Zeitdilation
Kilometer 10 in der zweiten Runde! 30 Kilometer also. Blick
auf die Uhr. Ist das eine miese Zeit. Habe ich mit Olaf zusammen so viel Zeit
verloren? Ach, Du Rechenkünstler. 10 + 21,1 ergibt doch 31,1 Kilometer und nicht
nur 30!
Nun geht es ständig bergauf. Die Zeit dehnt sich und
verzögert sich ins unermessliche, aber nicht bei annähernder
Lichtgeschwindigkeit sondern im Schneckentempo. Mensch Albert, was erzählst Du
da mit Deiner Zeitdilation!
Da soll die Zeitdilation bei mir umso stärker sein, je größer meine
Relativgeschwindigkeit ist. Sie soll allerdings für Geschwindigkeiten, die im
Alltag eine Rolle spielen, so gering sein, dass ich sie nicht bemerken kann.
Nicht bemerken! Bei mir bleibt die Zeit doch förmlich stehen, es geht nicht mehr
voran und von Geschwindigkeiten im Bereich der Lichtgeschwindigkeit kann hier
auch nicht die Rede sein! |
Bischofsheim zeigt sich nun in der Sonne |
Kurz vor Bischofsheim erreiche ich zum zweiten Mal offenes
Gelände. Schränkte hier in der ersten Runde Nebel mein Blickfeld ein, so öffnet
sich nun ein schöner Panoramablick.
Kurz dahinter stärke ich mich am nächsten Verpflegungspunkt. |
Vor den nächsten Anstiegen sollte man reichlich Verpflegung fassen!
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Zehn
Diese Stärkung tut Not, denn bei Kilometer 36 / 37 geht es
noch einmal lange und recht giftig bergauf. Aus dem letzten Loch pfeifend, in
Gedanken eine volles Bierfass hinter mir herziehend, jogge ich in
Miniaturschritten hoch. Brauchte ich noch in der ersten Runde dazu gut acht
Minuten, sind es jetzt fast derer zehn.
Zur magischen Zahl Zehn fällt mir dann nur noch ein:
"Zehn kleine Jägermeister liefen gerne schnell,
neun liefen nach Zeil, einer lief schnell heim.
Da waren's nur noch neun ...
Einer für alle, alle für einen,
wenn einer fort ist, wer wird denn gleich weinen?
Einmal trifft's jeden, ärger dich nicht,
so geht's im Leben, du oder ich."
Nein, es trifft es mich nicht! Auch bei meinem Marathon
Numero 81 darf es keine defätistischen Gedanken geben! Ausdauer und
Durchhaltevermögen sind die hervorragenden Tugenden des Marathon - Manns.
Wankende Gedanken an Franken und seinen Wein und das Sein
Oben angekommen empfängt mich eins der vielen netten Schilder
am Streckenrand mit dem zur Situation passenden Spruch:
"Lass das Fluchen sein,
denke an den Frankenwein!"
Wie nett, das reimt sich sogar! Der Spruch will mir nun nicht mehr aus dem Kopf
gehen. Jeder Finisher bekommt heute so ne Flasche und sei er so lasch wie eine
Flasche. Die werde ich mir heute Abend dann mit meiner Holden zu Gemüte
führen.
Das freut mich und erleichtert mein "Sein" ungemein. Das reimt sich auch
und wäre gar geschrieben gewesen:
"Lass das Wanken sein,
denke an den Frankenwein"
wärs sogar ein Schüttelreim! |
Der lang ansteigende Abschnitt zwischen Kilometer 36 und 37 regt wirklich
etwas zum Fluchen an |
Frank und Sandra
Mit Frank und Sandra vom Team Bittel, zu dem ich als
Gründungsmitglied auch gehöre, kam ich am Anfang dieses Laufs ins Gespräch. Dann
hängte ich sie in der Anfangseuphorie eines jugendlichen Marathons weit ab. Nun
bin nicht nur ich sondern ist auch dieser Marathon in die Tage gekommen. Hinter
Kilometer 37 holen mich Sandra und Frank wieder ein. "Was ist denn mit Dir heute
los?" fragen sie mich. "Weiß ich nicht, aber eins weiß ich. Mein Speck
muss weg!"
Dann lass ich beide von dannen ziehen und kann wieder die Einsamkeit des
Waldmarathonläufers und laufenden Philosophen in vollen Zügen genießen. |
Gleich werde ich von Frank und Sandra vom
Team Bittel überholt |
Die nächsten drei Kilometer laufe ich auf den mittlerweile
mehr oder weniger lieb gewonnenen Achterbahnkurs, aber richtige Anstiege bleiben
nun doch aus. Außerdem kann ich nun die Nähe des Ziels förmlich riechen. Diese
Witterung aufgenommen mobilisiert das neue Kräfte.
Als ich dann Kilometer 19, nach Adam Riese Kilometer 40,1 der zweiten Runde
sehe, gibt es kein Halten mehr. Ich lege den Turbogang ein und renne, nein ich
rase mit über 12 km/h dem Ziel entgegen. Da es nun bergab geht, hindern mich
auch keine physikalischen Kräfte an diesem Vorhaben. |
Kilometer 19 ist in der zweiten Laufrunde Kilometer 40,1 . Dahinter geht es dann
auch fast nur noch bergab.
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Im wiederbelebten Geschwindigkeitsrausch überquere ich nach
exakt 4:38:32 Marathonlaufzeit, sogar ein paar Sekunden schneller als im Jahr
2005 die Ziellinie.
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Dank der Abwärtsstrecke förmlich ins Ziel eingeflogen |
Der persönliche Streckenrekord auf dieser Strecke mag heute
aber nicht viel heißen, denn damals beim
Zeiler Waldmarathon 2005 hatten
mein Coach Erwin und ich uns auf der Strecke noch ein zusätzliches, intensives
Rahmenprogramm zum Marathon ausgedacht.
Anbei eine Kostprobe von damals mit dem schon legendären Jägersteigsturz
Erwins: |
Jägersteigsturz beim Zeiler
Waldmarathon 2005 |
Im Ziel angekommen posieren zwei nette und hübsche junge
Damen mit mir fast wie auf einem Siegerfoto. Na ja, wie heißt es so schön Ehre,
wem Ehre gebührt. |
So macht doch mal ein Zielfoto Spaß!
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Gleich kommt auch Olaf ins Ziel
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Bald trifft auch der zwischenzeitig versumpfte Olaf ein. Für
unser Siegerfoto über den inneren Schweinehund lassen wir uns mit eingezogener
Bauchmuskulatur ablichten. Da wirken wir fast so schlank und rank wie in jungen
Jahren.
Aber so ein Marathon wie dieser hier ist auch ein wahrer Jungbrunnen. Alle Mühen
vergessend wandere ich auf keinen Shuttlebus wartend die komplette fast 4 km
lange Strecke bis zur Siegerparty zurück.
Dort erhalte ich eine Flasche Frankenwein Rose und stärke mich an einer
Goulaschsuppe, da mich diese heute mehr lockt als die nicht minder leckeren
Kartoffel mit Quark. |
Hier ziehen wir beiden unsere mühsam aufgebaute "Bauchmuskulatur" ein und sehen
richtig schlank und rank aus! |
Voller Saal bei der Siegerehrung
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Es endet ein Laufevent an einem "goldenen Oktobertag" im November in Zeil
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So vergeht schon wieder ein schöner Marathontag. Diesmal in
eine goldene Abendsonne eingetaucht.
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