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Berglaufklassiker Sierre-Zinal am 09.08.2009 -
Anspruchsvolles Trail-Running - Bildbericht von Günter Kromer
Obwohl der dieses Mal bereits zum 36. Mal ausgetragene Schweizer Klassiker
Sierre-Zinal zu den weltweit bekanntesten Bergläufen zählt und Teilnehmer aus
allen fünf Kontinenten anreisen, erfährt man in Deutschland nur selten etwas
darüber. Auch ich las den Begriff Sierre-Zinal vor zwei Jahren zum ersten Mal,
als ich beim Wandern in Zinal ein Plakat sah. Kurzentschlossen testete ich einen
Teil der Strecke beim Training und setzte daraufhin diesen Lauf auf Platz 1
meiner Wunschliste für zukünftige Wettkämpfe.
Der Lauf der fünf Viertausender, wie er im Untertitel genannt wird, da man bei
gutem Wetter unterwegs Weisshorn, Obergabelhorn,
Zinalrothorn, Matterhorn und
Dent Blanche sieht, startet in
Sierre im Rhonetal und führt hoch über dem
Val d'Annivers durch den südlichsten Abschnitt im französischsprachigen Teil des
Wallis nach Zinal. Dabei muss man auf 31 Kilometern 2200 Meter Auf- und 800
Meter Abstieg bewältigen.
Das Besondere sind aber nicht die Höhenmeter an sich, denn es gibt genügend
Läufe mit viel mehr Auf- und Abstieg. Was Sierre-Zinal ausmacht, sind zum einen
die extrem steilen Streckenabschnitte (1300 m auf den ersten 8 km!) und einige
Passagen, die hohe Ansprüche an die Trittsicherheit stellen. Hier sind breite
Waldwege eine Seltenheit. Für Fans von echtem Trail-Running ist Sierre-Zinal
ideal.
Daher passt es ganz gut, dass ich in den letzten 2,5 Wochen keine Gelegenheit
zum Lauftraining hatte, sondern fast jeden Tag mit Bergwandern verbrachte, da
ich die letzten Kapitel für ein Buch über Hüttentouren im Wallis recherchierte.
Ein oder zwei Tage mehr Regenerationszeit wären aber besser gewesen, zumal ich
am Sonntag und Montag wegen einer Erkältung nicht einmal Kraft zum Wandern
hatte. Aber die Erkältung scheint auskuriert zu sein und ich bin optimistisch,
den Lauf wie geplant in 4,5 bis 5 Stunden zu schaffen.
Am Samstag ist das Wetter deprimierend. Die Wolken hängen tief unten an den
Bergen fest, immer wieder regnet es. Mir tun die Leute leid, die heute bei dem
Luftlinie nicht weit entfernten Glacier3000run
im Nebel laufen. Hoffentlich hat
der Wetterbericht recht damit, dass es morgen trocken bleibt. Letzten Sonntag
warteten meine Freundin und ich als Zuschauer am Streckenrand vom Gondo Event
(siehe Foto bei Daniel Steiners Reportage auf marathon4you) und erlebten dann
zwei Stunden später das schlimme Unwetter mit, wegen dem das Rennen abgebrochen
werden musste. Morgen muss Petrus läuferfreundlicher gestimmt sein!
Der Weg von der Autobahn zur Startnummernausgabe ist hervorragend
ausgeschildert. Die Unterlagen gibt es im fast direkt neben dem Bahnhof
gelegenen Rathaus, über dessen Vorplatz viele Sierre-Zinal-Shirts mit den
Motiven der letzten Jahre aufgehängt wurden. In diesem Jahr nehmen Leute aus 21
Ländern am Wettkampf teil, davon 1000 bei den Läufern, 1713 bei den bereits vier
Stunden früher (also um 5 Uhr!) startenden Tourists, für die es zwar eine
Medaille, aber keine Rangliste gibt, sowie einige bei dem erst oben in Chandolin
startenden Jugendlauf. Eine Pasta-Party findet nicht statt.
Am Sonntagmorgen ist während des Frühstücks der Himmel noch stark bewölkt, doch
allmählich nehmen die blauen Flecken oben zu. Als ich mein Auto am wohl
ungewöhnlichsten offiziellen Wettkampf-Parkplatz (in einem Kieswerk) abstelle,
sieht das Wetter abgesehen von Quellwolken an den Bergen recht freundlich aus,
es ist sogar bereits zu warm.
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Ungewöhnlicher Parkplatz |
Der Himmel klart auf |
Zum Start ist es nicht weit, und wer mit dem Zug kommt, kann einen
Shuttle-Bus nutzen.
Als ich meine Startnummer am T-Shirt befestigen will, zerbricht eine der
Sicherheitsnadeln. Dass so etwas überhaupt passieren kann, hätte ich bisher für
unmöglich gehalten. Aber egal, mit drei Nadeln hält es auch!
Was haben wohl alle Läufe gemeinsam, sowohl die großen Stadtmarathons als auch
die kleinen Landschaftsmarathons? Die Relation zwischen Toiletten und wartenden Läufern
ist immer sehr ungünstig. Hier stehen zwar rings umher genügend Büsche, aber
mich drückt mehr, so dass ich noch zehn Minuten vor dem Start in einer
Warteschlange ausharre. Dann kommt von vorne die ernüchternde Botschaft
"Kein Papier mehr vorhanden". Na prima, der Tag kann nur noch besser werden!
Pünktlich um 9 Uhr geht's los. Die ersten paar hundert Meter laufen wir noch auf
einer normalen Straße mit nur mäßiger Steigung. Doch dann kommt die Abzweigung
auf einen Wanderweg und sofort beginnt ein steiler Aufstieg. Ein mehrmaliger
Teilnehmer dieses Rennens warnte mich vor, dass im hinteren Teil des Feldes an
dieser Stelle ein Stau entsteht, aber noch laufen (bzw. nach wenigen Metern
gehen) alle.
Immer wieder blicke ich hinab ins Rhonetal. Während des ersten
Streckenabschnitts zeigen diese Tiefblicke beeindruckend, wie schnell wir an
Höhe gewinnen. |
Rhonetal |
Obwohl der Wanderweg bereits von Beginn an steil wirkt, ist dies nur ein lauer
Vorgeschmack auf das, was folgt. Kurz darauf wird die Strecke enger, und nun
gibt es tatsächlich einen kleinen Stau. Allerdings nicht so, dass man stehen
muss, aber das Tempo wandelt sich zu langsamem Spaziergang. Bald geht es wieder
flotter voran. Ich wundere mich, dass manche Teilnehmer selbst an nicht so
steilen Passagen nur langsam gehen, überhole sie, versuche so viel wie möglich
zu laufen, doch vergeblich, denn gleich gibt es vor einer Felswand den nächsten
Stau, und alle, an denen ich eben noch vorbeilief, spazieren wieder neben mir.
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Stau |
Doch zum Glück ist dieser Bereich nur ganz kurz, und bald sind alle Staupassagen
überwunden. Im Gegensatz zum Jungfraumarathon, wo man an der Moräne den Lohn
eines bisher schnellen Aufstiegs opfern muss, spielt ein Stau zu Beginn dieses
Rennens für das Ergebnis keine Rolle, denn auf den restlichen 95 % der Strecke
kann sich jeder nach Belieben austoben oder ausruhen.
Zum Glück führt nahezu der gesamte steile Teil durch dichten Wald auf der am
Morgen schattigen Seite des Berges. Zum Fotografieren ist dies allerdings
ungünstig, denn die ersten Bilder sind im Dunkeln völlig verwackelt. Erst als
ich die Kamera auf 1600 ASA umstelle, klappt es. Immer überhole ich zehn oder
zwanzig Läufer, dann fotografiere ich und alle marschieren wieder an mir vorbei.
So trifft man immer wieder dieselben Leute. |
Steil aufwärts |
Steiler als die Eigermoräne |
Es wird immer steiler. Und dann noch steiler. Und sogar noch steiler! Wer
die Eigermoräne für steil hält, sollte mal hierher kommen. Zwischendurch steigen
wir auch über Treppenstufen aufwärts, die steiler als in jedem Wohnhaus sind.
Auf Fotos sieht so etwas immer viel flacher aus als es in der Realität ist.
Zwischendurch kommen ein paar kurze, nicht ganz so schwere Meter, auf denen
manche so wie ich laufen, andere dagegen ihr Wandertempo beibehalten. Wie die so
das Zeitlimit schaffen wollen, ist mir ein Rätsel.
Oft ist es so steil, dass nur die Fußspitzen den Boden berühren. Von Stein zu
Stein, von Wurzel zu Wurzel kämpfen wir uns aufwärts. Trail-Schuhe mit gutem
Profil sind hier sehr hilfreich. Immer wieder höre ich Flüche, wenn jemand über
eine Wurzel stolpert oder auf losem Erdboden rutscht.
Endlich erreiche ich die erste Verpflegungsstation. Ich fühle mich bereits
völlig ausgetrocknet. Jetzt bedauere ich es, dass ich mich heute Morgen
entschieden habe, meinen Flaschengurt im Auto zu lassen. Ich beneide die Läufer
mit einem Camelback oder anderen Trinkrucksäcken. Vor allem auf der weiteren
Strecke sind die heute deutlich im Vorteil.
Kurz nach Beauregard kommt mir eine Läuferin humpelnd entgegen. Für sie ist das
Rennen schon früh nach einem Sturz beendet.
Manchmal sind es gerade die unscheinbaren Kleinigkeiten, die das Besondere eines
Tages ausmachen. Ich bin sicher, wenn ich in ein paar Jahren an Sierre-Zinal
zurückdenke erinnere ich mich zwar auch an die Steigung, aber ganz besonders
werde ich mich wohl an den einzigartigen Anblick der Läufer vor mir erinnern,
von denen im Gegenlicht deutlich sichtbare Dampfwolken aufsteigen. So etwas
sieht man nur bei ganz bestimmtem Klima und idealem Lichteinfall, und es ist
einfach großartig.
An einem Berggrat erhasche ich zwischen den Bäumen erstmals Blick auf einige der
Gipfel am Ende des Tals. Zinalrothorn, Obergabelhorn und Matterhorn (das nicht
in diesem Tal steht, aber aus dieser Perspektive betrachtet hinten über den Grat
hervorragt) sind zu sehen. Das Weisshorn wird hier noch von einem Bergrücken
verdeckt, die Dent Blanche (rechts außerhalb des Fotos) ist komplett hinter
Wolken verborgen.
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Zinalrothorn, Obergabelhorn und Matterhorn |
Zuerst wundere ich mich, dass jedes Foto völlig überbelichtet ist. Drei Minuten
lang probiere ich es immer wieder, erst dann fällt mir ein, dass die Kamera noch
immer auf 1600 ASA steht.
Inzwischen sehe ich um mich herum nur Leute, die bisher weit hinter mir
marschierten. Jetzt aber los!
Wir verlassen den Wald und laufen bequem auf eine kleine Alm zu, wo die zweite
Versorgungs- und Zeitkontrollstation ist. Auf den ersten acht Kilometern haben
wir jetzt bereis 1300 Höhenmeter bewältigt. Ein Schild weist darauf hin, dass
nun 33 % der durchschnittlichen Gesamtlaufzeit geschafft sind. |
Ponchette |
Eigentlich hatte ich bisher das Gefühl, dank gutem Training recht schnell den
Berg hinaufmarschiert zu sein. Umso stärker bin ich erschrocken, dass ich hier
auf die Minute genau am empfohlenen Zeitlimit von 1:45 ankomme. Wenn ich nicht
bei der nächsten Station Chandolin aus dem Rennen genommen werden will, muss ich
mich nun beeilen.
Zum Glück folgt auf den nächsten Kilometern eine Strecke, wie man sie bei jedem
ganz normalen Landschaftsmarathon findet. Ein breiter Fahrweg mit idealem
Untergrund führt uns mal mit wenig, mal mit ein bisschen mehr Steigung voran.
Eigentlich wäre dies die ideale Strecke, sich ein wenig von dem heftigen Anstieg
zu erholen, doch das Zeitlimit sitzt mir nun wie ein kleiner Teufel im Nacken.
Aber auch die anderen Läufer fühlen wohl ähnlich, denn wir bolzen diese Strecke
jetzt mit vollem Tempo durch, als wären wir nicht im zweiten Drittel sondern auf
der Zielgerade. Aber ich muss zugeben, dass es mir Spaß macht, nach der steilen
Kraxelei wieder rennen zu dürfen.
Das Rhonetal liegt nun schon weit unter uns. Leider wird auf der
gegenüberliegenden Seite die Kette der Berner Alpen mit Wildhorn und ein paar
anderen vergletscherten Gipfeln komplett von Quellwolken verhüllt.
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Schon weit über dem Tal |
Kurz vor Chandolin folgt dann die erste Einstimmung auf das Finale: Ein kurzer
Streckenabschnitt führt steil auf einer Skipiste abwärts. Diese ist zwar bei
weitem nicht so steil wie die letzten drei Kilometer, zeigt aber schon mal, dass
abwärts nicht unbedingt einfacher als aufwärts sein muss.
In Chandolin stehen genügend applaudierende Zuschauer am Streckenrand, aber für
mich zählt hier nur, dass ich jetzt zehn Minuten vor dem Zeitlimit liege und
dass es endlich wieder etwas zu trinken gibt.
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Chandolin |
Anschließend folgt ein häufiger Wechsel zwischen bequemen Wegen, Stein- und
Wurzelpassagen, bei denen man aufpassen muss, flachen Stellen, kurzen Ab- und
längeren Aufstiegen sowie ein paar Metern durch Matsch platschen.
Beim nächsten Verpflegungspunkt Tignousa sind wir längst weit oberhalb der
Baumgrenze. Uns umgibt ein hübsches Bergpanorama. Hier oben ist es nicht so heiß
wie unten im Tal. Da auch kaum Wind weht, lässt es sich jetzt recht angenehm
laufen.
Wieder sind wir eine Weile auf einem Fahrweg unterwegs, sogar kurz mal abwärts,
dann drosselt erneut ein Wanderweg das Tempo.
Leider werden das wunderschön vergletscherte Bishorn (kein Viertausender) und
die schroffe Nordwand des 4505 m hohen Weisshorn heute komplett von Wolken
verborgen. Bei gutem Wetter wären das die schönsten Fotos dieses Wettkampfs
geworden, da wir nun direkt darauf zu laufen.
Aus der Ferne betrachtet sieht dieser Streckenabschnitt so aus, als könne man
die ganze Zeit mit geringer Steigung schnell laufen. An Ort und Stelle merkt man
dann aber, dass der Untergrund einen sehr häufigen Wechsel zwischen Lauf- und
Gehtempo bedingt.
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Bequemer Abschnitt |
Berner Alpen in Wolken |
Bishorn und Weisshorn nicht zu sehen |
Rechts oben Hotel Weisshorn |
Mal ganz bequem |
Außer uns Läufern sind hier oben natürlich auch sehr viele Wanderer
unterwegs. Viele applaudieren, was hier oben viel mehr Bedeutung hat als bei
einem Stadtlauf, denn Zuschauer, die selbst schon 500 oder 1000 Meter Aufstieg
hinter sich haben, können viel eher ermessen was wir Läufer bewältigen, als die
Massen am Rande eines Stadtmarathons.
Fast ausnahmslos alle Wanderer machen den Läufern Platz, so dass es so gut wie
nie zu Engpässen kommt. Aber auch das Fairplay der Läufer kann ich hier
ausdrücklich loben. Jeder lässt, wo immer es möglich ist, schnellere Läufern
überholen. Ich habe kein einziges Mal eine Drängelei erlebt.
Gegen 12 Uhr, also drei Stunden nach Start, fühle ich mich noch immer pudelwohl,
aber je näher das Hotel Weisshorn rückt, desto mehr komme ich mir vor, als wäre
bereits dort oben das Ziel.
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Noch geht es mir gut |
Meine Batterie ist völlig leer. Außerdem ist mein Mund völlig ausgetrocknet. Die
Zunge scheint am Gaumen zu kleben. Muskulär fühle ich mich noch vollkommen fit,
aber entweder ich bin auf den letzten Kilometern zu schnell gerannt, habe zu
wenig getrunken (an den drei Stationen insgesamt einen Becher Wasser, einen Tee,
einen Sponser-Energydrink und eine Suppe), oder ich habe die Erkältung, die mich
letzten Sonntag und Montag außer Gefecht setzte, noch nicht ganz auskuriert.
Vielleicht hätte ich Dienstag, Mittwoch und Donnerstag doch keine
Bergwanderungen machen sollen.
Immer voran! 200 Meter rennen, dann wieder ein paar Meter Bergziege spielen,
dann wieder Gas geben, kurz darauf erneut über Steine balancieren. Langeweile
kommt hier keine auf, zumal es der schönste Streckenabschnitt ist. |
Bergwandern |
Sehr schöner Abschnitt |
Wanderurlaub |
Für Bergziegen |
Sieht bequemer aus als es ist |
Wenn ich noch Kraft hätte, könnte ich es genießen |
Daher kann ich mich bei der letzten wichtigen Kontrollstelle beim Hotel
Weisshorn nicht so recht darüber freuen, dass ich auf 2387 m inzwischen 40
Minuten Vorsprung auf das Zeitlimit habe.
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Hotel Weisshorn |
Am Verpflegungsstand komme ich mir vor wie bei einer Picknickparty. Viele Läufer
stehen herum und plaudern. Das Zelt mit dem Massageservice ist voll belegt. Am
liebsten würde ich mich hinsetzten, aber ich weiß, dass ich, selbst wenn ich
hier nur eine Weile stehen bleibe, das Rennen nicht mehr beenden werde.
Also esse ich nur ein paar Bananen- und Orangenstücke, trinke eine Suppe und
gehe nach drei Minuten Pause langsam weiter.
Noch immer wartet ein kleiner Aufstieg auf uns, garniert mit ein paar kurzen
Zwischenabstiegen.
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Aufwärts schleichen |
Viele Läufer scheinen sich nach Erreichen des Hotels frisch motiviert zu fühlen
und rennen an mir vorbei. Zugegeben - auf den folgenden Kilometern kann man
wirklich viele Passagen schnell rennen, vorausgesetzt man hat noch die Kraft
dazu. Auch ich hatte mir vor dem Lauf ausgerechnet, dass ich ab Weisshorn noch
weniger als eine Stunde ins Ziel brauchen würde. Nie hätte ich erwartet, dass
ich ausgerechnet beim Genusslauf-Abschnitt von Sierre-Zinal selbst auf flachen
Passagen oft nur langsam gehen würde und daher statt einer Stunde für den Rest
mehr als zwei Stunden brauche. Aber so kann ich zumindest in Ruhe die hübsche
Berg- und Pflanzenwelt rings umher betrachten.
Wahrscheinlich fällt den schnellen Läufern überhaupt nicht auf, wie viel
Purpurenzian hier blüht. Was mir leider auch bereits seit längerem auffällt,
allerdings sehr negativ, ist der viele Müll, den die Läufer auf der gesamten
Strecke hinterlassen. Zusätzlich zur offiziellen Streckenmarkierung kann man
sich schon fast an den vielen leeren und achtlos auf den Weg geworfenen
Verpackungen von Kohlehydrat- und Eiweiß-Riegeln, Energy-Gels und Drinks
orientieren. Ich bedauere es inzwischen zwar sehr, heute selbst keine
Sponser-Riegel dabei zu haben, denn die würden mir vielleicht wieder Energie
geben, aber wer einen Riegel tragen kann, braucht danach auch Platz für die
leere Verpackung in seiner Tasche. Meine im Forum zum Karwendelmarsch geäußerte
Behauptung, Läufer seien umweltbewusst, muss ich nun leider enttäuscht
zurücknehmen. Ich kann auch beim besten Willen nicht verstehen, was daran so
schwer sein kann, die leeren Pappbecher in die großen Müllbeutel bei den
Verpflegungsstationen zu werfen. Müssen die unbedingt noch ein paar hundert
Meter weit in der Landschaft verteilt werden? Manche Läufer sind leider echte
Schweine!
Das auf den ersten Blick sehr bequeme Streckenprofil täuscht über die
Anforderungen, die auch hier manche Abschnitte stellen. Man muss beim Laufen
ständig aufpassen, dass man nicht über Steine oder Wurzeln stolpert, ausrutscht,
mit einem Fuß umknickt etc. Mehrmals sehe ich frische Blutspuren am Boden,
einmal landet nicht weit vor mir ein Rettungshubschrauber, unmittelbar vor mir
stürzt eine Frau gleich zweimal innerhalb von hundert Metern, ein anderer Läufer
wird mit verbundenem Fuß von einigen Helfern bergab getragen. Gegen diese Trail-Running-Herausforderung
ist die Bodenbeschaffenheit beim Jungfrau- oder Zermattmarathon durchgehend
Autobahn. Etliche Teilnehmer sind zwar auch hier in normalen Laufschuhen
unterwegs, aber eigentlich sollten Trailschuhe hier Pflicht sein. Außerdem
reicht es auf keinen Fall, nur auf normalen Waldwegen zu trainieren. Steile
Geröll- und Wurzelwege müssen unbedingt ins Vorbereitungsprogramm integriert
werden.
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Tief unten liegt Zinal |
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Weit unter mir sehe ich Zinal. Leider sind die Wolken inzwischen noch
tiefer gesunken, so dass von den Viertausendern nur noch das Obergabelhorn
sichtbar ist. Aber auch der Blick auf die Gletscher unterhalb der Wolken ist
hübsch.
Bei der letzten Verpflegungsstation Barneuza sorgen zwei Alphornbläser für das
bei Schweizer Läufen unverzichtbare Feeling.
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Kein Schweizer Lauf ohne Alphörner |
Nachdem ich seit dem Hotel mehr als eine Stunde Zeit verloren habe, da ich viel
zu oft gegangen bin, fühle ich mich nun wieder gut und gebe Gas. Inzwischen ist
es allerdings ein oft recht einsames Rennen für mich, da die meisten Teilnehmer
längst im Ziel sind und ich nur noch gelegentlich jemanden vor oder hinter mir
sehe.
Bei einem Stadtmarathon zeigt das Schild "Noch 3 km", dass man es fast geschafft
hat. Nicht so bei Sierre-Zinal, denn jetzt folgt noch ein teilweise sehr steiler
Abstieg über ein paar hundert Höhenmeter. Dieser Weg, teilweise im Wald von
Stein zu Stein, von Wurzel zu Wurzel, teilweise auf einer Skipiste, erfordert
höchste Konzentration. Allzu leicht kann man sich hier kurz vor dem Ziel noch
den Fuß brechen.
Doch mir selbst hat die ungeplante Ruhepause neue Kraft gegeben und ich bolze
mit hohem Tempo bergab. Plötzlich macht mir das Rennen sogar wieder richtig
Spaß. Ich finde es zwar paradox, dass ich mich heute ausgerechnet bei den
steilen Strecken wohl fühle, während es mir beim Genuss-Teil übel ging, aber bei
Wettkämpfen ist nicht alles logisch zu erklären. Es ist aber auch wirklich ein
geiles Gefühl, mit vollem Tempo an vielen Wanderern vorbei zu rennen, die
vorsichtig mit ihren Tourenstöcken bergab balancieren,
Schon aus zwei Kilometern Entfernung höre ich Musik. Damit die Läufer möglichst
früh schon motiviert werden, sind nicht nur am Ziel Lautsprecher, sondern die
Beschallung wird bereits vorher von Boxen an einer Skipiste bergwärts geblasen.
Die letzten paar hundert Meter führen über eine Asphaltstraße. Musikalisch werde
ich gerade mit den nicht zur Landschaft passenden Hits Maccarena und Samba de
Janeiro beschallt.
Wie spät ich bin, bemerke ich schon daran, dass ein Ordner gerade die
Absperrungen am Streckenrand abbaut. Aber ich bin nicht der letzte, das Ziel ist
geöffnet, mir geht es wieder richtig gut, und mit guter Laune laufe ich über die
rote Matte. 5:44, also etwa eine Stunde später, als ich heute Morgen noch
erwartet hätte. Ich bin von 805 Männern, die das Ziel erreichen, der 770. 16
weitere Männer wurden nur bis Chandolin gewertet. Die Frauenwertung zählt 179
Teilnehmerinnen. Bei den um 5 Uhr gestarteten Tourists waren insgesamt 1713
Teilnehmer. Der Sieger Kilian Jornet Burgada aus Spanien kam mit für mich
unvorstellbar schnellen 2:35 ins Ziel, die schnellste Frau, die Tschechin Anna
Pichrtova blieb mit 2:58 vier Minuten über ihrem Streckenrekord aus dem Vorjahr.
Männlicher Streckenrekordhalter ist (wen überrascht es?) Jonathan Wyatt, der
seit einigen Jahren im Alpenraum Rekorde sammelt und hier 2003 in 2:29 finishte.
Am Ziel gibt es Cola, Wasser und andere Getränke. Auch der kostenlose
Massageservice wird von vielen in Anspruch genommen. Leider gibt es kein
kostenloses Finisher-Shirt. Man kann zwar eines für 18 Euro kaufen, aber das
Motiv des diesjährigen Laufes passt eher zu einer Techno-Party als zu einem
Berglauf. Doch die Medaille ist wirklich hübsch. Auf der Vorderseite prangt zwar
auch das in Digitalzeichen gestaltete Logo, aber auf der Rückseite ist ein Bild
des Weisshorn eingraviert. So können die Teilnehmer 2009 zumindest am Ziel die
unterwegs vermisste Ansicht dieses Viertausenders betrachten.
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Endlich auch ein Bild vom Weisshorn :-)
Weitere
Laufmedaillen der Schweiz |
Vom Ziel muss ich wieder ein Stück bergauf gehen, um zu meinem Beutel mit den
Wechselklamotten zu gelangen. Die Duschen liegen noch ein paar Meter weiter
oben. Danach geht es ins Festzelt, wo alle Teilnehmer ein komplettes Essen
bekommen: Fleisch, Kartoffelbrei, verkochtes Gemüse, Brot, sogar ein Eis gibt es
dazu. Die Dixieland-Band, die für Stimmung sorgen soll, trifft nicht jedermanns
Geschmack. Ich plaudere mit sehr vielen Leuten, die ich vor oder während des
Laufes bereits kennen lernte, und vergesse dabei völlig, ein Foto von Zinal zu
machen. Nicht gerade professionell, aber gute Fotomotive sind hier ohnehin
nicht.
Die Rückfahrt mit dem Bus ist sehr gut organisiert. Damit kein Gedränge
entsteht, gibt es ein Absperrgitter für die Warteschlange. Eine halbe Stunde
Fahrt, und ich kann am Parkplatz aussteigen. Ein paar Stunden später verdunkeln
dicke Gewitterwolken den Himmel. Schön, dass der Regen bis zum Abend gewartet
hat!
Am nächsten Tag wundere ich mich sehr darüber, dass ich nach dem härtesten Lauf
meines bisherigen Lebens (der Ulmer 100er war ein Vergnügen dagegen) nicht den
geringsten Muskelkater habe. Dies lässt mich hoffen, dass die Krise oben beim
Hotel Weisshorn nichts mit meinem Trainingszustand zu tun hatte und ich mir
wegen meiner Teilnahme an dem in fünf Wochen statt findenden Karwendellauf mit
52 km und je 2760 Höhenmetern Auf- und Abstieg keine großen Sorgen machen muss.
www.sierre-zinal.com
Immer am zweiten Sonntag im August. Tipps für ein paar Wandertage vor oder nach dem Lauf:
An einem Tag mit guter Fernsicht von Sierre hinauf nach Crans-Mons Montana, dann
mit der Gondelbahn nach Violettes hinauf, zu Fuß von dort zur Plaine Morte auf
2883 m mit Blick auf alle hohen Wallis-Gipfel, von dort mit der Gondelbahn
zurück.
Von Zinal zur grandios gegenüber Gletschern gelegenen Cabane d'Arpittetaz, zur
(nur mit Wanderschuhen statt Laufschuhen) zur 3256 m hohen Cabane deTracuit oder
zur Cabane du Grand Mountet, einer der schönst gelegenen Alpenvereinshütten des
Wallis. Vom herrlichen, nicht weit von Zinal entfernten Moiry-Stausee bietet
sich die kurze Wanderungen zur großartigen Cabane Moiry an. |
Links
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