Spätsommerabend © Marten Petersen, 2009
Als ich mich für diesen Trainingslauf vorbereitete, ahnte ich
noch nicht, was ich in den kommenden zwei Stunden erleben würde.
Mein Weg sollte mich von meinem Heimatdorf Almdorf, am Marsch-Geest-Rand
liegend, durch das Tal der Ostenau zum benachbarten Geestdorf und weiter durch
ein Restmoor zum Mischwald führen. Jenseits des Waldes sollte das sanfte
Hügelland der Geest weiter ansteigen, bevor ich den Rückweg antreten würde. Den
Weg hatte ich so gewählt, dass ich keine Strecke doppelt laufen musste.
Es war eine wunderbar laue Luft, Ende August. Trotz des frühen Abends waren es
noch knapp zwanzig Wärmegrade, so dass ich leichte und luftige Laufbekleidung
wählte. Die Tage wurden schon kürzer, aber es war hell genug, um noch einen
Trainingslauf in Angriff zu nehmen. Es sollte ein langer Lauf von zwanzig
Kilometern werden, langsames Tempo, ein Genusslauf.
Als ich aus der Haustür trat, bemerkte ich aus den Augenwinkeln ein rasches
Huschen. Unser Wiesel, das seine Behausung unter dem Brennholzvorrat hatte, war
auf Beutezug. Ein schöner Anblick! Weiter ging es hinunter in das Tal der
Ostenau. Auf der Brücke blieb ich kurz stehen und beobachtete die Entenfamilie,
die den Sommer über hier ihr Revier hatte. Zu meiner Überraschung erblickte ich
auf der benachbarten Wiese einen Weißstorch. Störche waren selten geworden, da
ihr Nahrungsvorrat durch die intensive Landwirtschaft stark eingeschränkt worden
war. Schön, Adebar, dass ich dich sehen durfte!
Gemächlich lief ich weiter, durchquerte das alte Bauerndorf Bohmstedt, um dann
in die Niederung zum Moor zu gelangen. Es war nur noch ein Rest des ehemals
großflächigen Moores da. Ich erinnerte mich, dass wir in meiner frühen Kindheit
noch getrockneten Torf zum Heizen benutzt haben. Kleine Bachläufe, eher schmale
Kanäle durchzogen das feuchte Land. Ein Graureiher stand stocksteif am
Grabenrand und suchte nach Nahrung.
Der schmale Sandweg verlief über eine kleine, kaum sichtbare Geländeanhöhe. Hier
soll nach alter Überlieferung ein heidnischer Tempel der Wikingerzeit, Donars
Haus genannt, gestanden haben. Im Zuge der Christianisierung wurde daraus das
Antonius-Haus, eine frühe christliche Kirche. Auch sie existierte heute nicht
mehr.
Plötzlich tauchte von links ein Fuchs auf. Er kam aus dem Schilf und schnüffelte
nun am Wegesrand nach Spuren. Dann sah Reinecke unvermittelt auf, entdeckte mich
und verschwand wieder. Sein Weg durch das Moor wurde aber von einem jähen
Auffliegen von fünf oder sechs Rebhühnern verraten. Aufgeregt gackernd flogen
sie ungeordnet umher, um sich dann nicht weit entfernt auf der Wiese nieder zu
lassen.
Das Gelände stieg weiter an. Ich überquerte eine Straße und strebte dem Haaks,
einem Ende des 19. Jahrhunderts angelegten Mischwald zu. Die ehemalige und von
Theodor Storm in seinen
Gedichten so schön beschriebene Heide war damals urbar gemacht worden. Teils
wurde es Ackerland, teils Wald. Eine relative Kühle hüllte meinen erhitzten
Körper beim Eintauchen in den Wald ein. Die wohltuende Frische tat mir gut und
ich genoss die Abendluft und die verschiedenen Düfte des Waldes. Ich wusste,
hier im Wald sollte es mehrere Uhus geben, aber außer ihrem unheimlichen Rufen
hatte ich noch nichts von ihnen bemerkt.
Nach gut einem Kilometer verließ ich den Wald, um zu den „Sieben Bergen“ zu
gelangen, oder Söbenbargen, wie es auf plattdeutsch hieß. Dabei handelte es sich
um eine Ansammlung von sieben
Megalithgräbern aus der
Steinzeit. Germanenhäuptlinge sollen hier in den Hünengräbern ihre Ruhe gefunden
haben. Die Gräber und der Wegesrand waren mit Erika bewachsen, letzte Zeugen der
ehemaligen Heidelandschaft.
Zwischen zwei Hünengräbern entdeckte ich drei Rehe, die friedlich im Gras ästen.
Es wurde Zeit, den Heimweg anzutreten. Dazu folgte ich einem Radwanderweg, der
längs der Straße verlief. Dann bog ich ab und kam zurück zum Haaks, diesmal am
nördlichen Waldrand. Weiter rechts öffnete sich der Wald zu einer
Wiesenlandschaft mit kleinen Waldstücken. In einem dieser Kleinforste befand
sich seit einigen Jahren ein Seeadlerhorst. Sie hatten sich hier wieder
angesiedelt und waren heimisch geworden. Oft hatte ich sie übers Land zur nahen
Nordsee ziehen sehen, um Nahrung zu holen. Erst vor ein paar Tagen waren zwei
Jungtiere bei ihren Kampfspielen am Himmel zu beobachten gewesen. Ein
wunderbares Schauspiel.
Und mit einem Mal spürte ich den großen Vogel fast. Ich glaubte, einen Luftzug
auf der Haut zu bemerken. Er flog in geringer Höhe über mich hinweg, weiter im
Sinkflug, um dann wieder an Höhe zu gewinnen und irgendwo zwischen den
Baumwipfeln zu landen. Was für ein Erlebnis!
Wie verzaubert lief ich weiter, dachte immer an die Begegnung mit dem Adler,
aber auch all den anderen Tieren, die sich heute auf meinem langen Lauf gezeigt
hatten.
Ich war angefüllt mit Glückshormonen, nicht nur vom langen Lauf, sondern auch
von all der Schönheit an Landschaft und Tierwelt, die ich heute genießen konnte. |