Iznik Ultra am 16.04.2016 - 130 km Trailrunning in der Sonne um den Iznik See - Laufbericht von
Thomas Eller
Immer wenn Du eine Ultratrail-Veranstaltung besuchst, dann hast Du zwar meist
einen Ultratrail abgehakt, abgelaufen, erledigt, aber die Mitläufer haben Dir
durch ihre Geschichten von anderen Events mindestens zwei neue Ultratrails auf
die Wunschliste geschrieben.
So ging es mir, als ich zum ersten Mal vom "IZNIK
ULTRA" hörte, irgendwann bei einem Lauf in der schönen Türkei.
Klingt gut, dachte ich, ich laufe ja gerne um große Seen herum. Ist mit über 130
Kilometern schön lang, dachte ich, ich mag ja die Kurzstrecke nicht.
Und dann fielen mir Bilder ein. Bilder vom Umrunden von anderen Seen, meist auf
einer flachen Uferstrecke, fast immer mit permanentem Blick auf den zu
umrundenden See. Bilder von ewig langen Feldwegen, von schattenarmen und ewig
geradeaus führenden Feldwegen, von praller Sonne über mir und von staubiger,
heißer Luft.
Soweit zu meinen Vorurteilen gegenüber dem "IZNIK ULTRA".
In der Vorbereitung des Laufs fiel mir dann auf, dass dieser Ultra durchaus
einige Höhenmeter zu bieten hat, insbesondere auf der zweiten Hälfte der
Strecke. Und mir fiel auf, dass die Stadt
Iznik eine der reichsten
Städte der Region Konstantinopel / Byzanz war, die aus der Kolonie Antigoneia
hervorging und wohl um 301 v. Chr. von
Lysimachos als Stadt neu
gegründet wurde. Lysimachos benannte sie damals nach seiner ersten Frau Nikaia.
Die älteren unter uns werden sich vielleicht noch daran erinnern, welche
Bedeutung Nikaia in der Spätantike durch die dort abgehaltenen ökumenischen
Konzile bekam. Das Erste Konzil von Nicäa im Jahr 325, auch das "Bekenntnis von
Nicäa" genannt, und das Zweite Konzil von Nicäa im Jahr 787, auch "Siebtes
ökumenisches Konzil" genannt.
Später dann, als Nicaia 1331 ans Osmanische Reich fiel, bekam Nicaia dann den
türkischen Namen Iznik.
An diese ruhmreiche Zeit erinnert uns die Stadt häufig, am deutlichsten durch
die gut erhaltene antike Stadtmauer mit ihren beeindruckenden Toren, durch
einige Kirchen sowie durch das römische Theater. Geschichte, wo man geht und
steht, wo man läuft und atmet, denkt und genießt.
Das älteste Gebäude, die Kirche der Hagia Sophia (Nicäa), die „Heilige
Weisheit“, ist von Erdogans AKP Regierung zwar in eine Moschee umgewandelt
worden, der Schönheit aber tat das keinen Abbruch.
Iznik ist aber noch etwas, nämlich das Zentrum der glasierten Keramik, der
weltberühmten
Iznik-Keramik, die diesem Ort seit Jahrhunderten eine ganz besondere Rolle
in der Welt verschafft hat.
All das wusste ich nicht, als ich mich beim IZNIK ULTRA, beim Lauf um den
Iznik See (türkisch:
Iznik Gölü), einschrieb. Heute weiß ich das und hätte ich das früher schon
gewusst, dann wäre ich schon vor Jahren durch diese antiken Stadttore aus der
Stadt hinaus und am Ende wieder in die Stadt hinein gelaufen. Es ist ein ganz
erhabenes Gefühl, im Dunklen diese Tore zu passieren.
Ich flog nach Istanbul, zum Flughafen Sabiha Gökcen auf dem asiatischen Teil
Istanbuls. Dort nahm ich einen öffentlichen Bus Richtung Bursa und ich stieg in
Orhangazi aus, um einen Minibus nach Iznik zu nehmen. Der Bus endete im Zentrum
von Iznik und bis zum Iznik See und dem Race Headquarter waren es nur wenige
Hundert Meter zu gehen.
Ich hatte mich für das Angebot des Veranstalters entschieden, kostenfrei neben
dem Headquarter zu campieren und war deshalb mit Zelt und entsprechenden
Utensilien bewaffnet. Kostenfreies Camping, wenngleich auch ohne Duschen, W-LAN
vom daneben liegenden Café, Strom zum Laden meiner elektronischen Helferlein -
was willst Du mehr, sparsamer Läufer?
Ich kam schon am Mittag des Donnerstag an, bis zum Start blieben noch rund 36
Stunden, bis zur Startnummernausgabe rund 24 Stunden, Zeit genug, die vielen
Läden Izniks zu besuchen, in denen die Keramik mit der Hand bemalt wird. Ganz
zum Schluss sollte mich ein wunderschöner Teller nach Deutschland begleiten, der
mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern richtig groß ist und nun unseren
Wohnzimmertisch verziert.
Ich schaute mir auch Teile der Stadtmauer an, ich genoss die Atmosphäre dieser
türkischen Stadt und ich traf zufällig den anderen "Deutschen", der auf einer
Bank saß und sonnenbadete. Mustafa wohnte lange in Berlin und Hamburg, aktuell
lebt er aber wieder in Istanbul, er hat aber vor Jahren seinen türkischen Pass
gegen die deutsche Staatsbürgerschaft getauscht und wird deshalb als Deutscher
geführt.
Zwei Kanadier, ein Mexikaner, ein US-Amerikaner, ein Engländer - und eben wir
zwei Deutsche, so viel zu internationalen Beteiligung am längsten Bewerb. Mit
den anderen Bewerben (85 K, 50 K, 15 K und 5 K "Historical Run") aber waren 19
Nationen am Start.
66 Namen standen auf der Startliste des 136,6 Kilometer langen "130 K" Laufs,
bei dem ich heute noch nicht verstehe, warum der nicht "136 K" heißt. 59 davon
sollten dann tatsächlich starten, aber lediglich 33 von ihnen werden das Ziel
erreichen.
Dafür gibt es einen Grund, den ich beim Start aber noch nicht kannte.
Faruk, der Vizechef vom Veranstalter-Team, bekam von mir Löcher in den Bauch
gefragt, Caner, den obersten Chef, lernte ich erst am Abend kennen. Und weil die
Nacht früh kam und der Tag sehr, sehr lang war, ging ich früh in mein Zelt.
Bei der Startnummernausgabe herrschte schon Partystimmung. Alleine dort zu sein,
wenn Du schon ein paar Läufe in der Türkei hinter Dich gebracht hast, bedeutet,
viele Läufer*innen zu kennen. Die (Ultra-)Laufgemeinde der Türkei ist klein und
sehr eng miteinander befreundet.
Es war also ein ständiges Drücken und Küssen, Schulterklopfen und Hände
schütteln.
Die Pflichtausrüstung, zu der auch eine Sicherheitsweste gehörte, wurde einzeln
und explizit kontrolliert und dann bekam ich meine Startnummer. Dass ich die
Nummer "4" bekommen sollte, das wusste ich vom Veranstalter schon vor dem Lauf.
Eine einstellige Startnummer ist eine Ehre, finde ich. Ich trug die "4" also mit
Stolz und viel Liebe rund um den See.
Und dieses "um den See" begann standesgemäß um Mitternacht. Anfangs rannten wir
eine lange Asphaltstraße durch die Stadt entlang und dann liefen wir irgendwann
durch das erste dieser schönen antiken Tore.
Die Strecke war anfangs flach, ich wusste ja, dass es auf den ersten 65
Kilometern nur einen einzigen Berg gab, immerhin 500 Meter hoch, ansonsten sah
das Profil flach aus. Flach bedeutet aber nicht, dass es einfach ist. Viel
Matsch, große und tiefe, durch Riesenräder von landwirtschaftlichen Maschinen in
den Weg gedrückte Riefen, meist voller Wasser, das machte das Laufen schwer.
Sand lag in der Luft und er funkelte im Schein der Kopflichter. Und natürlich
waren wir zu schnell, wie immer. Und das, obwohl ich weit hinten startete und
mich sukzessive Platz für Platz nach vorne arbeitete.
Die Markierung aber war bestens, zumindest in der Nacht. Die langen
Plastikbänder, die ungeheuer häufig platziert wurden, trugen reflektierende
Punkte, es war also eine Kunst, sich zu verlaufen. Der Künstler in mir schaffte
es dennoch zwei Mal. Aber das gehört ja dazu, das Wegefinden ist ja Teil der
Challenge, oder?
Der Berg war steiler als erwartet. Es ging schnurgerade eine Wiese rauf. Was für
ein Glück, dass es kühl war in der Nacht. Aber die beiden über 700 Meter hohen
Berge, die noch kommen sollten, machten mir doch etwas Sorgen.
Oben angekommen ging es hügelig weiter, rauf und runter und erst nach einigen
Kilometern ging es dann wieder runter Richtung See.
Olivenhaine, Olivenhaine - und wir mitten drin. Die Erde ist oft klebrig und
schwer und ich freute mich immer wieder, wenn es mal wieder eine Passage gab,
bei der der Weg fest und gut laufbar war.
Bei km 54 gab es dann den DropBag, viel zu früh für mein Empfinden. Das Gute war
zwar, dass es der optimale Zeitpunkt war, um die Nachtklamotten in Tageswäsche
zu wechseln, die Stirnlampe einzupacken und die Sonnenbrille aufzusetzen, aber
der Weg war bislang so einfach, dass ich den Fehler machte, anzunehmen, dass ich
weiter mit den HOKAs laufen könne und so ließ ich die Salomon Trailschuhe mit
dem bissigen Profil im DropBag, ein Fehler, wie ich später begriff.
Wenn ich dem Veranstalter da einen Rat geben darf, dann wäre es der, den DropBag
zum VP bei km 80 zu verschieben und dort den Teilnehmern einzuschärfen, auf
stark profilierte Trailschuhe umzusteigen.
Zwischen km 54 und km 80 kam meine wohl beste Phase. Bis Kilometer 65 überholte
ich nach Belieben, es war absolut flach und es war nicht heiß, nicht kalt, nicht
sonnig, aber trocken, genau mein Wetter und nach knapp 9 Stunden hatte ich die
Hälfte des Rennens bestritten.
Gut, dachte ich mir, die Berge kommen im Wesentlichen in der zweiten Hälfte,
aber noch immer unterschätzte ich dieses Event maßlos.
Und nun führte ein Ziehweg rauf auf 735 Meter. Und es klappte gut. Es klappte
sogar sehr gut. Es war steil, aber nicht extrem, der Weg war gut machbar und ich
hakte das Event als "angenehm" ab, als ich auf dem zweiten Berg stand. Nur noch
ein Berg, noch einmal rauf auf 750 Meter, dann ist das Ding gerockt!
Du bist mitten im Grünen dort oben, die Sicht ist phänomenal, die Morgensonne
lacht und dieser Kurs hat das Zeug, ein "familienfreundliches Event" zu sein -
bis zum Kilometer 80.
Was dann kam, nannte ich in meiner ersten Reaktion nach dem Finish "krasse,
geile Kacke". Sechs und einen halben Kilometer, für die ich zwei Stunden und 19
Minuten brauchte!
Unter dem Strich kein Gewinn an Höhenmetern, immer nur 250 Meter rauf und 250
Meter runter, immer wieder. Aber nicht rauf und runter, sondern elendig,
sakrisch rauf und teuflisch steil runter. Selten habe ich so steile und
rutschige Abstiege erlebt und zwei Mal hatte ich bei Teilstücken eine solche
Angst, dass ich mich auf den Hosenboden setzte, um die schwierigsten Meter auf
dem Hintern runter zu rutschen. Wie sehr hätte ich mir in diesen Situationen das
Profil der Salomon und vielleicht auch Stöcke gewünscht!
Aber nach gut sechs Kilometern war auch diese Passage überstanden und am darauf
folgenden VP, dem vorletzten, lief ich auf Mustafa auf und wir blieben für eine
lange Weile zusammen.
Es folgte das landschaftlich wahrscheinlich schönste Stück der gesamten Strecke,
rauf auf den letzten Berg, wellig oben bleiben. Links unten liegt der riesige
Iznik-See und Du stellst Dir vor, welchen Weg da herum Du schon genommen hast,
Du fühlst Stolz in Dir aufsteigen und rechts blickst Du über eine grüne
Landschaft, die so wunderschön ist, dass sie sich so gar nicht mit dem Bild
deckt, das Du am Anfang von diesem Teil der Türkei hattest.
Der IZNIK ULTRA wäre aber kein Trail, wenn Caner, der Race Director, nicht noch
ein paar kleine Gemeinheiten in den Weg eingebaut hätte. Also mal wieder in den
Dschungel von mittelhohen Büschen, runter, rauf, schmale Singletrails, die Dich
ausbremsen. Dann fiel mir ein, dass Caner mir vor dem Lauf gesagt hat, dass der
Trail wieder ein wenig verschärft wurde, jedes Mal ein wenig mehr. "Wir haben
doch noch richtigen Dschungel gefunden," sagte er voller Stolz. Ja, er hat Recht
gehabt.
Noch ein VP, noch rund 16 Kilometer und von denen gehen etliche Kilometer nur
runter und am Ende bleiben noch etliche flache Kilometer. Es wurde nun dunkel,
die Sicherheitsjacke musste wieder an den Körper, Licht musste auf den Kopf. Und
ich begann, wieder zu rennen.
Und ich rannte und rannte und versuchte, noch unter der 21-Stunden-Marke ins
Ziel zu kommen. Es gelang mir zwar um ein paar Minuten nicht, aber die mehr als
12 Stunden für die zweite Hälfte der Strecke sprechen eine klare Sprache.
Die Stadt Iznik pulsierte, die letzten Kilometer waren begleitet vom Jauzchen
der Zuschauer und von zugerufenen Glückwünschen, oft hörte ich meinen Namen -
jetzt bloß nicht mit dem Laufen aufhören!
Das sieht so gut aus nach fast 140 Kilometern in den Beinen. Und Du überholst
und überholst, vorwiegend die langsamen Teilnehmer des 50 K Bewerbs und es wird
lauter und lauter und dann siehst Du den erhellten Zielbogen. FINISH IZNIK ULTRA
steht da, weiß auf violett.
Thomas Eller nach 21 Stunden im Ziel- Foto von
Aykut Üstündağ
Und Du läufst ein, Tränen der Erleichterung und des Stolzes laufen Dir über die
Wangen und dann bekommst Du die wahrscheinlich schönste Medaille umgehängt, die
Du je bei einem Bewerb erhalten hast.
Iznik ist ja das Zentrum der glasierten Keramik und die Medaille belegt diese
einzigartige Handwerkskunst.
Im Ziel erwarteten mich viele meiner türkischen Freunde, allen voran Özcan
Camyar, der Veranstalter des ganz neuen "Aybasti Ultra Trails" im August. Er
empfängt mich mit einer Tasse Ayran, mit leicht salzigem, türkischen Joghurt.
Und Ayran ist immer eine Lösung, nicht nur im Ziel nach einem Ultratrail!
Fazit
Mein Fazit: der IZNIK ULTRA ist sicher kein Lauf für Läufer*innen, die mal nett
um einen See rennen wollen. Er ist aber eine hervorragende Alternative für
diejenigen unter uns, die eine echte Herausforderung suchen, die schmale
Singletrails lieben und die technisch schwierige Laufeinheiten schätzen. Und es
ist eine Alternative für all diejenigen, die die menschliche Wärme der Türkei
schätzen.
Die Türkei gilt ja als eines der gastfreundlichsten Länder der Welt und diese
Gastfreundschaft spiegelt der IZNIK ULTRA wider.
Prädikat: besonders wertvoll!
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