Schließlich erreichen wir die Eng (1.227 m), wo sich das Ziel der 35 km Wanderer
und (zumindest laut Ausschreibung) ab 15 Uhr die Cut Off Stelle für die
Gesamtdistanz befindet. |
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Der Große Ahornboden ist für die Urlauber aus Bayern das wichtigste Tor ins
Karwendelgebirge. In den letzten Jahren und Jahrzehnten änderte sich die
Freizeitnutzung dieser Berglandschaft. Früher kamen viele Alpinisten, um die
zahlreichen Gipfel mit ihrem brüchigen Felsrouten zu besteigen. Heute kraxelt
man lieber in überschaubaren Klettergärten. Das Wandern, das lange als
Rentnersport galt, begeistert inzwischen zum Glück auch wieder immer mehr junge
Leute. Vor allem Touren von Hütte zu Hütte liegen stark im Trend, und gerade
dies zählt zu den Stärken des Karwendel. Unsere heutige Route ist identisch mit
Abschnitten von gleich drei großen Fernwanderwegen: Via Alpina, E4 alpin und
Adlerweg. Wer ins Karwendel kommt, sucht keinen Eventtourismus und Hüttengaudi
mit DJ. Hier gibt es etwas anderes, das anderswo leider meist fehlt: unberührte
Natur und Stille. Zugegeben: die Stille geht beim Karwendelmarsch verloren, aber
durch solche alles in allem noch umweltverträglichen Veranstaltungen wird auch
bei vielen Menschen erst der Sinn für solche Naturregionen geweckt.
In der Eng investiert man in den letzten Jahren viel in Projekte zur Aufforstung
mit Bergahorn, um die einzigartige Vegetation aufrecht zu erhalten.
An der Verpflegungsstelle gibt es unter anderem heißen Gemüsefond (mit wirklich
viel Gemüse drin!) und eine „äußerst leckere, kalte Heidelbeersuppe, dazu
Biojoghurt.
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Nach kurzem Aufenthalt setzen wir die Wasserspiele fort. Als würden Regen und
Kälte nicht genügen beginnt nun auch noch ein Gewitter. Über eine steile
Forststraße wandern wir bergauf.
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Bei der Binsalm (1.502 m) steht vor der Verpflegungsstelle eine Frau, die alle
Teilnehmer mit flotten Sprüchen aufmuntert. Ja, diese Animateurqualitäten
brauchen wir jetzt, um uns von dem Gedanken abzulenken, warum wir nicht vorhin
bei der Eng einfach aus dem Rennen ausgestiegen sind. Danke, Du bist
unbezahlbar!
Das Gewitter wird stärker. Mist! Vor Blitzschlag habe ich einen Mordsrespekt.
Ein nur mit kurzer Hose und kurzem Laufshirt bekleideter Mann überholt uns. Mein
Gott, in den Klamotten wäre ich jetzt sicher stocksteif gefroren! Wie ich später
erfahre wurden an der Eng zu spärlich bekleidete Teilnehmer aus dem Rennen
genommen, aber dieser kam wohl unbeachtet durch.
Leider sehen wir nach wie vor nichts von den Bergen um uns herum. Ich muss den
Karwendelmarsch 2011 als rein sportliches Abenteuer betrachten. Sportlich
allerdings nur im Sinne der Bewegung, denn für eine brauchbare Platzierung habe
ich zu viel Zeit beim Unterstehen vertrödelt und bin anfangs zu langsam gelaufen
in der Hoffnung, dass später doch noch die Wolken auflockern und gute Fotos
zulassen.
Wir verlassen den Fahrweg und steigen auf einem steilen, sehr anstrengenden Pfad
bergauf. Sind wir endlich bald oben? Ein Helfer am Streckenrand meint: „Nur noch
eine halbe Stunde.“ So etwas klingt bei den heutigen Bedingungen nicht gerade
aufmunternd.
Regen, Gewitter was fehlt nun noch zu unserem Glück? Ach ja, es könnte noch
Hageln oder Schneien! Und schon geht es los. Kurz nach den ersten Hagelkörnern
bedeckt weißer Schneegraupel die Pflanzen rechts und links von unserem Pfad. Das
Gewitter ist inzwischen auch sehr beunruhigend näher gekommen. Was hat Petrus in
diesem Sommer gegen mich? Beim Zermatt Ultra Graupel am Gornergrat, Regen und
Kälte im Chiemgau, und jetzt das hier!
Während des Aufstiegs sehen wir den Pass nicht. Dann taucht im Nebel doch ein
Grat über uns auf. Noch so weit hinauf? Doch dann hören wir durch die Bäume
vor uns eine Stimme: „Nur noch 50 Meter. Ihr habt es gleich geschafft.“
Tatsächlich öffnet sich bei Gramai Hochleger (1.756 m) plötzlich vor uns der
Blick hinab auf einen baumlosen Hang. Schneegraupel bedeckt inzwischen den
gesamten Boden, aber zum Glück ist zumindest noch der Pfad frei davon. |
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Ich denke Wenn es weiterhin so schneit wird es hier oben in ein oder zwei
Stunden für die letzten Läufer und die Wanderer sehr ungemütlich , doch wie ich
später erfahre sieht dies der Veranstalter ebenso und bricht um 14 Uhr die
Veranstaltung an der Eng ab.
Zuerst geht es nur mäßig steil abwärts, dann aber wirklich steil hinab. Wir
laufen schneller, als es vernünftig wäre, denn wir wollen so schnell wie möglich
aus der Kälte raus, unterhalb der Schneegrenze und weg vom Gewitter. Die Körner
der Schneegraupel stechen uns vom Sturm angetrieben ins Gesicht.
Wir kommen an einem schönen Wasserfall vorbei, aber keiner bleibt zum
Fotografieren stehen. An der Gramaialm (1.263 m) kippen wir schnell einen Tee in
uns hinein. Aber ganz ehrlich: jetzt würde auch ein Glühwein passen. Wenn ich
daran denke, wie ich schon manches Mal bei 15 C oder wärmer auf dem
Weihnachtsmarkt Glühwein getrunken habe heute käme die passende Winterstimmung
dazu. Und Bio-Lebkuchen wären auch ganz nett. Vielleicht starte ich hier
nächstes Jahr mit der Nikolaus-Mütze vom Eisweinlauf. Aber nein, 2012 werden
hier alle über Sonne und Hitze stöhnen.
Ich fotografiere nur noch selten, denn erstens erscheint es mir bei dem Regen
ohnehin nicht mehr sinnvoll, zweitens kann ich mit den eisigen Händen kaum noch
den Reisverschluss der Fototasche öffnen bzw. schließen, und drittens und vor
allem will ich nun wirklich so schnell wie möglich diese Friererei hinter mich
bringen und ans Ziel kommen.
Von den wenigen Fotos, die ich zwischen dem Pass und Pertisau knipse, lösche ich
abends mit einer Ausnahme alle wieder.
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Durch dicke Wassertropfen aufgenommen könnte man mit diesen Karwendelbildern
bestenfalls einen Wettbewerb surrealistischer Fotografie gewinnen. Schade, denn
auch bei diesem Abstieg sowie auf den letzten Kilometern im Tal komme ich trotz
der tiefen Wolkendecke an vielen schönen Fotomotiven vorbei.
Bei der Falzturn Alm (1.098 m) liegt der steile Abstieg hinter uns. Bernie und
Wolfram bleiben eine Weile an der Verpflegungsstelle stehen, aber ich trinke nur
wieder schnell einen Tee und muss sofort weiter. Sobald ich stehen bleibe
schlottere ich wie ein Junkie auf Entzug.
Eigentlich will ich nur langsam laufen, damit die beiden mich gleich wieder
einholen können, aber die Kälte treibt mich zu Vollgas. Erst nach einem
Kilometer merke ich, dass ich denen wegrenne und drossle das Tempo. Bald holt
Wolfram mich wieder ein. Bernie bleibt zurück.
Nun ist die Strecke eigentlich so leicht wie jeder durchschnittliche Volkslauf.
Kilometerweit nur minimales Gefälle auf breiten Wegen wäre normalerweise ein
angenehmes Finale. Doch nach wie vor schüttet es aus allen Kübeln, und manche
Wege über Wiesen erinnern eher an Wassertretstellen. Ich habe zwar schon seit
Stunden nasse Füße, aber die Planscherei ergänzt das Karwendel-Rain-Adventure um
einen neuen Spaßfaktor.
Obwohl ich bei jedem Schritt diese Kältetour verfluche, hat es natürlich auch
einen besonderen Erlebnisreiz, solchen Witterungsbedingungen zu trotzen.
Unterwegs flehe ich nur Ich will endlich ans Ziel kommen! , aber während ich
diese Zeilen schreibe denke ich schon wieder aber irgendwie war es doch geil!
Kurz vor Pertisau folgt ein langer Asphaltweg durch den Wald, und zuletzt dürfen
wir erfahren, wie lange man noch durch den Ort laufen muss, bis das Ziel endlich
in Sicht kommt.
Endlich! Nach knapp über acht Stunden laufen Wolfram und ich gemeinsam über die
Linie.
Die Finisher-Medaille dieses Kaltduscher-Ultramarathons haben wir uns heute
buchstäblich nicht verdient sondern erfroren.
Direkt an der Ziellinie werden alle Läuferin Wärmeschutzfolie gewickelt.
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Wolfram verabschiedet sich und geht direkt hinüber zu seinem Hotel, wo er fünf
Minuten später unter der heißen Dusche und anschließend in der Sauna für normale
Körpertemperatur sorgen kann.
Ich dagegen versuche, zwar im Trockenen, aber dennoch in der Kälte, bei der
Zielverpflegung ein alkoholfreies Bier zu trinken und ein Wurstbrot zu essen.
Absolut unmöglich! Schade, dass dies niemand mit der Kamera aufgenommen hat. Das
wäre ein Knaller auf YouTube geworden! Ich wusste bisher noch nicht, dass ich so
sehr zittern kann.
Meine Hände zittern so sehr, dass ich es kaum schaffe den Mund zu treffen und
mit meinen ebenfalls stark klappernden Zähnen ein Stück vom Brot abzubeißen.
Ich gebe auf und gehe nebenan in die Halle, wo wir unsere Taschen mit den
trockenen Klamotten und den Finisherbeutel bekommen. Statt dem hundertsten
Finisher-Shirt liegt in dem Beutel u.a. eine Sigg-Flasche mit
Karwendelmarsch-Logo.
Auch in der Halle ist es sehr kalt. Schuhe aufbinden mit extrem zitternden
Händen zählt auch zu den Erfahrungen, an die ich mich vermutlich noch als
Rentner erinnere. Doch irgendwann stecke ich endlich in trockenen Sachen,
gewinne mit Mühe den Kampf mit Brot und Bier und begebe mich sofort zum gut
geheizten Bus, der mich nach Scharnitz zurück bringt.
Ich bedauere die Leute, die im Zielgelände leider unter freiem Himmel an
Verpflegungsstellen statt den üblichen Würsten wirklich leckere regionale
Gerichte anbieten wollten und nun witterungsbedingt vergeblich frieren. Auf der
Rückfahrt sitzen wir meist schweigend im Bus. Kein Vergleich zum fröhlichen
Beisammensein nach anderen Läufen. Jetzt will sich wohl jeder von uns nur
ausruhen.
Obwohl der Karwendelmarsch fast nur halb so viele Kilometer und Höhenmeter hat
wie der Chiemgau 100 bin ich heute viel erschöpfter als vor vier Wochen. Der
Körper hat vermutlich mehr Energie zum Wärme erzeugen als zur eigentlichen
Fortbewegung verbraucht.
Während der Rückfahrt lockern die Wolken über uns immer mehr auf, wir sehen von
Neuschnee bedeckte Berge, und als wir um 17 Uhr nach Scharnitz zurück kommen
sehe ich einige Karwendelgipfel und groß Flecke mit blauem Himmel. Gegen 20 Uhr
ist es sogar fast wolkenlos. Wäre das Unwetter nur ein paar Stunden früher oder
später vorbeigezogen hätte ich endlich zeigen können, wie großartig schön diese
Strecke ist. So bleibt nur der Vorsatz, noch ein drittes Mal hier zu starten.
Dann hängt kein einziges Wölkchen am Berg, versprochen! "Karwendelmarsch - jetzt
erst recht!"
Wie ich später erfahre haben die Veranstalter richtig reagiert und um 14 Uhr das
Rennen in der Eng abgebrochen. Damit die unverschuldet am Beenden der 52 km
gehinderten Läufer nicht als DNF in der Ergebnisliste stehen müssen wurde
nachträglich auch eine 35 km Wertung für die Läufer eingeführt. Der Abbruch des
Rennens war eine notwendige, aber sicher nicht leichte Entscheidung, zumal es
bei dieser Strecke zu enormen logistischen Problemen führt. Da zwischen Start
und Ziel ein nicht auf direkter Linie mit dem Auto bzw. Bus erreichbares Gebirge
liegt mussten einige Busse, die in Pertisau auf die Läuferwarteten, mit großen
Umwegen zur Eng fahren. Zusätzlich wurden ein paar private Minibusse eingesetzt,
doch aufgrund der langen Fahrzeiten dauerte es natürlich doch sehr lange, bis
endlich alle Finisher einen Platz bekamen. Erschwerend kam hinzu, dass ein Teil
der Finisher von der Eng zurück nach Scharnitz mussten, einige andere aber nach
Pertisau. Die Beutel mit der trockenen Kleidung lagen natürlich auch in Pertisau,
so dass man in nassen Klamotten auf den Bus warten musste. Da ein Teil der
Teilnehmer nun aber bereits zwischen Eng und Pertisau unterwegs war konnte man
ja nicht einfach alle Taschen von dort zur Eng transportieren. Die Mehrheit der
Teilnehmer akzeptierte diesen Umstand, der nur wirklich nichts mit der Fähigkeit
der Veranstalter zu tun hat. Nur ein paar typisch deutsche Piefkes lieferten
sich einen Kampf um die Fahrgelegenheiten und meckerten an allem herum.
Annette kam erst gegen 19 Uhr, also zwei Stunden nach mir, zurück nach
Scharnitz. Dennoch ist auch sie nun sicher, dass sie nächstes Mal statt 35 km
wandern die kompletten 52 km laufen will, dann aber bei Sonnenschein.
Und nun folgen zum Schluss wie versprochen noch ein paar Fotos, die zeigen, wie
schön es hier am Freitag, Sonntag und Montag war. Ich kombiniere fast jede
Teilnahme an einem Marathon oder Ultramarathon mit einigen Urlaubstagen in der
betreffenden Region. Von Scharnitz (aber auch von Pertisau am anderen Ende der
Strecke) aus gibt es viele schöne Touren, die das Naturerlebnis Karwendelmarsch
abrunden.
Am Sonntagmorgen, also am Tag nach dem Regenmarsch, fuhren wir mit der Bahn zum
Seefelder Joch und spazierten zur Seefelder Spitze (2220 m). Anfangs lagen
Seefeld und das Inntal noch unter einer dünnen Nebelschicht, aber zwei Stunden
später löste sich der Nebel komplett auf. Obwohl oben noch der Schnee von
gestern lag war es warm genug, um stundenlang in der Sonne zu sitzen und den
weiten Rundblick ins Karwendelgebirge, zur Reither Spitze, hinüber zum
Wettersteingebirge mit der Zugspitze und auf die andere Seite des Inntals zu
genießen. Anschließend spazierten wir unten in Seefeld um den Wildsee. |
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Am Montag wanderten wir von Scharnitz aus zur Gleirschklamm und vorbei an der
Kristenalm zum Solsteinhaus. |
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Und am Tag vor dem Karwendelmarsch fuhren wir von Mittenwald mit der
Karwendelbahn hinauf. |
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