| Abenteuer K 78 - Bericht vom Swiss Alpine Marathon 2006Was treibt einen vernunftbegabten Menschen dazu, 78,5 Kilometer und 
      2320 Höhenmeter freiwillig durch die Schweizer Alpen zu rennen? Rationale 
      Gründe sicher nicht. Aber für jemanden, für den ein „normaler“ Marathon 
      nicht mehr das „letzte Abenteuer“ darstellt, der Steigungen als solche 
      nicht als läuferisches Hindernis empfindet und ein besonderes Faible für 
      die Bergwelt hat, ist der Swiss Alpine K 78 einfach eine sehr verlockende 
      und, zumindest für mich, so etwas wie die „ultimative“ Herausforderung.
      
 K 78 – diese etwas kryptische Bezeichnung steht für den weltgrößten 
      Bergultralauf. Auch im 21. Jahr seiner Auftragung hat dieser 
      Ultra-Klassiker mit über 1000 Anmeldungen nichts von seiner 
      Anziehungskraft verloren. Nimmt man die diversen weiteren im Rahmen des 
      Swiss Alpine angebotenen Laufstrecken hinzu - K 42, C 42, K 28, K 21 u.a. 
      – so sind es fast 5000 Menschen, die läuferisch mobilisiert werden. Dass 
      hier nicht das Chaos ausbricht, ist einer bekanntermaßen perfekten 
      Lauforganisation zu verdanken.
 
 Ein wenig mulmig war mir im Vorfeld allerdings schon zumute, nicht nur 
      wegen der für mich schwer vorstellbaren Distanz, sondern wegen der Hitze, 
      die schon Wochen vor dem Starttermin am 29.07.2006 ganz Europa 
      einschließlich des Alpenraums im Griff hielt. Aber als hätte jemand meinen 
      stillen Wunsch erhört, bricht am Abend vor dem Lauf ein Unwetter mit 
      sintflutartigen Regenfällen über Davos herein und bringt spürbare 
      Abkühlung. Dass das läuferisch nicht nur Vorteile hat, sollte ich später 
      noch merken.
 
 Auf jeden Fall bin ich froh, mich nach durchregneter Nacht bei nur 
      leichtem Nieselregen und kühlen 10 Grad am frühen Sonntag Morgen im 
      Sportzentrum von Davos auf den Start vorbereiten zu können. Das zentral 
      gelegene Sportzentrum ist Dreh- und Angelpunkt der gesamten Swiss Alpine 
      Veranstaltung. Nur die Läufer des K 78 genießen das Privileg, hier starten 
      und ankommen zu können. Für alle anderen ist das Sportzentrum nur Ziel; 
      sie starten zeitversetzt von diversen Orten entlang des K 78-Rundkurses.
 
 Erst kurz vor acht Uhr sammelt sich das Feld vor der Startlinie. Die 
      Stimmung ist entspannt. Laute Musik schallt über den Platz, ein Moderator 
      gibt letzte Informationen und verheißt uns ideales Laufwetter. Diese 
      lockere Atmosphäre setzt sich fort, als um 8 Uhr der Startschuss fällt. 
      Kein Drängeln, keine Blitzstarter. Allen um mich herum ist klar, dass die 
      Energiereserven heute länger als gewöhnlich reichen müssen.
 
 Über Asphalt windet sich der Kurs zunächst in einer langgezogenen Schleife 
      über breite Hauptstraßen durch Davos. Erstaunt bin ich, wie viele Menschen 
      sich trotz der frühen Zeit und kühlen Witterung entlang der Strecke 
      aufgereiht haben und die noch frische Läuferschar anfeuern. Schnell zieht 
      sich das Läuferfeld auseinander, kann ich ungehindert mein Tempo laufen. 
      Angenehm ist, dass die ersten Kilometer noch ohne nennenswerte 
      Höhenunterschiede verlaufen. Das ändert sich jedoch schnell außerhalb des 
      Ortes.
 
 Der zunächst durch offenes Gelände führende breite Weg wird zusehends 
      schmaler und steiniger und verläuft schließlich in munterem Auf und Ab 
      durch den Wald. Die Gespräche werden rarer und außer dem Rauschen der 
      parallel im Talgrund fließenden Landwasser hört man meist nur das 
      gedämpfte Getrappel der Läufer. Dass die Strecke schon hier so profiliert 
      ist, erstaunt mich, erschien doch das Profil bis Bergün, also bis zur 
      Streckenhälfte, im Plan als ziemlich moderat. Aber die vielen kleinen An- 
      und Abstiege gehen in einer solchen Übersicht anscheinend unter.
 
 Bei km 12 erreichen wir den kleinen Weiler Spina, wo wir mit höllisch 
      lautem Kuhglockengeläut empfangen - und auch gleich wieder verabschiedet 
      werden. Wenige Augenblicke später hat uns der Wald schon wieder 
      verschluckt. Und weiter geht es in vielen Kurven vor allem rauf, aber auch 
      immer wieder runter, buchstäblich über Stock und Stein. Aber das macht mir 
      hier (noch) großen Spaß.
 
 Schon von Weitem kündigt der markante Kirchturm von Monstein diesen 
      malerischen kleinen Ort mit seinen schönen, alten Holzhäusern an. Mit dem 
      1626 m hoch gelegenen Monstein erreichen wir bei Km 17 den 
      Kulminationspunkt der ersten Streckenhälfte. Trotz der Abgeschiedenheit 
      stehen auch hier wieder viele Menschen applaudierend an der Straße.
 
 Nicht weit hinter Monstein wird die Strecke extrem – und zwar extrem 
      steil. Es geht durch dichten Wald fast schon im Sturzflug bergab. Da der 
      Pfad vom Regen aufgeweicht ist, muss man höllisch aufpassen, nicht 
      auszurutschen bzw. das Gleichgewicht zu verlieren. Trotzdem habe ich den 
      Eindruck, als stürzten sich meine Mitläufer wie besessen in die Tiefe. 
      Auch ich lasse mich davon mitreißen, schon um kein Hindernis für die 
      anderen zu sein, denn Überholen wäre hier ein unkalkulierbares Wagnis. Ein 
      wenig erleichtert bin ich, als ich wohlbehalten Schmelzboden im Tal 
      erreiche.
 
 Die Streckenführung wird schlagartig wieder gemütlicher. Auf einem breiten 
      Schotterweg tauchen wir in die Zügenschlucht ein. Links und rechts des 
      Weges türmen sich die Felswände auf, unter uns tost die Landwasser in 
      ihrem tief ausgespülten Bett. Wir müssen durch einen unbeleuchteten 
      Tunnel, in dem es so finster ist, dass ich meine Füße nicht mehr erkennen 
      kann. Ansonsten bieten sich immer wieder spektakuläre Ausblicke in die 
      Schlucht. Ich genieße diesen besonders schönen Abschnitt der Strecke sehr.
 
 Unvermittelt taucht bei Km 25 der kleine Bahnhof von Wiesen auf. Inmitten 
      der Bergeinsamkeit hat die Linie der Rhätischen Bahn, die parallel zur 
      Schlucht weitgehend durch Tunnels führt, hier eine Station. Vom Ort selbst 
      ist nichts weiter zu sehen. Von zahlreichen Zuschauern werden wir 
      erwartet. Über Lautsprecher werden die Läufer von einem „Speaker“ 
      persönlich mit vollem Namen begrüßt. Da der Veranstalter den Vornamen mit 
      auf der Startnummer aufgedruckt hat, werde ich auch von den Zuschauern 
      damit häufig angesprochen und angefeuert, was die ganze Atmosphäre noch 
      persönlicher macht als sie ohnehin schon ist.
 
 Unweit des Wiesener Bahnhofs ist mit dem Wiesner Viadukt ein weiterer 
      Streckenhöhepunkt erreicht. In fast 90 Meter Höhe überspannt diese 
      kombinierte Eisenbahn-/ Fußgängerbrücke aus Stahl die Schlucht. Der 
      Ausblick beim Queren des Viadukts ist grandios – vor allem auch nach 
      unten, denn der Boden der Brücke besteht nur aus luftigen Metallgittern. 
      Am Ende der Brücke warten schon Profifotografen, die die Überquerung 
      bildlich zu dokumentieren.
 
 Jenseits der Brücke geht es auf schmalen, winkeligen Pfaden weiter durch 
      waldiges Gelände und schließlich über Almen hinab nach Filisur. Mit 1.032 
      m ü.M. ist hier der tiefstgelegene Punkt der Strecke - gut 500 Meter 
      unterhalb des Startpunkts in Davos - erreicht. 31 Km sind schon oder wohl 
      besser: erst zurück gelegt und ich spüre die im bisherigen Verlauf 
      durchaus anspruchsvolle Strecke bereits deutlich in meinen Beinen. Die 
      Vorstellung, dass es nun primär aufwärts geht und die „dicksten Brocken“ 
      noch vor mir liegen, macht mich ein wenig nachdenklich. In Filisur, dem 
      größten Ort seit dem Start, erwartet mich jedoch zunächst einmal 
      Hochstimmung. Dicht stehen die Menschen entlang der Hauptstraße, feiern 
      die Ankömmlinge und vermitteln so etwas wie Hexenkesselfeeling. So hätte 
      ich das Schweizer Temperament offen gesagt nicht eingeschätzt. Auch hier 
      werden die Läufer wieder persönlich über Lautsprecher begrüßt - eine 
      nette, motivierende Geste.
 
 Die nächsten Kilometer ist wieder Waldeinsamkeit angesagt. Wie erwartet 
      gewinnen wir zunehmend an Höhe und erreichen schließlich die in den Fels 
      gesprengte, am Lauftag für den Autoverkehr gesperrte Verbindungsstraße 
      zwischen Filisur und Bergün.
 
 3:45 Stunden seit dem Start sind vergangen, als ich bei Km 39,2 die 
      Zeitmessmatten am Ortseingang von Bergün überlaufe: Genau die halbe 
      Strecke ist geschafft. Obwohl mir alles andere als kalt ist, hole ich mir 
      angesichts der instabilen Wetterverhältnisse meine Windjacke, die ich am 
      Start in Davos zur Deponierung in Bergün abgegeben hatte – eine weise 
      Entscheidung, wie sich noch zeigen soll. Wie der Großteil der Läufer lasse 
      auch ich mir bei der Verpflegungsstelle mehr Zeit als sonst. Dann geht es 
      weiter auf der Hauptstraße, hinein in den hübschen, im Engadiner Stil 
      errichteten Ort. Fast schon Volksfeststimmung erwartet uns. Dass der 
      Publikumsandrang so groß ist, dürfte natürlich auch damit zusammen hängen, 
      dass der K 42 hier um 11.30 Uhr gestartet wird. Die Strecke des K 42 
      entspricht weitgehend dem Verlauf des K 78 ab Bergün, doch sind die 
      meisten der noch frischen Starter längst über alle Berge, als ich den Ort 
      erreiche.
 
 Am Ortsende biegt die Strecke ab ins Val Tuors. Mental versuche ich mich 
      darauf einzustellen, dass nun fast 1300 Höhenmeter vor mir liegen, vom 
      1365 m ü.M. gelegenen Bergün bis zur Keschhütte auf 2632 m ü.M.. Aber so 
      richtig gelingen will mir das nicht, zumal ich schon bei geringfügigen 
      Steigungen schwächle. Auch wenn die Steigungen zumeist noch relativ 
      moderat sind und immer wieder von ebenen Passagen unterbrochen werden, 
      komme ich nur relativ langsam vorwärts und muss immer wieder Gehpausen 
      einlegen. Ich muss mir eingestehen: der „Dampf“ ist zumindest im Moment 
      draußen – und angesichts der noch vor mir liegenden Bergpassagen überkommt 
      mich ein Anflug von Horror. So kann mich auch die eigentlich 
      wildromantische Umgebung mit dem über Almen wild ins Tal schäumenden 
      Gebirgsbach wenig aufmuntern.
 
 Bei Km 47 erreiche ich die 1822 m ü.M. gelegene Ansiedlung Chants, so 
      etwas wie der letzte Außenposten der Zivilisation vor dem Hochgebirge. 
      Mein physischer Zustand ist nicht besser geworden – aber auch nicht 
      schlechter. Ich resümiere: 500 Höhenmeter sind geschafft, noch 800 liegen 
      vor mir, und das auf einer Distanz von gerade mal 5,5 Kilometern. 
      Irgendwie als beruhigend empfinde ich, dass mich ab hier fast niemand mehr 
      im Laufschritt überholt und auch für die anderen flottes Gehen das Gebot 
      der Stunde ist.
 
 Der bis Chants noch breite Schotterweg mutiert unversehens zum steilen 
      Gebirgspfad. Immer dünner wird die Vegetation. Zunächst sind es noch 
      niedrige Bäume und Sträucher, dann nurmehr Büsche, schließlich Grasmatten, 
      die uns umgeben. In unzähligen großen und kleinen Serpentinen zieht der 
      dünne Läuferstrom nach oben. Die Außentemperatur sinkt merklich, Wolken 
      und Wind nehmen zu und hüllen uns schließlich ein, kalter Nieselregel 
      ergießt sich über uns. Wir tauchen in die Wolken ein und der Panoramablick 
      tendiert gegen Null. Immer kräftiger wird der Regen, durch den kalten Wind 
      in seiner Intensität nochmals verstärkt, und ich wage mir gar nicht 
      auszumalen, wie es mir ohne die halbwegs schützende Windjacke ergehen 
      würde.
 
 Auch inmitten dieser unwirtlichen Umgebung erwarten uns, wie schon bisher, 
      in regelmäßigen Abständen, Versorgungspavillons, alle 2,5 km zumindest mit 
      Wasser bestückt, alle 5 km mit größerer Getränkeauswahl, Obst und anderen 
      Kalorienspendern, etwa „Alpinbrötli“ als besonderer Spezialität. Besonders 
      in dieser Gebirgsödnis wird mir bewusst, was für ein enormer logistischer 
      und persönlicher Einsatz dahinter stecken muss, diese Versorgung lückenlos 
      zu gewährleisten.
 
 Mit dem schnellen Berganmarschieren komme ich gut zurecht. Auf den wenigen 
      flacheren Passagen fällt es mir zunehmend weniger schwer, wieder in den 
      Laufschritt zu fallen und ich merke, dass ich auch mental wieder an Stärke 
      gewinne. Auf einmal höre ich Fetzen einer Lautsprecherstimme wie aus dem 
      „Off“ durch die Wolken schallen. Ich ahne: die Keschhütte kann nicht mehr 
      so fern sein. Es dauert dann aber doch noch eine ganz Weile, bis ich die 
      Silhouette der recht großen, einer Trutzburg gleich einsam in 2632 m Höhe 
      gelegenen Hütte tatsächlich zu sehen bekomme. Bei mittlerweile strömendem 
      Regen erreiche ich die vor dem Haus aufgebaute Versorgungsstation. Selten 
      habe ich einen Becher heißer Brühe, den ich mit meinen steifgefrorenen 
      Fingern kaum packen kann, so genossen. Dicht drängen sich die Läufer unter 
      den Planen und so richtig eilig hat es keiner mit dem Weiterlaufen. 52,9 
      Km sind nun geschafft, 6:20 Std. bin ich bis hierher unterwegs gewesen, 
      wovon allein die letzten 5 Km stolze 70 Minuten beansprucht haben.
 
 Richtig motiviert lasse ich nach einigen Minuten das Treiben hinter mir 
      und begebe mich hinaus in den Regen auf den sogenannten Panorama-Trail, 
      der von hier über 7 Km bis zum auf nahezu gleichem Höhenniveau gelegenen 
      Scaletta-Pass durch das Hochgebirge führt. Vom Panorama, das der Trail im 
      Namen führt und das auf vielen Fotografien so eindrucksvoll wiedergegeben 
      wird, ist leider wenig zu bemerken. Dichte Wolken verhüllen das Massiv des 
      3417 m hohen Piz Kesch, nichts ist zu sehen vom Porchabella-Gletscher. 
      Zumindest reicht der Blick weit in das karge Hochtal, das vor mir liegt.
 
 Dafür fordert der schmale, steinige Trail meine volle Aufmerksamkeit. 
      Durch den Regen ist der Boden stark aufgeweicht, unzählige Bäche ergießen 
      sich den Hang hinunter und sind, teils über kleine Stege, teils im 
      Hüpfschritt über Felsbrocken zu queren. Die Schuhe und bei vielen noch 
      einiges mehr nehmen schnell die gleiche braune Farbe wie der Matsch an. 
      Überholmanöver gibt es kaum – denn solche sind zumeist gar nicht 
      durchführbar. So entstehen bisweilen lange, mich an eine Ameisenstraße 
      erinnernde Läuferketten, die sich am Horizont in winzigen bunten Punkten 
      verlieren. Der Regen lässt nach, langsam klart der Himmel etwas auf, die 
      Berge am Horizont nehmen wieder Kontur an. So fällt der Panoramablick 
      gegen Ende des Trails, nun in Richtung der 3000er um den Piz Vadret, doch 
      nicht ganz „ins Wasser“.
 
 Nach einem längeren finalen Anstieg erreiche ich bei Km 60 den 2606 m hoch 
      gelegenen Scalettapass. Der Pass markiert eine entscheidende Wende im 
      Streckenprofil: Denn ab hier geht es (fast) nur noch bergab. Und wie. Die 
      nächsten Kilometer führt der Pfad in Serpentinen rasant durch das offene 
      Gelände in Richtung Tal. Ich lasse den abwärts wirkenden Kräften freien 
      Lauf und entwickle ein geradezu irrwitziges Tempo. Vernünftig und 
      gelenkschonend ist das nicht gerade – aber es tut im Moment einfach gut.
 
 600 Höhenmeter tiefer erreichen wir bei Km 64,5 Dürrboden. Dieser Punkt, 
      immerhin noch 2007 m hoch gelegen, bedeutet quasi den Wiedereintritt in 
      die Zivilisation. Dürrboden ist über eine Straße erreichbar, sodass sich 
      auch einige lautstark applaudierende Zuschauer an der Versorgungsstation 
      eingefunden haben. Launig stellt der die Läufer begrüßende Moderator bei 
      meinem Durchlauf meine Herkunft als Münchner fest und dass jetzt doch 
      sicher eine „Mass“ (für Nichtbayern: = 1 Liter Bier) recht wäre – kann er 
      Gedanken lesen?!
 
 Der schmale, steinige Bergpfad mutiert ab Dürrboden zum breiten Naturweg, 
      der bei zumeist leichtem Gefälle durch die satt grünen Wiesen des 
      Dischmatals in Richtung Davos führt. Ich versuche, ein moderates, aber 
      stetiges Lauftempo zu halten, was mir bei so mancher kleineren Steigung 
      aber dann doch nicht mehr gelingt. Weit hinter mir liegen nun die die 
      Berggipfel einhüllenden, dunklen Wolken, vor mir bricht die 
      Nachmittagssonne zwischen Wolkenlücken hindurch und lässt Wiesen und Bäume 
      in satten Farben leuchten. So schön alles im Sonnenschein wirkt: Ich bin 
      letztendlich froh, heute nicht mehr von der Sonne gewärmt worden zu sein.
 
 Schier endlos zieht sich das Tal hin. Vorbei geht es an Kuhweiden und 
      kleinen Gehöften durch eine völlig unaufgeregte Idylle. Ich fühle mich 
      fast schon wie eine Laufmaschine und wundere mich über mich selbst, dass 
      der „Akku“ einfach nicht leer werden will. Ich trotte von einer 
      Versorgungsstation zur nächsten, immer weiter und weiter. Die 
      Entfernungsschilder alle 5 Km motivieren mich einerseits, wenn ich sie 
      sehe - demotivieren mich aber andererseits, wenn sie einfach nicht 
      auftauchen wollen, obwohl ich sie längst erwarte.
 
 Endlich erblicke ich am Horizont die ersten baulichen Ausläufer von Davos. 
      Das gibt mir zusätzlich noch ein wenig Schub, auch wenn sich die 
      Annäherung nur langsam vollzieht. Und dann ist sie auf einmal da - die 
      erste Davoser Straße im Osten der Stadt. Geschafft, denke ich – aber da 
      irre ich. Ich kann es kaum glauben: Der Weg schwenkt ab und führt nochmals 
      weg von der Stadt, wieder in den Wald hinein und vor allem auch hinauf. 
      Muss das denn sein! Ich versuche dies mit Fatalismus zu tragen. Wenigstens 
      dreht der Weg nach einer Weile wieder gen Westen ab, sodass wir parallel 
      zum Stadtverlauf auf einem Höhenweg unterwegs sind. Auf Höhe des 
      Sportzentrums, das ich in der Ferne schon durch die Bäume erblicken kann, 
      ist es endlich so weit: es geht hinab in die Stadt – aber keineswegs 
      direkt zum Ziel hin. Auf Asphalt müssen wir erst noch eine mühselige 
      Schleife in der Stadt drehen, ehe es über die Talstraße endgültig in 
      Richtung Sportzentrum dem Ziel entgegen geht. Immer dichter und lauter 
      werden die Zuschauerreihen, immer klarer sind die Worte des 
      Stadionsprechers vernehmbar. Ich lasse mich von den letzten 
      Anfeuerungsrufen mitragen. Zum Schluss geht alles ganz schnell: Einlauf 
      ins Stadiongelände, noch 150 Meter auf der Tartanbahn, eine letzte Kurve, 
      der Zielbogen, das Ziel nach 78,5 Km.
 
 Ich laufe aus, atme tief durch, versuche zur Ruhe zu kommen. Erst jetzt 
      bemerke ich den Rummel auf der Sportgelände in seinem ganzen Ausmaß, die 
      vielen erschöpften und doch glücklich wirkenden Gesichter der Läufer mit 
      diesem speziellen tiefgründigen Lächeln. Nach Erhalt der Finishermedaille 
      und des speziellen K 78 Finishershirts strecke ich bei einem kühlen 
      Weißbier von Sponsor Erdinger meine Beine aus – und komme danach aus dem 
      Sitzen kaum mehr hoch. Keinen Meter hätte ich jetzt noch laufen können, 
      mehr als mühseliges Schleichen geht nicht. Sehr plötzlich zeigt mir mein 
      Körper, dass ich ihm wohl doch etwas arg viel zugemutet habe. Aber das 
      berührt mich im Moment nicht wirklich. 9 Stunden und 48 Minuten bin ich 
      unterwegs gewesen. Das ist im Gesamtfeld, in dem der Schnellste gerade mal 
      gute 6 Std. benötigt hat und Läufer bis 12:30 Std. von der Zeitmessung 
      noch erfasst wurden, ein solider Mittelplatz. Unter 10 Stunden zu bleiben 
      hatte ich mir zuvor als heimliches Ziel gesetzt und das habe ich 
      geschafft. Ein Abenteuer geht zu Ende – und noch im Nachhinein erscheint 
      mir bisweilen die Vorstellung als unwirklich, fast 80 Kilometer am Stück 
      durch die Schweizer Alpen gelaufen zu sein.
 
 
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