Aigüestortes – in den Pyrenäen laufen
„Einmal muss ich vernünftig sein,“ dachte ich kurz vor dem BUFF EPIC RUN in dem
katalonischen Nationalpark, dessen Name so schön klingt wie die Natur dort ist.
Aigüestortes, 180 Luftkilometer, aber rund 280 Autokilometer nordöstlich von
Barcelona in den beginnenden Pyrenäen gelegen, glänzt durch grandiose
Wasserlandschaften in den Tälern und üppigen Skipisten in den Höhen. Und wo
Skipisten sind, da ist es steil. Und wo es steil ist, da sind auch die Trailer,
klar.
Höchste Zeit also, dass es auch dort einen Trailbewerb gibt, sagte man sich 2014
und holte dafür niemand Geringeren ins Boot als die große spanische Firma BUFF.
BUff Tücher kennt ja mittlerweile jeder und auch die Tücher, die gar nicht von
BUFF stammen, werden so genannt. BUFF hat da also einen Status wie „Tempo“
erreicht.
Dass BUFF aber auch schicke Laufklamotten herstellt, Mützen und vieles mehr, das
ist noch nicht bis zu jedem Trailer vorgedrungen. Wer aber in Barruera war, der
weiß all das. Und eine wirklich tolle Mütze fand er auch im Startbeutel.
Letztes Jahr war ja die Premiere, die Erstausgabe dieses Laufs, ich war nun bei
der zweiten Auflage dabei. Drei Kategorien standen zur Wahl, 105 K mit 7.000 HM,
42 K mit 3.200 HM und 21 K mit 1.050 HM. Klar, dass für mich wie immer nur die
längste Kategorie in Frage kam. Wenn man schon mal so weit anreist …
Dann habe ich mich in den Lauf eingelesen. Die Berichte des Vorjahres erzählten
bei der langen Variante von nur 17 Finishern. 17 Finisher? Nun, das Rennen wurde
irgendwann wegen des schlechten Wetters abgebrochen, aber dennoch. Das sind
schon recht wenige.
Ich gehöre definitiv nicht zu den schnellen Bergläufern, da gibt es das eine
oder andere Kilo, das ich mit auf die Berge schleppen muss, das junge Läufer oft
nicht haben. Aber ich gehöre auch nicht zu den Langsamen, Cut-Off Probleme sind
mir weitgehend fremd geblieben in der Vergangenheit.
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Aigüestortes, Nationalpark. Im Netz fand ich Beschreibungen für diesen
spanischen Nationalpark, den einzigen übrigens in Katalonien, die mich fast
fiebrig hinfliegen ließen. „Wunderbar“, las ich, „unglaublich“ und „espectakular“.
Kann es bessere Beschreibungen für eine Bergwelt geben?
Dann befasste ich mich mit dem Wort „EPIC“ im Namen des Events. Was bedeutet das
für diese Veranstaltung? Ich fand zu „episch“ nicht viel Erhellendes, eher die
Beschreibung von etwas Ausuferndem, Vielschichtigem. Aber das war auch die
Benennung von episch als einzigartig, magisch und die Erklärung, die ich zuletzt
gefunden hatte, die gefiel mir am besten: "episch" kommt von "Epos". Das heißt
also, dass dieser Lauf einem Epos ähnelt, also eine Art Heldenlauf ist.
Und dann befasste ich mich mit den Cut-Off Zeiten. Da gibt es eine schöne
Faustformel für die „mittlere Zeit“, das ist so meine Leistungsklasse, wie sie
„Plan B“ (TransAlpineRun, 4Trails, ZugspitzUltraTrail) definiert. Und nach der
würde ich die lange Strecke in den gebotenen 30 Stunden wohl nicht finishen
können.
Und da wusste ich es: hier heißt es für Dich, vernünftig zu sein. Und so
wechselte ich noch kurzfristig vom ausgebuchten 105er Bewerb auf die
Marathonstrecke, nicht jedoch, ohne ein mächtig schlechtes Gewissen bekommen zu
haben.
Und dieses schlechte Gewissen hielt dann noch bis zum Start in Espot an – und
noch 10 Kilometer weiter, bis hinauf auf 2.000 Meter, dort aber verlor ich es
und tauschte es gegen das Gefühl von Dankbarkeit und Glück.
Nach meiner Landung in Barcelona fuhr ich am nächsten Tag schon in der Frühe
nach Barruera, dem Startort des langen Bewerbs und dem Ort der
Startnummernausgabe und des Briefings. In Barruera ist auch der Zieleinlauf der
einzelnen Bewerbe.
Als Fahrtstrecke wählte ich die schönste Strecke dorthin, die über vier Pässe
bis hinauf auf 1.750 Meter. Schön aber bedeutet auch lange und kurvig, ich kam
also erst kurz vor dem Beginn der Startnummernausgabe in Barruera an.
Was ich dort mit Freude sah, war ein Zielgebiet, das es in sich hatte. BUFF hat
da wirklich alles aufgefahren, was man sich bei den ganz großen Rennen wünscht.
Ein Finish mit Gänsehaut, das war mein Ziel.
Das ganze Ortszentrum war in schwarz-gelb gehüllt, der Startbeutel war gut
gefüllt, alle waren bemüht und freundlich, alles bestens also.
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Und am nächsten Tag ging um 6.30 Uhr der Bus. Nach Espot. Weil ich da ja nicht
hinlaufen wollte. Oder vielleicht doch? Ich haderte und überlegte, aber ich
beließ es dann bei meiner Entscheidung.
Espot ist ein kleines Städtchen inmitten von steilen Skipisten. Warum fahren wir
zum Ski fahren immer nach Österreich, Frankreich, Italien oder in die Schweiz?
Espot wäre doch eine Alternative, das Städtchen ist ähnlich schön wie Barruera,
ein Hauch von Andorra, alles wirkt putzig und liebevoll, sauber und einladend.
Mit 10 Minuten Verspätung starteten wir um 9.10 Uhr und auch beim
Marathon-Bewerb hatte ich Sorgen, am Cut-Off zu scheitern. Und das schon nach
vier Kilometern. Oder nach vierzehn Kilometern.
Vier Kilometer in 35 Minuten, knapp unter 9 Minuten pro Kilometer und das bei
einigen Höhenmetern. Das könnte knapp werden, muss es aber nicht.
Also los und schnell gelaufen. 5:30 Minuten für den ersten Kilometer, 5:01
Minuten für den zweiten Kilometer, 5:33 Minuten für den dritten Kilometer und
vierhundert Meter später ging es nach oben auf den Trail. Alles lief bestens.
Und die Uhr lief auch. Nach vier Kilometern sollte der VP kommen, mittlerweile
waren fünfunddreißig Minuten vorbei, auf meiner Uhr standen schon fast sechs
Kilometer und wir waren noch weit von Espot entfernt, wo der VP sein sollte.
Meine Gedanken kreisten. Was, wenn die uns rausnehmen würden? Aber mitnichten,
der VP war nicht in Espot, sondern schon in lichter Höhe. Wasser und Iso gab es.
Und es ging weiter zum nächsten VP, der dann sehr genau bei km 10 kam.
Da können die Veranstalter noch dazu lernen, denn zwei Leute, die Wasser
verteilen, sind einfach zu wenig. Es bildete sich eine lange Schlange und fünf
Minuten waren weg.
Ich war gut unterwegs, dachte ich und ich fragte mich, ob ich mich vielleicht
bei den Berichten verlesen hatte? Es war zweifellos schön da, aber eben ein
Feldweg, eine Bergautobahn. Und ich hatte mir Sorgen gemacht wegen des Cut-Offs.
Ich kam mir so lächerlich vor.
Offensichtlich hatten mich Andorra und der korsische GR-20 übersensibel gemacht.
Nun aber begann echter Trail, technisch schwierig, steil rauf und meist noch
steiler runter. Rauf auf 2.736 Meter und gleich wieder runter, aber von nun an
für lange Zeit niemals mehr unter die 2.000 Meter-Marke. Aber ich war gut drauf,
fühlte mich wohl, hatte ganze Horden von Läufern hinter mir und war absolut
unbesorgt.
Einzig die extreme Hitze machte mir zu schaffen. Noch am Vortag hatte ich mir
die Wettervorhersage für Spanien im Fernsehen angesehen. Da gab es auf der
Landkarte kein gelb oder orange, ausschließlich rot war es auf der iberischen
Halbinsel.
Nach 2.736 Metern hatte der nächste Gipfel eine Höhe von 2.650 Meter und immer
danach ging es so schwer runter, wie es rauf ging. Immer wieder.
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Ab km 25 begannen die Oberschenkel zu krampfen. Ich schluckte gleich fünf
Salztabletten auf einmal, um diesem Problem Herr zu werden. Und ich war meiner
Eingebung dankbar, „nur“ einen Marathon laufen zu müssen. Das würde ein hartes
Stück Arbeit werden, dachte ich. Aber ich irrte. Es wurde noch härter.
Natürlich ging es dann noch einmal rauf, zum letzten Mal. Bei km 28.5, oben auf
dem nächsten Berg, wieder um die 2.600 Meter hoch, sollte der VP sein.
Ich hatte mir die Cut-Offs nicht aufgeschrieben, aber im Telefon als Seite
gespeichert. Ich beschloss, oben am VP eine Pause zu machen und dort zumindest
die Hälfte der Zeit zu verbringen, die ich noch vor der Cut-Off Zeit liegen
würde.
Es war 14.50 Uhr gewesen, ich hatte die einfachere Hälfte des Aufstiegs hinter
mir und ich erschrak. 15:00 Uhr Cut-Off stand auf der Grafik. Nur noch 10
Minuten! Vollkommen unmöglich. Selbst, wenn man die 10 Minuten dazu rechnet, die
wir später gestartet waren, vor 15.30 Uhr oder 16.00 Uhr konnte ich unmöglich
dort oben ankommen.
Meine Uhr zeigte 29.9 Kilometer an, als die offiziellen 28.5 Kilometer vorbei
waren. Es war 15.45 Uhr, ich lag 35 Minuten hinter der Cut-Off Zeit, den
verspäteten Start schon berücksichtigt. Ganze Horden von Läufern waren aber noch
hinter mir. Wird man mich und die weiteren Läufer aus dem Rennen nehmen, die
Startnummer kassieren und das war es dann. Was wird geschehen?
Nichts geschah zum Glück und ich richtete mich auf das letzte Drittel des Laufs
ein. Ein Drittel rauf, ein Drittel stark bergig oben in der Höhe, ein Drittel
runter. Aber was für ein runter.
Es ging einmal eine Wiese runter, die man nur als „schrecklich schön“ bezeichnen
kann. Gerade runter, super steil, Kontrolle über die Beine hatte ich nicht mehr.
Und immer auf die krampfenden Oberschenkel.
Und auch der weitere Abstieg, immerhin insgesamt rund 1.400 Höhenmeter stark,
war beileibe keine Bergautobahn, da musste jeder einzelne Schritt erkämpft
werden.
Zwei VPs sollten noch kommen vor dem Ziel und ich wollte unbedingt noch
innerhalb der offiziellen Cut-Off Zeit unten ankommen, trotz der ständig
krampfenden Oberschenkel, vor allem rechts.
Jedes kleine Stolpern, das ich automatisch mit einem Ausfallschritt abfing, ließ
den Krampf neu entstehen und die Sonne schien unbarmherzig vom Himmel.
„So ein Wetter haben wir sonst nie,“ sagte mir vor dem Start noch Martha vom
Orga-Team. Egal, in diesem Sommer 2015 ist halt alles anders, heißer. Der erste
VP von den beiden kam pünktlich, der zweite kam 100 Meter zu spät. Und der
letzte, das Ziel, angeblich 5.2 Kilometer danach, dauerte.
5.7 Kilometer war es dann tatsächlich weit!
Mein erstes Ziel, unter 9 Stunden zu bleiben, unter der offizellen Cut-Off Zeit,
war trotzdem nicht in Gefahr, gerne aber wäre ich noch vor 18 Uhr im Ziel
gewesen. 18 Uhr war die offizielle Cut-Off Zeit laut Ausschreibung, wenn
pünktlich gestartet worden wäre. Aber dieses Unterziel fiel dann den 500
Mehr-Metern zum Opfer.
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Glücklich machten mich in dieser Phase des Laufs nur noch ein alter Mann und
zwei Kinder, drei mit Wasserschläuchen bewaffnete Menschen, die mir und den
anderen eine Dusche anboten. Gerne nahm ich an, immer wieder gerne.
Die letzten zwei Kilometer ging es dann flach am Fluss entlang. Von der anderen
Flussseite hörte ich schon den Moderator reden und die Musik spielen, aber,
verdammt noch mal, da war keine Brücke!
Und als dann eine kam, war es die falsche, erst die Brücke danach. Die war aber
ganz auf BUFF getrimmt und so begannen die Lebensgeister wieder zu kommen. Aus
dem Jammertal raus und rein ins Finisher-Glück.
Noch einmal nach links und dann den langen Einlauf an der mittlerweile leeren
Tribüne vorbei Richtung Ziel. Der Moderator kündigte mich an und ich tat etwas,
was ich nur sehr selten tue. Ich rannte nicht. Ich ging. Ganz langsam, die
Stöcke über den Kopf haltend.
Dieser Moment gehörte mir. Ganz allein. Es war mein Helden-Moment.
Und niemals werde ich diesen Moment vergessen.
Fazit
Der BUFF EPIC RUN ist wirklich episch, einmalig, magisch. Ein echter Heldenlauf,
den ich insgesamt noch kurz vor dem offiziellen Zielschluss finishen konnte,
definitiv nicht ganz hinten, noch nach mehr als einer Stunde liefen Läufer ein,
aber eben nur kurz vor dem offiziellen Cut-Off.
Also war der BUFF EPIC RUN auch tatsächlich etwas Ausuferndes.
Nennen wir diesen Lauf einfach: „Espectakular! |