Mit High Speed in den Frühling - der Zürich Marathon 2007
Marathonlaufen in der Schweiz – da denkt so mancher zunächst einmal
an die berühmten Bergläufe wie etwa den
Jungfrau-Marathon oder den
Swiss Alpine. Trotz der
vielen Berge gibt es aber auch eine ganze Reihe „normaler“ City-Läufe.
Und unter diesen ist seit seinem Bestehen der Zürich-Marathon
unbestritten die Schweizer Nummer eins. Er zählt, gemessen an der
Teilnehmerzahl, zwar nicht zu den ganz Großen in der europäischen
Marathonliga. Aber einen besonderen Ruf hat der Marathon in Zürich aus
anderem Grunde: Die Strecke gilt als eine der schnellsten des
Kontinents.
2007 gab es ein kleines Laufjubiläum zu feiern – zum fünften Mal stand
der teilnehmerstärkste Marathon der Schweiz vor der Austragung. Um den
ohnehin flachen (gerade mal 30 Höhenmeter) und auch bisher schon recht
kurvenarmen Kurs speziell für den Schweizer Laufheros
Viktor Röthlin
– immerhin der aktuell beste Marathonläufer im gesamten
deutschsprachigen Raum - noch ein wenig schneller zu gestalten, wurde
die Strecke im Innenstadtbereich um einige weitere Biegungen entschärft.
Und tatsächlich: Mit 2:08:19 enteilte Röthlin der ostafrikanischen
Konkurrenz und stellte einen neuen Schweizer Rekord auf.
Für die Masse der übrigen Läufer, knapp 5000 in diesem Jahr, war dies
wohl eher ein Nebenaspekt. Sie durften sich – nach Dauerregen im Vorjahr
- am 01.04.2007 über herrliches Frühlingswetter und die Aussicht freuen,
bei diesen Bedingungen Jagd auf ihre persönliche Bestzeit zu machen.
Auch wenn der Zürich-Marathon der Gruppe der „City-Marathons“
zugerechnet wird, so gibt es wohl kaum einen Großstadtlauf, bei dem
diese Einordnung so wenig passt. Denn weit über 30 km der Strecke führen
außerhalb der eigentlichen Stadt am Zürichsee entlang. Dass die Stadt
nicht stärker eingebunden ist, liegt insbesondere an den Stadtvätern,
die die Beeinträchtigungen durch den Lauf so gering wie möglich halten
wollen. Das erklärt auch den frühen Start um 8.30 Uhr und das enge
Zeitlimit von 5 Stunden.
Ziel und Start des Laufes liegen in Wollishofen, einem Vorort Zürichs am
Westufer des Sees. Zwischen Bahngelände, wo Güterwaggons zur
Hinterlegung der Kleiderbeutel bereit gestellt sind, und der Landiwiese,
einer weitläufigen parkähnlichen Grünfläche am Seeufer, bietet der
Mythenquai genug Platz für eine entspannte Startaufstellung. Zwar gibt
es – je nach anvisierter Zielzeit – vier verschiedene Startblocks, aber
kontrolliert wird die richtige Einordnung nicht.
Am See entlang geht es gleich nach dem Start schnurstracks in Richtung
Innenstadt. Dort erwartet die Läufer die erste der beiden
City-Schleifen. Diese erste Schleife misst zwar gerade mal drei
Kilometer, aber man bekommt viel zu sehen, vor allem entlang der
Züricher Edelmeile, der Bahnhofsstraße. Erstaunt stelle ich fest, dass
selbst um diese frühe Zeit bereits zahlreiche Besucher den Weg an die
Strecke gefunden haben. Vor allem in Seenähe am Bürkli- und am
Bellevueplatz, sozusagen den Eingangs- und Ausgangspunkten der
Innenstadtrunde, ballen sich die Menschen und sorgen ausgelassen für
Stimmung. Klassisch schwyzerisch verabschieden uns bei km 5 die Klänge
einer Alphornbläsergruppe aus dem Stadtzentrum.
Was uns nun erwartet, ist eines der „Markenzeichen“ des
Zürich-Marathons: Die schier endlose Gerade entlang der „Goldküste“, wie
das Ostufer des Zürichsees genannt wird. Wundervoll ist der weite Blick
über den See, wenngleich er leider nur sporadisch zu genießen ist. Am
Zürichhorn mit dem farbenfrohen Chinagarten vorbei geht es entlang der
Küstenstraße von einer Gemeinde zur nächsten, immer weiter gen Süden,
über Zollikon, Küsnacht, Erlenbach, Herrliberg bis nach Meilen. Wo man
sich gerade befindet, ist nicht immer klar auszumachen, da die Orte
häufig in einander übergeben. Das malerische Meilen erreichen wir kurz
vor der Halbzeitmarke und nach einer Wendeschleife durch den Ort geht es
auf gleicher Strecke zurück. Das bedeutet auch: Früher oder später
begegnet (fast) jeder einmal den Spitzenläufern ebenso wie dem
„Besenwagen“. Man kann sich, je nachdem, ob man die vielen Läufer hinter
oder aber vor sich im Fokus hat, motivieren oder auch frustrieren
lassen. Interessant zu beobachten ist natürlich vor allem der Lauf von
Viktor Röthlin, der mir ein paar Kilometer vor Meilen inmitten einer
Gruppe dunkelhäutiger Tempoläufer entgegen kommt und leichtfüßig und mit
weitem Abstand vor dem Rest des Feldes an mir vorbeizieht.
Dass es auf dieser endlosen Geraden eigentlich nie langweilig wird,
liegt auch am Schweizer Publikum. Auf dem Hin-, vor allem aber auf dem
Rückweg herrscht an vielen Plätzen geradezu Partystimmung. Kuhglocken in
allen Größen werden geschwenkt, ganze Bataillone von Ratschen
verursachen höllischen Lärm, Musikgruppen mit Blasmusik über Samba bis
Rock spielen auf, „Speaker“ heizen über Lautsprecher die Stimmung
zusätzlich an. Da die Vornamen der Läufer auf der Startnummer abgedruckt
sind, bekomme ich häufig auch persönliche Anfeuerungsrufe, wobei sich
das für mich ungewohnte schwyzerische „Chlaus“ wirklich nett anhört. Als
Höhepunkt der Begeisterung entpuppt sich die Wendeschleife in Meilen.
Hier durchlaufen wir auf verengtem Parcours einen wahren Hexenkessel.
Unwillkürlich muss ich an den Frankfurt Marathon denken: Wer dort die
Passage durch den Ort Höchst erlebt hat, wird verstehen, was ich meine
....
Professionell und durchdacht ist die Streckenversorgung: Wasser in
praktischen Kleinflaschen und Bananen gibt es entlang der gesamten
Strecke alle 3,5 km, in den gleichen Intervallen ab km 15 auch
Iso-Getränke und Energieriegel. Power-Gels werden bei km 19 und 36
bereit gehalten und für den letzten Kick gibt es zum Schluss Cola. Je
länger ich unterwegs bin, desto mehr weiß ich diesen Service zu
schätzen.
Die Rückkehr in die City verläuft (leider) nicht ganz „direttissima“.
Man riecht die Innenstadt förmlich schon, am Straßenrand kocht die
Stimmung – da schwenkt die Strecke nochmals um 180 Grad ab und wir
laufen wieder ein weites Stück zurück. Zur „Belohnung“ erwartet uns
dafür am Zürichhorn eine besonders schöne Passage unmittelbar am Seeufer
mit Panoramablick auf die Innenstadt.
Aber dann ist es so weit: Über den fahnen- und menschengesäumten Utoquai,
vorbei an der Oper, der Nobelherberge des Eden au Lac und – was fast
noch wichtiger ist – am Km 35-Schild geht es wieder hinein in die City,
auf zur zweiten City-Sightseeing-Runde. Abgesehen von ein paar kleineren
Schlenkern, etwa um das Fraumünster mit seinen berühmten
Chagall-Fenstern herum, entspricht die zweite Runde im Wesentlichen der
bereits bekannten ersten Stadt-Runde, nur dass man jetzt alles aus der
entgegen gesetzten Himmelsrichtung sieht. So aufgeladen die Atmosphäre
entlang der Bahnhofstraße ist, so einsam ist der Läufertross wenig
später in der Talstraße unterwegs. Die komplette Verkehrssperrung der
Innenstadt lässt die Ruhe fast unwirklich erscheinen. Aber für
Einzelheiten der Umgebung bin ich ohnehin nicht mehr allzu aufnahmefähig
und so motiviert mich das Einbiegen in die lange Zielgerade des von
hohen Bäumen gesäumten Mythenquai weitaus mehr. Noch einmal schwillt die
Geräuschkulisse des Publikums an und findet im Ziel ihren Höhepunkt.
Allen Einläufern wird ein stimmungsvolles Finale bereitet.
Die Versorgung im Zielbereich erfolgt routiniert und flüssig – aber die
wenigsten hält es lange hier. Denn viel schöner ist es auf der
sonnenüberfluteten Landiwiese, wo man vor der perfekten Kulisse des Sees
und den Bergen dahinter alle Viere von sich strecken und das
überstandene Lauferlebnis nochmals in Ruhe an sich vorüberziehen lassen
kann.
Für mich zu resümieren bleibt: Zürich bietet eine tolles Marathon-Event
- es hat mir sehr gut gefallen. Mit seiner schnellen Strecke ist Zürich
gerade für Tempoläufer ein echter „Hot Spot“ in der Marathonszene. Aber
auch der mehr oder weniger ambitionierte Genussläufer (zumindest, soweit
er in der Lage ist, 42 km als „Genuss“ zu erleben) wird sich dank
abwechslungsreicher Strecke, ausgezeichneter Organisation und
Streckenversorgung und einem engagierten Publikum ohne Zweifel wohl
fühlen.
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