Ab und zu bleiben meine Schuhe im mehr als knöcheltiefen Schlamm fast stecken.
Schon nach hundert Metern sind meine Schuhe bis zum Rand mit Wasser voll
gelaufen. Manchmal muss ich erst kurz stehen bleiben und überlegen, wo ich meine
Füße beim nächsten Schritt am besten aufsetzen soll. Ganz normal geradeaus macht
heute keinen Sinn. So schlingere ich in einem vorsichtigen Slalom langsam voran.
Von allen Schlammtrails, die ich in meinem Leben sah, ist dies derjenige, der
mit Abstand am meisten das Gleichgewichtsgefühl trainiert. Rückblickend erkenne
ich auf der Karte und im Roadbook, dass dieser Wegabschnitt weniger als einen
Kilometer lang ist. Mir kommt er viel weiter vor.
Hier treffe ich unterwegs auch erstmals auf einen Teilnehmer der 100 Meilen. Er
wirkt sehr demotiviert und hat sichtlich große Probleme, auf dieser Schmiere
voran zu kommen.
Auf der folgenden Strecke zur Brandner Alm muss man zwar oft auch noch
aufpassen, dass man nicht ausrutscht, aber in Wechsel zwischen vorsichtigem
Laufen und flottem Marschtempo geht es doch meist halbwegs gut.
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Der Aufstieg zur Hörndlwand ist technisch nicht besonders schwer, aber lang.
Immer öfter umhüllt uns Nebel. Auf richtiges Tageslicht muss ich heute dauerhaft
verzichten. Ich muss fast den ganzen Tag über die Kamera auf ISO 800 einstellen,
was bei meiner Lumix zu einer miserablen Farbqualität der Fotos führt. Fast die
Hälfte davon lösche ich am nächsten Tag, weil sie mir nicht gefallen. |
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Schließlich erreichen wir die Kontrollstelle kurz unterhalb des Gipfels. Zum
eigentlichen Gipfel kommen wir nicht. Das Wasser und den die warmen Getränke
mussten die tapferen Helfer selbst mit Kanistern und Thermoskannen von der
Brandner Alm zu Fuß hier herauf schleppen. Vielen herzlichen Dank!
Im Roadbook steht, dass es bei schönem Wetter hier oben heiß werden kann. Heute
nicht! Ich friere. Gi schrieb: "Genießen Sie hie den fantastischen Ausblick von
den Berchtesgadener Alpen über die Loferer Steinberge bis zur Firnpyramide des
Großvenedigers und den steilen Wänden des Wilden Kaisers!" Uns bleibt im dichten
Nebel nur die Vorstellung, wie es aussehen könnte.
Johannes Hartmann, der gleichzeitig wie ich hier oben ankommt, schlägt vor, dass
wir den berüchtigten, sturzgefährdeten Abstieg gemeinsam bewältigen. Gute Idee! |
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In den letzten Monaten haben mich schon mehrere ehemalige Teilnehmer vor diesem
Abstieg gewarnt. Auch beim Briefing und im Roadbook gab es deutliche
Warnhinweise. Und bei dem heutigen Dauerregen ist der ohnehin schon
anspruchsvolle Weg natürlich noch viel rutschiger als bei trockenem Wetter.
Ich liebe anspruchsvolle Trails und bin auch schon auf einigen spannenden
Abstiegsrouten unterwegs gewesen, aber dies ist heute wirklich mit Abstand das
anspruchsvollste, was ich bisher bei einem Wettkampf sah. Einesteils macht es
mir wirklich sehr viel Spaß, hier bergab zu balancieren, andererseits fordert
das extrem vorsichtige, langsame Gehen natürlich entsprechend Zeit und bringt
mich in meinem Kampf mit dem Zeitlimit immer weiter in Rückstand.
Für mich ist es auf jeden Fall eine läuferische Weiterentwicklung, durch das
Wapbachtal hinabzusteigen, stolpern und rutschen. Trotzdem weiß ich natürlich,
dass es für die wirklich guten Ultramarathonis noch deutlich härtere Aufgaben
gibt. Mein heutiges Abenteuer ist sicher harmlos im Gegensatz zu den nächtlichen
Abstiegen z.B. beim UTMB oder auf La Réunion. Es gibt immer ein „noch schwerer“.
Wir befinden uns jetzt nicht bei einem Rennen sondern bei der Gameshow „Wer den
Boden am häufigsten mit den Schultern berührt hat verloren.“ Ich lege mich
mindestens drei Mal hin. Über mir höre ich immer wieder Flüche, unter mir ein
Plumpsen und ein „Autsch!“ Die Kommunikation mit den anderen Läufern beschränkt
sich auf die häufige Frage: „Etwas passiert?“ „Nein, Glück gehabt.“ |
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Das letzte Stück hinab ins Röthelmoos wird dann wieder einfacher. An der
Langerbauer-Alm erreichen wir bei km 41,6 die erste Verpflegungsstelle seit
Ruhpolding.
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An jeder Kontroll- und Verpflegungsstelle hängen Schilder mit Angabe des
Kilometerstandes, des Abstands zur nächsten Station und der empfohlenen
Durchgangszeit, die man einhalten sollte, wenn man das Rennen bis Zielschluss
schaffen will. Ich sehe, dass ich durch die rutschigen Pfade schon so sehr
ausgebremst wurde dass ich 25 Minuten Rückstand auf die Maximalzeit habe. Wie
schafften es die Spitzenläufer, so schnell hier runter zu kommen?
Hier wartet Annette auf mich, meine Freundin, die mit dem Mountainbike von
Ruhpolding herauf geradelt ist. Dies war auch kein Vergnügen, denn inzwischen
regnet es seit fünf Stunden fast ohne Pause.
Ich bediene mich ausgiebig an der üppigen Speiseauswahl, trinke heiße Suppe und
Cola, dann geht es weiter. Während der fünf Minuten, die ich hier saß, bin ich
ausgekühlt und friere wieder. Eigentlich ist das verrückt. Bei der
Brocken-Challenge lief ich schon zwei Mal bei Minusgraden ohne zu frieren durch
den Schnee, und jetzt, mitten im eigentlichen Sommer, wird mir kalt. Alles eine
Frage der richtigen Kleidung! Ich habe zwar ein warmes, langes Shirt und eine
Windstopper-Jacke an, aber das genügt heute nicht. Daher sind Johannes und ich
froh, dass nun ein Aufstieg auf einer Forststraße folgt, bei dem man sich
während dem Laufen schnell aufwärmt. Der Regen hört nun für den Rest des Tages
weitgehend auf.
Heute sehen wir natürlich nahezu keine Wanderer. Nur wir Ultramarathonis sind so
verrückt, bei diesem Sauwetter unterwegs zu sein.
Auf dem Pfad zum Jochbergsattel drossle ich die Geschwindigkeit und lasse
Johannes voran laufen. Mir wird schon wieder grau vor den Augen – natürlich
nicht wegen Schwäche sondern weil Petrus erneut die Landschaft hinter einem
dicken Nebelschleier versteckt. |
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Oberhalb der Jochbergalm geht es fast weglos durch den Nebel über Weiden
aufwärts. Nur die gelegentlich an Zweigen hängenden Flatterbänder zeigen uns die
Route. Hier muss man ein wenig aufpassen, damit man sich nicht im Nebel verirrt.
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Vor mir im Grau erkenne ich die Silhouette einer langsam aufsteigenden Person.
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Gegen 13 Uhr hole ich sie ein. Es ist Anke Drescher, die einzige Frau, die
gestern für die 100 Meilen gestartet ist. Sie hat diesen Lauf schon einmal
gewonnen, weiß aber jetzt schon, dass sie heute keine Chance hat, das Zeitlimit
zu schaffen.
Wir steigen über einen Grat. Auf der anderen Seite führt ein Pfad hinab, bei dem
man manchmal langsam gehen muss, der aber zeitweise auch ein vorsichtiges Laufen
zulässt. Landschaftlich gefällt mir dieser Abschnitt wieder sehr gut. Wie toll
muss es aussehen, wenn der Nebel auch die Berge in der Ferne frei gibt! |
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Ich erreiche einen breiten Forstweg, auf dem man wieder etwas Tempo machen kann.
Vor lauter Landschaftsgenuss übersehe ich eine klar markierte Abzweigung und
laufe auf dem breiten Weg geradeaus. Zum Glück steht an dieser Stelle eine Frau
vor einer Almhütte und weist mich auf meinen Fehler hin.
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Nun geht es wieder über Pfade auf und ab. Zum ersten Mal reißt der Nebel so weit
auf, dass ich vor mir einen hohen Gipfel aufragen sehe. „Groß und mächtig,
schicksalsträchtig“ - nein, hier ruft nicht der Watzmann, es ist nur der
Hochfelln, aber bei dem Gedanken, heute Abend noch mal von ganz unten ganz
hinauf und wieder runter zu müssen gruselt es mir ein wenig. |
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Kurz darauf sehe ich auch zum einzigen Mal heute ein kleines Stück des
Alpenvorlandes. Normalerweise könnten wir von hier und vom Hochfelln auch zum
Chiemsee blicken. |
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Inzwischen habe ich Johannes wieder eingeholt. Einige Kilometer weit laufen wir
wieder mehr oder weniger zusammen. |
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Im Eschelmoos ist die erste Cut-Off-Stelle. Wer hier zu spät kommt oder sich
nicht mehr fit fühlt muss auf die 66 km Route ausweichen. Wer dagegen die
komplette Strecke schafft, wird hier heute Abend noch einmal von der anderen
Seite vorbei kommen.
Nun laufen wir vier Kilometer auf einer breiten Forststraße bergab. Dies ist mal
wieder ein Abschnitt, auf dem man in relativ kurzer Zeit eine größere Strecke
zurücklegen kann.
Obwohl der Chiemgauer 100 wohl vor allem wegen der anspruchsvollen
Streckenabschnitte bekannt ist kann man auf der Mehrheit der Kilometer gut
laufen. „38% Wanderwege, 55% Forststraßen, 7% asphaltiert“ steht in der
Ausschreibung.
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Bei der Verpflegungsstelle Kohlstatt mache ich noch einmal eine ausgiebige
Vesperpause. Die Speiseauswahl ist so gut, die Atmosphäre so heimelig, dass ich
am liebsten länger hier bleiben würde. Johannes beschließt, tatsächlich eine
Weile hier zu rasten
Nach den leichten letzten Kilometern geht es nun gleich wieder kräftig zur
Sache. In direkter Linie muss ich einen Skihang mit fast 25% durchschnittlicher
Steigung hinauf steigen. |
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Anschließend geht es abwechselnd auf Forststraßen und schmalen Wegen mit
leichtem Auf und Ab weiter.
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