Nachdem gestern laut Wetterbericht die
Regenwahrscheinlichkeit 90 % betragen hatte, jedoch kein Tropfen
runterkam, sieht es heute schon beim Start düster aus. Ich beschließe
erstmals mit Weste zu laufen und sicherheitshalber an der 4.
Verpflegungsstelle in München noch eine weitere Regenjacke zu deponieren.
Das wird sich als gute Entscheidung herausstellen.
Wir laufen die letzten Km des Vortags wieder zurück an die Isar und
kaum dort angekommen, beginnt es auch schon zu tröpfeln. Der Weg verläuft
die ersten gut 30 Km rechts der Isar, relativ breit und überwiegend im
Wald, schön schattig also, aber das spielt heute überhaupt keine Rolle,
denn nach kurzer Zeit hat es sich eingeregnet und Sonne oder übermäßige
Wärme werden uns heute sicher nicht belästigen.
Ich sortiere mich heute so etwas hinter Platz 10 ein und nachdem mich
Georg Weiß kurz vor der ersten Verpflegung überholt hat, bin ich ca. 20 Km
lang ganz alleine unterwegs. Ich überhole relativ früh Sigrid Eichner. Sie
wird das Zeitlimit von 9 Min./Km heute nicht schaffen. Sie ist damit in
guter Gesellschaft von weiteren 5 Läufern. Die zweite ganz lange Etappe
und das Wetter fordern ihren Tribut. Ich merke mal wieder, wie
unterschiedlich die einzelnen Tage doch verlaufen. Auf der ersten Etappe
habe ich die ersten 30 Km sehr intensiv erlebt und war dann schon sehr
kaputt. Heute trabe ich einfach so vor mich hin und bin sehr überrascht,
als ich schließlich die Isar auf dem Wehr Oberföhring quere und merke,
dass ich schon 33 Km hinter mir habe. Über 3 Stunden bin ich schon
unterwegs. Das lief heute sehr ruhig, fast meditativ. Mit Meditation ist
jetzt allerdings Schluss, denn jetzt steht die Durchquerung von München
an. Davon ist allerdings nicht so sehr viel zu spüren. Die Strecke bleibt
konsequent an der Isar, auch wenn freundlicherweise einige Asphaltpassagen
eingestreut sind. Wir haben nicht eine einzige Straße zu queren, da wir
kreuzende Straßen immer durch Unterlaufen der zahlreichen Brücken queren.
Und furchtbar viele Passanten sind bei diesem Sauwetter auch nicht
unterwegs, von Sonnenanbetern an der Isar ganz zu schweigen. Auch die von
Uli angekündigten Fernsehkameras sind bei diesem Wetter lieber in den
trockenen und warmen Studios geblieben. Für Wärme und Trockenheit würde
ich mittlerweile auch einiges geben. Es braucht immer mehr Überwindung
nicht unter den trockenen Brücken zu verweilen und sich immer wieder
hinaus ins feindliche Leben zu stürzen. Ich sehne die 4. Verpflegung bei
Km 40 herbei. Hier wartet eine trockene Jacke. Die wird allerdings nichts
gegen meine mittlerweile recht kalten Beine ausrichten können. Vielleicht
hätte ich doch auch eine lange Tight hier deponieren sollen. Wenn man müde
wird, wird man bei diesem Sauwetter noch zusätzlich mit Auskühlung
belastet.
Die Helfer sind heute schlicht großartig. Obwohl es sicher nicht die
reine Freude ist, bei diesem Wetter stundenlang in Kälte und Nässe
auszuharren, hat man den Eindruck, dass sie heute noch intensiver und
aufmerksamer betreuen als an den vorigen Tagen.
Trotz neuer Jacke falle ich nach 40 Km in ein Loch. Die Konzentration
ist plötzlich weg. Das Schlangenlinien laufen, um den Pfützen
auszuweichen, nervt. Oft kann man nur noch ganz am Wegesrand halbwegs
trockenen Fußes entlang balancieren. Ilona Schlegel überholt mich in ihrem
sauberen gleichmäßigen Tempo. Dann kommt wieder Matthias, mit dem ich
schon gestern einige Kilometer geteilt habe. Er will mich wieder ein Stück
mitnehmen, aber der Geschwindigkeitsunterschied ist gerade jetzt zu hoch.
Zum allerersten Mal bei diesem Lauf wird die Strecke etwas profilierter.
Tatsächlich einige halbwegs nennenswerte Hügel. Auf diese Passage habe ich
den ganzen Tag lang gewartet und jetzt hänge ich mit (aufgrund der Kälte?)
verhärteten Waden an den Anstiegen, kann nur hinauf humpeln und verliere
viel Zeit. Dazu schüttet es weiter und ich friere. Innerhalb von nur
eineinhalb Stunden hat sich meine Stimmung weit in den Keller begeben. Die
Helfer an der fünften Verpflegung bei Km 50 versuchen mich wieder
aufzumuntern. Direkt hinter der Verpflegung geht es extrem steil zur Isar
runter. Sehr rutschig bei diesen Bedingungen, höchste Vorsicht von Nöten;
alle Systeme sind schlagartig wieder aktiv. Es folgt ein schmaler
Singletrail. Absolut rutschig, schlammig, saumäßig. Entweder ein Anlass,
um entweder endgültig zu verzweifeln oder ein wenig zu kämpfen. Ich
entscheide mich für die zweite Variante. Nasse Füße oder Schlamm
interessieren mich jetzt nicht mehr; ich pflüge einfach mitten durch.
Meiner Wade scheint das wilde Gehüpfe über Baumstämme und Wurzeln auch zu
gefallen und ich überhole auch tatsächlich wieder einige Läufer, die mit
diesen Bedingungen nicht so gut zurecht kommen. Gut 2 Km nur dauert das
Trailstück, dann vielleicht noch ein Kilometer eine entschärfte Variante,
aber diese Passage hat mich wieder zum Leben erweckt. Die Lebensgeister
sind wieder da. Sie werden in dieser Phase auch gebraucht. Die
Streckenmarkierung erfordert mittlerweile nämlich die volle Konzentration.
Grundsätzlich ist die Strecke immer mit roten Klebepfeilen an Pfosten
oder Schildern gekennzeichnet, außerdem sind mit roter Farbe Markierungen
auf dem Boden aufgesprüht. Das hat an den Vortagen hervorragend
funktioniert. Nicht ein Mal habe ich mich verlaufen. Wenn ich ein Mal ins
Zweifeln geriet kam auch schon die nächste Markierung. Das ist heute
anders. Viele Bodenmarkierungen hat der Regen weitgehend weggeschwemmt und
auch die Klebepfeile haben wohl nicht überall dauerhaft gehalten. Damit
sind die Markierungen weniger dicht als an den Vortagen, die Sicherheit
fehlt. Aber wie sagte Ilona Schlegel bei der folgenden Diskussion am Abend
so schön: „Laufen ist eben eine Outdoor-Sportart und ein wenig Abenteuer
gehört auch dazu.“
Der Rest der Etappe ist eher unspektakulär. Nach der 6. Verpflegung