Über Weinberge laufen wir auf Himmelstadt zu, wo wir dann den Main überqueren. |
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Die Wasserstelle beim Marienbrunnen und die kleine Verpflegungsstelle in
Retzstadt haben wir verpasst. Nun bin ich umso mehr froh, dass ich endlich
Himmelstadt erreiche, wo es wieder Verpflegung geben soll. Doch nirgends
entdecke ich einen brauchbaren Hinweis, wo diese sein könnte. Eine Weile irre
ich durch den gar nicht himmlischen Ort, dann gebe ich auf. Ganz oben, am
anderen Ortsrand, treffe ich wieder auf die anderen Läufer unserer Gruppe. Auch
sie fanden die VP nicht, hören aber bei einem Telefonat mit Didi, dass er jetzt
erst auf dem Weg nach Himmelstadt sei. Am späten Abend erfahren wir dann aber,
dass dort wohl doch bereits irgendwo unten eine Not-VP auf uns wartete.
Nun bleibt uns nichts anderes übrig, als in einem der umliegenden Wohnhäuser
Trinkwasser zu schnorren, denn inzwischen sind wir schon ordentlich
ausgetrocknet. Etwas zu essen wäre eigentlich auch ganz nett gewesen. Egal, so
etwas kann Ultratrailer kaum aus der Bahn werfen. Hätten nicht so viele Helfer
kurzfristig abgesagt, dann würde jetzt in Heiligenstadt eine komplette
Verpflegungsstelle stehen.
Heute bin ich froh, dass ich seit einer Woche stärkere Gläser in meiner Brille
habe. Damit kann ich nun auch weit in der Ferne hängende Flatterbänder erkennen,
die andere Läufer gar nicht sehen. Tolles Gefühl, endlich wieder gute Fernsicht
zu haben! Doch als ich mich unterwegs kurz hinsetze um ein Shirt auszuziehen,
setze ich mich anschließend auf die Brille. Total verbogen! Jetzt muss ich
extrem vorsichtig die Bügel und das Gestell wieder halbwegs in eine passende
Form bringen. Wenn einer der Bügel bricht, dann ist das Rennen für mich vorbei.
Ohne Brille erkenne ich zu wenig. Es gelingt! Sie sitzt zwar schief auf der Nase
und drückt hinter den Ohren, aber sie funktioniert. |
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Nun folgt ein Streckenabschnitt, über den Didi und Georg besonders glücklich
sind. Bei Didi weiß ich ja, dass er meine Vorliebe für unebene, schlammige
Schweinetrails teilt, und daher überrascht mich nicht, dass wir nun einige
Kilometer weit über „Wege“ stapfen, auf die sich kein normaler Wanderer oder
Läufer begeben würde. Sehr unebener Untergrund, oft recht nass, manchmal
rutschig, immer wieder liegen Äste auf dem Boden, manchmal garniert mit Schnee –
so gefällt es mir! |
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Um alle Zweifel, ob dies wirklich unsere Strecke ist, zu beseitigen, haben Didi
und Georg hier auch haufenweise grüne Pfeile an die Bäume gesprüht. Dies konnte
natürlich nicht ohne Folgen bleiben, denn so etwas gefällt den Waldarbeitern
nicht. Innerhalb der nächsten drei Wochen müssen die Pfeile wieder beseitigt
werden. Unterwegs treffe ich auch einen wie aus dem Bilderbuch aussehenden
Förster, der mich fragt, ob ich wisse, wer die Flatterbänder mit Alufolie (für
die Nacht) aufgehängt hat. Ich erkläre ihm, dass diese in den nächsten Tagen
wieder abgehängt werden. Aber diese Arbeit hat er vermutlich schon an einigen
Stellen selbst erledigt, denn kurz darauf zeigt mein GPS zwar an, dass wir exakt
auf dem Track laufen, aber für einige Zeit sehen wir nirgends mehr Bändel.
Didi und vor allem Georg hängten in den letzten drei Wochen mehr als drei
Kilometer Flatterband in die Bäume, aber jetzt liegen unter anderem in einem
Mülleimer an einem Parkplatz gleich haufenweise dieser Markierungen, manche
andere wurden einfach nur abgerissen und auf den Boden geworfen. Sabotage!
Doch das Schöne an nicht ganz vollständigen Wegmarkierungen sind die
Glücksgefühle, die man erlebt, wenn man endlich wieder ein Zeichen findet.
Dieses Erlebnis ist unbezahlbar. Solche Emotionen bleiben Stadtmarathonis auf
ewig verwehrt.
Inzwischen bin ich mangels Verpflegungsstelle deutlich unterzuckert, aber auch
wegen Salzmangel fühle ich mich schlapp. Zum Glück habe ich im Rucksack noch
genügend Notproviant, den ich für solche Situationen bei jedem Wettkampf als
Reserve einplane. Daher setze ich mich nun auf einen Baumstamm und lasse die
anderen alleine weiter laufen.
Nach Verzehr von Nüssen, Trockenobst, einem Gel und Salztabletten geht es mir
bald wieder richtig gut. Die Zeit, die ich bei der Pause verloren habe, hole ich
nun durch flottere Geschwindigkeit schnell wieder auf, und bald hole ich die
anderen wieder ein. |
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Geröll- oder Felsentrails findet man beim UTHAM keine. Dafür ab und zu Schlamm
in Massen. Durch den Schnee wirkt die Landschaft schöner, aber er kostet auch
viel Kraft. Auch die von dem Tauwetter der letzten Tage extrem aufgeweichten
Waldwege sind heute anstrengender als die meiste Zeit des Jahres. Ich bin
sicher, dass an einem trockenen Frühsommertag die 66 km eine Stunde schneller
gelaufen werden können.
Es gibt genügend Läufe, bei denen man sich problemlos stundenlang von Markierung
zu Markierung bewegt. Heute dagegen wird auch Konzentration und Orientierung
gefordert, was dem Lauf mehr Abenteuercharakter verleiht. Ich sage ohnehin schon
lange, dass die Zukunft der Einladungsläufe den reinen GPS-Events ohne
aufwändige Markierungen gehört, und das finde ich auch gut so. Falls ich
irgendwann meine Pläne zu einem eigenen Trailrennen (vermutlich im verschneiten
Schwarzwald) umsetze, wird es dort auch nur Karten und GPS geben.
Nach 44 km und 7,5 Stunden ohne Verpflegungsstelle, aber auch ohne Laden oder
Tankstelle, wo man etwas einkaufen könnte, sind wir froh, dass wir uns nun der
großen VP mit den Drop-Bags nähern. |
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Doch ganz ungeplant und für Didi und Georg auch völlig überraschend entwickelt
sich die „geheime Position“ dieser Verpflegungsstelle zum besten Running Gag des
Tages. Einfach genial! Wenn es Absicht gewesen wäre, dann hätte man ihnen dazu
gratulieren müssen, doch auch so ist es rückblickend betrachtet eine originelle
Nummer. Wir wussten von Anfang an, dass die große VP beim Sportplatz in Leinach
ist. Prima, sollte man ja eigentlich nicht übersehen können! Doch wenn man auf
der richtigen Route von den Hügeln hinab in Richtung Leinach läuft, sieht man
vor sich zuerst einen anderen Sportplatz. Kein Wunder, dass viele von uns erst
mal dort an alle Türen klopfen und die geparkten Fahrzeuge untersuchen. Einige
kommen auch auf anderen, improvisierten Routen nach Leinach und rufen dann mit
dem Handy bei Didi an. „Didi, wir stehen bei der Volksbank…..“ Der lustigste
Anruf des Tages erreicht Didi gegen 23 Uhr. „Wo seid ihr jetzt?“ will er wissen,
und die nicht so ganz präzise Antwort lautet: „In einem Wohngebiet.“ Didis
Handy läuft heute heiß. Am nächsten Morgen erzählt er, dass er während es UTHAM
insgesamt etwa 250 Telefonate mit Läufern und Helfern führte.
Ich habe Glück, denn ich habe Didis aktuellen Track von gpsies.com auch auf
einer Kompass-Wanderkarte eingezeichnet, inklusive der exakten Position der VP.
Auf der Karte ist auch der „falsche“ Sportplatz deutlich zu erkennen, so dass
ich meine Begleiter leicht überzeugen kann, noch ein paar hundert Meter weiter
zu laufen.
Diese VP, in der gut beheizten Umkleide des Sportplatzes, ist mit allem
ausgestattet, was man von anderen langen Ultratrails her auch kennt. Da merkt
man deutlich, dass Didi solche Veranstaltungen gut kennt und weiß, was hier
alles gebraucht wird. Schade, dass es an den anderen VPs aus personellen Gründen
kurzfristig nicht ebenso gut lief, aber hier bleiben keine Wünsche offen. Da
Didi in der kalten Jahreszeit ebenso Fan von warmen Suppen ist wie ich, gibt es
hier natürlich auch welche. Und Cola und Kaffee und Süßes und Salziges…..
Jürgen und Fatima steigen hier aus dem Rennen aus, da sie für die sehr kalte
Nacht keine richtig warme Kleidung dabei haben. DiRo, Kai und ich laufen nun zu
dritt weiter. Didis Rat, dass wir wegen der Orientierung in der Nacht besser als
Gruppe zusammen bleiben sollten, hätten wir ohnehin berücksichtigt. Immer wieder
kommt es vor, dass derjenige von uns, der gerade vorne läuft, an einer
Abzweigung ein Flatterband übersieht und von den anderen korrigiert wird. Jeder
von uns drei würde in dieser Nacht bei einer Solo-Tour zusätzliche Kilometer
sammeln. Auch die Diskussionen beim Interpretieren von Karte und GPS sind zu
dritt effektiver. Obwohl ich in diesem Punkt am meisten Erfahrung habe und mit
meiner Einschätzung fast immer richtig liege, wären mir heute an zwei, drei
Stellen auch Irrtümer unterlaufen, die von Kai und DiRo korrigiert werden.
Ich fühle mich immer noch überraschend gut, trotz der drei fast lauffreien
Wochen im Februar. Damals war ich so sehr erkältet, dass ich sogar kurzfristig
meinen dritten Start bei der Brocken-Challenge absagen musste, was mich sehr
enttäuschte, denn die BC ist zwar nicht der größte Lauf in meinem diesjährigen
Kalender, aber emotional der wichtigste. Doch jetzt geht es mir wieder gut, und
ich freue mich, hier in der Nacht bei diesem Orientierungs-Abenteuer laufen zu
dürfen.
Nach der VP kommt ein längerer Streckenabschnitt, den man vom Untergrund her
leicht laufen kann. Die Lichtstimmung in der Dämmerung gefällt mir mal wieder
ausgesprochen gut. Jetzt bin ich froh, dass ich auch nach Sonnenuntergang noch
laufen darf. |
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Als wir vor uns die Warnlichter an großen Windrädern sehen jubeln wir: "Schau
mal, da hat Georg wirklich tolle Leuchtmarkierungen angebracht!" |
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Bald wird es dann Zeit, die Stirnlampen aus dem Rucksack zu holen. Schließlich
ist der Akku von DiRos GPS-Gerät leer. Nun wäre er ohne uns orientierungslos im
Gelände unterwegs. |
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Nach viel Auf und Ab und einigen Diskussionen über die einzuschlagenden
Richtungen kommen wir auf eine Anhöhe, auf der es herrlich nach frischen
Brötchen duftet. Das ist unfair, denn so etwas weckt Hunger! Vor uns ragt eine
hässliche Brotfabrik auf.
Dann folgt das nächste Suchspiel. Georg sicherte hier die Strecke heute Abend
extra noch mal mit Leuchtmarkierungen, doch wir finden keine und laufen mal
wieder nur anhand Karte und GPS durch den Wald. Schließlich schlage ich vor,
dass wir einem geradeaus abwärts führenden Radweg folgen, der uns unten wieder
auf die richtige Strecke bringen sollte. Im Prinzip hätte diese Idee
funktionieren können, doch in einem Vorort von Würzburg halten wir uns zu weit
rechts. Nun ist es mit vernünftiger Orientierung vorbei. Zwei sicher durch die
Müdigkeit bedingte Fehlinterpretationen der Karte führen uns schließlich auf der
falschen Seite der Festung vorbei zum Ziel. Egal, auch unsere GPS-Geräte zeigen
66 bzw. 67 km, also haben wir auch mit dem improvisierten Finale unser „Soll“
erfüllt. 12:16 Stunden, viel mehr als ich es zuvor erwartet hätte, aber auch
aufgrund von Schnee und Schlamm viel anstrengendere Bodenverhältnisse, und
alleine die Orientierung mit GPS und Karte hat 30 bis 60 Minuten gekostet.
Nun wird in der Herberge am späten Abend beim Pizzaessen und morgens beim
Abschied noch viel gelacht. Fast allen hat es trotz (oder sogar wegen) aller
Improvisation sehr viel Spaß gemacht, und schon jetzt sagen viele von uns, dass
sie gerne nächstes Mal wieder dabei sein wollen. |
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Didi kündigt an, dass der UTHAM 2014 wenige Wochen später und dadurch
außerhalb der Schnee- und Erkältungszeit liegen soll und wir dann wirklich
überwiegend nach GPS und guten Karten laufen werden. Außerdem laufen wir dann
die Strecke zur Abwechslung in entgegengesetzter Richtung. Dann können die 66 km
Läufer auch die laut Didi schönsten Streckenabschnitte laufen. Hoffen wir, dass
es dann mit der Halle und den eingeplanten Helfern klappt! Ich würde gerne
wieder kommen.
Und hier ist mein knapp fünfminütiger Film mit
vielen zusätzlichen Impressionen |
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