Swiss Snow Walk & Run in Engelberg -
Wintersport für Läufer
Laufbericht von Günter Kromer |
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Anfang März sitzen hoch über den Schweizer Alpen ein paar Wettergötter zusammen
beim Pokern. Gerade eben hatte noch ein frühlingshafter Dandy für nettes
Tauwetter gesorgt, doch jetzt konzentriert sich das Spiel immer mehr auf einen
fetten, düster blickenden Griesgram, der nun den Einsatz erhöht und ein paar
trotzige Wolken auf den Tisch legt.
Ein Anfänger, der noch grün hinter den Ohren ist und gerade ein paar
Frühlingswinde über das Land gepustet hatte, fragt: „Ist an diesem Wochenende
irgendwo in der Schweiz etwas Besonderes los?“ Ein smarter Sonnyboy lacht und
erklärt: „Ja, am Samstag muss ich unbedingt für blauen Himmel und gute Fernsicht
sorgen, denn dann findet in Engelberg der Swiss Snow Walk & Run statt. “ „Was
ist denn das?“ wundert sich das Greenhorn. „Das ist ein Sportevent im Schnee,
mit Wettkämpfen für Läufer und für Nordic-Walker. Dabei stehen drei Strecken mit
21,1 km und 800 Höhenmetern, 12 km und 260 hm sowie 6,5 km und 140 hm zur
Auswahl." „Und wo ist Engelberg?“ „Das liegt 35 km von Luzern entfernt auf 1000
m Höhe am Ende eines Tales, in ruhiger Lage ohne Durchgangsverkehr und umgeben
von hohen Bergen." |
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Am Mittwoch steht das Pokerturnier noch unentschieden. Jeder der Kontrahenten
fühlt sich als Sieger. Der Griesgram gibt einem Online-Wetterdienst den Tipp:
"Freitag, Samstag und Sonntag null Sonnenschein", der Sonnyboy dagegen meldet an
einen anderen Wetterbericht "Drei Tage lang sehr sonnig". Die Spannung steigt.
Als ich am Freitag mit dem Zug nach Engelberg fahre, steht das Spiel nach wie
vor unentschieden, aber der dicke Nebelgott grinst immer unverschämter, während
der smarte Sonnyboy immer panischer auf seine Karten schaut.
Wer will, kann heute Mittag in einem der offiziellen Partnerhotels des Walk &
Run, dem Europäischer Hof Hotel Europe, an einem für Event-Teilnehmer
kostenlosen Fitness- und Gesundheitsforum teilnehmen. Ich halte mich aber lieber
draußen in der Natur auf. Eigentlich hatte ich geplant, heute mit der Gondelbahn
auf den 3238 m hohen Titlis zu fahren oder von der auf der anderen Talseite
liegenden 1860 m hohen Brunnihütte hinab nach Engelberg zu wandern, aber
aufgrund der vielen Wolken fahre ich mit der Gondelbahn nur bis Ristis auf 1606
m und spaziere auf bequemem Weg runter. |
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Im Hotel erlebe ich mal wieder, wie unterschiedlich die Quartiere bei
verschiedenen Wettkämpfen sind. Vor einem Monat bei der Brocken-Challenge dicht
gedrängte Schlafsäcke auf dem Fußboden - heute Drei-Sterne-Hotel, beim Brocken
Frühstück auf Bierbänken in einem rustikalen ehemaligen Tanzsaal - heute in
alter Grand-Hotel-Eleganz. Ganz nett, aber ich bin doch mehr der einfache Typ,
kein richtiger Hotelgänger. |
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Am Samstagmorgen räumt der fette Wolkengott den Pokertisch leer, während der
Sonnyboy schluchzend in der Ecke sitzt und alles verloren hat. Das kann ja
heiter werden (bzw. natürlich genau das Gegenteil)! Der Sieger des Spiels
schickt seine Freundin Frau Holle nach Engelberg, wo sie einen ganzen
Monatsvorrat an Schneeflocken über das Tal schüttet. Für die nächsten Stunden
herrscht hier ein kompromissloses Blauer-Himmel-Verbot.
Als ich zum Fenster hinaus schaue schwindet meine Hoffnung, heute für die
Reportage Fotos mit der herrlichen Aussicht knipsen zu dürfen. Es schneit
saumäßig. Daher bleibe ich so lange wie möglich im Hotel und gehe erst kurz vor
dem Start rüber zum Freizeitzentrum. Statt eine halbe Ewigkeit mit der U-Bahn
durch eine Großstadt zu sausen oder (noch schlimmer) auf einer endlose Odyssee
ins Niemandsland am Stadtrand die Nerven zu verlieren, erreicht man in Engelberg
den Startplatz vom Bahnhof bzw. vom Hotel aus zu Fuß in nur fünf Minuten.
Statt dem tollen Bergpanorama sehe ich heute um mich herum nur monotones Grau.
Der Schneefall nimmt von Stunde zu Stunde zu. Daher überrascht es wohl auch
keinen Teilnehmer, als schließlich die Meldung kommt, dass die extremen
Neuschneemengen zu hoher Lawinengefahr führten und der obere Streckenabschnitt
des Halbmarathons gesperrt ist. Auch alle Halbmarathonis müssen sich heute mit
der 12 km Runde begnügen. Trotz Enttäuschung über das miese Wetter findet jeder
diese Entscheidung richtig, denn Sicherheit hat Vorrang. Außerdem macht es ohne
Aussicht ohnehin wenig Spaß, stundenlang durch Nebel und Schneetreiben zu
rennen. |
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Nach der Aufwärmgymnastik gibt Viktor Röthlin, einer der besten europäischen
Marathonläufer, den Startschuss. Röthlin läuft heute nicht mit, aber nach seinem
gesundheitlichen Katastrophenjahr 2009 blickt er jetzt endlich wieder
optimistisch in die Zukunft.
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Weitere offizielle Paten sind der aktuelle Mr. Schweiz André Reithebuch (er
erreicht bei den Läufern heute Rang 28!) und der Bahn-Radfahrer Bruno Risi, der
als Walker teilnimmt.
Zu Beginn folgt ein flacher Kilometer, auf dem es stellenweise etwas Gedränge
gibt, da entgegen der eigentlichen Planung beide Halbmarathon-Startblocks und
die Teilnehmer der mittleren Distanz nun gemeinsam starteten. Zu Beginn des
ersten Aufstiegs kommt es sogar kurz zum Stau, was aber erfahrungsgemäß so früh
im Rennen keine negativen Auswirkungen hat.
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Schon bei km 2 sind die Abstände wieder größer und jeder kann in seiner
Geschwindigkeit den teilweise recht anstrengenden Aufstieg bewältigen. Durch
tief verschneiten Winterwald marschieren wir bergauf.
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Zum Laufen ist es hier zu steil. Hier darf ich wieder Turbopinguin spielen.
Diesen Namen bekam ich übrigens nicht bei einem Lauf, sondern auf dem Weg zu
einer Kneipe, als ich immer etwas schneller durch den Schnee watscheln wollte
als meine Begleiterin. Ich finde aber, dass er auch zu meinem nicht gerade
Gebreselassie-mäßigen Laufstil passt. Die einen rennen vorne mit, die anderen
watscheln hinterher :-)
Tja, manchmal zeigt einem das Leben extreme Kontraste. Um mich herum wirbeln die
Schneeflocken in weihnachtsapokalyptischer Pracht, aber vor mir läuft einer OBEN
OHNE und mit kurzen Hosen! Ist das nun eiserne Härte oder einfach nur verrückte
Gesundheitsgefährdung? Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Äußerst
unfair finde ich es allerdings, dass dieser Läufer von einer uns entgegen
kommenden Gruppe Schneeschuhgeher lautstark verspottet und ausgelacht wird. |
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Auf den ersten drei Kilometern zottele ich vom Wetter enttäuscht etwas missmutig
vor mich hin, habe eigentlich gar keinen Bock mehr auf den Lauf, aber plötzlich
merke ich, dass es mir nun doch wieder Spaß macht. Statt weiter Fernsicht
genieße ich nun den Blick auf den Wintermärchenwald, statt blauem Himmel gibt es
Schneeflocken in der Megapackung. Es ist toll, hier zu laufen! Auf einmal habe
ich wieder supergute Laune.
Wir erreichen nun die weite, offene Fläche der Gerschnialp, wo natürlich das
ersehnte herrliche Rundum-Alpenpanorama heute einem konturlosen Grau wich.
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Dann laufen wir einige Zeit ohne allzu große Höhenunterschiede durch Wald.
Inzwischen schneit es so stark, dass ich eine Weile auf das Fotografieren
verzichte, da ich davon ausgehe, dass man auf den Bildern ohnehin außer Flocken
nichts erkennen wird. Aufgrund der tiefen Neuschneeauflage laufen wir oft nicht
wie erwartet auf gut präparierten Schnee-Wanderwegen sondern auf einem
Untergrund, der Trailrun-Charakter hat. Aber genau dies mag ich ja am liebsten.
Von Kilometer zu Kilometer steigt für mich der Laufspaß.
Bei Untertrübsee kreuzen wir von Ordnern beschützt die Skipiste und beginnen
einen letzten Aufstieg. Hier kommen mir einige Zeit lang die schnelleren Läufer
entgegen (also fast alle). Oben folgt eine weite Schleife, dann darf auch ich
mit dem Abstieg beginnen.
Als Brillenträger hat der Wettkampf für mich etwas von Blindflug an sich. Die
Brille steckt wegen dem Schneetreiben natürlich längst in der Jackentasche, und
bei dem diesigen Licht ist das Profil der Schneeoberfläche nur schwer zu
erkennen. Die unebene Piste beim Abstieg stellt meine Trittsicherheit vor große
Herausforderungen. Mehrmals stolpere ich durch kleinere Löcher im Boden. Aber
ich liebe solche steilen Abstiege. Während sich um mich herum einige Läufer nur
sehr zaghaft den steilen Hang hinab tasten gebe ich hier Vollgas. Welch eine
Gaudi!
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