In mehr als 20 Jahren bin ich sicher 400 Mal an
Odense vorbei gefahren, auf
dem Weg von Nordfriesland nach Småland, wo unser Feriendomizil ist, oder auf dem
Weg zurück. Der Marathon führte mich nun erstmals in diese Stadt, die mit ihren
knapp 200.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt unseres nördlichen Nachbars ist.
Die Stadt ist Zentrum der Verwaltung, des Handels- und Gewerbes und der Kultur
der Ostseeinsel Fyn, zu deutsch Fünen. Der kulturell orientierte Mensch denkt
zuerst an Hans Christian Andersen, der hier geboren wurde, aufwuchs und später
mit seinen Fabeln und Märchen weltberühmt wurde. Das wertvolle Erbe wird mit
Respekt und Sinn fürs Geschäft verwaltet. Das Stadtzentrum gibt sich immer noch
so verwinkelt, historisch herausgeputzt und überschaubar wie vor 200 oder 300
Jahren, als Odense ein bedeutendes Handelszentrum war.
Der HCA-Marathon, wie der Lauf abgekürzt genannt wird, ist nach Stockholm,
Kopenhagen und Helsinki der viertgrößte Marathon Skandinaviens. Und, um es
vorweg zu nehmen, wohl der schnellste. In diesem Jahr lag die Siegerzeit bei gut
zwei Stunden und 10 Minuten.
Der Marathonlauf ist eingebunden in eine Reihe weiterer Läufe. Im Halbmarathon
werden die Damen und Herren getrennt auf die Strecke geschickt, die Kinder
laufen den Minimarathon über 4,2 Kilometer. Insgesamt gehen mehr als 4.000
Sportler auf die zweimal zu durchlaufende Stadtschleife.
Vor, während und nach dem Lauf steht den Läufern praktisch das gesamte
Sportzentrum zur Verfügung. Die obligatorische Sportmesse war informativ und
überschaubar. Direkt vor dem Stadion befindet sich der Startbereich. Keine
großen Absperrungen, keine sichtbaren Ordnungshüter, trotzdem geht alles
reibungslos, keiner drängelt, alles läuft in Ruhe ab. Skandinavisch eben.
Im Startblock reihe ich mich bei den Pacemakern für die Zielzeit 3:30 ein. Mal
sehen, ob es geht. Da ich Anfang des Jahres Verletzungspech durch Knochenbrüche
hatte, fehlten mir doch ein paar Hundert Trainingskilometer. Aber die
Vorbereitungsphase war gut, ein paar Tempoläufe, einige schöne lange Läufe, aber
nichts Besonderes.
Der Lauf
Der Bürgermeister gibt den Startschuss und los geht´s. Anfangs bin ich etwas
enttäuscht, denn große breite Straßen führen durch Industriegebiete. Wenig
abwechslungsreich. Dann kommt man zum Hafen und erahnt etwas von der früheren
großen Handelstradition der Stadt. Schließlich führt uns die Strecke in die
Innenstadt. Einige winklige Gassen, renovierte Fassaden, einige historische
Gebäude lassen die alte Schönheit aufflackern. In der Fußgängerzone wird richtig
Stimmung, gemacht, aber auch unterwegs immer wieder Live-Musik oder dröhnende
Lautsprecher.
Ich hänge mich an das Trio unsere Pacemaker und laufe einfach mit. Man
garantiert uns eine Zeitgenauigkeit von +- 30 Sekunden, mit der man das Ziel
erreichen will. Das hört sich gut an, denn seit 2007 geht meine Schlusszeit
immer mehr in den Keller! Von den alten 03:19 Stunden kann ich nur träumen, wenn
man auf die 60 zu geht. Zuletzt 2007 waren es noch 03:30, danach bis 03:45. Ich
komme gut zurecht, habe keinerlei Schwierigkeiten, mitzuhalten. Den Halbmarathon
legen wir exakt in 01:45 Stunden zurück. Der Plan scheint aufzugehen. Nun wieder
raus auf die inzwischen bekannte Strecke. Bis Kilometer 30 fühle ich mich
weiterhin pudelwohl, denn die Verpflegung auf der Strecke ist erstklassig: alle
2,5 Kilometer Getränke in Form von Wasser oder Energydrinks, alle 5 Kilometer
auch Bananen, später Riegel. Und als Besonderheit (habe ich noch nie gesehen):
Auf Pfählen befestige Vaselinedosen.
Ab Kilometer 30 merke ich nachlassende Kraftreserven. Die Eigenverpflegung hilft
zwar gut, aber trotzdem nehme ich etwas Tempo raus. Das hat Erfolg: Ich schlage
dem befürchteten Mann mit dem Hammer ein Schnäppchen, er hat keine Chance, ich
kann stetig weiter laufen. Der Nachteil ist, dass ich den ersehnten Kick mit den
Halluzinationen nicht bekomme. Oder doch? Was ist das für ein armselig
gekleidetes Mädchen, das sich dort an die Hauswand des Patrizierhauses lehnt, im
dicken Mantel und auf den Boden gesunken. Sie hat ein Päckchen Schwefelhölzer
dabei. Ich laufe über den Bürgersteig, hin zu ihr, will helfen. Aber plötzlich
ist das Bild weg, ich treibe weiter in Richtung Ziel.
Irgendwo vor mir sehe ich den Ballon meiner Pacemaker, aber meine Zielzeit kann
ich mir abschminken. Noch einmal spielt mir mein Gehirn einen Streich, als ich
einen nackten Mann mit einer Krone auf dem Kopf zu sehen glaube. Der Kaiser!
Aber nein, das Bild verschwimmt sofort wieder.
Nun sehe ich die Flutlichtlampen des Stadion, noch zwei Kilometer. Keine
Probleme, weiter laufen, rein ins Stadion, eine knappe Runde auf der Tartanbahn.
Ein beeindruckendes Erlebnis, so ein Stadioneinlauf vor Publikum!.
Eine dicke Medaille mit dem Bildnis, na von wem wohl? Reichliche Verpflegung,
ein wahrer Wochenmarkt!
Nochmals Odense? Ja gern, so ein unauffällig organisierter Lauf mit
hervorragendem Service. Das lohnt sich allemal!
Hier nun meine Laufdaten: Schlusszeit 03:34:04 Stunden. Recht gleichmäßiger
Lauf: KM 1-10: 04:54 Minuten, KM 11-20: 04:56 Minuten, KM 21-30 04:56 Minuten,
KM 31-42: 05:04 Minuten. Ich bin absolut zufrieden! |