Einige Zeit später bricht die Dämmerung an, und dann beginnt die Zeit der
Stirnlampe.
Eine schönere Nacht für einen Ultramarathon kann man sich nicht wünschen.
Trocken und windstill, aber vor allem scheint die ganze Nacht über ein so heller
Vollmond, wie ich es selten gesehen habe. Stundenlang genieße ich den Blick
durch die Baumwipfel hinauf zum beleuchteten Himmel - eine wirklich grandiose
Stimmung! |
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Nach vielen Stunden auf breiten Waldwegen und auf fast weglosen Trails sehen wir
von einem Picknickplatz aus weit unter uns die Lichter von Gündlingen. Wer sich
jetzt auf einen gemütlichen, entspannenden Abstieg freut liegt falsch. Über eine
lange, steile Treppe steigen wir geradeaus den Weinberg hinab.
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Unten durchqueren wir den Ort und erreichen am anderen Ende die nächste VP, die
gemütlich in einer Scheune liegt. Neben einem Traktor und einem Boot sitzen wir
im Warmen und können neue Kräfte tanken.
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Das einzig unangenehme ist, dass man nach 10 bis 15 Minuten Pause zwar gut
aufgewärmt ist, aber danach auf dem nächsten Kilometer umso mehr friert. Doch
meist dauert es nicht lange, bis der Körper sich wieder an die Nachttemperatur
gewöhnt hat.
Die einzige nennenswerte Gefahr, die auf der Strecke auf uns wartet, sind
Wildschweine. Wolfgang wies uns beim Briefing extra noch einmal darauf hin, dass
wir nachts an einigen Wildschweinsuhlen vorbei kommen, und wie wir uns bei einer
Begegnung mit diesen Tieren verhalten sollen. Ich selbst sehe in dieser Nacht
keine, aber andere Läufer haben diese tierischen Begegnungen. Mich erschreckt
nur einmal ein Reh, das plötzlich drei Meter neben mir durch das Gestrüpp rennt.
Ansonsten sehe ich nur zweimal Augen, die im Licht meiner Stirnlampe im Wald
leuchten. Beunruhigender sind die vielen Schüsse, die wir in einem
Streckenabschnitt erst vor, dann neben uns hören. Hier scheint ein Jäger
wirklich übertrieben viel durch die Gegend zu ballern. Hoffentlich verwechselt
der uns nicht mit Jagdbeute. Rehe tragen zwar gewöhnlich keine Stirnlampen, aber
ich bin nicht sicher, ob der Jäger das weiß. Erst später erfahren wir, dass dies
kein übereifriger Waidmannsbursche war, sondern die Schreckschussanlage in einem
Weinberg, die Tiere und Traubendiebe abschrecken sollte. |
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Im Verlauf der Nacht wird es empfindlich kühl. Aber da der Wetterbericht schon
angekündigt hatte, dass es bis auf 5 C runter gehen kann, kann ich genügend
warme Klamotten, ja sogar Mütze und Handschuhe aus meiner DropBag bei VP7
nehmen. Auf die lange Hose verzichte ich aber, denn beim Laufen friere ich
bisher nicht an den Beinen. Hier begrüßt mich unter anderem Helmut Hanner.
Letztes Jahr versorgte ich ihn als Helfer, dieses Mal tauschten wir die Rollen.
An den einzelnen VPs erfahre ich auch immer, wer inzwischen aus dem Lauf
ausgestiegen ist. Vor allem die Nachricht, dass die Sieger von 2010 und 2011
schon frühzeitig aufgaben, überrascht alle.
Kontrollstellen im eigentlichen Sinn gibt es unterwegs keine. Nur bei den
Verpflegungsstellen wird die Zeit notiert. Ausnahme sind zwei spezielle Stellen,
an denen man sonst durch Abkürzung Zeit sparen könnte. Hier muss man sich selbst
in einer Liste eintragen, die in einer Plastikdose liegt. Die erste dieser
Stellen ist bei der legendären Bachdurchquerung, die schon im letzten Jahr das
Herz der Trailer erfreute. Auf einem verdammt rutschigen "Pfad" kraxelt man in
die Tiefe, und dann plätschert ein Bach, der auf keinen Fall überquert werden
kann, ohne die Füße ins deutlich mehr als schuhtiefe Wasser zu stecken. Man kann
hier ganz einfach durchlaufen und hoffen, dass die Schuhe danach schnell wieder
trocknen, man kann auch Schuhe und Socken ausziehen, oder die Beine mit oben
zugebundenen Plastiktüten schützen.
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Doch hier folgt eine gute Pointe: Wer den Zeitaufwand in Kauf nimmt, um mit
trockenen Socken rüber zu kommen, auf den wartet drüben die Überquerung einer
klatschnassen Wiese, bei der die Füße nun doch gut eingewässert werden.
Ausgerechnet auf dieser Wiese übersehe ich das einzige Mal bei diesem Lauf eine
Wegmarkierung und hänge noch etwa 200 Bonusmeter dran, bis ich den Irrtum merke
und umkehre. So lohnt es sich wenigstens!
Im Gegensatz zu den großen Massenevents, bei denen man mehr oder weniger
ununterbrochen andere Teilnehmer vor und hinter sich sieht, wachsen die Abstände
zwischen 28 Läufern auf einer 161 km langen Strecke gegen Ende sehr stark an.
Dennoch bin ich heute selten länger als eine Stunde am Stück ganz alleine. Mal
ist Gerhard Eisner (der später doch eine Stunde Vorsprung rausholt) ein Stück
vor mir, mal hinter mir, mal laufen wir zwischendurch gemeinsam. Dann wächst der
Abstand wieder, aber an den Verpflegungsstellen trifft man sich doch wieder. Von
der Bachüberquerung bis zum letzten VP sehe ich auch immer wieder Sigrid und
Barbara abwechselnd vor oder hinter mir. An einer Stelle müssen wir einen
Stichweg zu einem großen Steinhaufen hinauf steigen, wo ein weiteres Buch mit
Kontrollliste liegt. |
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In der Ausschreibung steht: "Ihr sollt nicht, nein Ihr dürft absolut nicht: Die
Wege durch weggeworfene Utensilien, Verpackungen, Kleidungsstücke usw.
verunreinigen oder verschmutzen. Dies ist ein totales „No Go!!!“ und führt zur
bedingungslosen Disqualifikation, egal welcher Rang und Name." Und welch Wunder
- nachdem ich mich in diesem Jahr über die stark zunehmende Gelpackungs-Verschmutzung
der Laufstrecken geärgert habe, freut es mich hier, dass ich als drittletzter
Läufer auf den kompletten 161 km absolut gar keine noch so kleinen Fetzen finde,
die von einem Läufer zurückgelassen wurden. Danke!
Gegen fünf Uhr erreiche ich VP8. Inzwischen liege ich deutlich hinter meinem
Zeitplan. Trotzdem bleibe ich auch hier eine Weile im warmen Zelt sitzen. |
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Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine Lauferfahrung zu nutzen und mit
einem idealen Zeitplan meine Kraft richtig einzuteilen. Ich hatte mir
ausgerechnet, bis zu welcher VP ich jeweils etwa 7 km pro Stunde schaffen
müsste, um dann in der Nacht und am Morgen, wenn ich müde bin, nur noch 5 km pro
Stunde marschieren zu müssen. Doch Theorie hat mit der Praxis nur wenig zu tun.
Anfangs genoss ich es, mit anderen Läufern gemeinsam unterwegs zu sein und lief
etwas zu schnell, dann blieb ich an den schönen Verpflegungsstellen immer
deutlich länger als gewohnt sitzen, und zwischen VP5 und VP8 war ich in der
Nacht insgesamt zu langsam, weil ich auf den Trails lieber gehen statt laufen
wollte.
Jetzt hätte ich mit nur 5 km/h keine Chance mehr, noch im Zeitlimit das Ziel zu
erreichen. Ab hier muss ich die letzten 33 km nun doch anteilmäßig sehr viel
mehr laufen, als ich es zuvor geplant hatte. Zum Glück ist der Weg ab hier meist
gut laufbar, so dass mich nur relativ wenige Gehpausen bremsen, und meine Kraft
reicht überraschend auch noch aus, längere Abschnitte am Stück zu laufen.
Ich bin überrascht, wie gut ich mich immer noch fühle. Ok, "gut" ist
übertrieben, aber nach einem als Hundertmeilen-Vorbereitung ausgesprochen
suboptimalen Monat mit extrem viel beruflichem Stress, 60 Stunden-Woche und
zusätzlich einer nicht eingeplanten Wohnungsrenovierung, hätte ich nicht
erwartet, nach über 100 km überhaupt noch laufen zu können. Vor drei Wochen war
ich so dauerhaft erschöpft, dass ich einen Trainingslauf sogar schon nach 8 km
abbrechen musste, vor 14 Tagen freute ich mich darüber, mit Ach und Krach 23 km
zu schaffen. Aber ich hatte guten Grund zur Hoffnung, dass die Krise bis Ende
September vorbei ist und ich den KuSuH schon aufgrund meiner restlichen
Jahresvorbereitung schaffen kann. Trotz kräftemäßiger Krise freute ich mich auf
den Lauf und darauf, dass die 28 Stunden einen willkommenen Ausgleich zum ganzen
Job-Stress bieten. Das ist etwas, das Nicht-Ultraläufer einfach nicht verstehen
können, warum man so einen Lauf trotz aller benötigten Ausdauer als Erholung
statt als Belastung empfinden kann. Auch das lange Wachbleiben, eine ganze Nacht
ohne Schlaf, klappt unterwegs bei mir immer viel leichter als es in der Theorie
möglich ist.
Auf die tolle Vollmondnacht folgt eine ebenso wunderbare Morgenstimmung. Als ich
oben bei Burg Sternenfels ankomme, liegen unter mir in der weiten Landschaft
verstreut kleine Felder von Bodennebel.
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Ich weiß, wie man sich als Helfer fühlt, wenn man die ganze Nacht über auf
Läufer wartet und es manchmal eine Stunde dauert, bis wieder jemand kommt.
Nachdem meine Freundin und ich beim ersten KuSuH an VP1 halfen, waren wir
letztes Jahr von ein bis neun Uhr die Nacht über an der letzten VP. Dies hatte
den positiven Nebeneffekt, dass ich mit meinem Wissen, wie man sich als Läufer
an dieser Stelle fühlt, dort zwei Teilnehmer von einer Aufgabe abhalten konnte.
Auch in diesem Jahr sitzt Annette an der letzten VP. Sie weiß, dass ich hier nur
Suppe und besonders viel Kaffee will, und bringt mir dies sofort. Dann übernimmt
sie mal kurz die Kamera, damit auch eine Aufnahme von mir im Film ist, und schon
eile ich weiter. Noch vier Stunden Zeit für 20 km bis zum Ziel - jetzt müsste
ich es auf jeden Fall im Zeitlimit schaffen!
Zum Glück kann man die meisten Abschnitte der letzten 20 km recht gut laufen.
Anfangs färbt die noch tief stehende Sonne die dünnen Streifen mit Bodennebel
herrlich goldfarben. Es ist unglaublich schön, diese einzigartige Lichtstimmung
zu genießen, während ich an Obstwiesen vorbei durch die sanfte Landschaft laufe. |
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Anfangs lädt ein langes Asphaltstück zum Tempomachen ein, dann geht es lange
Zeit leicht bergab. Einen kurzen Aufstieg schaffe ich danach recht gut, und
schon folgt der nächste Abstieg. Nun steht noch einmal eine kleine
Bachüberquerung an, dieses Mal eigentlich eine sehr harmlose, bei der man
normalerweise von Stein zu Stein gut rüber kommt. Doch ich passe nicht auf,
rutsche auf einem Stein, und schon stehe ich mit einem Fuß im Wasser. Egal, das
trocknet bald wieder! |
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Nun folgen einige schöne Kilometer mit vielen auf und ab führenden Trails, die
nach so langer Strecke doch sehr ermüden.
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Dann erreiche ich Oberderdingen. Da ich die Gegend kenne weiß ich, dass trotzdem
noch ein paar Kilometer (leider auf Asphalt!) zwischen mir und dem Ziel liegen.
Die Ortsdurchquerung zieht sich sehr in die Länge.
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Dann hole ich mein Handy aus dem Rucksack an und sage meiner Freundin, dass sie
in wenigen Minuten meinen Zieleinlauf filmen kann.
Vor der Halle warten schon viele Leute auf mich, und unmittelbar an der
Ziellinie gratuliert mir Wolfgang zur Leistung. Nach 27:27 komme ich 33 Minuten
vor dem Zeitlimit als 19. von ursprünglich 28 Startern ans Ziel. Damit bin ich
sehr zufrieden.
Anschließend sitzen Läufer und Helfer noch gemeinsam etwa drei Stunden in der
Halle, wo es viel zu essen und trinken gibt.
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Eine kurzer Auftritt einer Musikgruppe, viele interessante Gespräche, dann folgt
die Siegerehrung. Wolfgang überreicht Monika Bäuerlein und Jochen Höschele die
schwer verdienten und schwer zu tragenden Siegprämien |
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Ich kann die Augen kaum noch aufhalten und wackle durch die Halle wie ein
Rentner, dem man seinen Rollator geklaut hat, doch ich bin einfach nur
glücklich.
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2013 werden Annette und ich sicher wieder als Helfer dabei sein, und
irgendwann laufe auch ich garantiert wieder diese schöne, dann garantiert noch
schwerere Strecke.
Und hier ist der
Link zu meinem Film.
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