Laufen anders erleben! - Jochen Brosig beim
Metropolmarathon 2009 in Fürth
"Mein erstes Gefühl sei Preis und Dank". – Christian Fürchtegott Gellert
Natürlich hat es meine Familie nicht leicht. Eine
Marathonvorbereitung fordert auch von den passiv Mittrainierenden Opfer. Zum
Beispiel von meiner Frau. Schon am Morgen, wenn ich auf Zehenspitzen aus dem
Haus schleiche, reiße ich sie aus dem Schlaf. Wie eben auch heute am
Wettkampftag. Fürth. Metropolmarathon. „Das ist wieder typisch!“, meint meine
Frau. „Bei dir dreht es sich das ganze Jahr um Marathons. Wenn du nicht in der
Vorbereitung bist, dann bist du in der Erholungsphase. Ist die zu Ende, steht
schon die nächste Vorbereitung an.“ Mit einem schlechten Gewissen schleiche ich
weiter aus dem Schlafzimmer.
Sie dreht sich um und stöhnt demonstrativ über mein
Auf-den-Zehenspitzen-Trampeln. Sie tut so übertrieben, als hätte John Wayne eine
Büffelherde losgelassen. Dabei kuschelt sie sich brutal in ihr Kissen und träumt
wieder weiter. Seit Monaten träumt meine Frau von einer Party. Einer der ganz
besonderen Art. Eine Party ohne Nudeln, ohne Traubenzucker-Tütchen auf dem
Tisch, ohne Blasenpflaster-Probepäckchen, ohne Masseur-Adressen und
Laufzeitschrift-Probeabo-Zettel, ohne alkoholfreies und kohlenhydratreiches
Weißbier und Schluss um halb zehn. Ja, so ist es! Meine Frau träumt von einer
Party mit kohlenhydratfreiem Essen, Alkohol, Zigaretten bis morgens um fünf,
eine, auf der ihr gratuliert wird. Nicht mir! Sie will eine Medaille und eine
Urkunde für ihre Leistungen als Marathonpartner.
Heute sind wir wieder einmal groß vertreten. 10 Starter beim 10 KM-Lauf. Birgit
und Ralf beim Halbmarathon. Helmut und ich beim Marathon. Kaum sind wir
angekommen, geht das große Abklatschen schon los. Erwin und das Team-Bittel sind
da. Dieter und Julio machen heute Zugläufer. Angela und ihr Marathonteam.
Lauffreund Rudi läuft sich schon warm: „Rudi, bei den Temperaturen heute
brauchst des net!“ Und bei der Taschenabgabe treffen wir noch
Robert, seines
Zeichens Transeuropaläufer. Gerade zurück vom Nordkap, „A Marathönle geht
immer!“, gehört der Fürth-Marathon zu seinem Regenerationsprogramm. Die Zeit
wird knapp. Schnell zum Start. Konzentration. Da geht es auch schon los.
Ich bin froh, wieder dabei zu sein. Welch ein Glück ich doch habe? Ohne
verständnisvollen Partner könnte ich ja gar keinen Marathon planen. Schon gar
nicht, wenn in die Vorbereitung die Erlanger Bergkirchweih fällt. Wo man sich
traditionell mit Siemensianern aus der ganzen Welt beim Tanzen auf den
Bierbänken trifft. Wo man sich zuprostet, anhustet, gegenseitig aus den Krügen
trinken lässt, auf deren Rändern die Bazillen wahrscheinlich Macarena tanzen.
Und spät in der Nacht taumelt man in die Kälte hinaus. Den Rest erledigt das
Immunsystem. Wenn man Glück hat, findet man noch eine Fressbude, die statt
Bratwürsten und Leberkäse glasierte Äpfel verkauft. Wenigstens die Illusion
leicht verdaulicher Kost und Vitamin C.
Aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen läuft es heute bei mir gar nicht. In meiner
linken Wade zieht es. Ich komme kaum vom Fleck. Wahrscheinlich den Schuh zu fest
geschnürt. Es drückt am Rist. Mein Fuß schläft ein. Als Krönung verschiebt sich
noch meine Innensohle. Ich will gerade anhalten und mein Schuhwerk richten, da
richtet sich alles wie von Geisterhand. Mein Laufstil wird besser. Plötzlich
schwebe ich dahin. Für meine Frau ist die Bergkirchweih mit einem Marathoni
ungefähr so spannend, wie mit Mutter Beimer in den Urlaub zu fahren. Sie erträgt
jedoch alles ohne zu murren. Alkoholfreies Bier, kein Tanz auf dem Tisch wegen
der Verletzungsgefahr, kein Kettenkarussell um halb zehn wegen der
Erkältungsrisiken. Wenn sie dann nicht mitfühlend sagen würde: „Wir müssen ja
nicht bis zum Ende bleiben, Schatz. Einmal durchlaufen ist besser als nichts.“ –
wer weiß, wie mich das in meiner Form zurückwerfen würde.
Meine Frau hat eben ein riesengroßes Herz. Sie ist so rücksichtsvoll dem
Marathon gegenüber. Gestern waren wir auf einer Geburtstagsparty eingeladen.
Beim Tanzen zwickte es in meiner Wade. Ich musste abbrechen... wollte nichts
riskieren... Ich muss gestehen, dass Gudrun leicht angesäuert war. Aber was soll
ich machen am Tag vor dem Marathon? Jetzt zahlt es sich wieder aus. Alles
richtig gemacht. Seit KM 11 bin ich nur am Überholen. Die Zurückhaltung vom
Anfang hat sich gelohnt. Läufer für Läufer sammele ich ein. Brücke hoch, Brücke
runter, durch die Unterführung, dann scharfe Rechtskurve und wieder Berg hoch.
So geht das schon eine ganze Weile. Doch jetzt ist es nicht mehr weit. Noch vier
Kilometer.
Gedankenversunken laufe ich weiter. Wie immer werden die Beine schwerer und
schwerer. Für die schöne Fürther Altstadt habe ich keinen Blick. Die vielen
Zuschauer in den Cafés und Bistros peitschen mich weiter. Dann ist es soweit.
Ich biege auf die Zielgerade ein. Halligalli beim Finish. Hier steppt der Bär.
Schnell noch ein Foto mit Artur Schmidt, dem bekannten Profi-Zielsprecher. Unter
tosendem Beifall tanze ich als 17. ins Ziel. Ein tolles Gefühl. Wie geht es
meiner Frau? Ihr wird nicht zur Bestzeit gratuliert. Kein Finisher-Foto, keine
Medaille. Und während mir noch Wochen später auf die Schulter geklopft wird,
denkt keiner an ihre Entbehrungen, Anfeuerungen, an ihr Mitleiden und
Motivieren. Doch so viel Anteilnahme kann nicht genug gelobt werden. Für alle
Mutter Teresas und Albert Schweitzer des Freizeitsports müsste es auch Medaillen
geben. Ein Hoch auf all die Unterstützer!
Doch heute mache ich es anders. Stellvertretend für alle Marathonpartner
überreiche ich Gudrun für den besten Marathon-Support eine Medaille und eine
Urkunde.
Run happy and smile!
Übrigens: Am 18.Juli 2009 ist das 11.Seebachmeeting:
www.langstreckenteam.de |