Ultratrail Lamer Winkel am 28.05.2016 -
Holy Trail - Laufbericht von
Thomas Eller
Als ich 2015 zum ersten Mal vom
U.TLW las, vom Ultra Trail Lamer Winkel, da wusste ich nichts. Nichts von diesem
Bewerb, das sei entschuldigt, es war ja auch die Premiere und nichts von Lam und
nichts vom Lamer Winkel. Das wiederum sei nicht entschuldigt, immerhin ist der
Luftkurort Lam ein Städtchen, das original ist, bayrisch, freundlich und
aufgeschlossen. „Heimat auf Zeit“ verspricht Lam den Besuchern und so war es
auch für die kleine Gemeinde von Ultraläufern eine Heimat auf Zeit. Und was für
eine Heimat.
Und die Region Lamer Winkel mit den Gemeinden Lohberg, Lam und Arrach gehört zu
den landschaftlich schönsten Regionen im gesamten Bayerischen Wald.
Dass ich mich damals dennoch für diesen 53 Kilometer langen Ultralaufbewerb
eingeschrieben habe, war also Zufall. Und Glück, nicht nur, weil er Bewerb
innerhalb kürzester Zeit ausgebucht war.
Mein
Bericht darüber hier in diesem Portal zeigt, dass ich kam, sah – und
litt. Nur selten haben mich bescheidene 53 Kilometer so gefordert wie die über
die vielen Berge und Erhebungen des Bayerischen Waldes.
Also wollte ich erneut leiden und
ich schrieb mich in den vom Race Director Max Hochholzer und seinem großartigen
Team bestens organisierten Ultra auch für 2016 wieder ein. Das Limit an
Teilnehmern wurde aufgestockt, dennoch war es wieder Glück, dass ich noch einen
der letzten Startplätze bekam.
Vieles war gleich geblieben, der Großteil der Strecke, inklusive des „Holy
Trails“, aber vieles war auch anders, meist besser.
Die Startnummern gab es nicht mehr am Arracher See, sondern in der Lamer
Innenstadt, im Ziel gewissermaßen. Statt einer Pastaparty vorher gab es einen
Wertbon für die Restaurants der drei Gemeinden von Lamer Winkel, über den man
seinen Kohlenhydratbedarf decken konnte. Keine schlechte Idee, wie ich finde,
das wird ja auch schon verschiedentlich gemacht. Das Gemeinschaftsgefühl aber,
das „sehen und gesehen werden“, das leidet aber ein wenig darunter.
Das Briefing war wie letztes Jahr lustig und kurzweilig, ein echter Genuss und
in den Startersackerln fanden sich etliche Nettigkeiten, auch einen nützlichen
ausstülpbaren Plastikbecher. Eine Hommage an die Natur. Eine Hommage an
Vegetarier und Veganer waren auch die Chiakugeln, die es beim Start und an den
Verpflegungspunkten gab. Und ich habe mich verliebt, natürlich wieder vegan.
Nach Stunden in der Sonne schmeckt mir einfaches Wasser aus den Trinkflaschen
des Rucksacks irgendwie nicht mehr, vor allem nicht, wenn das Wasser dann
lauwarm ist. Deshalb gieße ich oft etwas Sirup dazu. Oder Cola. Oder sonst
etwas.
Beim U.TLW goss ich mir vegane Sojamilch mit Ananasgeschmack dazu, das war ein
ständiger Genuss. Nie wieder will ich ohne Soja-, Reis- oder Mandelmilch laufen,
ich schwöre!
Hatte ich im Vorjahr ja noch die
Verpflegungsstände gelobt, weil es endlich auch einmal Leckereien für Vegetarier
gab, so habe ich diese Leckereien heuer fast alle stehen lassen. Chiakugeln mit
Hanf waren die Antwort. Und neben denen verblasste alles andere. Zumindest für
mich.
Ein dreifach „Daumen hoch“ für die Veranstalter, für Geschmack, für die
Einbindung von Veganern und für Innovation.
Ansonsten gilt, dass alles da war, was der Läufer sich wünscht, ob „normal“,
vegetarisch oder vegan. Alles, viel, lecker und herrlich zelebriert von Helfern,
die alle derart motiviert waren, dass ich fast ein schlechtes Gewissen hatte,
diese wunderbaren Menschen am Stand stehen zu lassen. Aber man muss ja weiter.
Die Strecke blieb ja weitgehend gleich, flach auf den ersten drei Kilometern und
dann ging es sukzessive aufwärts, um dann dauerhaft auf einer Höhe zwischen
1.000 Metern und 1.450 Metern zu bleiben. Ich hatte das Gefühl, dass die Strecke
viel leichter zu bewältigen war als 2015, vielleicht auch wegen des Wetters. Es
war warm und fast ausnahmslos trocken. Und das Erlebnis war, dass wir
tatsächlich auch etwas sehen konnten!
Der Goldsteig, auf dem wir lange liefen, ist einfach schöner „mit Sicht“ als mit
Nebel, welch eine Erkenntnis!
Nach viel schöner Landschaft,
einigen teils steilen Erhebungen, wenn Du an einigen Läufern vorbei gerannt
bist, die erschöpft und zitternd am Wegrand standen, die Dir humpelnd entgegen
kamen, weil sie umgeknickt waren, erreichst Du irgendwann den Großen Arber, den
höchsten Punkt des Rennens, kurz vor der zweiten Versorgung.
Es war der Moment, an dem ich tatsächlich glaubte, es sei irgendetwas kaputt bei
mir. Keine Schmerzen in den Knien, kein Ziehen in den Waden, den Oberschenkeln,
kein Druck an den Zehen, der Ferse oder der Sohle – als Ultraläufer, der etwas
mehr läuft als manche Anderen, kenne ich das gar nicht.
Aber dann, nach einem langen Stück Feldweg, gut laufbar und überhaupt nicht
trailig, einem Stück, in dem Du Tempo machen kannst, ging es dann wieder. Die
Schmerzen kamen zurück, ich befand mich wieder in einem körperlich gewohnten
Zustand.
Ich hatte mich nach dem Großen Arber von meinem Laufpartner Bernie getrennt,
damit ich auch mal andere schöne Gesichter fotografieren konnte, mir ging es gut
und ich fand, die Strecke war genauso schwer wie im Vorjahr.
Wenn ich renne, dann rechne ich auch immer. Rennen ohne Rechnen geht bei mir
nicht. Und ich schaue auf die kumulierte Zeit, die meine Laufuhr ausspuckt. Bis
zum Großen Arber lag sie noch bei 9:30 Minuten pro Kilometer und das Gros der
Höhenmeter war geschafft, tendenziell ging es ja nur noch bergab. Würde ich es
vielleicht doch schaffen, am Ende unter 9:00 Minuten pro Kilometer zu bleiben?
Im Vorjahr hatte ich 8 Stunden und 11 Minuten gebraucht, ich war mir sicher,
dass ich diese Zeit würde unterbieten können.
Bis der Trail wiederkam. Die Rennstrecke nach dem Großen Arber war vorbei, das
„große aber“ kam. Aber ich wollte doch unter 8 Stunden bleiben! Unter 8:30
Stunden! Unter 9:00 Stunden!
Der Trail wurde schwieriger und ich erinnerte mich nur noch entfernt an meine
Probleme auf dem „Holy Trail“, bei dem ich damals „holy shit“ rief, als ich ihn
sah.
Aber vor dem „Holy Trail“ liegt ja Tromsoe, eine kleine Kletterpassage, bei der
ich begriff, dass die Durchschnittspace und die Endzeit heute für mich keine
Rolle mehr spielen sollten.
Habe ich schon erwähnt, dass es
heuer viel schwerer war, die Strecke zu bewältigen? Bestimmt habe ich das. Und
wenn ich vorhin mal einen anderen Eindruck erwähnt habe, dann wusste ich zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr, was mich auf solche geistigen Irrwege gebracht hat.
Es sind noch gut 11 Kilometer und Du weißt, dass es im Schnitt noch 500 Meter
runter geht. Nicht aber, bevor es noch einmal schwer rauf geht, auf den Osser
Riesen. Dort traf ich 2015 zufällig den Herausgeber dieses Portals und ich weiß
noch, wie schwer und steil dieser Aufstieg war.
Meine Oberschenkel krampften, nichts ging mehr. Ich warf zwei Schwedentabletten
ein, nahm einen Schlag aus dem Tempo heraus und kam – oh Wunder – tatsächlich
oben an. Irgendwann. Erschöpft und fertig.
Dann geht es runter und demjenigen, der glaubt, dass es dann leicht wird, sei
gesagt, dass es dann noch einmal rauf geht, fast genauso hoch wie eben und nach
einer erneuten Kletterpartie (gab es die 2015 auch schon? Ach ja, stimmt, ich
erinnere mich …) hieß es, dass es nun nur noch runter geht.
Runter heißt aber weder schnell
noch einfach. Zwei, drei Mal war ich nahe einem Sturz, die Trails waren eng,
viel zu eng für jemanden, der riesige Laufschuhe in der Größe US 13.5 hat und
von denen unmöglich zwei Stück nebeneinander passen.
Ein geschmückter Weihnachtsbaum? OK, dachte ich, Du halluzinierst nicht, den gab
es auch schon im Vorjahr.
Und die kumulierte Schnittgeschwindigkeit sank und sank. Und mit ihr alle meine
Vorsätze.
Nun waren neue Laufparterinnen und Laufpartner um mich herum, gute Freunde aus
dem Hunsrück. Die Neun-Stunden-Marke war längst nicht mehr erreichbar, die Luft
war bei mir raus, die Schmerzen nahmen zu.
Herrje, dachte ich, dieses Jahr ist die Strecke aber viel, viel schwerer als im
Jahr zuvor!
Aber dann, irgendwann nach dem „Holy Trail“, waren wir raus aus dem Wald, eine
große Wiese musste überquert werden und dann ging es nur noch einen Feldweg
runter ins Städtchen Lam.
Und es waren nur noch zwei Kilometer. Und ich hatte doch noch knapp 10 Minuten
Zeit.
Ich wollte es wenigstens versuchen, noch unter die Neun-Stunden-Marke zu laufen.
Ich ließ meine Begleiter stehen, rannte wie ein Blöder über die Wiese, den
Feldweg hinab, durch das Städtchen, ich lief auf einen Läufer auf, ihn
überholen, direkt vor dem Ziel, schien mir nicht richtig. Wir schauten uns also
an, nahmen uns bei den Händen und rannten den roten Teppich entlang Richtung
Zielbogen.
Ich wusste schon, dass die Strecke durchs Städtchen länger war als ich hoffte,
eine Zeit von 8:59:59 Stunden war nicht mehr drin, aber auf die 9:00:14 Stunden
bin ich dennoch stolz.
Zwar brauchte ich 49 Minuten länger als 2015, aber Tromsoe war neu und die
letzten Trails waren härter und enger als 2015, vor allem aber habe ich einen
großartigen Tag gehabt.
Nirgendwo triffst Du mehr Freunde aus der Familie wie beim U.TLW, nirgendwo
wirst Du so sehr unterstützt. Niemand steckt mehr Herzblut in einen Lauf wie die
Dirndl und Burschen dieses Orga-Teams, man merkt, dass es sämtlich Läufer sind.
Und einige davon sind sogar richtig gut. Und die wissen genau, was Läufer*in
braucht.
Und ich weiß das auch.
Ein Jahr ohne U.TLW ist ein verlor’nes Jahr.
Nun rate mal, wer sich schon heute auf Lam freut?
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