Lieber Lauffreund!
Auf der Hochebene auf ca. 850 Metern, kurz vor dem Aufstieg auf den höchsten
Punkt der Strecke
Ich bin ja so begeistert!
Heute schreibe ich Dir, weil ich Dir unbedingt etwas erzählen muss.
Du weißt ja, dass ich über Ostern auf Mallorca war. Mallorca, dachte ich früher
ja immer, ist das 12. beziehungsweise seit der Wiedervereinigung 17. Bundesland
Deutschlands, ist die Insel der Besäufnisse, die Insel von Ballermann 6 und die
Insel, auf der die weibliche Kegelclubs männliche Kegel suchen.
Später lernte ich dann, dass Mallorca auch ein Paradies für Radfahrer und
Tennisspieler ist und dass sich hier nicht nur im Frühjahr Trainingscamp an
Trainingscamp reiht, weil das frühe milde Klima einen guten Start in das
Sportjahr ermöglicht.
Mit diesem Bus ging es von Palma de Mallorca nach
Antrathx
Aber dass Mallorca ein tolles lang
gestrecktes Gebirge hat und dass Mallorca in diesem Gebirge sogar zwei
Ultra-Trails anbietet, den ULTRA TRAIL SERRA
DE TRAMUNTANA von
Andratx nach
Polença mit knapp über 112
Kilometern und eine kürzere Version auf der gleichen Strecke, die erst in
Valldemossa startet, aber eben auch bis Polença führt und ungefähr 67 Kilometer
lang ist, das wusste ich nicht.
Und den längeren der beiden Trails habe ich mitgemacht, leider ohne Dich.
Du wärst begeistert gewesen, da bin ich mir ganz sicher!
Die ganze Reise war einfach fantastisch.
Ich bin von Palma de Mallorca aus ab dem „Plaza d’Espagna“, dem Busbahnhof unter
dem schön angelegten Park mit den tollen Bäumen, mit dem Bus nach
Andratx gefahren. Andratx ist eine
wunderschöne Stadt, ganz anders als der Moloch S’Arenal, niedrige Bebauung,
wirklich nette Restaurants und keine Schuppen à la „Schnitzelbude bei Erika und
Franz“. Ungeheuer viele Deutsche leben dort, meist sehr wohlhabend, teils
ganzjährig oder eben nur saisonal. Und das Tramuntana-Gebirge ist dort zum
Greifen nah!
Wusstest Du, dass das
Tramuntana-Gebirge zum UNESCO World Heritage Welterbe gehört? Und ganz
ehrlich: wenn Du darin ein paar Schritte gegangen bist, dann weißt Du auch,
warum. Es ist einfach zauberhaft, rauh und schroff, obwohl es nicht allzu hoch
ist. Und es ist stark bewaldet, weil es eben nicht allzu hoch ist. Das musst Du
unbedingt einmal sehen.
Schon im
Bus habe ich Katie und Serge kennen gelernt. Wir waren sehr, sehr früh schon in
Andratx und deshalb mussten wir ein paar Stunden erst vor dem PALAU
MUNICIPAL D’ESPORTS und dann im
Kindergarten des dortigen Bistros warten. Das war aber gar nicht schlimm, ganz
im Gegenteil. Wir hatten zu dritt einen eigenen Raum, konnten uns ausbreiten,
dösen, schlafen und uns ganz langsam auf den mitternächtlichen Start
vorbereiten.
Das Schild des Palau Municipal d’Esports
Warten vor dem Palau Municipal d’Esports auf das
Orga-Team
Teambesprechung
Das Team der Startnummernausgabe
I’m Ultra
Katie
stammt aus Englands Midlands, wohnt aber bei Serge in Frankreich. Serge ist
schon zwei Mal beim UTMB gestartet, er hat es aber beim ersten Mal nur bis
Courmayeur und beim zweiten Mal nur gut 30 Kilometer weit geschafft. Beim Ultra
Tramuntana aber konnten beide finishen, das hat mich sehr gefreut. Aber sie
müssen vor allem am Ende doch große Probleme gehabt haben, die Zeiten hinten
heraus wurden bei den beiden immer schlechter. Aber das ging ja sehr vielen so.
Ihr Läuferlein kommet …
Parken erlaubt
Merchandising
Irgendwann gab es dann die Startnummern und es trudelten immer mehr Läufer ein.
Obwohl viele Deutsche da waren, habe ich im Wesentlichen nur Felix Thümmel vor
dem Start getroffen und zudem Lars Schläger und seinen Trainingsfreund Hendrik.
Lustig war, dass als alle Läufer schon weg waren, wir noch gemütlich beim
Wässerchen saßen. Noch vor zwei Jahren war der Start direkt vor dem PALAU
MUNICIPAL D’ESPORTS, aber jetzt startet man
ganz edel gut fünf Fußminuten entfernt weiter oben in einem toll erleuchteten
Kastell.
Das erste Schild (VP Null)
Starterpack 375
Starters Gift
Wir kamen
gerade noch rechtzeitig, aber der Start war so schön. Sie haben ganz laut
Vangelis gespielt und vielleicht kam ich mir deshalb vor wie Henry Maske vor
einem Fight.
Und dann ging es auch schon los.
Bis zum ersten Verpflegungspunkt ist die Strecke noch einigermaßen einfach, es
gab da zwei, drei Hürden, die uns gebremst haben, aber ich bin weit hinten
gestartet und konsequent weit hinten geblieben. Du kennst mich ja und meine
Angst davor, am Ende nicht mehr laufen zu können. Lars war gleich weg und Katie
und Serge dann auch irgendwann. Bei seinem ersten „Boxenstop“ holte ich die
beiden wieder ein und Katie sagte, dass sie mich schon am Geräusch meiner HOKA’s
erkannt hätte. „HOKA HOKA,“ sagte sie, aber dann waren sie wieder weg.
Aber ich lief mit Hendrik und die letzten Kilometer vor der ersten Verpflegung,
es ging leicht bergab, das einige Straßenstück des ganzen Trails, ließen wir es
laufen. Eigentlich war auch das zu schnell für mich, aber ich wollte Hendrik
dann doch nicht so einfach ziehen lassen.
Als wir am Verpflegungspunkt ankamen, lief Lars gerade heraus. Katie und Serge
traf ich in der Station wieder, ich rief Katie ein „HOKA HOKA“ zu und weil
Hendrik, Katie und Serge so lange brauchten, bin ich raus, bevor die drei ihren
Weg fortsetzten.
Leider weiß ich jetzt, dass Hendrik es nicht geschafft hat, das tut mir sehr
leid. Aber ich hoffe, dass es trotzdem eine inspirierende Erfahrung für ihn war.
Mancher Weg war breit und flach …
Bergnebel
Ab dann
war ich alleine unterwegs und ich habe mich immer unterschiedlichen Läufern
angeschlossen. Du weißt ja, dass ich gerne quatsche und nur ungern alleine bin.
Beim zweiten Verpflegungspunkt ist Lars auch wieder raus gelaufen, als ich rein
kam und beim dritten Verpflegungspunkt war ich dann vor ihm und habe ihn dann
auch nicht wieder gesehen. Am Ende lag Lars zwar rund 1 ½ Stunden hinter mir,
aber nur 20 Minuten hinter seinem Ergebnis von vor zwei Jahren. Und damals hatte
der Trail noch etwa 5 Kilometer weniger.
Aber ich war eben richtig gut drauf, vielleicht war es neben dem UTMB 2013 der
beste Lauf meines kurzen Läuferlebens. Ich flog, ich schwebte, ich liebte diesen
Trail. Und Du hättest es auch getan.
Beautiful Mallorca
Ganz kurz
vor 7.00 Uhr lief ich dann in Valldemossa ein, dort, wo um 8.00 Uhr der kürzere
Trail startete. Dabei kamen wir irgendwann vielleicht vier Kilometer vor
Valldemossa auf eine stetig leicht ansteigende Hochebene, aber - und da bin ich
so stolz auf mich – die konnte ich komplett laufen, das war so cool und
motivierend!
Meine Sorge vor dem Lauf war ja, dass mich die Schnellen des Trails bei einem
ganz frühen Downhill ein- und überholen könnten. Auf den schmalen Trails führt
das oft dazu, dass ich verängstigt immer wieder stehen bleiben würde. Aber bei
58 Minuten Vorsprung, ich bin um 7:02 Uhr aus der Station raus, hatte ich genug
Polster, dass mir das nicht passiert ist. Je später Dich die Schnellen
erreichen, desto einfacher, weil sich dann auch deren Feld schon weiter
auseinander gezogen hat.
Und dort nach Valldemossa ging es in eine Schlucht. Erst langsam, dann steil
rauf.
Ich muss Dir sagen, dass das eine so schöne Strecke ist, dass ich mich noch
immer nicht beruhigen kann, so begeistert war ich. Es war fast schade, dass das
Rennen noch weiter ging, am liebsten hätte ich dort sehr lange pausiert.
Vielleicht ist das mal ein Wanderung mit unseren Familien wert?
Der Grat bis zum nächsten Abstieg
Blick aufs Meer
Dann ging
es lange einen hohen Grat entlang und Du konntest immer auf das Meer herunter
blicken. Die Sonne strahlte hell, es war warm, es war einfach toll. Zu dieser
Zeit lief ich mit Ramon aus Polença die Schlucht hoch, aber später konnte
ich ihn nicht halten, beim anschließenden Downhill war Schluss für mich. Und das
war ein Downhill! Unglaublich steil, hart und lang. Erst habe ich etwas Druck
gemacht, zumindest für meine bescheidenen Verhältnisse, aber ich habe dann
schnell gemerkt, dass die Oberschenkel das nicht hergeben. Dann wurde ich
langsamer, die Oberschenkel-Muskeln aber waren schon so sauer, dass das nicht
mehr viel geholfen hat. Dachte ich zumindest.
Und so bin ich zwei Abschnitte lang sehr langsam gelaufen und ich dachte, in
dieser Phase hätte mich jeder andere Läufer überholt. Das war aber
glücklicherweise nicht so.
Aber wenn jeder Schritt weh tut, wenn die Oberschenkel bei größeren Schritten zu
krampfen anfangen, dann ist das doof. In dieser Phase dachte ich, dass mir die
Finisher-Zeit egal ist und ich nur noch ankommen will.
Ich rechnete mir den „worst case“ aus und kam darauf, schlimmstenfalls um 22:30
Uhr einzulaufen.
Und dann rechnete ich von Kilometer zu Kilometer neu und die errechnete
Finisher-Zeit wurde besser und besser.
Ach ja, mein Lieber, Du weißt ja, dass ich ständig rechne. Nicht nur beim
Laufen.
Ich komme ja aus keiner öffentlichen Toilette heraus, ohne berechnet zu haben,
wie viele Fliesen da verklebt wurden …
Gefreut habe ich mich dann auf das Städtchen Soller. Auch ein Verpflegungspunkt.
Ein ganz zauberhaftes Städtchen. Mittlerweile war es schon heiß, ich glaube, es
war schon 11:30 Uhr. Die Cafés waren voller Menschen, alle haben gejubelt und
gegrölt. Ich kam mir zeitweise vor wie ein Star.
Und dann kam die „Baranco“, das schwerste Stück, fast vom Meeresspiegel hinauf
auf den höchsten Punkt der Strecke auf knapp über 1.250 Metern. Und da gab es
vor allem Sonne, Sonne und noch einmal Sonne.
Und es ging im Zick-Zack rauf, stundenlang!
In Soller, kurz vor dem schweren Anstieg zum
höchsten Punkt
Noch in Soller, kurz vor dem schweren Anstieg zum
höchsten Punkt
Läufer rauf, Touris runter …
So geht der Weg zick-zack rauf – immer in der
Sonne
Ganz oben dann dachte ich, dass es jetzt
nur noch runter gehen würde, aber nach etwa zweihundert Metern runter ging es
noch einmal einhundertfünfzig Meter rauf!
Dann empfand ich den Downhill zum Kloster Lluc als Erholung.
… ein paar Hundert Höhenmeter
Von da unten im Tal durch die Schlucht sind wir
gekommen …
Mal wenige Kilometer flach bis zum letzten harten
Aufstieg
Dort gab es dann die letzte Verpflegung.
Ich aß noch ein paar Nudeln und dann ging es gleich weiter. Weiter runter. Ich
sah da einen Trailer, dem ich direkt folgte. Ich ging in der Spur, die er auch
nahm und ich setzte die Füße dort auf, wo er sie aufsetzte. Und so sind wir
gemeinsam an allen vorbei runter gestürmt. Das war klasse und es erinnerte mich
an den letzten Downhill beim UTMB.
Es ging so gut und die Muskelschmerzen waren mir da dann auch egal gewesen. Ich
dachte, danach kann so viel nicht mehr kommen, das geht dann schon noch
irgendwie.
Und das „danach“ waren dann sieben Kilometer Straße, flacher Trail neben der
Straße und ein Schotterweg bis Polença.
Komplett laufen konnte ich das Stück leider nicht, aber ich bin getrabt und
gelaufen, gegangen und gelaufen. Und dann, in der Stadt, da standen so viele
Menschen Spalier.
Und auch um die zu beeindrucken, packte ich meine schnellste Zeit aus.
Eineinhalb Kilometer volles Rohr geht, dachte ich.
Und ich lief wie gedopt durch die jubelnde Menge.
Als ich unter der Zeitangabe durch lief,
stand da die Uhrzeit 19:07 Uhr, ich war fast eine Stunde schneller als gehofft
und zweieinhalb Stunden schneller als befürchtet.
Und schon vor der Ziellinie kamen die Tränen und die kamen ganz heftig danach.
Es war niemand da, mit dem ich diese Freude teilen konnte, leider, also strömte
alles als Tränen aus mir heraus.
Und dann gab es einen super schönen Vliespulli mit dem Logo des Events, ein
tolles Teil von THE NORTH FACE. Und die Medaille. Und die ist so schön!
Ich werde sie, mein Lieber, umhängen, wenn ich wieder zum Lauftreff komme.
Finishermedaille
Finisherabzeichen
Und Du? Hast Du wieder Lust auf einen
Ultra-Trail bekommen?
Wenn wir mal wieder als Team einlaufen würden, das hätte doch was, oder?
Noch ganz im Freudentaumel,
Dein TOM |