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Karwendelmarsch - 52 km Berglauf durch
den Naturpark -
Ein Laufbericht von Günter Kromer
Bei dem Wort „Karwendelmarsch“ denkt jeder sicherlich zuerst an eine
Volkswanderung. Dass sich dahinter auch einer der schönsten Läufe der Alpen
verbirgt muss sich bei deutschen Läufern wohl erst noch herumsprechen.
Als ich im Frühjahr die Ausschreibung dazu las setzte ich diese 52 km lange Tour
mit (offiziell) 2760 Höhenmetern Auf- und Abstieg sofort auf Platz 1 meiner
Laufwunschliste. Zu Recht, wie ich nun weiß, denn rückblickend kann ich mit
großer Begeisterung schreiben, dass mir - abgesehen vom Jungfraumarathon -
bisher noch kein Lauf so Spaß gemacht hat wie dieser.
Nach 19 Jahren Pause bereichert dieser großartige Klassiker nun wieder den
alpinen Laufkalender, denn es gibt nicht nur eine Kategorie für Wanderer und
Nordic Walker, sondern auch eine für Läufer, sogar mit Champion Chip
Zeitmessung. Gut trainiert sollte man dafür aber sein. Auch wenn meine eigene
Berechnung der Höhenmeter eine deutlich niedrigere Zahl ergibt als die
offizielle Angabe in der Ausschreibung sind es viel mehr als z.B. beim
Jungfrau-Marathon, der 1829 m Auf- und 305 m Abstieg hat. |
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Nahezu die gesamte Route führt durch ein herrliches Naturschutzgebiet. Keine
Straßen, keine Skilifte und Gondelbahnen, keine Skipisten, keine Hotelklötze -
nur ursprüngliche Landschaft. So viel Natur pur bietet wohl kein anderer
Berglauf.
Die Strecke führt von Scharnitz quer durch das
Karwendelgebirge nach
Pertisau am
Achensee. Die Höhenmeter verteilen sich recht gleichmäßig auf drei Auf- und
Abstiege, wobei die erste Streckenhälfte keine besonders steilen Abschnitte
aufweist. Start ist auf 967 m Höhe, der höchste Punkt liegt bei 1901 m, das Ziel
auf 931 m. Auf der Veranstaltungshomepage weckt ein virtueller Google-Earth-Flug
über die Route Vorfreude.
Da Läufer und Wanderer gemeinsam starten geht es bereits um 6 Uhr los, denn
sonst hätten viele Wanderer keine Chance, noch bei Tageslicht ans Ziel zu
kommen. In Wanderbüchern wird für die gesamte Strecke 15,5 Stunden angegeben,
aufgeteilt in drei Tagesetappen.
Für langsame Läufer wie mich ist es angenehm, dass das einzige Zeitlimit
unterwegs um 15 Uhr bei km 35 an der Engalm ist. Um diese Uhrzeit hoffe ich,
bereits am Ziel zu sein. Wanderer und Walker können auch von Anfang an nur die
35 km Variante buchen und dann mit dem Bus zurück fahren. Man kann entweder in
Scharnitz übernachten und später vom Ziel mit einem Shuttle-Bus zurück fahren
oder man übernachtet in Pertisau, wo man dann vom Ziel nur noch wenige Minuten
bis zum Hotel gehen muss, aber morgens verdammt früh zum Bus muss. Da die Straße
ums Gebirge herum führt dauert der Transfer etwa 75 Minuten, ist aber trotzdem
kürzer als die Rückfahrt bei Jungfrau- oder Zermatt-Marathon.
Nachdem es gestern stundenlang in Strömen geregnet hat und der Wetterbericht für
heute ebenfalls nur Kälte, Nebel und gelegentlich Regen ankündigt ist meine seit
Monaten andauernde Vorfreude auf den Lauf jetzt stark gedämpft, als ich morgens
kurz nach drei Uhr bei leichtem Nieselregen vom Hotel zur Abfahrtsstelle des
Shuttle-Bus marschiere. Es ist saukalt, und die Berge stecken nach wie vor in
dicken Wolken. Aber man soll ja nie aufgeben - es kann immer noch besser werden.
Da noch einige angemeldete Fahrgäste fehlen, fährt der Bus statt 3.30 Uhr erst 20
Minuten später. Zwei junge Männer steigen ein, die trotz 9 C Außentemperatur nur
mit Shorts und kurze Shirts bekleidet sind. Ich bekomme bei diesem Anblick
Gänsehaut, denn ich selbst bin fast so warm angezogen wie bei einem
Silvesterlauf (zum Glück, wie sich später herausstellt).
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3:30 Uhr im Bus |
Kurz nach 5 steigen wir dann in Scharnitz aus und erhalten schnell unsere
Startunterlagen. Eine bunte Mischung sportlicher Läufer, gemütlicher Wanderer
und mit ihren Stöcken herumfuchtelnden Nordic Walkern bevölkert das Gelände. Zum
Glück dürfen die Läufer aus einem eigenen Startblock kurz vor den
Stöckeschwingern starten, so dass es kein Gedränge gibt.
Inzwischen hat der Regen aufgehört. Pünktlich um 6 Uhr werden die Schützen für
das Startsignal aufgefordert, nach vorne zu kommen. Kurz darauf erneut eine
Durchsage: „Ich bitte die Startschützen, nach vorne zu gehen, sonst muss der
Bürgermeister zum Start pfeifen.“
Schade, nun spazieren die in Trachten gekleideten Herren nach vorne. Ich hätte
zu gerne einen Startpfiff gehört! |
Start |
Los geht´s! Aufgrund des trüben Wetters ist es noch fast stockdunkel, doch das
macht nichts, denn die Strecke kann hier auch bei Nacht völlig problemlos
bewältigt werden. Zuerst laufen wir auf Asphalt aus dem Ort hinaus, dann auf
einem breiten, sehr bequemem Fahrweg in den Wald. Schon nach kurzer Zeit beginnt
der erste Aufstieg, bei dem ich vom Laufen zum Gehen wechsle.
Es ist immer wieder ein faszinierendes Erlebnis, wenn man in die Morgendämmerung
hinein läuft. Ganz langsam weicht die Dunkelheit, und die Umgebung nimmt immer
klarere Formen an. Über, neben, vor und hinter uns hängen viele einzelne
Wolkenfetzen an den Bergen. Ich liebe diese Stimmung, auch wenn ich es
gleichzeitig bedauere, dass es heute wohl keine „Postkartenfotos“ geben wird.
Die Wetterlage lässt keinen Zweifel daran, dass ich heute zwischendurch auch
durch Nebel laufen werde.
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Morgendämmerung |
Die Route des Karwendelmarschs führt meist durch tiefe Täler, die auf beiden
Seiten von beeindruckenden Felswänden begrenzt werden. Dazwischen hätte man an
den Pässen bei Sonnenschein großartige Ausblicke.
Nach einem kurzen Aufstieg geht es bis zur Larchetalm recht bequem weiter. Der
Untergrund ist so gut, dass man laufen kann, ohne zwischendurch auf den Boden
blicken zu müssen. Außerdem ist dieser Weg oft sogar flacher als manche
Abschnitte des Hamburg-Marathons.
Je weiter ich laufe, desto mehr wundere ich mich über die vielen Wanderer und
Nordic Walker, die ich unterwegs überhole. Offensichtlich sind schon einige
Dutzend Leute lange vor dem Start aufgebrochen.
Das Spiel der Wolken in den Bergen sorgt für immer wechselnde Stimmungen. Mal
sieht man kaum etwas von den umliegenden Gipfeln, dann reißt wieder ein Teil der
Wolken auf und gibt den Blick frei. Neben mir plätschert ein Bach, ab und zu
weckt das Gebimmel von Kuhglocken Urlaubsgefühle. |
Larchetalm |
Bei der Larchetalm (1174 m) erreiche ich die erste der insgesamt acht
Verpflegungsstationen. Hier zeigt sich wie auch an den folgenden, dass die
Veranstalter wissen, was man heute unterwegs braucht. Eiskaltes Trinkwasser, wie
es bei vielen Läufen angeboten wird, hätte bei der heutigen Witterung keinen
Wert. Ich bin sehr froh, dass es außer Wasser und Apfelschorle an jeder Station
unter anderem warmen Kräutertee gibt. Dieser von einem der Sponsoren angebotene
Bio-Tee mit Minze und Salbei aus Tirol schmeckt sogar besonders gut. Äpfel,
Bananen und Brot gehören natürlich auch zur Standartausstattung jeder Station,
dazu kommen später noch nette Überraschungen.
Nun nimmt die Steigung ein wenig zu, bleibt aber noch immer so dezent, dass ich
hier beim Training schnell laufen würde. Heute habe ich mir aber vorgenommen, im
Gegensatz zu meinem Sierre-Zinal-Lauf, wo ich bis zum höchsten Punkt ohne Pause
mit sehr hoher Puls- und Atemfrequenz unterwegs war, die ersten zwei Berge nicht
im anaeroben Bereich zu überqueren. Mir ist es völlig egal, um welche Uhrzeit
ich ins Ziel komme. Hauptsache, ich schaffe die komplette Strecke ohne Probleme.
Ich will das Naturerlebnis genießen statt mich abzuhetzen. |
Karwendeltal
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Karwendeltal |
Unterhalb des Karwendelhauses umgibt mich Nebel. Schade, denn bei klarem Wetter
könnte man hier herrliche Felswände bewundern. Doch auch die Nebelstimmung ist
durchaus reizvoll. Dann zieht die Wolke wieder ab. Der Blick zurück ins
Karwendeltal zeigt, dass mir, dass der Weg unten jetzt fast komplett im Nebel
liegt. Da sehen die Wanderer jetzt viel weniger von der Umgebung als ich vorhin. |
Karwendelhaus
Wolkenspiele |
Erstmals im Nebel
Tal unter Wolken |
Der Weg führt wenige Meter unterhalb am Karwendelhaus vorbei und erreicht beim
Hochalmsattel (1803 m) seinen ersten Scheitelpunkt. Ab hier bekommt man bei den
Verpflegungsstationen auch eine sehr gute Suppe, die nicht nur Flüssigkeit,
sondern auch Mineralstoffe ersetzt. Heute trinke ich zum ersten Mal in meinem
Leben bei jeder Station nicht nur einen sondern gleich zwei Becher. Ich will
nicht wieder so ausgetrocknet an den nächsten Stationen ankommen wie neulich im
Wallis. |
Suppenküche |
Bis hier waren es knapp 17 km und 900 Höhenmeter Aufstieg, also etwa so viel wie
ein durchschnittlicher Berglauf in einem deutschen Mittelgebirge. Aber zum Glück
geht es im Karwendel weiter. Es wäre wirklich schade, jetzt schon aufhören zu
müssen.
Nun beginnt der erste Abstieg. Der Boden ist hier mit grobem Schotter bedeckt,
aber mit Trail-Schuhen trotzdem leicht zu laufen. Ich bin froh, dass ich dieses
Jahr meine früher bevorzugten Asics-Trabucco durch die für alpines Gelände viel
besser geeigneten Brooks Cascadia ersetzt habe.
Das Gefälle hält sich in Grenzen, so dass hier die Beine noch geschont werden.
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Kein Postkartenfoto |
In der Ausschreibung steht ausdrücklich, dass die naturverträgliche Durchführung
des Events oberste Priorität für die Veranstalter hat. Da der Lauf wie bereits
erwähnt fast komplett durch ein Naturschutzgebiet führt, macht dies auch Sinn.
Ich bin sehr froh, dass sich heute die Läufer auch wirklich daran halten, keinen
Müll an der Strecke zu lassen. Im August musste ich beim Sierre-Zinal-Berglauf
die Umweltfreundlichkeit der Läufer angesichts eines mit leeren Gel- und
Riegelverpackungen „markierten“ Weges doch sehr in Frage stellen. Heute finde
ich auf den gesamten 52 km nur eine Power-Bar-Hülle, und die bringe ich dann
selbst zum nächsten Mülleimer.
Ein weiteres offizielles Ziel des Karwendelmarsch ist es, zur Bewusstseinsbildung
für den Alpenpark Karwendel, das größte Tiroler Schutzgebiet, beizutragen. Neben
Broschüren wird dies unter anderem entlang der Strecke mit Infotafeln sowie von
einigen fachkundigen Experten vermittelt. Einer von ihnen steht am Kleinen
Ahornboden (1399 m), einer mit herrlichen, uralten Bäumen geschmückten Wiese,
und will mir anhand eines Modells mit winzigen Bäumchen die Entstehung dieses
Lebensraums erklären. Da ich dies aber schon aus einem Buch über den Naturpark
kenne, bedanke ich mich und laufe weiter. |
Kleiner Ahornboden
Modell vom Ahornboden |
Uralte Bäume |
Auch Sicherheit wird bei dieser Veranstaltung großgeschrieben. Häufig laufe ich
an in auffällig rote Jacken gekleideten Helfern von Bergwacht und anderen
Rettungsdiensten vorbei.
Bei der Durchquerung eines heute trockenen Bachbetts bin ich froh, dass der
heftige Regen von gestern zu Ende ist. Bei Unwettern kommt man hier vermutlich
nicht trockenen Fußes durch. |
Durch trockenes Bachbett
Flechten |
Inzwischen haben die Wolken endgültig fast alle Sicht auf die Berge ruiniert.
Bald umgibt mich dichter Nebel. Flechten an den Bäumen zeigen an, dass es hier
oben öfter neblig ist.
Statt auf Fahrwegen laufe ich nun auf schmalen Pfaden und die Steigung nimmt
zu. Aus dem Nebel taucht vor mir die Ladizalm (1565 m) auf. Neben einer urig
geschmückten Hütte trinke ich wieder Kräutertee und Suppe, dann eile ich weiter
durch den Nebel. Vom Start bis hier hätte ich eigentlich die komplette Strecke
durchgehend laufen können, wenn ich mir meine Kräfte nicht eingeteilt hätte. Nun
wird es aber deutlich steiler. Schade, dass ich nun wirklich gar nichts mehr von
den Bergen sehe! Ich muss hier unbedingt noch mal bei schönem Wetter laufen! |
Ladizalm
Nebelmarsch |
Teil 2
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