BVG-Trail am 28.03.2015
Wenn ich hier über den BVG-Trail schreiben darf, über den „Bassa
Via del Garda“-Trail , dann muss ich erst einmal ins Schwärmen geraten. Weil der
BVG-Trail nämlich am Gardasee liegt, in Südtirol, im „Alto Adige“, wie die
Italiener dazu sagen. Und der Gardasee ist ein ganz besonderer See.
Nicht nur, weil er der größte und wahrscheinlich der schönste der vielen
italienischen Seen ist, im Norden an die Alpen und im Süden an die Po-Ebene
grenzend, sondern auch, weil er der vielleicht deutscheste dieser Seen ist.
Als ich noch in Oberbayern zur Schule ging, da fuhren alle
Mitschüler immer mit den Eltern regelmäßig an den Gardasee zum Windsurfen – nur
ich durfte nie mit.
Ich musste also fast 30 Jahre alt werden, bis ich mich in dieses Idyll verlieben
durfte, in die 51,9 Kilometer, die der See misst.
Die bekannteste Stadt am See ist dabei wahrscheinlich Sirmione im Süden, die
Stadt, die auf die in den See ragende Halbinsel gebaut ist. Gleich danach aber
kommt wohl die Stadt Riva del Garda im Norden, aber auch Limone Sul Garda, Saló
und Gargnano auf der westlichen, der lombardischen Seeseite, haben einen Klang,
der Wanderfreunde aus der ganzen Welt in Verzückung geraten lässt.
Mountainbiker haben dieses Gebiet seit Jahren als ideales Trainingsgebiet
entdeckt, aber Trailrunner sollten bislang eher wenig Glück mit Veranstaltungen
haben, dachte ich.
Bis ich vom BVG-Trail las.
Bei der Startnummernausgabe
Ein Traillauf am Gardasee! Darauf hatte ich gewartet. Und so
konnte ich es gar nicht erwarten, mich dafür anzumelden. Natürlich nicht für die
27 Kilometer des BVG Runs von Saló nach Gargnano (1.000 HM) und auch nicht für
die erweiterten BVG Marathon von Gargnano nach Limone (3.300 HM), von dem ich
heute weiß, dass diese Herausforderung durchaus ausreichend gewesen wäre,
sondern für den 73,5 Kilometer langen BVG Trail ab Saló nach Limone (4.300 HM).
Natürlich, für weniger wollte ich meine Laufklamotten nicht schmutzig machen.
Nudeln bei der Nudelparty
Wer schon einmal am Gardasee war, der weiß, dass im Westen,
dort, wo der BVG-Trail stattfindet, die Seestraße meist als zum See hin
geöffnete Tunnel in die Berge gehauen ist, dass die Berge schroff und supersteil
sind und dass man, wenn man eben nicht diese Straße läuft, zwangsläufig steil
rauf und auch wieder steil runter muss. 4.300 HM auf diese Distanz ist mehr als
das, was der UTMB in dieser Beziehung zu bieten hat. Es würde also nicht leicht
werden, das war mir klar.
Auch hatte mich Thomas Schmidtkonz, der Herausgeber dieses Laufportals, vor der
Schwere des
Lauf und den Zeitlimits gewarnt, aber ich wusste natürlich wieder alles besser.
Gruppenfoto vor dem Start
Auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht vor und nach dem Lauf stieß ich
auf Gian vom Hotel Garni Riviera in Gargnano. Gian ist auch Mitglied des
Organisationsteams des BVG-Trails und er betreibt dieses zuckersüße Hotel Garni
direkt am Gardasee. Nur vielleicht zwanzig Schritte neben der
Startnummernausgabe gelegen und auch fast direkt neben der Haltestelle des
Busses, der uns am Lauftag zum Start nach Saló gebracht hat, kümmerte er sich
stets liebevoll um meine Anmeldung, sowohl zum Event selbst als auch zur
Nächtigung.
Und er begrüßte mich wie einen alten Freund, ach ja, wir waren ja in Italien.
Am Tag vor dem Start gab es bereits die Startunterlagen und das Startersackerl,
in dem sich neben einem schönen Laufshirt auch ein großes Stück Käse befand. Auf
die Pastaparty verzichteten mein Laufpartner Thorsten und ich jedoch, um uns in
einer Trattoria mit Penne Arrabiata verwöhnen zu lassen.
Soweit zur Vorrede, ab auf den Trail. Ab zum frühen Frühstück um 5.30 Uhr, zum
Bus um 6.00 Uhr, zum Start nach Saló, zu Fotos mit anderen deutschen Läufern,
die natürlich alle schneller waren als ich und dann um 7.30 Uhr ab auf die
Strecke.
Unter uns Läufern wurde schon mit der voraussichtlichen Zielzeit kokettiert. Die
23.30 Uhr Zielschluss wollte niemand erwähnen, 22 Uhr war die am häufigsten
genannte Zeit, auch von mir.
Klar, erfahrene Hasen nennen eher eine etwas schlechtere Zeit, dann sieht man
bei einem früheren Finish einfach besser aus.
In
Saló kurz nach dem Start
Saló ist ein nettes Städtchen, italienisch-mediterran halt, das Laufen macht
Spaß und schon nach wenigen Kilometern kommt der erste nennenswerte Berg. 500 HM
nach oben – und das ging so leicht. Und dann ging es breit und einfach weiter,
fast schon bequem und eine längere Straßenetappe verleitete mich schon zu dem
Gedanken, dass ich diesen Lauf wohl doch überschätzt habe. Ich genoss die
schönen Häuser, die Aussicht auf die Dörfer am See, auf den Gardasee und die
Sonne, die wunderbar am Himmel stand.
Nach dem Erreichen von
Gargnano und kurz vor unserem Hotel Garni Riviera holte
ich sogar Thorsten ein, ich fühlte mich gut und nur 3 ½ Stunden für diese knapp
30 Kilometer machten mir Hoffnung, vielleicht doch sogar vor 20 Uhr im Ziel zu
sein.
Lieber Leser, ich sage Dir: ein Marathon beginnt bei Kilometer 30 und der BVG
Trail beginnt auch erst dort.
Ab jetzt war es Singletrail pur und die folgenden 1.000 HM rauf zum Rifugio
Alpini forderten mich sehr. Ich musste Thorsten ziehen lassen und ich gönnte mir
die ersten Krämpfe. Die Oberschenkel, die Innenseiten der Oberschenkel über dem
Knie, irgendetwas krampfte immer.
Das fantastische Wetter, der ständige Wind und mein Verzicht auf Salztabletten,
all das zusammen bewirkte wohl, dass ich schon so früh Probleme bekam und ich
fragte mich, wie ich es wohl früher mal geschafft hatte, ein Ding wie den UTMB
zu stemmen.
Am Rifugio Alpini angekommen kam eine Passage, die ich den „Hochseilgarten“
nannte. Die Italiener nennen diese Passage „Sentèr del Luf“. Ich bin bestimmt
kein ängstlicher Läufer, aber diese Passage war von so vielen Sicherungsseilen
garniert, dass mir ganz anders wurde. Vor allem wurde ich enorm langsam.
Und wenn die Beine vorher immer wieder krampften, dann wurde es nun so schlimm,
dass ich schon daran dachte, dass ich die Herausforderung BVG-Trail wohl nicht
würde stemmen können. Phasenweise musste ich sogar stehen bleiben, bis die
Zuckungen in den Beinen aufhörten, unglaublich und vollkommen unbekannt für
mich.
Von da an schüttete ich so viel Magnesium in mich hinein, bis ich die Krämpfe
kontrollieren konnte und später verschwanden sie sogar gelegentlich, wenn ich
brav unterhalb der Krampfgrenze lief. Nur bergauf erinnerten mich meine
Oberschenkel daran, dass da etwas nicht in Ordnung war.
Vollkommen in Ordnung waren und für mich ewig im Gedächtnis bleiben werden die
wunderschönen Blicke auf und über den Gardasee, die Zypressen, die in dunklem
Grün einen harten Kontrast zum strahlenden Blau des Himmels boten, die
italienischen Häuser in ihrem Ocker oder in altrosa, mit oder ohne Verzierungen,
die Freundlichkeit der Italiener, die alle begeistert waren, dass so viele
Läufer ihren schönen Trail belaufen.
Und seitens der Organisation bleibt natürlich in Erinnerung, wie viele Helfer
vor Ort waren, an den Verpflegungspunkten, an allen wichtigen Abbiegungen, im
„Hochseilgarten“ und an allen gefährlichen Streckenabschnitten.
Vier weitere Anstiege waren zu bewältigen, hinauf bis wieder knapp auf 1.000
Meter über N.N. und so ein Anstieg zieht sich unglaublich in die Länge, wenn die
Muskeln nicht mehr mitspielen wollen. Aber das hindert Dich nicht,
beispielsweise die unglaublich schöne, faszinierende, die tief eingeschnittene
Felsschlucht Torrente San Michele zu bewundern.
Mit einem Mal sind die Schmerzen weg, die Laune ist wieder da und Du schickst
ein Stoßgebet gen Himmel, dass es Dir vergönnt war, diesen Trail laufen zu
dürfen.
Du rennst über die Brücke, die diese Schlucht überspannt und Du schaust nach
rechts runter in die Schlucht. Dieser Blick ist so schön, die Schlucht so eng,
der Einschnitt so tief … wahrlich ein Traum, den ich unbedingt noch einmal
erleben muss, genau wie den Blick auf den Gardasee und die Berge gegenüber, die
ganz oben noch schneebedeckt sind.
Sonne, Schnee, Hitze, See, Zypressen, bunte Häuser, technisch schwierig zu
laufende Trails – Läuferherz, was willst Du mehr?
Beim vorletzten offiziellen Verpflegungspunkt ließ ich mir von einer besonders
lieben Rot-Kreuz-Helferin die rechte Achillessehne abtapen, die Schmerzen dort
wurden immer größer. Und ich sah Thorsten wieder, der gerade den VP verlassen
wollte, als ich kam. Ich war so langsam geworden und dennoch habe ich ihn fast
wieder eingeholt. Ein kurzes Gespräch über die Zielzeit, ich schätzte sie auf 21
Uhr bis 21.30 Uhr, er dachte, wir wären eine Stunde früher drin. Und weg war er.
Weg waren dann auch meine Fizan Trainer - Laufstöcke, die ich neben dem
Rot-Kreuz-Wagen stehen ließ. Noch zwei weitere Anstiege. Ohne Stöcke. Und meine
Angst, dass die Krämpfe wieder kommen würden und ich diese Anstiege nicht mehr
schaffen würde.
Und der letzte Anstieg auf eine Doppelspitze war ein Finale nach dem Motto „Das
Beste zum Schluss“. Es ging lange und steil hoch auf den Monte Bestone und dann
ging es so steil hinab, dass ich dachte, mir platzen gleich die Oberschenkel.
Auch hier waren wieder Helfer des Orga-Teams vor Ort, zudem wurde der Abstieg
sicherheitshalber durch Lampen beleuchtet, die von Generatoren gespeist wurden,
deren Brummen man deutlich vernehmen konnte.
Ich hatte mir und meiner Frau versprochen, kein Risiko einzugehen, zudem hatte
ich noch ausreichend Zeit, zumindest um 22 Uhr, meinem eigentlichen Zeitziel, in
Limone einzutreffen.
Ich schnappte mir bei jedem Schritt abwärts jeden Ast, jedes Bäumchen, um
einigermaßen sicher runter zu kommen. Aber das dauerte. Und es zog sich.
Später dann konnte ich noch etwas an Geschwindigkeit zulegen, nun überholte mich
niemand mehr, auch nicht die Marathonis, die ja etwa eine Stunde nach uns in
Gargnano gestartet waren und deren schnellste Läufer mich immer so zügig
überholten, dass ich dachte, hier träfe eine Bimmelbahn auf einen ICE.
Und dann, die erleuchtete Stadt
Limone und den Zieleinlauf vor Augen, einen
durch Beton befestigten Weg unter den Füßen, konnte ich sogar noch ein Dutzend
Läufer überholen.
22 Uhr war längst vorbei, 22.15 Uhr ebenfalls. Die 2.15 Stunden, die man uns
Läufern vom letzten Cut-Off bis zum Ziel gegeben hat, waren für mich nicht
machbar und ganz sicher für viele andere auch nicht. Und dann, ganz unten am
Wasser, war noch immer nicht Schluss. Noch immer ging es am See entlang, nun
aber auf lockerem Kies, laufen ging nicht mehr, wieder gehen, dann ging es
wieder vom See weg, einen Berg hinauf, laufend, am Stadion vorbei nach links,
ins Stadion rein, die Tartanbahn entlang Richtung Zielbogen.
Noch ein Lächeln aufsetzen, die linke Hand nach oben und locker eintraben. Es
war 22.21 Uhr gewesen, 69 Minuten vor dem offiziellen Cut-Off, immerhin.
Im Ziel winkte mir Thorsten, der zehn Kilometer vor dem Ziel aufgeben musste,
seine Krämpfe waren zu stark und seine Sorge vor dem letzten Anstieg und dem
brutalen Abstieg war übermächtig gewesen.
Die 14 Stunden und 49 Minuten bedeuteten Platz 108 bei den Herren, Platz 123 von
allen, immerhin. 30 weitere Läufer erreichten nach mir das Ziel noch innerhalb
der offiziellen Cut-Off Zeit, vier weitere wurden trotz eines späteren
Zieleinlaufs noch gewertet, der letzte mit über 17 Stunden Laufzeit, also mit
mehr als 60 Minuten über dem Cut-Off.
38 Läufer kamen gar nicht an, aber ich bin mir sicher, dass diese Läufer dennoch
diesen Trail und diese grandiosen Aussichten genossen haben.
Der BVG-Trail ist für all die Läufer gemacht, die gerne technisch schwierige
Trails laufen, die dabei auch etwas sehen wollen.
Und mein Fazit des Laufs ist, dass ich nie wieder einen Trail nach einem relativ
harmlosen Drittel vorschnell unterschätzen will. Fazit ist aber auch, dass mir
diese Liebe zum Detail, mit dem das Orga-Team gearbeitet hat, fehlen wird. Und
dass ich diesem Orga-Team richtig gerne zu Dank verpflichtet bin.
Und der Tag nach dem Lauf war schon der erste Tag von 365, den ich abzählen
werde, bis ich 2016 erneut meine Füße auf diesen Trail setzen werde, auf diese
73,5 schönen Kilometer oder vielleicht sogar auf die möglichen 100 Kilometer,
von denen mancher Offizielle träumt, weil der „Bassa Via del Garda“-Trail ja
eigentlich von Saló nach Riva del Garda und dann von Torbole nach Torri del
Benaco führt.
In Limone muss also wahrlich noch nicht Schluss sein, oder? |