzt ist wieder „Normalität“ angesagt.
Resümee
Der Untertage-Marathon in Sondershausen ist hart, beinhart – aber ein
einmaliges, tolles, unvergessliches Erlebnis, bestens organisiert und betreut
und für Freunde des „besonderen“ Marathonerlebnisses ein absolutes Muss.
Zeitambitionen sollte man tunlichst zurück stellen, es sei denn, man ist
besonders hitzeresistent und bestens trainiert im Bergauf- und vor allem auch
Bergablauf. Aber das dürften dann doch die wenigsten sein. Vielmehr sollte man
das „Event“ als Ganzes einfach genießen. Dazu gehört, trotz des zeitlichen
Mehraufwands, unbedingt der Zugang bzw. die Anfahrt über den Schacht 5 und auch
das nette Rahmenprogramm vor und nach dem Lauf.
Noch Fragen? Dann bitte einfach unter
klaus_sobirey@lycos.de melden. |
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