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Günter:
Häufig höre ich begeisterte Läufer darüber jammern, dass sie im Winter wegen dem
Schnee nicht trainieren können. Bestenfalls sei Laufen nur auf den wenigen
geräumten Wegen in Parkanlagen möglich, aber auf weite Landschaftsläufe müsse
man bis zum Frühling warten.
Doch in Wahrheit kann es auch sehr schön sein, durch eine Winterlandschaft zu
laufen. Klar, die Fixierung auf eine ganz bestimmte Route kommt bei Tiefschnee
nicht in Frage, und den gewohnten Kilometerschnitt sollte man vorübergehend in
den Winterschlaf schicken, aber sowohl vom Laufspaß her als auch vom
Trainingseffekt bilden Schneeläufe eine herrliche Abwechslung zum normalen
Läuferalltag. |
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Der folgende Bericht gibt Tipps für schneereiche Zeiten und soll auch bei Euch
die Lust wecken, trotz scheinbar läuferfeindlicher Bedingungen schöne und
abenteuerliche Trainingseinheiten zu erleben – es müssen ja nicht unbedingt ganz
so viele Stunden sein wie bei uns. |
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Früher beschränkte auch ich mein Training im Winter auf lange Wanderungen und
rannte nur an schneefreien Tagen oder auf planierten Winterwanderwegen. Für
anderen, klassischen Wintersport taugen meine X-Füße etwa so viel wie
Schneeketten für Rennräder. Erst im letzten Winter fing ich zur Vorbereitung auf
die Brocken-Challenge an, regelmäßig auch lange Tiefschnee-Strecken ins Training
aufzunehmen, und siehe da: es machte mordsmäßig Spaß. |
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Auch Heidi Georgi beschrieb in den letzten beiden Wintern an anderer Stelle mit
wunderschönen Fotoreportagen die Faszination langer Trainingsläufe im
verschneiten Schwarzwald. Da ihre Begeisterung für diese Touren exakt meiner
eigenen Einstellung entspricht freute es mich ganz besonders, als ich die Zusage
bekam, dieses Mal beim „Heidilauf“ dabei zu sein. Nur eine Woche nach dem
Eisweinlauf und vor ein paar anstrengenden Arbeitstagen wäre mir die komplette
Tour allerdings an diesem Datum zu lange, so dass ich von Anfang an die letzte
Etappe aus meiner Planung strich.
Heidi:
Meine Lieblingsstrecke im Nordschwarzwald ist insgesamt ca. 80 km lang, hat ca.
3.500 Hm hinauf und genauso viele hinunter. Start und Ziel ist in Gernsbach.
Weitere Streckenpunkte sind in dieser Reihenfolge Rote Lache, Badener Höhe,
Sand, Hundseck, Unterstmatt, Hornisgrinde, Seibelseckle, Hinterlangenbach,
Schurmsee, Schönmünzach, Neuhaushütte, Kaltenbronn, Teufelsmühle. Wenn ich die
Strecke 4 Mal pro Jahr unter meine Füße nehmen darf, bin ich glücklich. Meistens
teile ich das Erlebnis mit Freunden, die ebenso wie ich, gerne gemütlich durch
die Landschaft trollen. Für die gesamte Runde brauchen wir eine 14 stündige
Ewigkeit. Das klingt für ambitionierte Ultrathonis schneckenmäßig langsam - ist
es auch. Bei meiner Tour steht das gemeinsame Erlebnis im Vordergrund. Genügend
Luft zum plaudern haben, anhalten und die Landschaft genießen, die Eindrücke mit
der Kamera festhalten und unterwegs was leckeres Essen, das sind wichtige
Bestandteile der Unternehmung. Anfang des Jahres verschicke ich meistens eine
Rundmail an interessierte Ultrathonis mit den Terminen für das neue Jahr. Wer
Zeit und Lust hat meldet sich spätestens 14 Tage vor dem Termin bei mir. |
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Diesmal waren das Monika, Nicola, Günter und Claus. Günter wollte bis
Schönmünzach mitlaufen, Claus wollte in Schönmünzach einsteigen. Die Mädels
wollten so weit kommen wie möglich. Die Tage vor dem Lauf brachten viel Schnee,
haufenweise Schnee. Donnerstags zuvor gab es sogar Unwetterwarnungen im Bereich
der Laufstrecke. Freitags beruhigte sich die Wetterlage. Für Samstag war
teilweise Schnee und Sonnenschein angekündigt. Am Freitagabend besprachen wir
unsere Möglichkeiten. Günter kennt sich im Nordschwarzwald sehr gut aus und weiß
darum, wo wir eventuell auf geräumte Wege treffen werden. Die Tour sollte in
Forbach beginnen und enden. Dadurch wurde die Gesamtstrecke natürlich kürzer,
was uns bei diesen Schneeverhältnissen jedoch sehr sinnvoll erschien. |
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Ich freute mich, dass keine Absage kam, aber ich freute mich noch mehr über die
einheitliche Aussage: „Wir versuchen es einfach, schauen was passiert und wenn
es nicht geht, dann brechen wir das ganze ab und haben bis dahin so viel Spaß
wie möglich“. Das ist genau in meinem Sinne: man muss Dinge nicht zu Ende
führen, wenn ein objektiver Grund dagegen spricht. Ich freute mich sehr darauf
mit Leuten unterwegs zu sein, die diesen Balanceakt auf Messers Schneide wohl
ohne Probleme meistern. Ich meine, wo zu viel des sportlichen Ehrgeizes die
Wahrnehmung trübt, kann der Moment des sinnvollen Ausstiegs leicht übersehen
werden, und das ist bei einem Lauf mit bis zu 50 cm Neuschnee und angekündigten
-10°C nicht lustig bis lebensgefährlich. So aber war ich ohne Sorge und schlief
in der Nacht von Freitag auf Samstag wie ein Murmeltier im Winterschlaf. Nur
mein lieber Reinhold traute dem Braten nicht und bestand auf gelegentliche
Anrufe von Unterwegs.
Günter:
Manchmal haben wir Läufer wirklich einen Sprung in der Schüssel. Während der
Woche bin ich froh, morgens eine Stunde länger als meine Freundin schlafen zu
dürfen, aber am Wochenende stehe ich drei Stunden vor ihr auf, um bei eisigem
Wetter durch den Schnee zu rennen. Während Annette noch im Tiefschlaf liegt
fahren Heidi, Monika, Nicola und ich mit dem Auto bei starkem Schneetreiben 40
Minuten von Karlsruhe nach Forbach. Um 7:15 steigen wir dort bei Dunkelheit aus
dem Auto. Nach wie vor schneit es sehr stark. |
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Einer der wichtigsten Grundsätze der Laufplanung im Winter ist die Flexibilität.
Vor allem in einer Woche, in der Schneechaos Autobahnen und Flughäfen lahm legt
wäre es völliger Blödsinn, unbedingt exakt einer lange im Voraus geplanten Route
folgen zu wollen. Selbst die beste Ortskenntnis nützt in diesem Falle nichts.
Ich weiß, welche Routen im heimatlichen Nordschwarzwald meist auch bei
Tiefschnee geräumt und daher laufbar sind, aber nach tagelangem Schneefall kann
man auch davon die meisten aus der Planung streichen. Doch im Winter kommt es
beim Ultra-Training nicht auf die bewältigten Kilometer und Höhenmeter an. Je
nach Bedingungen kann der Tag trotz deutlich verkürzter Strecke anstrengender
werden als an schneeärmeren Terminen.
Dass unsere ursprünglich geplante Aufstiegsroute bei den aktuellen Verhältnissen
unseren Zeitrahmen sprengen würde wissen wir spätestens nach den erneut sehr
starken Schneefällen von gestern. Bei einem großen Teil dieser Route müssten wir
heute durch knietiefen Schnee spuren.
Da ich von normalen Wintern weiß, dass man auf dem Murgtal-Radweg zwischen
Forbach und Raumünzach meist auch bei Schnee gut laufen kann und ich auch eine
hoffentlich geeignete Route von dort hinauf zur Schwarzwald-Hochstraße kenne
entscheiden wir uns für diese Variante.
Als wir Forbach verlassen bricht bereits die Dämmerung an. Immer deutlicher
taucht die tief verschneite Winterlandschaft aus der Dunkelheit. Unsere
Stirnlampen bleiben im Rucksack. Dieser Abschnitt des Weges führt einige
Kilometer lang abseits von Straße, Bahnlinie und Ortschaften durch fast
ursprüngliche Natur. |
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Die häufig gehörte Meinung, im Winter sei es zu kalt zum laufen, halte ich für
eine plumpe Ausrede. Es ist alles nur eine Frage der geeigneten Kleidung. Schon
nach einem Kilometer spüren wir nichts mehr von der deutlich unter Null
liegenden Temperatur, zwei von uns ziehen sogar bereits eine Schicht der
Bekleidung aus.
Im Winter ist es noch sinnvoller als im Sommer, statt wenigen dicken Shirts,
Pullover oder Jacken mehre Schichten übereinander anzuziehen. Dadurch kann man
sich unterwegs ständig den aktuellen Bedürfnissen anpassen. Sobald man sich nach
dem Start genug warm gelaufen hat packt man eine Fleece-Jacke wieder in den
Rucksack, und abends, wenn die Temperaturen stark sinken, kann man diese wieder
anziehen. Wenn ich mit Rucksack unterwegs bin, was wegen der Thermoskanne im
Winter bei allen längeren Läufen der Fall ist, packe ich außerdem noch eine
zweite Mütze und ein zweites Paar Handschuhe ein. Je nach Witterung kann ich
dann zwischen dünnem und besonders warmem Material wechseln. Und hier noch eine
„Erfindung“ von mir: da ich meist im Hüftbereich stärker friere als am
restlichen Körper habe ich diese Stelle besonders geschützt. Von einem besonders
warmen Sportunterhemd schnitt ich die untere Hälfte ab und nähte sie auf ein
anderes oben drauf. Dies reduziert die Gefahr, Nieren und Blase zu verkühlen,
gleichzeitig schwitze ich am Rücken und den Schultern weniger.
Ganz wichtig für lange Strecken im Winter ist es, dass man seine Sporttextilien
vorher bei kürzeren Läufen auf ihre Wintertauglichkeit testet. Egal was die
Hersteller schreiben – in den meisten Unterhemden, Shirts und Jacken sollte man
bei Kälte besser nicht stundenlang unterwegs sein. Manche Laufhosen wandeln sich
bei Minusgraden zu Eisbeuteln, klatschnasse Socken in den Schuhen verderben
jeden Spaß, und auch einige Mützen und Handschuhe mutieren nach ein paar
schneereichen Stunden zu Kältefallen. Doch wer im Laufe der Zeit heraus findet,
mit welchen Klamotten man sich auch im tiefsten Winter wohl fühlt, der kann auch
an Tagen unter dem Gefrierpunkt dauerhaft draußen bleiben ohne zu frieren –
zumindest solange man in Bewegung bleibt.
Je nach den aktuellen Bedingungen und der Wahl der Strecke lohnt es sich auch,
Gamaschen oder Spikes bzw. Schneeketten zu verwenden. Bei so viel Tiefschnee wie
heute verhindern Gamaschen, dass Schnee von oben in die Schuhe eindringen kann.
Außerdem halten sie den unteren Teil der Hose trocken. Meine YakTrax kann ich
heute dagegen im Rucksack lassen, denn diese wirken zwar auf vereister Strecke
Wunder, sind aber bei weichem Pulverschnee unnötig. |
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Anfangs können wir noch sehr gut in der Fahrspur eines Autos laufen, doch nach
etwa zwei Kilometern endet diese. Nun müssen wir unseren Weg selbst spuren. Nur
ein Reh spazierte hier schon einige Zeit vor uns, ansonsten liegt die
pulverweiche Schneedecke noch völlig unberührt. Außer dem Plätschern der rechts
unter uns fließenden Murg durchbricht kein Laut die Stille. Das ist für mich die
schönste Adventstimmung. |
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Immer wieder wirbeln dicke Schneeflocken um uns herum, dann bleibt es eine Weile
trocken, dann schneit es erneut. Wie schön es ist, hier zu laufen! Und in einer
kleinen, angenehmen Gruppe macht es natürlich noch viel mehr Spaß als alleine. |
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Obwohl unsere Route entlang der Murg relativ flach ist können wir wegen dem
Schnee nicht laufen. Aber schon das langsame Gehen trainiert hier mehr Muskeln
als eine sommerliche Bergetappe oder ein schneller Sprint. Durch unsere
Langsamkeit nehmen wir außerdem noch intensiver die Natur um uns herum wahr, das
einsame Tal, die Eiszapfen an den Felsen und die fallenden Schneeflocken.
Nach einigen Kilometern überqueren wir bei Raumünzach auf einer Brücke die Murg.
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Eine Weile laufen wir nun auf einer um diese Uhrzeit fast autofreien Straße
bergauf. Erst kurz unterhalb der Staumauer von der Schwarzenbach-Talsperre
wechseln wir wieder auf einen Wanderweg.
Die Route am Ufer des großen, malerisch gelegenen Stausees wurde offensichtlich
gestern vom Schnee geräumt, so dass heute nur ein paar Zentimeter Neuschnee
drüber liegen. Hier können wir wieder laufen. Außer uns ist noch kein Mensch
hier oben. Wahrscheinlich drängen sich jetzt gerade in den Städten die Massen
bei den Weihnachtseinkäufen. Schmuck, Parfüm, Nippes... – das hier oben ist für
mich ein viel schöneres Geschenk. |
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Bald nach Verlassen des Stausees müssen wir wegen Tiefschnee wieder für kurze
Zeit auf die Straße ausweichen.
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Ab Herrenwies gibt es dann wieder einen Winterwanderweg, den wir nutzen wollen.
Theorie und Praxis liegen allerdings am frühen Morgen noch ein Stück
auseinander. Der Schneepflug hat den Wanderweg noch nicht von seiner weißen
Pracht befreit. Mühsam arbeiten wir uns durch den Schnee voran. Aber wie bereits
erwähnt: im Winter kommt es nicht auf Geschwindigkeit an. Sogar Fünfzehner- oder
Zwanziger-Schnitt kann bei solchen Verhältnissen mehr Muskeln fordern als
normales Intervalltraining. Es macht Spaß, hier durch den Schnee zu pflügen. |
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Auf einer Weide stehen ein paar Zuschauer und blicken verwundert zu uns hinüber.
An deren Fell hängen sogar noch mehr Eisklumpen als an meinem Bart. |
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Bald darauf kommt uns dann doch ein Schneepflug entgegen. Da der Weg zu schmal
für Fahrzeug und Läufer ist müssen wir ein Stück zurück laufen, bis wir eine
Ausweichstelle im tiefen Schnee finden.
Die Hoffnung, nun auf einer planierten Strecke laufen zu können, erweist sich
als voreilig, denn trotz Schneepflug ist die Oberfläche immer noch so weich,
dass wir bei jedem Schritt einsinken und häufig zwischen Laufen und Gehen
wechseln müssen. |
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Die tief verschneite Landschaft entspricht allen Wintermärchen-Klischees. Ach
wie herrlich ist es, hier zwischen üppig bedeckten Tannen und wirbelnden Flocken
voran zu stapfen. Viel schöner, als im gewohnten Stadtpark auf Asphalt und
angekläfft von zwei Dutzend Hunden zehnmal die gleiche Runde zu drehen. Und man
muss nicht unbedingt immer weit in Urlaub fahren, um solche herrlichen Tage zu
erleben. Wenn ich an die vielen Tausend Urlauber denke, die jetzt gerade an den
Flughäfen sitzen und sich zu Tode ärgern, weil ihre Flüge storniert wurden, dann
laufe ich umso fröhlicher durch den Wald. Dass heute die Sonne nur für wenige
Minuten zu uns durch dringt macht mir nichts aus. Schneechaos? Sogar die
Deutsche Bahn rät von Bahnfahren ab? Auch uns haben Freunde abgeraten, bei
dieser Witterung zu laufen. Sie ahnen nicht, was sie verpassen!
Schließlich erreichen wir bei Sand die Schwarzwald-Hochstraße und können nun
zumindest vorübergehend ein Stück weit auf der ursprünglich geplanten Route
laufen.
Schon viele Jahre bevor ich erkannte, dass mir Training im Schnee Spaß macht,
liefen meine Freundin und ich ein bis zweimal pro Winter auf dem normalerweise
sehr gut präparierten Winterwanderweg neben der Skiloipe von Sand bis zum
Mummelsee. Bei guten Bedingungen ist dies eine perfekte Winterlaufstrecke.
Selbst im tiefsten Winter kann man hier meist einigermaßen gut laufen, die Route
hat nicht allzu viele Höhenmeter, herrliche Aussicht und stündliche
Busverbindung, falls wir die etwa 10 km nicht auch wieder zurück laufen wollen.
Aber heute ist der Untergrund zum Laufen meist viel zu weich. Daher legen wir
auch hier etwa zwei Drittel der Strecke schnell gehend, den Rest langsam laufend
zurück.
Ein Glück, dass wir alle vier dieselbe Einstellung haben: Lauftraining und
Wintererlebnis hängen nicht von der Geschwindigkeit ab. Auf normalem Waldboden
können wir fast das ganze Jahr über laufen, aber diese Kalorien verzehrende Art
der Fortbewegung, die Herausforderung, trotz weichem Untergrund halbwegs zügig
voran zu kommen, die Freude, zur Abwechslung durch weichen Pulverschnee laufen
zu können, die winterliche Umgebung – dies ist ein unbezahlbarer Lohn für die
Anstrengung.
Bei Hundseck ist es kurz vorbei mit der Stille. Beim Überqueren einer Skipiste
müssen wir aufpassen, dass nicht von oben jemand à la Althaus auf uns rast, und
auf dem großen Parkplatz drängeln sich Autos. Wie froh ich bin, statt
stundenlang diesem Trubel ausgesetzt zu sein lieber in unserer kleinen, netten
Vierergruppe den Winter genießen zu dürfen! |
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