MaXi Race Annecy et Chamonix am
27.05.2017 - Laufbericht von
Thomas Eller
Die „Fanta(stischen) Vier“ haben
im Lied „MFG – mit freundlichen Grüßen“ Abkürzungen aus drei Buchstaben populär
gemacht.
Und welche dieser Drei-Buchstaben-Abkürzungen tun uns Läufern besonders weh?
Natürlich, das ist einerseits die Abkürzung DNF („did not finish“).
Wenn Du irgendwo aussteigen musst, sei es wegen einer Verletzung, einer
Überforderung, psychischer Probleme oder schlicht, weil Du aus dem erlaubten
Zeitfenster gefallen bist, dann schmerzt das sehr. Und viele von uns haben dann
mit diesem Lauf „noch eine Rechnung offen“. Aber immerhin hattest Du dann die
ganze Spannung des Laufevents genießen können, den meist aufregenden Start und
oft viele Kilometer schönstem Trail. Du hast Freunde wieder getroffen und eine
aufregende Location kennengelernt, in der die Startnummernausgabe und der Start
stattfanden.
Andererseits gibt es auch noch die DNS („did not start“). Und die macht Läufer
noch trauriger.
Da gibt es familiäre Gründe, berufliche Gründe, sonstige Probleme, meist aber
ist der Grund für ein DNS eine Sportverletzung. Und wenn Dich diese Art von DNS
trifft, dann leidest Du doppelt.
Du leidest, weil die Verletzung weh tut oder zumindest weh getan hat. Sie hat
Dich einige Zeit nicht mehr trainieren lassen und dadurch sind dein
Selbstbewusstsein und Deine Ausgeglichenheit angegriffen. Du hast Geld
ausgegeben für die Startgebühr und oft schon vorab für die Anreise und die
Nächtigung(en) und Du weißt, wen Du alles hättest bei diesem Event treffen
können. Und all das bringt Dich dazu, am heimischen Herd leise zu weinen.
Ich versuche hier etwas, was ich noch nie getan habe: ich versuche, von einem
Lauf zu berichten, den ich gar nicht gelaufen bin. Mich hatte eben solch ein
ekliger DNS ereilt, ein schwerwiegender Sturz auf Menorca war Schuld an dieser
Misere. Aber da der Flug und die Nächtigungen schon gebucht waren, dachte ich,
dass ich dennoch hinfahre zu dem Event, zum MaXi Race im französischen Annecy.
Oft hatte ich schon vom MaXi Race gehört, im Vorjahr hatte ich sogar mal darüber
nachgedacht, beim MaXi Race in Equador zu starten, 2017 sollte es endlich
möglich sein, bei einem MaXi Race zu starten, heimatnah, im französischen Annecy.
Rechtzeitig für dieses Event hätte es sogar neben den Kurzdistanzen und dem
bekannten 83km langen MaXi Race auch noch ein ganz neues 110km langes Ultra Race
gegeben, ich wäre rückblickend aber froh gewesen, dass ich mich für die 83 K
Distanz eingeschrieben hatte und nicht für die 110 K. Wenn ich hätte starten
können …
#TimeToExplore hieß es auf der Homepage und das Versprechen der
Veranstalter war, dass die Läufe rund um die Berge des Lac Annecy mehr sind als
nur ein Rennen. „Das MaXi Race nimmt Dich mit auf eine Reise, auf ein Abenteuer
der Selbsterkenntnis inmitten exquisiter, einzigartiger Landschaften“, so heißt
es auf der entsprechenden Webseite. Und Du kannst diese Rennen alleine laufen
oder in einem Team und es gibt tatsächlich für jedes Level Deiner Wünsche und
Leistungsfähigkeiten einen Lauf. Die Läufe des MaXi Race Wochenendes sind
tatsächlich ein Event für jeden Läufer, weil es scheinbar unendlich viele
Laufbewerbe gibt:
Neben der neuen Kaiserdisziplin über 110 K (Ultra Race) und der dem Gesamtevent
den Namen gebenden Königsdisziplin über 83 K (MaXi Race) können diese Distanzen
auch als 2er oder 4er Staffel gelaufen werden – oder alternativ auf zwei Starts
an zwei Tagen verteilt. Daneben gibt es die klassische Distanz von 42 K
(Marathon Race), zwei Bewerbe über 15 K (Femina Race und Short Race) und, kurz
und knackig, aber dafür heftig, das Vertical Race über 4 K mit maximalen
Höhenmetern.
Individuelles Maxi Race Bier für jeden Teilnehmer
Annecy liegt nur rund eine
Marathonlänge vom Genfer Flughafen entfernt, aber auf französischem Gebiet.
Annecy liegt am Lac Annecy, ist ein wunderschönes Städtchen, das – und das
erlebten die Läuferinnen und Läufer 2017 sehr extrem – in einem Kessel liegt.
Der See ist nämlich ringsum eingebettet in hohe Berge und diese Berge sind es,
auf denen die Teilnehmer dieser Bewerbe laufen.
Die Berge sind dabei nicht so hoch wie beispielsweise jene von Chamonix, der
höchste Punkt der Strecke liegt kaum höher als das Niveau von Chamonix, dennoch
fordert Dir der Lauf sicher immer alles ab.
Ich hatte das Glück, die schnellsten Läufer mit einem Kleinbus teilweise
begleiten zu dürfen. Wir fuhren an bestimmte Punkte, meist VPs, und warteten
dort, bis die führenden Athletinnen und Athleten dort eintrafen. Das war ein
grandioses Erlebnis für mich, bin ich doch gewohnt, normalerweise nur Läufer
meiner Leistungsklasse zu sehen, die Läufer, die in solch einem Rennen eben um
Dich herum sind. Wenn Du aber die Chance hast, die teils weltbesten Trailrunner
live und aus nächster Nähe einen Berg hinauf laufen zu sehen, dann möchtest Du
vor Ehrfurcht auf die Knie fallen, so schnell bewegen sich diese Eliteläufer auf
schwierigem und steilem Terrain.
Wenn ich später auch eine Innensicht des 110 K Ultra-Race erwähne, dann zitiere
ich vor allem aus den Erfahrungen von zwei befreundeten Läufern. Einer der
beiden, Jens Nähler, hat dabei die Ziellinie gesehen, der andere, Andreas
Fellmann, musste gut 20 Kilometer vor der Finishline erkennen, dass er an diesem
Tag für diese Strecke und die an dem Tag herrschenden Temperaturen nicht stark
genug war.
Der Start um 1.30 Uhr in der warmen und sternenklaren Nacht war ein richtiges
Spektakel. Fackeln und Lampen hüllten das Startgebiet in ein romantisches Licht,
ein Moderator unterhielt die Menschen und Hunderte von SmartPhones wurden
hochgehalten, um diesen Start zu filmen. Und dann kam wieder eine sehr laute
Startmusik, die mich vom UTMB träumen ließ. Wenn Du Hunderte von Menschen
loslaufen siehst und Du darfst oder kannst nicht dabei sein, das tut schon weh.
Mir blieb nichts anderes übrig, als den vielen Läufern meine besten Wünsche und
Gedanken mit auf die 110 Kilometer lange Reise zu geben. Dass fast jeder zweite
Läufer das Rennen nicht finishen würde, das war mir zu dieser Zeit noch nicht
bewusst, aber die Hitze des Vortags, die Wärme der Nacht, die nicht allzu üppige
Zeitvorgabe und die weitgehende Autonomie mit nur sehr wenigen Servicepoints
hatten mir schon bei der Einschreibung gesagt, dass diese Herausforderung
vielleicht ein halbes Level zu hoch für mich wäre.
Wir Zaungäste sprangen dann in die
Begleitfahrzeuge und wir fuhren zum einem Hügel kurz vor dem ersten
Verpflegungspunkt. Das Sternenbild am Himmel war imposant, der Blick ins Tal mit
den Lichtern der Städte war großartig und kleine Fackeln waren den Hügel hinauf
und wieder hinunter gesteckt. Und dann kamen sie auch, die Cracks, die
Eliteläufer, diejenigen, die uns immer davon träumen lassen, was denn möglich
gewesen wäre, wenn wir weniger gegessen, mehr trainiert und bewusster gelebt
hätten. Meine fotografische Ausrüstung war natürlich mit dieser Situation
überfordert, aber die Profis unter uns Zaungästen knipsten mit Elan und Eifer.
Nachdem auch die erste Frau an uns vorbei gelaufen war, ging es gleich weiter
zum nächsten Punkt, wieder einer Anhöhe. Es war aber ein Punkt, zu dem auch wir
lange und weit wandern mussten. Oder durften. Eine Stunde wanderten wir, bis wir
wieder auf die Eliteläufer warten konnten. Von diesem Hügel hatten wir einen
schönen Blick über das Tal, über den Lac Annecy und mit dem anbrechenden Tag
wurde vieles bunter und klarer. Wieder warteten wir auch auf die erste Frau,
dann ging es für uns den Berg wieder hinab. Und immer wieder kamen uns
erstklassige Läuferinnen und Läufer entgegen. Bemerkenswert für mich war, dass
auch die Spitzenläufer immer ein freundliches „Bonjour“ an uns richteten. Es ist
ja diese Lockerheit der Ultraläufer, die uns von den angespannten und
zeitenfixierten Kurzstreckenläufern unterscheidet.
Der Sieger des MaXi Race, Francois
D'HAENE, Startnummer 2, Lokalmatador und Publikumsliebling, war zu diesem
Zeitpunkt noch nicht ganz vorne gelegen, aber er war ungeheuer entspannt und es
war ein Genuss, ihn laufen zu sehen. Wie man diesen Lauf bei diesem Wetter und
diesem Profil in unter 13 Stunden ablaufen kann, das wird sich mir nie
erschließen. Und das so locker …
Der Zweitplatzierte, Max King, wird es später „das schwierigste Rennen meines
Lebens“ nennen, nur mal so für die, die dazu neigen, dieses Event zu
unterschätzen.
Caroline CHAVEROT wiederum, die „first lady“, Gesamt Fünfte, ließ von Anfang an
keinen Zweifel aufkommen, dass sie dieses Rennen gewinnen will. Ihr Vorsprung
vor Andrea Huser war stets deutlich, rund 70 Minuten waren es am Ende.
Unsere nächste Station war schon kurz darauf eine Kreuzung zwischen dem steil
von oben kommenden Trail und einer schmalen Alpenstraße. Streckenposten sorgten
sich um die Läufer und es standen und saßen viele Zuschauer da, die ihren Spaß
daran hatten, zu sehen, wie die Läufer den Downhill bewältigten. Die
Spitzenläufer des Ultra-Race waren schon durch gewesen, aber die Läufer, die wir
noch sahen, waren auch richtig schnell.
Deren Geschwindigkeit wurde allerdings relativiert, als der Führende des MaXi
Race, der 83 K Strecke, Sébastien SPEHLER, Startnummer 10002, an allen vorbei
schoss. Auch Sébastien ließ keinen Zweifel aufkommen, dass das sein Rennen
werden sollte.
Unsere nächste Station war dann
der große Verpflegungspunkt im Tal bei km 71. Hier gab es die Dropbags, hier
endeten kürzere Läufe, Staffelstäbe wurden bei den Staffelbewerben übergeben und
die Straße war voll von Zuschauern, Supportern und Helfern. Als Francois
eintraf, um sich versorgen zu lassen, sein Wasser trank, bildete sich gleich
eine Traube von Menschen um ihn, jeder wollte ein Foto schießen, sein Selfie mit
ihm im Hintergrund machen oder ein nettes Wort von ihm hören. Mein Eindruck in
dieser Situation war, dass er überhaupt keine Eile hatte, so sehr ruhte er in
sich. Und Sébastien wurde direkt vor mir von seiner Partnerin betreut, mit der
ich danach ein paar Worte wechseln konnte.
So locker das bei Francois aussah, hier will ich noch einmal Max King zitieren:
„Wolltest du runter, musstest du hoch. Wenn du dachtest, es ginge hoch,
schickten sie dich weiter bergab. Und wenn du nur noch 5 km zur nächsten
Verpflegungsstation hattest, haben sie noch einmal 200-300 Höhenmeter dazwischen
gedrückt. Sie haben es geschafft, 100 Meilen voller Schmerzen in 110 km zu
bündeln. Ich weiß wirklich nicht, wie sie das gemacht haben.“
Und um noch eine Innensicht zu
zitieren, dieses Mal von Jens Nähler: „Kilometer 73, kurz hinter der vorletzten
Verpflegungsstation. Seit 11:45 Stunden laufe ich durch die Berge der
südfranzösischen Alpen, 4400 Höhenmeter sind geschafft. Das bin ich auch:
geschafft! Völlig fertig. Jetzt aber geht das Ultra-Maxi-Race erst richtig los.
Es wird noch zehn lange Stunden dauern, bis ich endlich im Ziel bin.“
Andreas Fellmann, einer meiner Freunde, der mit seiner Frau dort unterwegs war,
der, der die Ziellinie leider nicht erleben durfte, schrieb:
„Fakt: Wir sind nach 94 km, 6000 Höhenmeter und 22 Stunden Rennzeit gegen
Mitternacht der zweiten Nacht aus dem Rennen gegangen. Das Ziel in Annecy war zu
diesem Zeitpunkt noch 20 km entfernt.
20 km klingen erst mal wenig und wir hatten noch 8 Stunden verbleibende
Rennzeit, aber umgerechnet in die Annecy Race-Topology wären das noch locker
weitere 7 Stunden heftiges Ackern und ein nur schwierig in Zeit zu erreichender
Cut-Off Point in der Mitte gewesen. Zu der Zeit waren wir wirklich schon "gut
durch", denn die reale Topologie des Rennens hat uns doch sehr überrascht.
Entweder es ging steil bergauf oder steil bergab. Gemäßigte Abschnitte, die für
uns laufbar gewesen wären, waren so gut wie nicht existent.
Bis km 70 lagen wir immer komfortabel in der Rennzeit und stellten nie infrage,
ob wir das Rennen beenden oder nicht, aber letzte Abschnitt vor dem Punkt, an
dem wir ausgestiegen sind, hat uns dann doch ziemlich den Zahn gezogen: Ein 13
km heftiger Anstieg, für den wir knapp unter 5 Stunden benötigt haben. Unten
noch im Hellen gestartet, wurde es oben extrem steil und im letzten Part musste
geklettert werden. OK, in der Ausschreibung stand "climb to", aber das heißt für
den Mittelgebirgshessen, der auf der Couch liegend nach den nächsten spannenden
Rennen Ausschau hält "es geht ein wenig steiler bergan". So kann man sich
täuschen! Und im Dunkeln, nur mit dem kleinen Lichtkegel der Stirnlampe, hatte
das schon einen ganz speziellen Charme...
Der nachfolgende Geröll-Downhill von 6km Länge hat uns weitere 1,5 Stunden
gekostet. Wobei, fairerweise gesagt, auch „steiler Downhill“ nicht unsere
Lieblingsdisziplin ist.“
Wir Zaungäste besuchten dann noch
kurz einen weiteren Punkt an der Strecke, dann ging es zurück nach Annecy, um
uns noch kurz zu entspannen. Eliteläufern beim Laufen zusehen kann auch ganz
schön anstrengend sein …
Und dann durften wir den Zieleinlauf der Sieger und der Siegerinnen bejubeln.
Jens Nähler erreichte das Ziel um 23:20 Uhr nach knapp 22 Stunden hartem Kampf.
Er sagt später: „Ich habe das Monster bezwungen!“
Von den 885 Läuferinnen und Läufern, die für die lange Version gemeldet hatten,
kamen nur 478 Teilnehmer an.
Ein extrem hartes Rennen also. Aber wie war das Gefühl, das „Monster“ gefinished
zu haben?
„Ich bin hochzufrieden. Mehr als das: Ich bin glücklich! Dieses Rennen
gefinished zu haben ist einer der schönsten Momente meines Lebens. Weil ich
meine Grenzen überschritten habe. Beziehungsweise sie neu gesteckt habe. Wir
können so viel mehr leisten, als wir denken,“ so Jens Nähler.
Fazit:
Das MaXi Race ist in weiten Teilen
tatsächlich MaXi. MaXi anstrengend, MaXi herausfordernd, aber auch MaXi
glücklich machend.
Aber wenn man solch eine Veranstaltung wie das MaXi Race in Annecy ansieht, dann
geht das kaum, ohne auch die anderen, leider weit entfernten, MaXi Races
ebenfalls zu beachten. Das mit 53 K relativ kurze MaXi Race Equador hatte ich
mir ja letztes Jahr mal detailliert angesehen. Es führt die Läufer schon auf den
ersten Kilometern hinauf bis auf knapp 5.000 Meter über N.N. Auch das klingt
nicht nach einer „Kindergeburtstags-Veranstaltung“. Und auch das MaXi Race im
Reich der Mitte habe ich mir zumindest einmal angeschaut. Für beide Rennen aber
gilt, dass die Kosten für die Anreise und den Verbleibenden vor Ort recht hoch
sind, leider.
Ab 2018 gibt es jedoch im südafrikanischen Stellenbosch nun das ganz neue MaXi
Race South Africa, eine ganz attraktive Option, wie ich finde.
Während ich mir für Equador oder China kaum vorstellen mag, meine Familie zwecks
Urlaubs mitzunehmen, könnte Südafrika durchaus auch eine denkbare
Urlaubsalternative sein.
Und etwas Entspannung nach solch einem „Monster“ im Kreise seiner Lieben kann ja
nicht ganz falsch sein …