Français pour débutants – Französisch für
Anfänger
Sens ist eine französische Kleinstadt im
Burgund, im Département Yonne, eine Stadt mit knapp über 25.000
Einwohnern. Sens hat neben den Partnerstädten Senigallia (Ancona,
Italien) und Chester (England) noch eine „jumelage“ mit der deutschen Stadt
Lörrach.
In Sens gibt es das Haus Abraham, einen alten Bischofspalast und die
berühmte Kathedrale von Sens. Und es gibt relativ neu den „The Trail Yonne“,
einen Landschaftslauf, der echt Französisch ist.
Und weil ich total auf Frankreich und auf
Französisch stehe, dachte ich, dass ich diesen Trail unbedingt einmal unter die
Laufschuhe nehmen muss. Für all diejenigen, die gar kein Französisch verstehen,
sei gesagt, dass das dort durchaus ein echtes Manko sein kann.
Zwar gibt es im Veranstalter-Team einige Menschen, die Englisch sprechen können,
aber die vielen Betreuer an den Straßenüberquerungen, an den
Versorgungsstationen und an schwierigen Weggabelungen schauen Dich in der Regel
verstört an, wenn Du sie auf Englisch etwas fragst.
Ausländer sind auch sehr selten bei diesem Lauf und dass ich da keine Ausnahme
in den Finisherlisten mache, haben mich die Veranstalter kurzerhand
„französisiert“, eingebürgert, für Frankreich vereinnahmt. 812 Finisher weisen
die Listen aus, allesamt Franzosen. Oder 811 Alt-Franzosen und ein Neu-Franzose?
So kam ich also zu meinem ersten Ultramarathon als Franzose. Quelle surprise,
welche Überraschung!
5 verschiedene Trail-Längen werden angeboten. Ganz neu und dem Trend zu kürzeren
Trails folgend gibt es einen „The Trail 18“, es gibt den „The Trail 35“, den „The
Trail 63“, den „The Trail 85“ und den „The Trail 110“. Der bietet dann auch
immerhin 2.500 Höhenmeter. Keine Frage, dass ich mich für die lange Strecke
eingeschrieben habe.
Dass ich am Ende dann doch nur den 85er Trail gelaufen bin, lag daran, dass …
aber dazu später.
Die Trails 63, 85 und 110 starteten gleichzeitig,
alle um 15 Uhr. Der 63er Trail bog nach etwa 30 Kilometern von der Hauptstrecke
ab und der 85er Trail und der 110er Trail waren identisch, nur beim 110er Trail
kam von Villeneuve sur Yonne (K 58) nach Villeneuve sur Yonne (K
82) ein 24 Kilometer langer Loop dazu, der die Läufer über Passy und Les Bordes
führte.
Wenn Du für den 110er Trail eingeschrieben bist, dann kannst Du in Villeneuve
sur Yonne auch den Loop weglassen und Du bist dann ein Teilnehmer des „The
Trail 85“. Süßes Gift, das da vom Veranstalter im Briefing vor dem Start
angeboten wurde. Und ich nahm gerne davon, leider, wie ich im Nachhinein
feststelle.
Was Du bekommst bei einem Lauf, der sich „The Trail“ nennt, sind Trails ohne
Ende, Trails über Wiesen, Felder, Äcker, durch Wälder und nur sehr selten durch
kleinere Ortschaften. Und nur da gibt es Asphalt. Ein Fest für Landschaftsläufer
also.
Aber Weinberge, die ich im Burgund vermutet hatte, siehst Du nicht, die befinden
sich alle südlicher in der Gegend von Mâcon. Und es ist hügelig dort zwischen
Sens und Auxerre, selten steil, aber es geht halt ständig rauf und runter
und das saugt den Läufern die Kraft aus den Beinen.
Der junge und recht unerfahrene Läufer Gianni L.
mit der schönen Startnummer 575 ist dafür ein Beispiel. Noch bei Kilometer 40
waren wir zusammen und er verabschiedete sich an dieser Stelle von mir, weil er
etwas schneller sein wollte, so wie die Strickerin, die schneller strickt, damit
sie fertig ist, bevor die Wolle ausgeht.
Schon beim nächsten Verpflegungspunkt (K 47) hatte ich ihn wieder eingeholt und
im Ziel hatte ich dann 15 Plätze und knapp 90 Minuten Vorsprung auf ihn heraus
gelaufen, fast 90 Minuten auf nur 38 Kilometer! Das kilometerlange Laufen durch
30 Zentimeter hohes Gras schafft Dich mehr als Du denkst und wer schnell
startet, der wird eben auch schnell müde.
Aber die Gegend, durch die gelaufen wird, ist herrlich. Und Du siehst oft kleine
Ewigkeiten lang kein Haus, keine Straße und Du hörst wirklich nichts.
Und weil unter den Läufern ausschließlich Französisch gesprochen wird, verstehst
Du auch nichts.
Und weil Du um 15 Uhr startest und Du weitgehend im Dunklen läufst, siehst Du
auch nichts.
Aber das, was Du in der Nacht siehst, wunderbar
illuminierte Städtchen wie die Stadt Villeneuve sur Yonne, das macht
schon Freude. Allein dort die kurze Strecke über die Brücke in die Altstadt
hinein und nach dem Verpflegungspunkt wieder aus der Altstadt hinaus, wieder
über die Brücke und dann ab in den Wald, könnte meine Haus-und-Hof-Strecke sein,
wenn ich dort wohnen würde. Jetzt, wo ich ja Franzose bin, ist das doch eine
Option, oder?
Wunderbar fand ich jeden einzelnen
Verpflegungspunkt, vor allem natürlich die späten. Da stehen die Menschen in
einer recht kalten Nacht, die Temperaturen gingen bis auf 2 Grad nach unten,
über Stunden fröhlich herum, um die Läufer zu begrüßen, zu versorgen und
anzufeuern.
War die Versorgung auf den ersten 40 Kilometern, abgehen von einer sehr gut
sortieren Verpflegungsstelle schon bei Kilometer 8, noch nicht üppig, gab es
später stets warme Bouillon, zu meinem Vegetarierglück aus „légumes“, aus Gemüse
gekocht, außerdem all das, was sich ein Läufermagen wünscht, von süß bis sauer,
von warm bis kalt, von nass über feucht bis trocken.
Wenn es Dich irgendwann mal dorthin ins Burgund verschlagen sollte, dann
probiere vor allem auch die runden Schokoladen-Kekse aus, sie sind wirklich
lecker!
Aber wenn alles so nett war, warum habe ich dann
auf den Loop verzichtet?
Diese Frage geht mir noch immer im Kopf herum und noch immer suche ich nach
einer Antwort. Der nähere ich mich vielleicht, wenn ich erwähne, dass es mir ab
Kilometer 40 körperlich schlecht ging, dass mein Magen rebellierte, dass sich
die Oberschenkel mit dem Magen solidarisierten und dass meine Psyche die beiden
auch unterstützen wollte. Und ich fühlte mich ganz weit hinten im Feld liegend.
Bei so vielen 63er Trailern, 85er Trailern, 110er Trailern verlor ich den
Überblick, wo ich war. Und ich zweifelte an mir selbst und an meinen Leistungen.
Wenn ich da aber gewusst hätte, dass ich am Ende 29. von allen bei den 85ern
wurde und Dritter der Alterskategorie „V2H“ (Veterans 2 Hommes), dann hätte ich
das süße Gift des Switches der Läufe sicher nicht geschluckt.
Aber ich habe es getan und alles, was mich ab Kilometer 40 belastete, war nach
Villeneuve sur Yonne wie weggefegt. Ich konnte wieder laufen, der Magen
war ruhig, die Oberschenkel auch und so bemühte ich mich noch, auf den letzten
28 Kilometern meine Durchschnittsgeschwindigkeit und meine Platzierung ein wenig
zu verbessern. Das erste gelang mir nur knapp, das zweite aber gelang mir sehr
gut, auch, weil es kurz vor dem Ziel noch einmal zwei wirklich harte und auch
relativ lange Anstiege gab, die manchen Läufern Probleme machten. Aber beim
Einlauf in die Stadt Sens gegen 2 Uhr 40 waren auch diese beiden Anstiege
und die zusätzlichen 1,6 Kilometer vergessen. An der Strecke stand in der
tiefen, kalten Nacht natürlich niemand, aber im Ziel wurde ich freudig von recht
vielen Betreuerinnen empfangen, es gab eine kleine, aber sehr schöne Medaille,
ein flauschig-weiches Finisher-Shirt und ein Nachtessen. Meine Favoriten dabei
waren das Taboulé und der Karottensalat, beides äußerst lecker.
Insgesamt finishten 236 Läufer den „The Trail 18“,
278 Läufer den „The Trail 35“, 63 Läufer den „The Trail 63“, 70 Läufer den „The
Trail 85“ und 108 Läufer den „The Trail 110“. Und das tröstet mich doch ein
wenig. Ohne die Entscheidung, von 110 auf 85 zu wechseln, wäre dieser Lauf noch
schwächer besetzt gewesen.
Dass auf dem Finisher-Shirt aber die Zahl 85 steht und nicht die 110 und dass es
statt der drei UTMB-Punkte nun nur zwei UTMB-Punkte gibt, das ist schon ein
wenig schade, das habe ich mir aber selbst zuzuschreiben.
Dennoch: Frankreich ist prima!
Vive la France, es lebe Frankreich … sagt TOM, der Neu-Franzose. |