„Fluctuat nec mergitur“
Durch Paris laufen, dachte ich mir, als ich mich das erste
Mal mit dem mittlerweile berühmten „ECO Trail Paris“ beschäftigt habe, muss
großartig sein.
Ich bin mit zwei Finishs beim Berlin-Marathon schon in Berlin gelaufen, den
Marathon in Kopenhagen, Stockholm und Rom und in London bin ich mit den beiden
Läufen „250 Miles Thames Ring Race“ und dem „Grand Union Canal Race (GUCR)“ auch
schon gelaufen.
Aber in Paris, in der „Stadt der Liebe“, lief ich noch nie.
„Fluctuat nec mergitur“ lautet der Wahlspruch der Hauptstadt Frankreichs, „es
schwankt, aber geht nicht unter.“
Und die 80 Kilometer des ECO Trail Paris enden nicht nur in der am dichtesten
besiedelten Großstadt Europas, 21.000 Einwohner durchschnittlich auf jedem der
wenigen 105 Quadratkilometer, man endet sogar höchst spektakulär auf der ersten
Ebene des weltberühmten „La Tour Eiffel“, dem Eiffelturm. Und das in der Nacht.
Kaum etwas auf diesem Planeten leuchtet so schön in der Nacht wie der
Eiffelturm.
Alleine dieses Finish, dieser Eiffelturm, dieses „hässliche Bauwerk“, über das
die Intellektuellen des ausgehenden 19. Jahrhunderts geschrieben haben:
„Wir Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und leidenschaftliche
Liebhaber der bisher unangetasteten Schönheit von Paris protestieren im Namen
des verkannten französischen Geschmacks mit aller Kraft gegen die Errichtung des
unnötigen und ungeheuerlichen Eiffelturms im Herzen unserer Hauptstadt, den die
oft vom gesunden Menschenverstand und Gerechtigkeitsgefühl inspirierte Spottlust
der Volksseele schon den Turm zu Babel getauft hat. […] Um zu begreifen, was wir
kommen sehen, muss man sich einen Augenblick einen schwindelerregenden,
lächerlichen Turm vorstellen, der wie ein riesiger, düsterer Fabrikschlot Paris
überragt, muss sich vorstellen, wie alle unsere Monumente gedemütigt, alle
unsere Bauten verkleinert werden, bis sie in diesem Alptraum verschwinden. […]“,
allein diese Sehenswürdigkeit ist es wert, dass Du im nächsten Jahr für Paris
Deine Laufschuhe schnürst. Hätten die Verantwortlichen damals auf das Volk
gehört, dann wäre eine der fünf meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Welt wohl
gar nicht gebaut oder schnell wieder entfernt worden. Entsprechende Pläne gab es
ja.
Ich will nicht allzu viel vorweg nehmen, aber es sei schon mal erwähnt, dass der
Run im Eiffelturm für mich das aufregendste Finish war, das ich – bei
mittlerweile 230 „Marathons und länger“ – erleben durfte. So etwas Schönes, so
etwas Packendes, so etwas Spektakuläres, das gibt es wohl nur selten.
Aber beginnen wir die Reise nach Paris am Anfang.
Und da war ich schon etwas enttäuscht, dass es die Startunterlagen nicht auch am
Samstag vor dem Start gab, der mit 12.15 Uhr ja sehr spät war. Mein
ursprünglicher Plan, am Samstagmorgen sehr früh aufzustehen und dann nach Paris
zu fahren, war durch die Notwendigkeit, die Unterlagen noch am Freitagnachmittag
auf der Sportmesse in Paris abzuholen, obsolet geworden.
Und mit dem gewonnenen Abend in Paris konnte ich nicht viel anfangen. Ein Abend
ist einfach zu wenig, um diese imposante Stadt zu erleben, schon gar nicht, wenn
Dein Kopf auf einen Ultralauf eingestellt ist.
Ich kam auch mit den Informationen auf der Webseite und den Prospekten nur
teilweise klar. Ich fand nur sukzessive heraus, dass es zwei Möglichkeiten der
Teilnahme gibt.
1. Mit dem Zug oder dem Auto nach Paris, das Auto dort stehen lassen, mit dem
Zug nach Saint-Quentin-en-Yvelines fahren, dort geht es dann mit einem
Bustransfer zum Startgelände.
2. Mit dem Auto nach Quentin-en-Yvelines fahren, das Auto dort stehen lassen und
ebenfalls den Bus zum Start nehmen.
Im ersten Fall kannst Du sofort nach der Beendigung des Laufs nach Hause fahren,
das Parken in Paris ist aber schwierig, im zweiten Fall fährst Du nach dem Lauf
noch mit dem Zug nach Quentin-en-Yvelines zurück. Das Zugticket dafür fand ich
sogar in meinen Startunterlagen. Da wurde bis ins Detail wirklich an alles
gedacht.
In den Startunterlagen fand ich natürlich auch die Startnummer und ein Badge für
den Rucksack, mit dem die elektronische Zeitnahme funktioniert, ein Aufkleber
für den DropBag, den Du am Start abgibst und im Ziel wieder bekommst, eine
DropBag Stelle auf der Strecke gibt es nicht. Aber trockene und warme Kleidung
im Ziel zu wissen, das beruhigt ungemein.
Ich war früh auf der „Ile de Loisirs de Saint Quentin“, der Startarea, einer
Region mit einer recht einfachen, aber permanenten Bespaßung der Familien mit
einer Kinderachterbahn, mit Boxautos und anderen Nettigkeiten, mit denen man
sich die Zeit vertreiben kann.
Und so hatte ich Zeit, schon die Verpflegung im Startbereich zu nutzen, etwas
trockenen Kuchen, warmen Tee und leckere Säfte.
Aber es war kalt am Start, sehr windig und es regnete ganz leicht, deshalb
nutzten wir die aufgestellten Zelte zum Aufwärmen.
Dreißig Minuten vor dem Start wanderte mein DropBag zur Abgabestelle und ich
schaute mir mal die anderen Läuferinnen und Läufer an.
Trotz des internationalen Anspruchs waren Ausländer eher selten, dennoch war es
schade, dass Ansagen nahezu ausschließlich in Französisch gemacht wurden.
Nachdem die Homepage des www.traildeparis.com sechssprachig war, könnte bei der
Moderation die Zweisprachigkeit eine Idee sein.
Obwohl 18 Deutsche im Starterfeld waren, habe ich nur drei gesehen, wovon ich
zwei gekannt habe, darunter ein längjähriger Lauffreund, mit dem ich dann die
ersten Kilometer angegangen bin.
Bei rund 2.300 Startern alleine auf der 80 Kilometer-Strecke, von denen sich am
Ende 1.838 Menschen „Finisher“ nennen durften, ist es auch schwer, die einzelnen
Personen zu entdecken.
Dem ECO Anspruch wurde die Veranstaltung an dieser Stelle dadurch gerecht, dass
es nicht nur ein Müllsäcklein zum Mitführen gab, die Absonderungen der Läufer in
den Plumpstoiletten wurden auch mit kompostierbaren Holzspänen abgedeckt. Dafür
standen Eimerchen zur Verfügung, damit die Läufer das selbst erledigen konnten.
Dann ging es auch gleich los. Die ersten Kilometer waren eher unspektakulär,
langweilig fast, sodass ich schon dazu neigte, meine großen Hoffnungen auf
diesen Lauf abschmelzen zu sehen. Es war flach. Und voll. Sehr voll. Oft war ein
kontrolliertes Laufen nicht möglich und nach 10 Kilometern gab es einen
richtigen Stau. Da ging es über eine Eisentreppe hinauf auf eine
Fußgängerbrücke. Und das dauert. Direkt davor wurden wir noch von einer
Samba-Band hochgepusht, umso radikaler empfand ich das minutenlange Anstehen
dann.
Aber dann fing der Lauf an schön zu werden.
Hatte ich noch Zweifel, ob es in und um Paris tatsächlich Trails geben könnte,
ich wurde eines Besseren belehrt. Nicht nur der berühmte „Bois de Boulogne“, mit
dem „Bois de la Roussière“, dem Wald „Domaniale de Versailles“, dem „Bois du
Pont Colbert“ und dem Wald „Domaniale de Meudon“ läufst Du durch so viel Wald,
dass Dir überhaupt nicht bewusst wird, wie nahe Du an der nach London
zweitgrößten Metropolregion der EU bist. 12,4 Millionen Menschen leben dort, in
die Wälder aber schien sich kaum einer davon zu verlaufen.
Und die angekündigten 1.500 Höhenmeter wollte ich auch nicht glauben. Sei aber
versichert: die sind da. Und sie fordern Dich, manchmal mehr als mir lieb war.
Es gibt kaum lange Anstiege, dafür aber unzählige mit vielleicht zwei, drei
Hundert Metern Länge, teils so steil, dass viele eine Pause einlegen mussten.
Und die Abstiege sind meist auch so steil, dass Du es da nicht einfach laufen
lassen kannst, sondern wieder die Oberschenkel zum Abbremsen brauchst.
Nach guten und schnellem Start wurde ich mir nach dem ersten Verpflegungspunkt
(km 22), der hervorragend ausgestattet war, als es dann zunehmend trailiger und
schwieriger wurde, gewiss, dass ich das „unter 10 Stunden“ Ziel, das ich mir für
die 80 Kilometer gesetzt hatte, reißen würde.
Hinter dem zweiten Verpflegungspunkt (km 45), an dem es ausschließlich Wasser
gab und wo ich dem Teufel meine Seele für etwas Salz verkauft hätte, wurde ich
dann so langsam, dass selbst mein reduziertes Zeit-Ziel, 10:44 Stunden, also
kurz vor 23 Uhr einlaufen, in Gefahr geriet.
Der dritte Verpflegungspunkt war wieder hervorragend ausgestattet, unter anderem
gab es eine leckere Suppe und ich streute mir viel Salz hinein, so viel Salz,
dass die Lady hinter dem Stand ihre Augen weit aufriss. Und was schön und gut
ist, das geht auch zwei Mal, also gleich noch mal eine Suppe, mit noch einmal so
viel Salz.
Mit dem Salz im Körper und einer langsam einfacher werdenden Strecke lösten sich
auch die Verhärtungen in den Oberschenkeln und ich wurde wieder schneller. Die
Läufer*innen, die mich in dieser Phase überholten, überholte ich ebenfalls immer
wieder. Ich war im Leid also nicht alleine, die Strecke zehrte an den Kräften
von allen.
Großartig waren auch die Passagen, in denen wir die Wälder verließen und durch
Parks oder an Schlössern vorbei liefen. Straßenpassagen waren sehr selten und
alle Straßenquerungen waren abgesichert. Ich habe mich manchmal gefragt, wie
groß die Schar der Voluteers dort gewesen sein muss.
Der vierte Verpflegungspunkt (km 63) war ähnlich dem dritten. Und wieder gab es
für mich zwei Mal „Suppe mit sehr viel Salz“ und sehr viel zu trinken.
Mittlerweile war ich mir sicher, dass ich zumindest unter 10:30 Stunden bleiben
würde. Noch 17 Kilometer …
Die Strecke wurde urbaner und einfacher zu belaufen und ich gewann jeden
Kilometer eine Minute gegenüber meinem nach unten korrigierten Plan. Aber „unter
10 Stunden“ zu bleiben war illusorisch, aber mit einer 10:15 Stunden Zeit wäre
ich auch halbwegs zufrieden gewesen.
Es war die Phase, in der ich viele andere Läufer nur noch als Slalomstangen
wahrgenommen habe. Es waren so viele vollkommen am Ende und hatten komplett aufs
Wandern umgestellt.
Dann, nach dem fünften und letzten Verpflegungspunkt (km 67), an dem ich dann
kaum etwas zu mir genommen habe, kamen wir endlich in die Stadt Paris, nach „Lutetia“
auf der „Île de la Cité“, Asterix-Fans werden das wissen. Und nun waren die Wege
gepflastert und, von einem längeren Anstieg abgesehen, flach. Und ich wurde
schneller und spätestens dann noch schneller, als mir einer der Wanderer sagte,
dass die Strecke wohl ein klein wenig kürzer wäre als die plakative 80
Kilometer.
Meine Voraussage lag mittlerweile irgendwo zwischen 10:00 Stunden und 10:15
Stunden und „ein klein wenig kürzer“, gepaart mit etwas mehr Tempo, könnte mich
doch noch unter die 10 Stunden-Marke drücken.
Den wunderschön beleuchteten Eiffelturm siehst Du als Ziel schon sehr lange vor
Dir und Du stellst Dir bildlich vor, wie Du die Treppen zur ersten Etage hinauf
rennst. Aber irgendwann, vielleicht drei Kilometer vor dem Ziel, begann „La Tour
Eiffel“ plötzlich zu blinken und zu scheinen wie ein Weihnachtsbaum. Als hätte
mich dieses technisch so brillante Gebäude entdeckt und als ob es mir eine
Freude machen wollte, so sah es zumindest aus.
Die GoPro Aufnahmen, die ich in dieser Phase gemacht habe, sind so schlecht,
dass ich sie leider genauso wenig zeigen kann wie die Aufnahmen auf der Treppe,
nur ganz wenige Aufnahmen sind wenigstens so, dass sie zwar unscharf, aber
dennoch aussagekräftig und einigermaßen attraktiv sind.
Immer mehr Menschen säumten jubelnd den Weg und mein Blick wechselte zwischen
dem Eiffelturm und der Laufuhr hin und her.
Dann, der Metallturm war sehr nahe, ging es auf die Ebene „Champ de Mars“, das
„Marsfeld“ hinauf. Der Weg war nun gegen die Zuschauer mit Bändern abgegrenzt,
aber noch durften wir nicht rauf. Um das Gebäude herum und dann auf das
Wahrzeichen von Paris zu.
Ein Mann, der die Aufgabe hatte, zu kontrollieren, ob wir auch die
Pflichtausrüstung dabei hatten, erledigte seine Aufgabe durch Hand auflegen auf
den Rucksack. Es waren sowieso nicht viele Pflichtteile und der geübte Blick des
Kontrolleurs sagte ihm, dass ich definitiv mehr als nur die Pflichtausrüstung
dabei hatte.
Noch vier Minuten … das kann reichen!
Rein in den Eiffelturm? Nein. Da war erst noch dieses Röntgengerät. Rucksack
runter, auf das Band legen, durch das Sicherheitstor durch – kein Piepsen – und
dann wartete ich gefühlte zwei Ewigkeiten darauf, dass mein Rucksack wieder aus
dem Röntgengerät heraus kommen würde.
Aufschnallen und los.
Durch die Pause war mein Atem wieder ruhig, also war das Laufen auf der Treppe
möglich. Eine Kurve, noch eine, eine weitere …
Ich lief auf drei Läufer auf und musste auf das Gehen der Treppenstufen
umsteigen, aber so schnell wie möglich. Vorbei am ersten Läufer, vorbei am
zweiten.
Dann siehst Du die Unterseite der ersten Etage und Du hörst den Moderator.
Schnell, schnell, das passt noch.
Und ganz plötzlich bist Du auf dieser ersten Ebene des Eiffelturms, dort, wohin
normal tickende Touristen nur mit dem schiefen Aufzug hinfahren, Du siehst die
Zeitnahmebarriere und Du siehst die Zeit auf der Uhr: 09:59:35
Und dann kommen die Tränen. Dir wird die Medaille umgehängt. Du bekommst ein
Finisher-Shirt, ein Bier und etwas Cola.
„Fluctuat nec mergitur“, dachte ich da oben. Ich habe geschwankt, bin aber
ebenfalls nicht untergegangen.
Und nach all dieser Euphorie wartest Du dann darauf, mit diesem schiefen Aufzug
wieder nach unten fahren zu können. Aber das dauert.
Und weil es kalt ist und Du Dich nicht bewegst, frierst Du und bist froh, wenn
Du unten bist und die zweihundert Meter zum DropBag Station hinter Dir hast. Du
nimmst Deine Tasche und gehst in die Sporthalle. Zum Umziehen.
Und zum Essen und Trinken.
Dabei wären wir nicht in Frankreich, wenn auf den Tischen kein Wein stehen
würde. Merlot, aus Fünf-Liter-Kartons zum selber zapfen. Es gab Nudeln mit
Tomatensauce oder Sauce Bolognese, es gab Obst, Brötchen, Joghurt, zwei Sorten
Kuchen, natürlich auch den typisch französischen gedeckten Apfelkuchen. Und das
war es dann.
Gerne wäre ich erneut in den Eiffelturm eingelaufen, aber das geht nicht.
Geht nicht? Doch! Nur eben nicht in diesem Jahr.
Aber 2018, wenn der Termin in meinen Kalender passt, dann geht es wieder.
Fazit: ich war total geflashed von diesem Event, natürlich vor allem vom Einlauf
in Paris. Aber auch von der vielen Mühe, die sich die Orga gemacht hat. Und
neben dem unglaublich großen Heer von Volunteers waren immerhin 9.889
Läufer*innen auf den Bewerben 80 K, 45 K, 30 K und 18 K.
Mehr Erfolg geht kaum.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass der „ECO Trail Paris“ ein Teil einer Serie ist.
Neben Paris gibt es den „ECO Trail“ auch noch in Oslo (20. Mai 2017), in
Stockholm (17. Juni 2017), in Brüssel (9. September 2017), auf Madeira (28.
Oktober 2017) uns abschließend in Madrid (11. November 2017).
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