Das Gegenteil von vorne - 14. Nürnberger Stadtlauf
2009
Heute ist „Tag der deutschen Einheit“. Also auch der Tag des Nürnberger
Stadtlaufs. Mit Erwin und dem Team-Bittel werde ich beim Halbmarathon unterwegs
sein. Wie lautet Erwins Grundregel für den Nürnberger Stadtlauf? Richtig, Erwin
läuft hinten. Eigentlich doch ganz einfach. Da ist nur ein kleines Problem für
mich. Durch jahrelanges Lauftraining hat sich mein Körper an Belastung gewöhnt.
Er fordert mehr Tempo. Doch heute gibt es das nicht, es wird ein langsamer
Genusslauf.
Wieder einmal treffe ich Thomas aus Heroldsberg: „Was machst Du hier?“ „Ich
walke, siehst Du doch!“ „Alles klar, dann lass mich mal vor, denn ich geh heute
auf Weltrekordkurs!“ Und während wir noch witzeln wird schon runter gezählt.
Dann fällt der Startschuss: Wir starten aus der letzten Reihe.
Alan Sillitoe schrieb von der Einsamkeit des Langstreckenläufers. Von wegen
Einsamkeit. Das ist eine Lüge. Langstreckenläufer sind nicht einsam. Läufer sind
Herdentiere. Nicht so wie beim Mannschaftssport. Wir sind anders. Der Läufer ist
ein Individualist. Das sieht man gut bei vielen Marathons oder eben heute beim
Stadtlauf, wo etliche hundert Individualisten nebeneinander hertraben. Im
Gleichklang der Pulsuhren. Oft in Gruppen, mit individuell gestalteten T-Shirts
in modischem Orange. Oder?
So ein Stadtlauf ist wie eine wandelnde Selbsthilfegruppe. Da kann man endlich
einmal reden – über all die Dinge, über die man monatelang allein mit Kälbern,
Walkern und Radfahrern gegrübelt hat: Lohnt sich jetzt schon ein
satellitengestützter Distanzmesser fürs Handgelenk oder soll man lieber auf die
nächste Generation warten? Hängt man sich einen Rucksack mit isotonischen
Getränken ins Kreuz oder schnallt man sich ein Baukasten-Trinksystem wie einen
Patronengurt um? Problem Startnummer: noch am Abend anstecken (Zeit sparen) oder
erst am Morgen (meditative Vorbereitung)?
Über 4000 Teilnehmer und noch mehr Zuschauer. Trotzdem stimmt es, nur beim
Laufen kann man so schön einsam sein. Es gibt nichts Schöneres als bei
Vogelgezwitscher allein durch Wald und Flur zu traben. Zeit zum Meditieren. Aber
manchmal braucht ein Läufer einfach andere Menschen. Begleitung. Gesellschaft.
Publikum. Und eins muss man der Ehrlichkeit sagen: So viel Adrenalin wie beim
Stadtlauf mit Freunden und Tausend anderen Menschen fließt in der Einsamkeit
niemals.
Run happy and smile!
Jochen Brosig
Röttenbach, den 3.Oktober 2009 |