„Wenn man es geschafft hat, dann
freut man sich a bisserl,“ sagte JoSi (Joachim Siller) der Abendschau des
Bayrischen Rundfunks (BR).
Der Lauf, bei dem man sich „a bisserl“ freut, wenn man ihn geschafft hat, ist
der Lauf, bei dem hier und da ein „herrenloses Damenbein“ herumliegt (Gerhard
Börner im Interview über die Situation, dass man in der zweiten Nacht leicht
anfängt, zu halluzinieren).
„Er ist nicht anstrengend“, sagte
JoSi über ihn, „er ist anstrengend“ entgegnete Gemsi Gemser (Gerhard Röhrl) in
der gleichen Sendung.
Sicher ist, dass dieser Lauf JUNUT heißt, auf dem Premium-Wanderweg Jurasteig
durchgeführt wird, dass er 230 Kilometer lang ist und über 7.000 Höhenmeter
dabei bietet.
Sicher ist auch, dass er 2014 zum vierten Mal durchgeführt wurde und bis letztes
Jahr mit einem anderen Lauf der längste Nonstop-Lauf Deutschlands war, zugleich
der mit den meisten Höhenmetern.
Und wenn der Sieger, Jörg Burgstahler, diese Strecke in nur 33 Stunden bewältigt
hat, dann hat er sich wahrscheinlich mehr als nur „a bisserl“ gefreut. Und auch
die anderen 49 Finisher von insgesamt 97 Startern, darunter auch ich, haben sich
„a bisserl“ gefreut.
Der Jurasteig verläuft lange auch
im schönen Altmühltal und vor allem die Kilometer hinter und vor der schönen
Stadt Kelheim gehören zu den attraktivsten Laufkilometern, die Deutschland zu
bieten hat. Da es ein Premium-Wanderweg ist, ist der Asphaltanteil extrem gering
und es geht ständig rauf und runter. Vor allem aber geht es durch sehr viel Wald
und an etlichen Burgen und Schlössern vorbei. Dabei sind die Aussichten von den
Hügeln auf die Städte und Dörfer in der darunter liegenden Ebene teilweise
atemberaubend und auch das heideartige Grasland, das durchlaufen wird, erfreut
die Läuferherzen.
Wer den JUNUT, der vom Schwabacher
Ultraläufer Gerhard Börner und seinem Team organisiert wird, laufen will, der
muss vor allem eines haben: eine Einladung vom Chef.
Es ist eben kein professioneller Lauf wie viele, bei dem man sich einfach
anmelden und starten kann. Ohne eine Einladung geht nichts. Und deshalb haben
alle Teilnehmer schon einige lange Trail-Läufe auf ihrem läuferischen Kerbholz,
denn ohne nachprüfbare Ergebnisse in der DUV-Statistik bekommt kein Läufer die
begehrte Einladungsmail.
Der Eingeladene erhält dann neben einem extrem anspruchsvollen Trail etliche
Verpflegungsstationen, die allesamt mit Liebe und Engagement betrieben werden.
Mal sind es Verwandte und Bekannte des Chefs, mal sind es Sportvereine oder
Feuerwehr-Leute, immer aber ist für eine perfekte Läuferverköstigung gesorgt.
Als der Lauf zum ersten Mal ausgerichtet wurde, das war im Jahr 2011, betrug die
Maximalzeit noch 46 Stunden. Damals schafften nur 9 der rund 40 Läufer diese
knapp kalkulierte Finisher-Zeit.
Seither wurde das Zeitlimit auf 52 Stunden hoch gesetzt, dennoch schafften von
den 50 Finishern des JUNUT 230 immerhin 22 die Strecke unter jener alten
Maximalzeit. Und auch die Siegerzeit verbessert sich von Jahr zu Jahr erheblich.
Für die meisten der Läufer allerdings ist es ein Rennen durch zwei Nächte, ein
Rennen mit gar keinem oder nur sehr wenig Schlaf und daher mit der Situation,
wenigstens in der zweiten Nacht Dinge zu sehen, die es eigentlich gar nicht
gibt, und wenn es ein „herrenloses Damenbein“ ist.
Für mich war der JUNUT vor allem ein kleiner Sieg gegen mich selbst. Noch vor
einem Jahr hatte ich das süße Gift genossen, bei Kilometer 172 auszusteigen und
als JUNUT 172 Läufer gewertet zu werden. Ein Finish „zweiter Klasse“
gewissermaßen. Damit mir das jetzt nicht wieder passiert, bat ich manche Läufer
um mich herum, mich, so ich bei 172 K aussteigen wolle, so lange zu schlagen,
bis ich diese Überlegung ad acta gelegt hätte. JoSi erbot sich dann
freundlicherweise, mit dem Schlagen gleich am Anfang zu beginnen.
So einen Lauf läuft man am besten mit einem Partner und ich wählte mir Frank
Nicklisch, weil ich weiß, dass wir gut harmonieren. Und wir beschlossen, auf
Finishen zu zielen, nicht auf eine Platzierung. Das war gut so, weil wir so da
und dort ein Päuschen auf einem Bänkchen machen konnten, ein Riegelchen essen
konnten und ein Wässerchen trinken konnten.
Aber all das war nichts gegen unsere Entscheidung, am Vorabend des Zieleinlaufs
in einem kleinen bayrischen Dorf am Jurasteig eine Gastwirtschaft aufzusuchen,
um uns jeder eine große Portion scharf gewürzter Pommes mit Ketchup zu gönnen.
Franks Wunsch nach etwas Mayo bliebt unerhört. Dazu zwei alkoholfreie
Weizenbiere, kalt und frisch, es gibt Momente, für die man gerne mal über 30
Stunden lang läuft.
Bei solch langen Läufen sind die Sonnenaufgänge und die Sonnenuntergänge die
Highlights des Tages, finde ich. Wenn sich die Gegend rot-orange einfärbt und
alles, was gegen diese Farbenpracht angesehen wird, verdunkelt sich zu schwarzen
Silhouetten, die einen wunderbaren Kontrast gegen den brennenden Himmel bilden.
Wie sehr bedauere ich die Menschen, die kaum jemals solch ein Spektakel live
erleben.
Und was erleben denn viele Menschen noch nicht? Laufen, bis die Füße brennen,
die Wirkung, die eine Stoffnaht nach Stunden immergleicher Bewegung auf Haut
hat, insbesondere im Schritt, Knieschmerzen, die kommen und auch wieder gehen,
Durst, Hunger, Kraftschübe in manchen Zeiten und scheinbar vollkommene
Kraftlosigkeit in anderen Zeiten. Da überholst Du Läuferinnen und Läufer, die so
schlecht aussehen, dass Du ihnen das Finish nicht mehr zutraust und Du wirst von
den gleichen Laufkollegen überholt, wenn es denen besser und Dir ganz doll
schlecht geht.
Weitere Highlights waren und sind
immer die Verpflegungspunkte. Nicht nur, weil es etwas zu essen und zu trinken
gibt, Du triffst auch wieder Deine Lauffreunde, es gibt ein paar nette
Gespräche, warme Worte und vielleicht auch noch eine warme Suppe.
Und wenn es der Verpflegungspunkt 3 von Matting ist, dann gibt es sogar eine
Flussüberquerung mit einem motorisierten Schlauchboot. Die Freiwillige Feuerwehr
von Matting, die auch den VP personell stemmt, übernimmt auch diesen Service,
peinlich genau darauf achtend, dass niemand ohne Schwimmweste auf das Boot
kommt. Dabei würde manchen ein Kentern des Bootes deshalb glücklich machen, weil
dann der Lauf vorzeitig zu Ende wäre und man nicht die Nacht durchlaufen müsste.
Ganz am Ende, auf den letzten 58 Kilometern, haben wir unser Duo noch mit Frank
Wooßmann auf ein Trio aufgestockt. Das bedeutete neue Motivation, neue
Gesprächsthemen und neuen Mut und natürlich liefen wir dann auch Seite an Seite
gemeinsam auf Platz 43 ein. 50 Stunden und 31 Minuten sind sicher kein
läuferisches Ausrufezeichen, aber es gab eben auch genügend Läuferinnen und
Läufer, die das Ziel in Dietfurt nicht erlaufen konnten. Ich war zufrieden,
Frank und Frank waren es auch.
Versüßt werden uns Finishern die
läuferischen Mühen mit vier UTMB Punkten. Ein Beleg dafür, dass es doch
anstrengend ist auf dem Jurasteig.
Und deshalb darf man sich am Ende auch richtig doll freuen …
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