2. Tag
Um 5:00 Uhr früh geht denn auch das Licht wieder an, ich war schon kurz vorher
wach. Ich mach mich kurz frisch und geh dann erst mal raus, um mir das Wetter
anzuschauen. Oje: es ist noch stockfinster und es regnet in Strömen. Na toll!
Beim Frühstück ist Brigitte da und meint, zur Mittagszeit soll das Wetter besser
werden. Wenn alle Stricke reißen, müsste der Lauf in Simplon-Dorf nach 28 km
abgebrochen werden, wie es 2009 schon mal passiert ist. Wir hoffen natürlich
alle, dass das nicht notwendig wird, auch wenn sich manch einer schon über die
vielleicht kürzere Strecke freut…
Der Start verläuft heute früh in der Reihenfolge, wie der Zieleinlauf am Vortag
war, das heißt, um 7:00 Uhr starten erst mal nur Martin Schmid und Lizzy Hawker.
Martin hat den ersten Marathon in sagenhaften 3:35:15 bewältigt und ist auf dem
Weg, einen neuen Streckenrekord aufzustellen. Lizzy kam nach ebenfalls
unglaublichen 4:08:33 ins Ziel. Die nächstplatzierten Läufer sollen dann also in
dem Abstand starten, in dem sie am Vortag eingelaufen sind, bis um 7:30 Uhr alle
anderen Läufer (also wir „Normalos“) starten dürfen. Das wird deshalb so
gemacht, damit am Schluss der zuerst einlaufende Läufer wirklich auch den
Gesamtplatz 1 hat. Finde ich gut. Allerdings hat der zweite Mann bereits 23
Minuten Rückstand auf Martin Schmid, sodass beschlossen wird, dass er mit nur 13
Minuten Abstand starten darf. Mit den ersten darf auch der älteste Teilnehmer
starten: der Schweizer Vinzenz Fischer. Er ist Jahrgang 1934 (!!), taubstumm und
ist das 10. Mal dabei, hat also an jedem Gondo Event teilgenommen (das erste Mal
mit 67 Jahren). Ich starte ja eine halbe Stunde später und hole ihn erst nach
eineinhalb Stunden ein. |
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Das Wetter ist grausig. Es regnet ohne Unterlass. Trotzdem habe ich nur mein
leichtes Trikot an und verzichte auf die Jacke, denn es geht ja erst mal 13 km
mehr oder weniger heftig bergauf und mein Körper ist bergauf ein Wärmekraftwerk.
Die Kamera bleibt heute bei Angela. Sie ist nicht wasserfest und ich möchte sie
nicht kaputt machen. Für den heutigen Tag bin ich also auf Fremdmaterial
angewiesen. Die Streckenführung ist der Wahnsinn! Es geht auf schmalen Waldwegen
entlang, immer hart am Abhang, über Felsen und Wurzeln, zum Teil auf Graten, wo
es links und rechts steil runter geht. Ich bin begeistert und merke den Regen
gar nicht. Ich hab heute neue Schuhe an und keine Probleme mit dem Untergrund.
Wir laufen unter der neuen und der alten Ganterbrücke durch. Über die neue
Brücke verläuft in 200 Metern Höhe die Simplonpassstraße. Das ist ganz schön
hoch!
Nur eine halbe Stunde später sind wir bereits auf Fahrbahnhöhe der neuen Brücke
und stärken uns an der Versorgungsstelle. Die Strecke verläuft auf kurzen
Abschnitten neben der Passstraße, wo ein eisiger Wind bläst und ich mir mehrmals
überlege, doch die Jacke anzuziehen. Aber gestern hab ich sie ja auch nicht
gebraucht und so laufe ich weiter. Es geht 3 km steil bergab und dann kommen die
4 km Aufstieg zum Simplonpass.
Eigentlich dachte ich, der zweite Tag würde einfacher werden, da das
Streckenprofil aus mehreren An- und Abstiegen besteht (im Gegensatz zum ersten
Tag, wo es nur einmal hoch und einmal runter ging). Tatsächlich ist es aber
wesentlich schwerer, weil die Anstiege extrem steil sind und deshalb viel
gegangen werden muss, was natürlich Zeit kostet (außerdem sind es 200 Höhenmeter
mehr). Oliver, ein netter Schweizer, der schon mehrmals teilgenommen hat, zieht
mich jetzt auf einem heftigen Bergpfad neben einem reißenden Bach zum
Simplonpass hoch und verrät mir, dass man für den zweiten Tag mindestens eine
halbe Stunde mehr einplanen muss. Aha, na ja, Zielschluss ist ja heute auch erst
nach 9 Stunden… |
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Nach 3 Stunden ununterbrochenem Regen kommen wir auf dem Simplonpass an und
schaffen damit wieder locker das Zeitlimit von viereinhalb Stunden. Knappe 18 km
und 1400 Höhenmeter waren es bis hierhin. Es ist zwar alles pitschnass, aber der
Regen hat aufgehört und nach der Versorgungsstelle haben wir ein herrliches
Bergpanorama. Kerstin wartet auch schon auf mich. Neben mir läuft Sibylle.
Jetzt kommt ein wunderbarer Abschnitt. 12 km lang geht es sanft bergab auf der
gleichen Strecke, die wir am Vortag bergauf gelaufen sind. Am Alten Spittel
vorbei laufen wir nach Simplon-Dorf ein. Alle haben einen riesigen Spaß.
Bis zum Ende des „Downhills“ brauche ich knapp eineinhalb Stunden. In Gabi komme
ich nach insgesamt 4:29:00 an und bin damit weit vor dem Zeitlimit von
sechseinhalb Stunden. Aber jetzt kommt der Hammer: der Anstieg auf den Furggu
bedeutet 700 Höhenmeter auf 3 km. Ein anderer Läufer hat mir am ersten Tag
gesagt, das dauert ca. eine Stunde. Also los geht’s! Wolfgang und Bernd, zwei
Läufer mit denen ich immer wieder mal zusammen war und die ich beim Aufstieg zum
Simplonpass abgehängt hatte, haben mich kurz vor Gabi eingeholt (bergab bin ich
einfach nicht so schnell) und sind jetzt etwa einen halben Kilometer vor mir.
Ich sehe sie schon am Berg. Aber das ist meine Stärke. Ich atme tief durch und
stürme aufwärts, hole Wolfgang und Bernd schon kurze Zeit später ein und lass
sie hinter mir. Nach und nach sammle ich alle ein, die mich bergab überholt
haben. Als ich an Oliver vorbei düse, sagt der nur: „na, Thomas, alles klar? –
Ich seh schon, bei Dir ist alles klar!“ Kurz vorm Gipfel hol ich mir auch noch
Sibylle, die wirklich topfit ist und dann bin ich endlich an der
Versorgungsstelle. Oben stehen Alphornbläser. Als später Wolfgang hoch kommt,
schnappt er sich gleich eins und hält ein kleines Ständchen (ich glaube, er
spielt sonst Posaune oder sowas).
Ha – ich hab nur 48 Minuten hoch gebraucht. Sehr gut. Wenn ich aber dachte,
jetzt geht’s nur noch bergab ins Ziel (was das Höhenprofil suggeriert), hab ich
mich getäuscht. Immer wieder gibt es supersteile kurze Anstiege neben ebenso
supersteilen Abstiegen. Insgesamt ist das aber der allerschönste
Streckenabschnitt. Ich laufe die meiste Zeit kurz vor Sibylle, bis mir doch
langsam die Luft ausgeht und ich mich mal kurz erholen muss. Sie stürmt vorbei
und ist erst mal weg.
Noch 3 km bis ins Ziel. Durch einen herrlichen Wald geht es abwärts. Sibylle
kommt wieder in mein Blickfeld und dann passiert es: ich hab zwar einen riesen
Vorsprung vor Wolfgang und Bernd herausgeholt, aber die sind bergab so
wahnsinnig schnell, dass sie mich 2 km vor dem Ziel überholen und auch an
Sibylle vorbei spurten. |
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Das letzte Stück erfordert allerhöchste Aufmerksamkeit. Es hat wieder leicht zu
regnen angefangen und es geht über große glitschige Steinstufen abwärts. Bis
heute ist mir schleierhaft, wie ich das ohne Sturz überwunden habe. Nach 6:48:46
ist das Abenteuer vorbei und ich laufe ins Ziel ein. Das waren nur 23 Minuten
mehr als am ersten Tag. Ich hab in meiner Altersklasse noch 3 Plätze gut gemacht
und komme mit einer Gesamtzeit von 13:14:36 auf Platz 15. Wolfgang habe ich
trotz seines Überholmanövers um 31 Sekunden geschlagen! Der Vorsprung vom ersten
Tag hat ausgereicht. Bernd, der ebenfalls in unserer Altersklasse ist, liegt
direkt vor mir mit 13:05:09.
Sibylle schafft eine Gesamtzeit von 12:49:08. Den ersten Tag ist sie in nur
6:01:47 gelaufen – alle Achtung! Bernd ist auf dem Bild rechts neben Wolfgang.
Den vierten Läufer links auf dem Bild kenne ich leider nicht.
Und Angela? Die ist heute mit ihrem Begleiter Peter doch deutlich langsamer
unterwegs. Die Limitzeit auf dem Simplonpass schafft sie noch, in Simplon-Dorf
kommen die beiden etwa eineinhalb Stunden nach mir an. Angela machen vor allem
die Downhills schwer zu schaffen. Nach 9:43:10 kommt sie schließlich zusammen
mit Peter völlig durchnässt ins Ziel. Immerhin hat sie sich durchgebissen. Das
ist aller Ehren wert. Manfred weiß genau, was sie jetzt braucht: ein Gläschen
Rotwein.
Die Zeitnahme ist längst abgebaut. Auch die Siegerehrung ist lange vorbei.
Gewonnen haben natürlich Martin Schmid in neuer Rekordzeit von insgesamt 7:44:54
und Lizzy Hawker in 8:36:08. Die jeweils Zweitplatzierten haben eine gute Stunde
länger gebraucht. Aber auch ein Martin Schmid hat am zweiten Tag über eine halbe
Stunde länger gebraucht als am ersten Tag. Als „Medaille“ gibt es beim Gondo
Event kein Stück Metall, sondern einen leckeren Bergkäse. Die Sieger bekommen
einen großen, alle anderen, die ebenfalls namentlich aufgerufen werden, einen
kleineren.
Das hat Angela leider verpasst. Allerdings sitzen wir später am Abend noch mit
Brigitte und einem weiteren Kollegen vom Organisationskomitee zusammen und als
die Sprache auf den Käse kommt, springt Brigitte sofort auf und holt noch zwei
Stück für Angela und Peter. So ist das eben bei so einer kleinen Veranstaltung:
zwar das Zeitlimit nicht erreicht, aber die Anerkennung, es überhaupt geschafft
zu haben, ist eben trotzdem da. Und natürlich stehen sie in der Ergebnisliste,
mit der Gesamtzeit von 17:41:36.
Ich muss sagen, das war die tollste Laufveranstaltung, an der ich in meinem
Leben teilgenommen habe. Die Atmosphäre war super, das Organisationsteam
unglaublich gut und die Strecke – der Wahnsinn! Meinen allerherzlichsten Dank an
Brigitte und all die anderen Helfer. Ich trage jetzt Gondo im Herzen – und das
Gondo Event hat einen Dauertermin auf meinem Wettkampfkalender. |
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