Sturmböen bis zu 115 km/h und meine schlechte
Tagesform konnten meine gute
Stimmung wegen der vielen gut gelaunten Zuschauern wenig trüben.
Am Schluss machte das neue Erlebnis "Lauf in den Orkan" sogar richtig
Spaß.
Zuerst plante ich für Frankfurt nach etlichen
Bergläufen einen Tempowettkampf, soll heißen ich wollte neue persönliche
Bestzeit laufen.
Als ich dann einige Wochen vorher spontan 2 Wochen nach dem Jungfrau
Marathon in Ammerndorf
mitlief, gelang es mir da sogar mit 3:34:47 unerwartet eine neue
persönliche
Bestzeit zu laufen. So war der "Druck" für Frankfurt raus.
Das war gut so, denn die Wetterprognosen verhießen nichts gutes. Es waren
Regen und schlimme Sturmböen angesagt.
So verlasse ich am Sonntagmorgen mit gemischten Gefühlen mein Haus und
steige ins Auto. Anfangs ist das Wetter noch ganz gut, aber bereits im
Spessart schüttet es aus Kübeln bei aufbrausendem Wind.
Gegen 9 Uhr erreiche ich das Parkhaus am Rebstock.
Als ich aussteige und dort nicht aufpasse, rumple ich mit dem Kopf voll
gegen ein Schild.
Nun habe ich an der Stirn eine regelrechte Beule. "Der heutige Tag fängt
gut an!", sage ich mir mit schmerzendem Schädel.
Ein Bus fährt uns zum Messegelände nahe des Startbereichs.
Ich hole in Halle 4 die Startunterlagen ab und habe danach noch etwas Zeit
mich zu erholen. Ich lese noch gemütlich einen Artikel in der
Laufzeitschrift
"Running", die in den Unterlagen zu finden ist.
Danach suche ich die schlecht ausgeschilderte Halle 1, wo man die Kleidung
abgeben kann. Die mangelnde Beschilderung der Veranstalter lässt etwas zu
Wünschen übrig. Dort treffe ich zufälliger Weise Kurt Rautinger mit seiner
Frau Judith, die heute ihr Marathondebüt abgeben möchte, was ihr mit einer
Zeit um 4:25 bei den widrigen Bedingungen auch vortrefflich gelingen wird.
Kaum habe ich mich von den beiden verabschiedet, läuft mir doch mein alter
Laufkollege Jochen Koehler in die Arme. Der Smalltalk wird kurz gehalten,
da wir schon bald zur Startrampe müssen.
Auch hier kann ich keine Wegweisung entdecken. Ich lande zuerst im Block
B. Aber ein Helfer kann mir dann den Weg zum Block A weisen. Dort ist gar
nicht viel los, obwohl es keine 10 Minuten mehr bis zum Startschuss sind.
Ich habe mir einen alten Pullover angezogen, den ich beim Startschuss
wegwerfen werde. So zittern nur die anderen vor Kälte, obwohl es heute an
sich recht warm ist. Nur der starke Wind kühlt.
Da so wenig los ist kann ich mich dieses Mal recht weit vorne einreihen.
Von den gemeldeten Personen haben sich anscheinend doch viele von den
Wetterprognosen
abschrecken lassen.
Nachdem die Rollstuhlfahrer gestartet sind, gibt uns der Ansager die Namen
der Spitzenläuferinnen und - Läufer durch, die wir mit Applaus quittieren.
Viele machen das wohl nur deshalb, damit es ihnen etwas wärmer wird.
Ich legen nun meinen alten Pullover ab und schon erfolgt der Startschuss.
Bereits nach ca. 40 Sekunden passiere ich die Startlinie. Diese Mal bin
ich so weit vorne, dass ich nicht wie
letztes Jahr von 5 Stunden - Läufern behindert werde.
Schon auf den ersten wenigen Hundert Metern blasen uns ordentliche Böen
aus allen Himmelsrichtungen entgegen.
So erwischt es auch gleich mein Cap, das ich nur mit Not und Mühe wieder
aus dem Gewimmel von Läufern herausfischen kann ohne über den Haufen
gelaufen zu werden.
Das bringt mich leider gleich aus dem Rhythmus.
Kilometer 1 passiere ich im Plan in 5:09. Aber irgendwie fühle ich mich
heute nicht gut.
Dafür sind überall erstaunlich viel Zuschauer da, die uns gut anfeuern.
Teilweise laufen wird dann auch durch so enge Gassen, dass fast ein Tour
de France Feeling aufkommt.
Immer wieder werden wir auch durch Musikbands, Musik aller Richtungen und
guten Trommlergruppen angefeuert.
Für Kilometer 2 und 3 brauche ich fast 11 Minuten. Was ist heute los?
Stimmen die Abstände nicht oder bin ich heute so schlecht drauf?
Für Kilometer 4 und 5 brauche ich dann nur 9:05. Bin ich so
ungleichmäßig?
Ich kann die Frage nicht beantworten, aber die Blase drückt bei Kilometer
5 so sehr, dass ich fast einen Minute aufgehalten werde. So brauche ich
für den 6. Kilometer fast 6 Minuten.
Hinter Kilometer 6 geht es nach einzigen etwas größeren Steigung bergab
und der Wind bläst günstig, So wird dieser Kilometer in 4:49 und der
Nachfolgekilometer sogar in 4:44 bewältigt.
Ich hoffe nun doch noch in den geplanten Fluss zu kommen. Aber da reißt
mir eine heftige Böe die Startnummer halb weg.
Ich hantiere während ich dabei vorsichtig weiterlaufe umständlich mit den
Sicherheitsnadeln herum und verliere dabei plötzlich meine Brille. Gott
Lob steigt kein Läufer hinter mir auf die Brille.
Aber sie ist nun leicht verkratzt und total verdreckt. Ich muss sie
stehend reinigen und verliere Zeit und was schlimmer ist total meinen
Rhythmus.
Neben der Böen kommt nun auch noch Regen auf und so sehe ich kaum was mit
der Brille. Ich setze wieder mein Cap in der Hoffnung auf, dass es mir
nicht gleich wieder vom Kopf geblasen wird. Das hält wenigstens etwas die
Regentropen von der Brille ab.
Als der Regen nachlässt nehme ich das Cap wieder ab bevor der Sturm
nachhilft.
Wir überqueren nun den Main. Wir haben Glück. Es ist gerade unter uns eine
fürchterlich qualmende Dampflok im Anmarsch. Kurz bevor sie unter uns
herfährt, sind wir schon oberhalb des Mains und ein Stück von den Schienen
daneben entfernt.
Nach diesen Vorfällen geht es nun doch ganz gut voran und für die ersten
12 Kilometer brauche ich exakt 1 Stunde und 50 Sekunden.
Aber die nächsten 20 Kilometer werden wir nun sehr häufig den Wind gegen
uns haben. Das macht sich im Verlauf auch zeitlich bemerkbar.
Mir passt neben dem Wind auch das warme Wetter bei Temperaturen bis etwa
18 Grad nicht besonders.
Gut, dass ich mir heute das K78
- Finisher - T-Shirt angezogen habe und so komme ich im weiteren Verlauf
mit
etlichen Läufern ins Gespräch, die mich deswegen ansprechen. Einer sagt:
"Das ist doch heute nur was zum Warmlaufen für Dich!". Ich denke mir:
"Der wenn wüsste, wie mies ich mich heute fühle". Aber es lenkt ab.
So passiere ich den Halbmarathon für die heutigen Bedingungen noch in
einer passablen Zeit von ziemlich exakt 1:48:00.
Kurz dahinter unterhalte ich mich ziemlich lange mit einem Studenten über
alle möglichen Marathonveranstaltungen. So abgelenkt vergeht die Zeit im
Nu.
Kurz danach sehen wir, wie ein schwarzer und ranker Läufer, wohl einer der
Spitzen-Kenianer, in einen Krankenwagen eingeladen wird. Was wohl da
Tragisches passiert ist?
Wir hören nun sehr oft Sirenen von Krankenwagen. Immer wieder kommt uns
auch einer entgegen geschossen. Im Lauf der Zeit sehen wir auch immer
häufiger Feuerwehrautos, die anscheinend wegen Sturmschäden ausrücken
müssen.
Bei Kilometer 26 müssen wir wieder den Main überqueren. der Anstieg auf
die Brücke hoch macht mir Spaß und ich kann dabei viele Mitstreiter
überholen.
Angenehm ist auf der Brück dass uns nun der Wind in den Rücken bläst.
Hinter Kilometer 28 kommt einer der Höhepunkte der Strecke. Wir laufen nun
durch Höchst, wo viele Zuschauer versammelt sind und wir durch enge Gassen
laufend ordentlich angefeuert werden. Ich riskiere etwas Kraftvergeudung
indem
ich eine Freudenschrei loslasse. Das kommt gut an und die Zuschauer jubeln
zurück. Sie rufen "Thomas! Thomas!". Sie kennen meinen Namen, da unser
Vornamen auf der Startnummer steht.
Auf den folgenden Kilometern kommt nun die Sonne raus und wir haben den
Wind häufig im Rücken.
Insgesamt ist es mir aber mal wieder viel zu warm. Ich trinke zwar viel,
aber irgendwie komme ich heute mit dem Trinken nicht nach, da ich
anscheinend durch den heftigen Wind viel Flüssigkeit verliere.
Der Sturm bläst nun immer brutaler. Da ich ihn nun meist in Rücken habe
bin ich recht froh. Nur kommen die Böen immer so unregelmäßig, dass ich in
keinem vernünftigen Rhythmus komme.
Ab Kilometer 35 bekomme ich leider Probleme mit meiner linken Wade. Ich
stehe nahe vor einem Wadenkrampf oder ähnlichem. So ein doofes Gefühl an
der Wade
hatte ich jedenfalls noch nie. Ich muss wohl mit der Flüssigkeitsaufnahme
nicht nachgekommen sein. Ich dehne daher mein linkes Bein um schlimmeres
zu vermeiden.
Da es heute um keine tolle Zeit mehr geht, schalte ich einen Gang runter
und jogge dann mit Puls 135 / 140 die restliche 7 Kilometer durch.
Wir laufen schon seit Kilometern an der Baumallee der Mainzer Landstraße
entlang. Wegen der heftigen Böen schau ich immer wieder mal kritisch empor
und versuche mich so weit möglich von den Bäumen und evt. runter
fliegender Äste
fern zu halten.
Spaßig dagegen ist es an den Verpflegungsstellen, wie die leeren Becher
vom
Orkan aufgewirbelt förmlich vor uns herfliegen.
Das und die vielen zähen Zuschauer, die sich zäh durchhaltend, nicht vor
diesen Sturmböen "davon blasen" lassen, macht mir viel Spaß.
Wäre ich heute nur physisch nicht so schlecht drauf, würde ich zu den
Sturmböen im Rücken singen "Gib Gas ich will Spaß".
Nun geht es zurück ins Zentrum, wo uns Bands aufspielen so weit das bei
solchen Bedingungen noch geht und uns unerschütterliche Zuschauer
zujubeln.
Der Hammer kommt nach der Wende. Nun haben wir die letzten 2 Kilometer
noch mal den Sturm gegen uns. Es blasen uns Orkanböen mit über 100 km/h
entgegen
(Spitzen laut Wetterbericht 115 km/h).
Wir kämpfen gegen eine Wand und kommen kaum dagegen an. Teilweise komme
ich fast nicht mehr vom Fleck. Aber da es ja nicht mehr so weit bis zum
Ziel ist, kommt unverhohlen ein Spaßgefühl auf. Ich komme mit einem sonst
so wenig
spürbaren Element heute so toll in Fühlung, wie es sonst nur die Leute an
der See kennen.
Endlich macht die Strecke eine Rechtskurve und so haben wir den Orkan nur
noch seitlich gegen uns. Ein gerades Laufen ist aber fast nicht möglich
wenn man von einer Orkanböe erfasst wird und dabei halb umgeblasen wird.
Aber das kümmert uns wenig, da wir bereits in der Ferne das Ziel vor Augen
haben.
Nach 42195 m ist das doch immer wieder so was wie eine Erlösung. Auf den
letzen
50 Metern mache ich noch einen Schlussspurt, da sich das einfach gehört
und
passiere bei meinem 4. Marathon innerhalb von 7 Wochen die Ziellinie in
3:53, fast exakt 13 Minuten langsamer als im Vorjahr.
Wir empfangen nun Plastikplanen zum Überhängen, damit wir nicht auskühlen.
Aber wie stellt man so was bei solchen Orkanböen an, die gerade wieder
über uns hinwegfegen?
Ich will mich zur Medaillenausgabe durchkämpfen, komme aber nicht mehr von
der Stelle. Ich kehre dem Orkan den Rücken zu, lehne mich voll gegen ihn
und gucke mir belustigt die anderen an, die versuchen mir entgegen
zukommen. Schade,
dass ich heute keinen Fotoapparat dabei habe. Das wären Preis reife Bilder
geworden.
Endlich lassen die Sturmböen etwas nach und wir können uns die verdiente
Medaille umhängen lassen.
Im sehr gut bestückten Verpflegungsbereich decken wir uns so richtig nach
Lust und Laune mit Verpflegung ein.
Gar mancher scheint das aber mit einem Selbstbedienungsladen zu
verwechseln. Na ja einige sind nun für diese Woche mit Verpflegung
eingedeckt.
Ich hoffe nur, dass die "5:30-Läufer" auch noch was vom "reich gedeckten
Tisch" mitbekamen.
Leider überrascht uns da noch einmal so ein richtig heftiger Schauer mit
neuen Böen. Als das vorbei ist, tut mir die warme Suppe, die hier gereicht
wird
so richtig gut.
Ich bin froh dass ich an diesem stürmischen Abend nach einer über 200 km
langen Fahrt heil wieder nach Hause komme. Die Staus u.a. wegen einem
umgestürzten Baum sind Gott sei Dank auf der anderen Fahrtrichtung der
Autobahn.
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