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Perlschnur von Läufern auf der Moräne des Eigergletschers

laufspass.com -  Jungfrau Marathon am 11.9.2004 - Bericht von Thomas Schmidtkonz

Als wir auszogen das Goldene Vlies der Bergläufe zu finden und von Wettertrommeln und mehr

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Jungfrau Marathon am 11.9.2004 - Bericht von Thomas Schmidtkonz

Inhalt

Prolog Sommer 1897 Spätsommer 2004 - Prolog zum Marathon Der große Tag Interlaken
Widerswil  Zweilütschinen Lauterbrunnen Die Wand
Wengen Auf dem Weg zur Skistation Wixi Die beiden Moränen Das Ziel
Epilog Spätsommer 2004 Epilog Frühjahr 1898    
Der Bild - Bericht Infos

Prolog - Sommer 1897

Es war  Sommer 1897 als Unruhe in der Familie Tarwater entstand. Großvater Tarwater war nach einem Jahrzehnt der Unterjochung wieder einmal ausgebrochen. Diesmal war es das Klondikefieber ...

... durch die dunkle Schlucht nach dem Scheidekamm, vorbei an überhängenden, stets drohenden Gletschern, vom Eis polierten Hänge den Felsen hinauf, wo die Träger mit Händen und Füßen klettern mussten, sorgte der alte Tarwater für das Essen, schleppte und sang. Der erste Herbsturm wehte ihn über den Chilkootpass, jenseits der Baumgrenze. Leute hörten aus dem dichten Schneegestöber oben eine gespensterhafte Stimme singen:

"Wie vor alters zog die Argo,
Kann uns keiner heut verwehren,
Auszuziehen, tum-tum-tum,
Um das Goldne Vlies zu scheren" ...

Aus "Wie vor alters zog die Argo" von Jack London

Perlschnur von Goldsuchern am Fuß des Chilkoot Pass, Alaska, 1897
und
Perlschnur von Läufern am Jungfrau Marathon 2004

Spätsommer 2004 - Prolog zum Marathon

Jedes Jahr löst der Jungfrau Marathon so wie Anno 1897 der Goldrausch am Klondike ein epidemieartiges Fieber nicht nur unter den Bergmarathonläufern sondern auch Flachländlern aus. Und das obwohl man sich schon fast ein Jahr zuvor anmelden muss und nur mit einer Portion Glück bei der Verlosung der Plätze einen Startplatz erhält.
Meine Schwester Petra und ich gehören zu diesen Glücklichen.
So reisen wir zusammen mit meiner Frau Gaby, die uns coachen wird, am Tag zuvor an.

In Interlaken angekommen holen wir zuerst im mondänen Kursaal von Interlaken unsere Startunterlagen ab. Da wir früh dran sind, geht das sehr schnell über die Bühne.

 

Springbrunnen im Kurpark

Gaby will uns und die anderen Läufer anfeuern. Aber vom vielen Klatschen könnten die Hände weh tun.
Also brauchen wir was, das Lärm macht. Zuerst denken wir an Kuhglocken. So stürmen wir einen Souvenirladen nach dem anderen. Aber die Kuhglocken und -glöckchen sind entweder zu klein, zu schwer, zu teuer oder stören das Wohlempfinden unserer Ohren.
Schon ganz und gar verzweifelt entdecken wir schließlich eine  versteckt abgelegenen Seitengasse jenseits der großen Interlakener Einkaufspromenade, die so sehr auf  Japaner und andere Touristen ausgerichtet ist.

In dieser versteckten Gasse entdecken wir einen mystischen Esoterikshop. Gespannt treten wir ein und zwischen Drachen- und Zauberbüchern finden wir dann schließlich, was wir suchen. Es ist eine Drehtrommel die im Verhältnis zur ihrer Größe und Leichtigkeit einen unheimlichen Lärm macht. Als Zugabe soll man mit ihr die Götter beschwören können. Wir entscheiden uns bei der labilen Wetterlage für die Beschwörung des Sonnengottes. Gaby will damit morgen gleich nach dem Startschuss beginnen.

Indische Drehtrommel zum Beschwören von allerlei Götzen und Göttern

Zuerst setzen wir uns aber in ein belebtes Straßencafe direkt am Kurpark.
Plötzlich stürmt ein Läufer, der auch gerade seine Startunterlagen geholt hat, zu unserem Tisch. Es stellt sich heraus, dass es ein Läufer ist, den ich beim Graubünden Marathon kennen gelernt habe. :-) Ja da die Läuferwelt ist klein!

Während wir uns an Erfrischungsgetränken laben, rennen die kleinen Mädels und Jungs des Jungfrau Miniruns um die Wette:

 

Schließlich gehen wir in unser Hotel zurück, wo wir zu den üblichen Schweizer "Horrorpreisen" speisen wollen.
Während Petra und ich ein möglichst läufergerechtes Abendmahl auswählen, schlemmert unser Coach Gaby uns was vor ...

Der große Tag

Nachts rumoren die Trolle und Berghexen und es gewittert und stürmt gewaltig. Wird unsere Wettertrommel gegen so viel Ungemach ankommen?

Während die ersten Läufer in unserem Hotel Stella bereits morgens um halb sechs ihr müsli- und kohlehydrathaltiges Frühstück einnehmen können, warten wir bis 7 Uhr bevor wir in den Frühstückssaal einfallen.

Lauthals verkünde ich, dass ich in Anbetracht des großen Ereignisses nur leichte Läuferkost zu mir nehmen will. Petra ist trotzdem entsetzt, was ich kurz vor einem Bergmarathon noch so alles "verputzen" kann. Aber gerade der Gruyere mundet geradezu vorzüglich ...

 

Frisch gestärkt marschieren wir nun die wenigen Hundert Meter vom Hotel zum Startbereich, wo wir unser Gepäck abgeben wollen. Als wir uns in die Schlange vor dem Gepäckwagen einreihen wollen, werden wir von einem heftigen Regenguss übel überrascht. Das fängt ja gut an!

Petra kriegt die Panik, weil Ihre Jacke nicht regendicht ist. Also heißt es schnell Gepäck abgeben und noch mal zum Hotel zurück laufen um eine wasserdichte Jacke zu holen. Wir nutzen die Gelegenheit um uns auf dem Weg zum Hotel  dabei etwas warm zu laufen.

Gaby will derweil mit der Trommel beginnen den Sonnengott zu beschwören. Und siehe da, als wir zum Startplatz zurück kehren hört es wenigstens auf zu regnen.

Meine Schwester Petra und ich lassen uns vor dem Start von meiner Frau Gaby fotografieren

Interlaken 566 m über NN

In der Tat, der Himmel scheint sich schon etwas aufzulockern. Nur das Tal der Lütschine, wo wir später hineinlaufen, ist noch von einer kompakten Nebelbank gänzlich verdeckt.

Nach der obligatorischen Vorstellung der Läuferelite und Prominenz erfolgt der Startschuss mit ohrenbetäubenden Kanonensalven.
Ich habe deren Zahl nicht gezählt, bin aber froh, dass es nun los geht. In der Tat setzt sich der Lindwurm von etwa 4000 Läuferinnen und Läufer mehr oder weniger stockend in Bewegung. Etwa drei Minuten später überqueren auch wir die Startlinie. Wir begeben uns erst einmal auf die 3 Kilometer lange Schleife durch Interlaken, bevor wir am Startplatz noch einmal vorbei kommen.

Der Startschuss ist gefallen

Im flotten Tempo von etwa 11 km/h laufen wir durch breite Zuschauergassen und an diversen "Guggenmusikbands" vorbei. Da kommt ja schon von Anfang an Stimmung auf!

Dann geht es erst einmal nach Bönigen hinaus, wo wir hinter Kilometer 5 kurz den Brienzer See streifen.
Von nun an werden wir die nächsten 15 Kilometer immer parallel zum Fluss Lütschine bis nach Lauterbrunnen laufen.

Aber zuerst werden wir bei Kilometer 7 von einem Streckensprecher mit der Lautsprecherdurchsage demotiviert, dass die Eliteläufer schon bei Kilometer 13 sind.
Soll das heißen, "Mensch Ihr Weicheier reißt Euch am Riemen und nimmt Euch ein Beispiel an Eticha und Co"?

Widerswil 585 m über NN und Gsteigwiler 647 m über NN

Nach 10 flachen Kilometern laufen wir in den schönen kleinen Ort Widerswil ein. Dort fassen wir frische Verpflegung und Petra und ich sind sehr darüber erfreut, dass es bereits schon hier Cola gibt.

Es folgt kein Colarausch, sondern in Widerwil ist richtig was los. Wir laufen berauscht von der Anfeuerung der Zuschauermassen mit "Gänsehautgefühl" über eine hübsche überdachte Holzbrücke. Diese gefällt mir sogar besser als die überdachte Holzbrücke ein paar Kilometer zuvor.

Dahinter lauert der erste längere Anstieg auf uns. Da er aber nicht allzu steil ist und wir ihn im gemächlichen Trab angehen, kann er uns nicht übermäßig viel Schrecken einjagen.

Im nächsten Ort Gsteigwiler ist wieder der Bär los. Zuschauer, Musikbands, Kuhglockengeläute etc., etc. , also alles was ein Läuferherz so begehrt ...

Immer wieder bin ich auf der Strecke überrascht wie stoisch und tapfer so mancher wohl Stunden lang zum Teil riesige und sehr, sehr schwere Kuhglocken läutet. Das ist auch ein Marathon, wenn gleich anderer Art, auch wenn man in der Schweiz vielleicht so was schon von Kindesbeinen an exerziert.
Der Lärm dieser Monsterglocken ist teilweise so ohrenbetäubend, dass viele Läufer mit empfindlichem Gehör einen Zahn zulegen und :-) so soll es ja auch sein ...

Am Ortsausgang wird uns dann ganz und gar militärisch der Marsch getrommelt. Im Gleichschritt Marsch - äh Lauf - lassen wir Gsteigwiler hinter uns liegen.

Zweilütschinen 652  m über NN

Es führt uns nun ein schöner Wanderweg im gewellten Kurs parallel zu Bahnlinie und Fluss zum Bahnhof Zweilütschinen, wo Gaby uns mit ihrer Wettertrommel fleißig anfeuert. Und in der Tat das Wetter ist schon viel besser geworden. Die Wolkendecke scheint langsam aufbrechen zu wollen ...

Als wir kurz dahinter die Bahnlinie überqueren wollen, kommt gerade ein Zug an und zwingt uns anzuhalten. OK - eine unverhoffte Laufpause!
Wir winken den Zuggästen zu und sie winken freudig zurück.

Endlich ist der Weg frei und wir passieren nun die traditionelle Sumpfwiese hinter dem Bahnhof. Da es aber in den Tagen zuvor doch recht trocken war, wurde der Sumpfwiese ihr Schrecken genommen und die Moorgeister haben sich feuchtere Wiesen gesucht.

Neben uns rauscht nun die Lütschine wie ein Wildbach während wir durch ein schönes aber auch enges Tal kontinuierlich bergauf laufen. Je näher wir der Lütschine kommen desto kälter wird es, da sie eiskaltes Gletscherwasser mit sich führt.

Wieder einmal überqueren wir die Lütschine auf einer nun doch recht schmalen Holzbrücke. Durch die vielen Läufer kommt sie gefährlich ins Schwingen und Schwanken. Wir sind glücklich als wir wieder festen Boden unter den Füßen erreichen.

Lauterbrunnen 810 m über NN

Schließlich verlassen wir dieses beschauliche Tal. Es geht nun nach Lauterbrunnen hoch. Am Streckenrand gesellen sich nun immer mehr Zuschauer. Bald  sind es regelrechte Zuschauermassen.
Obwohl es nun doch etwas heftiger bergauf geht, heißt es trotzdem fürs Publikum ein freundliches Gesicht zu machen. Wir ihnen das schuldig - zumindest denen, die sich nicht insgeheim am Leid der Läufer erfreuen und sich ins Fäustchen lachen, dass sie sich "so was nicht antun".
An der Menge also Quantität der Publikums herrscht kein Mangel, aber heute mangelt es mal ausnahmsweise hier etwas an der Qualität. Was ist hier los? Man wird ja gar nicht angefeuert!

In Lauterbrunnen

Ich mach ein paar Freudensprünge und versuche es sogar mit Hopserlauf und weiteren Kaspereien.
Aber alle Anstrengungen sind hier leider für die Katz. Bevor mir noch die Zunge aus dem Hals bis zum Boden heraushängt, stelle ich diese Kräfte zehrenden Showeinlagen ein. Stattdessen erfreue ich mich an der 20 Kilometermarke, die Petra und ich nach 1:59:59 passieren. :-) Ja das nennt man Timing!

Aber schon wieder eine Durchsage, wo die eilige Elite ist. Ich hör gar nicht mehr zu. Aber klar oberhalb von Wengen sind die sicher schon ... Keiner hat mehr Zeit und die rasen ja so, dass sie gar nichts von der Strecke haben. :-) Das war jetzt wenigstens ein Kontra oder?

Runde um Lauterbrunnen

Bei der Halbmarathonmarke erheben sich nun rechts von uns steile Felswände, wo ein herrlicher Staubwasserfall zu Tal fällt. Links ist der Campingplatz, wo der Start des Schilthorn Infernolaufes groß angekündigt wird. Den Schilthornlauf möchte ich auch mal machen!

Wir laufen noch ein kleines Stück talaufwärts, bevor der Weg auf der anderen Talseite wieder Richtung Lauterbrunnen wendet. Da höre ich plötzlich einen mir bislang unbekannten Läufer neben mir rufen: "Mensch bist Du nicht der Thomas vom Internet?"
Ich bejahe die Frage und so kommen wir gut ins Gespräch und tauschen unsere Lauferlebnisse aus.
Sein nur leichter Schweizerdialekt mit etwas eigenartigen Akzent verdutzt mich etwas und so frage ich ihn woher er kommt. Es stellt sich heraus, dass er geborener Engländer ist, der nun schon lange in der Schweiz lebt.

Trotz des anregenden Gesprächs passiere ich wieder einmal Kilometermarke 24 als meinen traditionell schnellsten Streckenkilometer. Mit 4 Minuten und 58 Sekunden bleibe ich sogar knapp unter 5 Minuten. Bei solchen "Traumzeiten" wird es auf den restlichen Kilometern nicht bleiben, da ab Kilometer 25,5 "Die Wand" oder auch "The Wall" auf uns lauert.

Die Wand - von 795 m über NN auf 1200 m über NN auf einer Strecke von etwa 2 Kilometern

Der Plan

"Die Wand" trennt beim Jungfraumarathon das "Spreu vom Weizen". Zwei Mal hatte ich mit ihr meine Probleme und so viele andere liefen bei ihr sogar schon ins offene Messer.
Vor dem dritten Mal hatte ich mir aber endlich meine Gedanken gemacht und kam zu folgenden Schluss.
Man läuft über 25 Kilometer auf einer relativ flachen Strecke. Der Körper gewöhnt sich während des Laufes gut an die Situation. Trifft man nun auf die Wand, hat er kaum Zeit sich an diese neue Situation anzupassen und schon fängt er massiv zu "meckern" an.
Also was tun? Am besten die ersten 5 Minuten in der Wand ganz besonders langsam hoch marschieren und sich vom Rest der Läufer und schnellen Geher nicht beeindrucken lassen. So weit mein Plan.

The Wall

Die Umsetzung des Plans

Petra und ich fassen erst einmal in Ruhe Verpflegung vor dem großen Anstieg und joggen die ersten paar Meter noch langsam, als es noch relativ flach ansteigt.
Als es dann sehr steil wird, beginnen wir zu marschieren. Aber Petra will so wie ich in den Vorjahren im Stechschritt los marschieren. Ich "pfeife" sie sofort zurück. Es tut ihr sichtlich weh nun alle Mitstreiter an uns vorbeiziehen zu sehen, zumal wir vorher unterwegs ständig Leute überholt haben.
Ich beruhige sie, dass wir ja wenn wir uns gut fühlen das Tempo wieder so allmählich anziehen lassen können.
So lassen wir unseren Körper erst einmal Zeit sich der neuen Situation anzupassen. Diese Taktik trägt bald ihre Früchte. Schon müssen die ersten Mitstreiter ihr Tempo abreißen lassen und so wie ich im Vorjahr auch mal stehen bleiben und kräftig durchatmen. Und oh Wunder als wir ohne Probleme unser Tempo steigern können, ziehen wir reihenweise an unseren Mitstreitern vorbei. Zu ihren Entsetzen sind wir dazu noch fröhlich und scherzen miteinander. :-) Also so macht mir die Wand Spaß!
Und erstmals stimme ich an:

"Wie vor alters zog die Argo,
Kann uns keiner heut verwehren,
Auszuziehen, tum-tum-tum,
Um das Goldne Vlies zu scheren" ...

KM 27 passieren wir in 14 Minuten um fast 2 Minuten schneller als im Vorjahr und Kilometer 28 ist mit 12 Minuten für unseren Zeitplan nicht minder schlecht.
Als der Weg dann bei Kilometer 29 wieder flacher wird und es im gewellten Kurs zum Teil sogar bergab geht bleiben wir sogar unter 7 Minuten.
Im Geschwindigkeitsrausch laufen wir in Wengen ein ...

Wengen 1284 m über NN

Wengen oberhalb der Wand ist sicher immer ein Höhepunkt des Jungfrau Marathons. Auch dieses Jahr wimmelt es von Zuschauern. Die Straße ist wie bei einem Volksfest geschmückt und über uns flattern so allerlei Fähnchen. Es wird Musik gemacht und links und rechts haben unsere Fans eine schmale Zuschauergasse gebildet. Das ist ja wie beim Hamburg Marathon in Eppendorf, wie in Berlin am Wilden Eber oder auf dem Weg zur Alp d'Huez bei der Tour de France!

Außerdem hat der Sonnengott bzw. bei den Nichtheiden Petrus uns erhört. Gaby hat ja auch fleißig ihre Wettertrommel gerührt.

Am Ortsausgang steht dann auch Gaby und reicht mir den Fotoapparat, da ich auf den letzten besonders schönen Kilometern einige Fotos schießen möchte.

Menschenauflauf in Wengen

Auf dem Weg zur Skistation Wixi 1830 m über NN

Wir sind nun schon fast in einer Höhe von 1300 m. Auf den letzten 10 km müssen wir noch einmal knapp 1000 Höhenmeter überwinden. Immer noch nicht einmal die Hälfte der Höhenmeter geschafft!
Aber es geht jetzt erst einmal noch einmal bergab, bevor mit Kilometer 33 wieder ein harter Kilometer folgt, der uns 13 Minuten aufhält. Dabei brennt nun eine gnadenlose Sonne in dieser offenen Almlandschaft herunter. Wäre nicht alles so grün, könnten wir auch in der Wüste sein ...

Oh wir Schlimmen! Erst haben wir die güldene Sonne herbei gerufen und nun sind wir schon wieder unzufrieden! Sollte diese leidige deutsche Wesensart der letzten Zeit auch zu sehr auf uns abgefärbt haben?

Allerdings werden wir durch die ersten dramatischen Ausblicke auf das immer näher rückende Jungfraumassiv voll entschädigt. Das sieht bei Sonnenschein schon ganz anders aus, als bei Regenguss wie letztes Jahr.

Diese Bergriesen in einer heroischen Landschaft spenden uns nicht minder heroischen Läuferinnen und Läufer irgendwie eine unbeschreibliche Kraft. Vielleicht ertragen wir nur deshalb diese Strapazen so leicht?

Das Jungfraumassiv im Visier.

Endlich kommt ein bewaldeter Abschnitt. Wir genießen jedes Fleckchen Schatten und freuen uns über jede kühlende Brise. Wir leben wieder auf und als der Weg sich wieder öffnet, tut sich ein dramatischer Blick auf das imposante Jungfraumassiv auf.

Wir laufen nun einen schönen und gemäßigt ansteigenden Fahrweg hinauf. Der eingefleischte Bergläufer würde "Läuferautobahn" dazu sagen. Trotzdem werden beim nächsten Sanitätszelt etliche Läufer medizinisch versorgt oder mit Massagen wieder hoch gepeppelt. Also ganz so einfach ist das ganze doch wieder nicht!

Läufermenü ala Suisse Montagne

Zur Skistation Wixi geht es mal ein kleines Stück bergab. Wir legen einen kleinen Spurt hin, weil wir uns dort wieder am Läuferbüffet laben können:
Als Vorspeise drücke ich mir das zähflüssige Power Gel in den Mund. Da es schon das 7. oder 8. auf diesem Marathon ist, hält sich der kulinarische Genuss wahrlich in Grenzen. Ich spüle es mit einem Becher klaren Quellwasser hinunter.
Als feste Nahrung wähle ich ein kleines Stück Banane. Die rutscht mit etwas lauwarmer Bouillon besser den Hals runter.
Das von mir dazu geliebte Weißbrot denke ich mir, da schlicht und einfach keins gereicht wird.
Da der harte Endanstieg droht, wähle ich als Dessert zum Aufputschen einen Becher Cola, den ich etwas mit Wasser verdünne. Sorbet oder ähnliche Leckereien überlassen wir meiner Phantasie. :-) Bon Appetit!

Obwohl dieses "Bergrestaurant" noch keinen Michelinstern bekommen hat, fühle ich mich nun fit für die beiden Moränen.

Die beiden Moränen bis auf 2205 m über NN

Endlich verlassen wir die Läuferautobahn und wir reihen uns in die Läuferschlange auf dem schmalen Bergpfad der unteren Moräne ein.

Das Überholen auf dieser engen Läufer - Passstraße fällt schwer, da kaum eine Möglichkeit dazu besteht. Es sei denn man möchte riskante Überholmanöver in der Botanik oder am Rand eines tiefen Abgrundes machen.

Immer wieder bilden sich Staus wie an einem Ferienwochenende und so habe ich Zeit mich etwas zu erholen, die herrliche Berglandschaft zu genießen, Fotos zu schießen, die endlose Perlschnur von Läufern vor uns zu bewundern und wieder die Bilder von 1897 am Chilkoot Pass wach zu rufen.
Zum Grausen der etwas musikalischeren Läufer stimme ich an:

"Wie vor alters zog die Argo,
Kann uns keiner heut verwehren,
Auszuziehen, tum-tum-tum,
Um das Goldne Vlies zu scheren" ...

Die untere Moräne

Blick von der Moräne auf Eigergletscher

War Petra bislang recht verhalten gelaufen, will sie nun zum Abschluss Tempo machen. Wir setzen nun immer wieder zu riskanten Überholmanövern in der Botanik oder bei Wegabkürzungen an und hetzen an etlichen Mitstreitern vorbei.

Einmal rutsche ich fast einen Abgrund hinunter. Aber trotz alledem es gibt hier keine Gnade für die Bergläuferwade.

Da ich zwischendurch auch noch Fotos mache und so immer wieder den Anschluss zu Petra verliere und dann den Abstand wieder gut machen muss, wird das ja noch richtig anstrengend. Zu guter letzt verliere ich auch noch ein Fläschchen aus meinem Trinkgurt und so muss ich wieder einige Meter den Berg hinunterlaufen ...

Wie gut, dass wir auf halber Höhe zwischen den beiden Moränen eine kleine Flachstelle erreichen, wo uns Alphornbläser ein Ständchen aufspielen und wir zu diesem schönen Konzert auch wieder Verpflegung fassen können.

Dadurch gestärkt gehen wir die obere Moräne an. Petra und ich bewundern und genießen den dramatischen Ausblick auf das Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau in vollen Zügen.
Gar manch anderer fühlt sich hier nicht mehr so fit. Aber wir sind es ja insgesamt verhalten angegangen und so haben wir noch genügend Kraft so was herrliches auch zu genießen.

Ich maule, dass wir nicht die ganze obere Moräne hoch laufen dürfen, da die Streckenführung ein gutes Stück zuvor abweicht. Deswegen werde ich beinahe von einigen Mitstreitern öffentlich gelyncht!
Na ja ein wenig habe ich jetzt schon übertrieben, aber eine paar böse Blicke habe ich dennoch geerntet.

Die obere Moräne

Am Ende der Moräne und damit dem höchsten Punkt der Strecke wartet zwar nicht das Goldene Vlies auf uns. Aber dafür spielt uns der traditionelle Dudelsackpfeifer schottische Weisen auf.

Kurz vor dieser Stelle zeigt ein Läufer weniger gute Tischmanieren, als er sich mit Schwung wenigstens nicht in Richtung Läufer sondern in Richtung Eigergletscher übergibt. Na ja so was kann bei solchen Anstrengungen halt leider immer wieder mal passieren. Mir tut er leid, dass ihm solch Unbill so knapp vor dem Ziel passieren muss.

Ich werfe aber lieber einen Blick auf den Dudelsackpfeifer, da ich letztes Jahr auf seinen Anblick verzichten musste. Er hatte sich wegen dem schlechten Wetter verzogen. Wie schlecht das Wetter letztes Jahr ohne Wettertrommel gewesen ist, zeigt ja schließlich der Umstand, dass Schotten vom Wetter her einiges vertragen können.
Na ja unser Schotte stammt nicht aus dem Schottischen Hochland sondern dem Berner Oberland, wie ich später erfahre, aber schön ist das Wetter schon heute ...
Ich mache von diesen Berner Schotten im Schweizer Hochland ein großes Foto. Später stelle ich zu meinem Ärger fest, dass die Kamera den Fotoschuss nicht auslöste. War also ein Satz mit X.
Na egal wir sind jedenfalls froh, dass es nun bergab geht und legen einen Zahn zu.

Das Ziel 2100 m über NN

"Nun zog Jason das goldene Vlies von der Eiche, während das Mädchen Medea fortwährend den Kopf des Drachens mit Zauberöl besprengte"
Aus der Sage "Die Argonauten"

Wir besprengen bei der heutigen Hitze unser Haupt nicht mit Öl sondern klarem Quellnass. Aber die letzte Trinkstelle lassen wir jetzt rechts bei KM 40,8 liegen.

Zum Folgegrat bei KM 41 geht es noch einmal ein Stück hoch. Aber auch dieser Anstieg ist bald überwunden.  Oben geht es 1-2 Meter steil einen Fels bergab. Die Zuschauer stützen uns an dieser gefährlichen Passage.
Das macht Spaß und schon rasen Petra und ich den Weg halsbrecherisch bergab Richtung Ziel.

Da ich etwas zu schnell bin, muss ich kurz vor dem Ziel 2-3 Sekunden auf Petra warten. Wir greifen uns an den Händen und überqueren gemeinsam mit hoch erhobenen Händen im Schlussspurt hoch glücklich nach 5 Stunden und 35 Minuten das Ziel.

Mit stolzer Brust lassen wir uns die Finsher - Medaille umhängen als sei es der Orden vom Goldenen Vlies.

Im Zielbereich erwartet uns auch schon unser Coach  und Sonnenmacher Gaby. Freudig tauschen wir unsere Erlebnisse aus.

Im Ziel

Epilog Spätsommer 2004

Gepäck geholt, Finisher T-Shirt geholt, Verpflegung geholt und in Erinnerungen an diesen herrlichen Lauf geschwelgt. Schon ist wieder alles vorbei:

"Wie vor alters zogen wir dem Himmel entgegen,
Das konnte uns heut keiner verwehren,
Auszuziehen, Eiger-Mönch-Jungfrau,
Um das Goldne Vlies zu scheren" ...

Nach einer zweistündigen Rückfahrt mit der Jungfraubahn - dieses Mal über Grindelwald - wird uns im Hotel Stella zum gelungenen Jungfrau - Marathon - Finish gratuliert.
Petra und ich kriegen vom Hotelinhaber persönlich eine große Stange Toblerone überreicht.
:-) Eine fürwahr nette Geste!

Epilog Frühjahr 1898

... als aber die Sonne stieg und die Tage wärmer wurden, starrte er oft nach dem Bach und nach der deutlichen Terrassenform in halber Höhe des Berges hinüber ... Wo der Boden geschmolzen war legte er sich nieder, nahm eine Handvoll Moos und zerrte die Wurzeln auseinander. Die Sonne schien auf matt schimmerndes Gold. Er schüttelte das Moos und derbe Klumpen wie Kies fielen auf die Erde. Es war das Goldene Vlies, zum Scheren bereit ...

Aus "Wie vor alters zog die Argo" von Jack London

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