Die perfekte Welle – sie kommt langsam auf dich zu
- Von Jochen Brosig
Blauer Himmel. Strahlender Sonnenschein. Kärntner Sommerwetter. Die Vögel
zwitschern ihr Lied. Das ist Urlaub von seiner schönsten Seite. Mit Manfred
laufe ich von Seeboden über Lieserhofen nach Altersberg. Die alte Römerstraße
entlang. Wir haben schon etliche Höhenmeter hinter uns. Auf dem Weg zum Gipfel
gibt es noch weitere. Die Märchenwandermeile liegt vor uns. Danach gilt es die
Drachenschlucht zu überqueren ( www.drachenschlucht.com ). Das geht nur über die
Hängebrücke. Au weh, die wackelt doch? Zwei Läufer beim Laufen über eine
Hängebrücke. Ob das gut geht? Unter unserem vorsichtigen Laufschritt fängt die
Brücke an zu vibrieren. Ich bekomme Panik. Ein komisches Gefühl macht sich in
meiner Magengegend breit. Die Brücke schwankt. Das Auf und Ab erinnert mich an
meine Katamaranfahrt nach Helgoland. Mir wird schwarz vor den Augen.
Rückblende – die Helgolandüberfahrt im Frühjahr: Früher gab es Butterfahrten.
Heute bringt einen der Katamaran nach Helgoland. Es war guter Wind, mindestens
Stärke 6. Das Schiff stampfte gegen die Wellen und die Wellen schlugen zurück.
Der Stahl bebte und der Boden schaukelte. Die Leute saßen erst mit käsigem
Gesicht an den Tischen unter Deck vor den Ernte-23-Aschenbechern und gingen
dann, wenn es nicht mehr auszuhalten war, an die Reling um frische Luft zu
schnappen oder sich zu übergeben. Diejenigen, die es nicht mehr schafften,
erbrachen sich direkt in die Marlboro-Tüten, in denen die zollfreien Einkäufe
verpackt waren. Ich glaube, meine Erinnerung täuscht mich nicht, ich sah gelbe
Lachen über den Boden verteilt und es stank zum Gotterbarmen. Und in diese
Stimmung aus Stöhnen und Weltuntergang rief ein fröhlicher Kellner: „Wer will
noch ein Krabbenbrötchen?“
Mein Kollege stellte sich kühn an die Reling und ließ sich die Gischt ins
Gesicht spritzen. Bis er feststellte, dass in der Gischt feste Stückchen waren.
Als er hoch schaute, standen Leute über ihm auf dem Oberdeck und spieen in die
See. Ich war noch nie seekrank. Diejenigen die es wurden, habe ich stets
belächelt. Lag es an dem Buch, das ich gerade vorher gelesen hatte? Oder an dem
feuchtfröhlichen Barbesuch gestern? Nein, die Wellen wurden immer höher. Wir
klammerten uns alle an unsere Armlehnen. Kein Quieken und Kreischen der Freude
war zu hören. Nur gespenstische Stille. Mir wurde schlecht. Ich wünschte mir
plötzlich nichts sehnlicher, als dass diese Tour endlich enden würde. Mein
Körper rebellierte gegen das Hoch und Runter. Und seitdem ich das erlebt habe,
neige ich dazu zu glauben, dass Seekrankheit eine natürliche Reaktion des
Menschen ist. Er will nicht verschaukelt werden. Er sehnt sich nach Klarheit und
was man festen Boden unter den Füßen nennt. Das bedeutet, dass man nicht auf die
schiefe Bahn kommen möchte. Der Mensch will auf ebener Erde sein, aufrecht
stehen und aufrecht gehen bzw. laufen. Wer könnte dagegen etwas haben? Der
Witzbold mit seinen Krabbenbrötchen sollte sich was schämen.
Wieder im Hier und Jetzt: Blauer Himmel. Strahlender Sonnenschein. Kärntner
Sommerwetter. Die Vögel zwitschern ihr Lied – Urlaub ist was Wunderbares. Nicht
selten verliere ich mich in Tagträumen. Dann bin ich ganz weit weg. Es wirkt wie
eine überirdische Kraft auf mich, zieht mich magisch an. Ich sehe nach unten.
Fester Boden ist wieder unter meinen Füßen. Die Hängebrücke schaukelt noch nach.
Wenn ich ein Jahr lang nicht in den Bergen war, leide ich. Dort lässt sich
Urlaub und Berglaufen so herrlich verbinden. Ein Reisemagazin schwärmt:
„Meeresluft tanken. Lassen sie sich bei einer Kreuzfahrt verwöhnen?“ Für mich
ein Totschlagargument.
Wenn dann der Urlaub schon wieder hinter mir liegt, träume ich mich einfach
davon. Die nächste Bergtour kommt bestimmt. Eine Reisesendung schwärmt:
„Nirgendwo auf der Welt können Sie besser entspannen“. Ein Kreuzfahrtschiff
fährt durch den Ozean. „Entfliehen Sie doch einfach den nordeuropäischen
Wetterkapriolen.“ Na schön, denke ich mir dann. Mir ist es lieber, auf festem
Boden zu bleiben. Oder mich von einer Gondel nach einem Berglauf unbeschwert ins
Tal tragen zu lassen.
Run happy and smile!
Euer Querläufer
Jochen Brosig
Röttenbach, den 13. September 2011 |