Schweizer Eisen rostet nicht …
Ich hatte mich relativ kurzfristig entschieden, noch am
„Swiss Iron Trail“ teilzunehmen. Und ich wollte über die lange Distanz auf die
Strecke gehen, über die 201 bergigen Kilometer.
Die meisten von uns Läufern denken beim Wort SIT an den Rennabbruch vor zwei
Jahren bei der Premiere dieses Laufs, damals noch ein Lauf von Pontresina im
Oberengadin nach Chur im Bündner Rheintal.
Damals reihten sich das Ausklammern des Gletschers bei Pontresina an die
Streckenverkürzung, an die Startverschiebung und schließlich wurde das Rennen
früh abgebrochen, die beiden kürzeren Distanzen am dann mit schönem Wetter
hervorragenden Folgetag wurden erst gar nicht gestartet.
Wasserfall
Aber jeder darf lernen und im zweiten Jahr 2013 war alles anders und auch viel
besser. Es ging von Pontresina nach Davos, also noch immer eine Strecke von
einem Punkt zu einem anderen.
Nun, 2014, wurde ein Rundkurs aus dem SIT und das hat sehr viele Vorteile.
Vorteile für den Veranstalter, weil vieles leichter zu organisieren und zu
kontrollieren ist, Vorteile aber auch für die Läufer, denn das Problem vor dem
Lauf vom Ziel zum Start zu kommen oder nach dem Lauf einen Transport vom Ziel
zum Start zu organisieren, entfällt. Und
Davos kann eine solche Veranstaltung
tragen, das beweist Davos seit Jahren erfolgreich beim Swiss Alpine K78.
Und Davos ist eine wunderschöne Stadt, die höchstgelegene Stadt Europas sogar.
Und Davos ist eine auch kulturell bedeutende Stadt, das Weltwirtschaftsforum
(WEF) findet dort alljährlich statt und im „Zauberberg“ von Thomas Mann
beschrieb Mann das Davoser Waldsanatorium, das heute als Waldhotel Davos
geführt
wird.
Auch bei „Stiller“ von dem von mir so sehr verehrten Max Frisch erscheint Davos
als Kurort.
Also auf zur Kur.
Ich hatte dank eines Autoschadens einige Mühe mit der Anreise, ich schaffte es
dennoch pünktlich zur Pressekonferenz vor dem Lauf, in der der SIT 201 offensiv
mit dem UTMB verglichen wurde. Streckenlänge, Aufstiege, erwartete Laufzeiten
wurden verglichen, überall hatte der SIT ein Plus von rund 20%, dabei liegt die
gesamte Strecke im Durchschnitt rund 500 Meter höher als beim UTMB.
Dass sie auch nasser ist, dachte ich dort über viele Stunden hinweg.
Schnee und Frost!
Ich war wohl unaufmerksam, was die Startzeit anging und hatte ständig die
Startzeit um 12.00 Uhr in Erinnerung, was mich dann zu der fahrlässigen
Überlegung führte, für meinen Leihwagen einen besseren als den zuerst gewählten
Standplatz zu suchen. Als ich dann am Start ankam, waren die Läufer schon auf
der Strecke und ich rannte mit einer Verspätung von einigen Minuten der Menge
hinterher.
Auf 11.50 Uhr wurde der Start vorverlegt, die Gründe dafür kenne ich nicht. Aber
diese Verschiebung ließ mich eine Lektion lernen, nämlich die, wie schwer es
ist, eine auch nur kleine Lücke zuzulaufen, wenn Du gleichzeitig noch Deine
Startnummer am Startnummernband befestigen willst, die Stöcke auseinanderfalten
möchtest, noch Deine Blase entleeren solltest und Du Dein Frühstück noch in den
Händen hältst. Aber nach genau einer Stunde war es dann soweit – ich war nicht
mehr Letzter.
Schnee und Frost!
Nach der ersten Verpflegung in Sertig Dörfli nach 11 Kilometern war dann alles
wie normal. Manche gönnten sich dort am Verpflegungspunkt ein paar Minuten der
Entspannung, ich schaute, dass ich im Feld etwas weiter Richtung Mittelfeld kam.
Überhaupt die Verpflegungsposten. 18 Stück waren es auf der Strecke, mit der
Startverpflegung für diejenigen, die nicht zu spät kamen und mit der
Zielverpflegung waren es sogar 20 Stück, alle gut 10 Kilometer also eine, mehr
als ausreichend, finde ich.
Und das angebotene Sortiment war entsprechend, ebenfalls mehr als ausreichend.
Nudeln gab es schon ab der dritten Station, Wasser, Iso, Cola in rauen Mengen,
nichts zu „meckern“ also, alles auch dank der Unterstützung der Supermarktkette
MIGROS. Nur einen Wunsch hätte ich hier für die Zukunft: wenn man mal die Nudeln
variieren würde und die angebotenen Sortimente auch, dann würde ich diesen Lauf
schon allein wegen der Verpflegung besuchen wollen.
Blick auf den Silser See
Die Strecke rund um Davos zu beschreiben fällt leicht. „Den schönsten Trail der
Welt“ nannte es an anderer Stelle einer, ich finde, dass alleine die Namen
Sertigpass, Kesch, Fuorcla, Margunin, Station Murtél, Isola, Maloja,
Lunghinpass, Kanonensattel, Urdenfürggli, Weisshorn, Strelapass und Schatzalp
das Herz derer höher schlagen lässt, die gerne wandern oder, noch besser, gerne
Berge rennen gehen.
Dabei haben die Organisatoren rund um Andrea Tuffli darauf geachtet, dass mit
Anfang 2.700 Metern über N.N. Schluss ist mit den Anstiegen, um dem schlechten
Wetter nicht allzu große Chancen zu geben, dieser Veranstaltung erneut einen
Strich durch die Rechnung zu machen.
Und dennoch hat es das Wetter geschafft, aus dem „Swiss Iron Trail“ etwas zu
machen, dass besser ein „Swiss Steel Trail“ sein sollte, aus rostfreiem Stahl,
denn es regnete schon den ganzen Spätjuli und den ganzen August durch, die
Wiesen waren meist überschwemmt, die Flüsse übervoll und in vielen Situationen
regnete es während des Laufs weiter.
An Sonnencreme hatte ich gedacht, Rostentferner aber fehlte in meinem Rucksack.
Blick auf den Silser See
Ständig hatten wir nasse Füße, vor allem das Schuhmaterial und die Strümpfe
wurde einem echten Härtetest unterzogen. Ich hatte mich ja für die neuen
„Dynafit Feline Featherlight“ Laufschuhe entschieden, superdünn mit einer
griffigen Vibram-Sohle, weil ich das ständige Rutschen in Andorra satt war und
ich war sehr glücklich mit dieser Schuhwahl, gerade bei diesen nassen und
matschigen Streckenverhältnissen.
Aber ständig nasse Füße und das bei Temperaturen bis zu minus 6 Grad? Auch das
hat Vorteile. Statt auf die Stimmen der anderen Läufer hören zu müssen, konnte
man die Läufer anhand ihres Hustens erkennen, Halsschmerzen inklusive.
Matsch und Matsch
Manchmal aber schien auch die Sonne. Und wenn sie das tat, dann war es auch warm
und schön, fast heiß. Aber, um nicht zu übermütig zu werden, hat es auch
geschneit, runde, fast wie Styroporkugeln aussehende Schneeflocken. Ruck zuck
war der Berggipfel weiß, die Fotoaufnahmen in diesem Schnee aber fand ich
großartig.
Was mir gar nicht gefallen hat und wo ich der Ansicht bin, dass der Veranstalter
da sich noch deutlich verbessern kann, ist in der Markierung der Strecke, wenn
es neblig ist, stark neblig.
Zwei solche Situationen habe ich dort erlebt. Vor Maloja beispielsweise, oben
auf dem Berg. Es war Tag gewesen und ich konnte die Markierung kaum noch
erkennen. Es windete unheimlich, es war eisig kalt, so kalt, dass ich abwägte,
welche Qual größer sei, nämlich die, ohne Jacke und Handschuhe weiter zu laufen
und zu frieren, dafür aber schnell tiefer zu kommen oder die, im beißenden Wind
stehen zu bleiben, den Rucksack abzunehmen, Handschuhe und Jacke heraus zu
kramen, das alles wieder aufzuschnallen … ich entschied mich für das weiter
laufen.
Aber direkt hinter mir wurden die Läufer dann angehalten und sie durften nur
noch in Dreiergruppen durch den Nebel gehen, damit niemand verloren geht. In
ganz unruhigen Träumen erscheint mir manchmal ein orangenes Blinklicht, das
durch den dichten Nebel scheint. Vielleicht teilen die Organisatoren irgendwann
mal diesen Traum mit mir.
Am Lunghin See, wo auch der Inn entspringt
Meine zweite Nebelsituation war dann auch meine letzte. Und das Ende meines
Laufs. Es war oben auf dem Berg Furschela da Colm auf 2.399 Metern. Es war gegen
21.30 Uhr, es war gerade dunkel geworden, das Kopflicht war an und formte einen
kleinen Lichtkegel. Ganz oben sah ich ein reflektierendes Band im wieder sehr
dichten Nebel. Also dorthin. Und dort umgesehen, oben, unten, rechts, links.
Aber nichts war zu sehen, kein reflektierendes Band, kein nicht reflektierendes
Flatterband, keine orangene Markierung auf einem Stein, nichts.
Ich entschloss mich, meinem Gefühl zu folgen und nach links zu gehen, nur zwei
Minuten weit. Dann glaubte ich, falsch zu sein und wollte zum Ausgangspunkt
zurück. Aber mach‘ das mal. Ich kam irgendwo raus, von dem reflektierenden Band
war nichts mehr zu sehen.
Land unter
Mein Garmin zeigte zwar den Track an, aber das blaue Dreieck bewegte sich nicht,
ich hatte wohl keine Ortung. Aber ich hatte ja den Tracker vom Veranstalter. Und
der hat eine SOS-Taste. Ich drückte sie mehrmals, ohne eine Reaktion zu
erfahren. Ich baute den Tracker auseinander und wahrscheinlich falsch wieder
zusammen, weil ich danach wohl keine Ortssignale mehr sendete.
Irgendwann hörte ich glücklicherweise ganz leise Stimmen durch den Nebel. Noch
war ich nicht so verängstigt, dass ich wie in der griechischen Sage die Sirenen
hörte, also brüllte ich in Deutsch und in Englisch, bis ich die beiden Jungs
irgendwann fand.
Die hatten sich aber auch verirrt, auch sie hatten nur dieses letzte
reflektierende Band gesehen und dann nichts mehr. Aber ich war nicht mehr allein
und so warteten wir weiter, bis wir noch jemanden fanden, der dann sogar ein GPS
Gerät hatte, das Empfang hatte.
So konnten wir unseren Weg nach Savognin fortsetzen.
Einer der beiden blieb aber bei der nächsten Verpflegung stehen und streikte,
der andere sagte mir, dass er in Savognin Schluss machen würde. Ich hatte bis
dahin nach meiner ersten Laufpartnerin aus der Schweiz, der die kalte erste
Nacht zu viel war und die Panik vor der zweiten Nacht hatte, nach einem
deutschen Laufpartner Dieter, der mit Achillessehnen-Problemen das Rennen
verließ und nach seinem Lauffreund Horst, der mit schmerzendem Hals ausstieg,
schon so viele Laufpartner verloren, dass ich dann auch keine Lust mehr hatte,
die 65 Kilometer ab Savognin weiter zu bestreiten. Ich hüpfte also zum Abschluss
auf der Zeitmessmatte in Savognin auf und ab, eine Zeitnahme, die erst Tage
später gefunden werden konnte und gönnte mir dann Ruhe im Schlafraum.
Um 5.30 Uhr klingelte dann mein Handy und ich wurde besorgt gefragt, wo ich sei,
mein Tracker würde nicht mehr senden. 8 Stunden Reaktionszeit und das, wo schon
die SOS Taste nicht funktioniert hat? Ich dachte immer, die Produkte aus der
Schweiz seien zwar durchweg teuer, aber dafür stets qualitativ hochwertig.
An dieser Stelle den Tracker-Anbieter zu wechseln wäre wohl mehr als angeraten.
Für das schlechte Wetter kann niemand etwas, für die überschwemmten Auen auch
nicht. Und so schlimm war die Nässe auch wieder nicht, wir haben alle zumindest
keinen Rost angesetzt bei diesem schweizer Eisen.
Die Strecke ist zweifellos wunderschön, es gibt laufbare Passagen darunter, es
ist also nicht nur eine lange Wanderung, die da von Dir erwartet wird. Die
Berge, die Pässe, die Ausblicke in die Täler, all das macht den SIT vielleicht
wirklich zum „schönsten Trail der Welt“, im organisatorischen Bereich aber lässt
sich noch mancher Klunker zum Diamanten schleifen.
Aber wenn die Organisatoren auch mal meinen Traum von orangenen Blinklichtern im
Nebel träumen, wenn ein Tracker eingesetzt wird, der auch funktioniert und wenn
die Vorteile des Trackers genutzt werden, um die Läufer vor den Wetter- und
Nebelkapriolen zu warnen, dann könnte der SIT auch zum „schönsten Event der
Welt“ werden. |