Runfire Cappadocia Ultramarathon vom 26.07. - 01.08.2015 - Lacus Tatta – Salz
auf meiner Haut - Bericht Teil 2 von Thomas Eller
Wenn man einen 6-Etappen-Lauf wie den „Runfire Cappadocia Ultra Marathon“
plant, dann schaut man sich natürlich viele Bilder an. Und man macht sich ein
Bild. Das Bild, das ich mir von dem Lauf gemacht habe, entsprach der Realität
kaum.
Natürlich wusste ich, dass es auch da eine „Königsetappe“ geben würde und dass
diese „Königsetappe“ 108 Kilometer lang wäre. Aber auf welchem Geläuf diese 108
Kilometer zu absolvieren sind, das hätte ich zuvor nicht einmal geahnt.
Es ist wirklich schade, dass ich offensichtlich die USA besser kenne als das
Geburtsland meines leiblichen Vaters, sonst hätte ich gewusst, dass es irgendwo
zwischen Konya, Aksaray und Ankara den „Tuz Gölü“ gibt. „Tuz Gölü“,
türkisch für „Salzsee“, in der Antike als „Lacus Tatta“ bekannt, ist eben
ein
Salzsee, ein ganz großer Salzsee sogar. In der
Türkei
ist der „Tuz Gölü“ nach dem
Vansee
sogar der zweitgrößte
See des
Landes. Und mit einem Salzanteil von 32,9 % ist er einer der salzhaltigsten Seen
der Welt. Unglaublich, all das wusste ich nicht.
Und schon gar nicht wusste ich, dass ich diesen „Tuz Gölü“ auf der
„Königsetappe“ belaufen würde. Aber heute, vom Salzsee wieder ausgespuckt, sage
ich, dass das vielleicht das größte läuferische Erlebnis war, das ich bisher
hatte.
Sand in der Wüste? Check.
900 Meter unter der Erdoberfläche? Check.
Laufen auf Eis und Schnee? Check.
Aber Laufen auf Salz?
Als ich gewahr wurde, dass diese Frage auf mich zukommen würde, fielen mir
sofort Bilder ein. Hinter den sieben Bergen bei den …. na ja, in Bolivien
jedenfalls, da gibt es auch einen Lauf auf einem Salzsee. Und die Fotos davon
sind großartig. Aber dass man dafür nicht um die halbe Welt reisen muss, keine
eigene Veranstaltung buchen muss, sondern solch ein Erlebnis in einem
6-Etappen-Lauf gewissermaßen „nebenbei“ geboten bekommt, das hätte ich nicht
geahnt, nie zu hoffen gewagt.
Der „Tuz Gölü“ war also der Grund, der bei der längsten Etappe unter
unseren Füßen liegen sollte! Ich war aufgeregt und ich lag in der Nacht zuvor
wach im Zelt. Es ging mir gar nicht gut, die Nase fing gegen Mitternacht an
grundlos zu bluten und wollte über Stunden damit nicht mehr aufhören. Wenn es
nicht der Salzsee gewesen wäre, ich hätte mir eine Auszeit vom Event gegönnt.
Aber so etwas ist vielleicht eine „once-in-a-lifetime“-Situation. Da sollte man
nicht schwächeln und lamentieren.
Alleine der Aufwand, zu diesem See zu gelangen, war riesig. Alle Läufer der
Bewerbe 4G, 6G, „Toughest Day“ und Ultra Marathon wurden rund 100 Kilometer weit
zum Lager am See gekarrt und dann, zweieinhalb Tage später, auch wieder mit
Bussen ins Herz von Kappadokien zurück gebracht. Ein immenser logistischer
Aufwand, der perfekt gemeistert wurde, natürlich mit dem Catering-Zelt, den
beiden Toiletten- und Duschwagen, mit allen Schlaf- und Gemeinschaftszelten.
Schon dafür gebührt dem hoch motivierten Team höchste Achtung. Einer der
Team-Mitglieder des Staff erzählte mir, dass es ja außer dem Team-T-Shirt und
dem freien Zugang zum Catering nichts gibt für die, die sich so liebevoll um uns
Läufer gekümmert haben. Und doch opfert er Jahr für Jahr eine Woche Urlaub, um
dieses Event zu begleiten.
„inanılmaz“, sage ich, unglaublich!
Und ich ergänze mit „teşekkürler”, danke!
Am Morgen ging es dann um 10.00
Uhr los. Wegen mir hätte es auch um 6.00 Uhr schon losgehen können …
Der „Tuz Gölü“ liegt also im trockenen Hochland zwischen
Ankara,
Konya und
Aksaray. Der große Salzsee hat keinen Abfluss und wird durch
Niederschläge (250 mm im Jahr) und Grundwasser gespeist. Am See befinden
sich drei Salzabbaufabriken, immerhin 70 % des konsumierten Salzes der Türkei
stammen von hier.
Und in den Sommermonaten entsteht dann eine
kristalline
Salzschicht, die Schicht, die wir belaufen haben. Dabei ist diese obere
kristalline Salzschicht nur selten trocken, meist liegen einige Zentimeter, in
manchen Abschnitten auch viele Zentimeter, Wasser darauf. Nasse Füße sind also
garantiert, eine Wonne, wenn die Füße schon von den ersten vier Etappen
geschunden und wund sind.
Auf einem Salzsee laufen ist
einfach beschrieben. Oben ist es blau. Kein Wölkchen ist am Himmel, immerhin
befindest Du Dich immer in einem sehr trockenen Gebiet. Unten ist es weiß, ein
Spiegel, auch für die Hitze. Manchmal ist es auch leicht rosa. Und es knirscht
oft unter den Laufschuhen. Und rechts und links ist nichts außer dem Horizont,
dem blau des Himmels und dem weiß des Sees. Und zuletzt ist es heiß, sehr heiß.
Bäume, Schatten, ein Bänkchen zum Ausruhen, Zuschauer am Weg, auf all das musst
Du verzichten, stundenlang. Apropos Weg. Den gibt es natürlich auch nicht. Du
läufst also idealerweise mit einem ständigen Blick auf Dein GPS-Gerät. Ständige
Kontrolle, ob Du noch richtig bist.
„Wenige Grad falsch zu laufen können sich erheblich addieren“, hieß es im
Briefing. Ich wusste es besser. Und so scherte ich mich nicht immer um die
Abweichungen, die meine Laufstrecke vom GPS-Track hatte. Ich war ja mit Lee und
später mit dem Letzten des 4G-Bewerbs, auf den wir aufliefen, nicht allein. Und
was stundenlang geklappt hat, nämlich das Verfolgen derer, die weit vor Dir
laufen, das sollte dann aber nach etwa 25 Kilometern nicht mehr richtig sein.
Da war ein niedriger Damm im Wasser, linker Hand. Ganz vorne sah ich schemenhaft
die Schnellen und die aus den anderen Bewerben, die Kilometer später, aber
zeitgleich gestartet waren. Und zwischen diesem Damm und dem CP lag ein Teil des
Salzsees, wo das Wasser auf dem Salz sehr, sehr tief war. Wir sind also am CP
vorbei gelaufen und wir konnten dann nicht den direkten Weg dorthin wählen.
Wegen des tiefen Wassers. Also liefen wir mehr als eine Meile wieder zurück bis
zum Ende, eigentlich bis zum Anfang, des Damms und dahinter gab es dann einen
Weg, der uns zu diesem CP führte. Dieser CP war auch das Ende der Strecke für
die Läufer der Bewerbe 4G und 6G.
Und es war auch mein Tagesende. Die Moral war geknickt, der Schädel brummte von
dem extrem vielen Sonnenlicht von oben und von unten, die Füße brannten ob des
Salzes, ich bin zuvor kilometerweit durch mindestens knöcheltiefes Salzwasser
gelaufen und die Erkenntnis kam, dass es wahrscheinlich sinnvoll gewesen wäre,
dem GPS-Track exakt zu folgen.
Dennoch war ich stolz. Insgesamt lief ich über 30 Kilometer auf dem See, ein
Erlebnis, das mich in meinen Gedanken noch jahrelang, vielleicht ein Leben lang,
begleiten wird. So kam ich dann doch zu einem Tag Auszeit und während die
anderen Ultramarathon-Läufer, es waren noch sechs dabei, Lee und ich eben nicht
mehr, durch die Nacht liefen, erlebten wir mit den 4G und den 6G Leuten einen
wunderbaren Abend, an dem viel fotografiert wurde. Schattenfotos im Gegenlicht.
Einzelne, die hochsprangen, kleinere und größere Gruppen, die sich schwarz gegen
den Abendhimmel abhoben. Es war ein wunderbarer Abend und ein großartiges
Verhalten der Organisatoren, die uns, den Südkoreaner Lee und mich, in den Arm
nahmen, motivierten und die uns dann bei der sechsten und letzten Etappe
natürlich wieder starten ließen. Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl, wegen
dieser Entscheidung nicht gewertschätzt zu werden.
Es waren über dreißig Kilometer auf und im Salz gewesen, die Gamaschen waren
weiß wie Schnee, die Spyker ebenfalls, die Stöcke, auf deren Hilfe ich so gerne
setze, waren weiß gesprenkelt und die kleinen Löcher in den Schuhen vom Salz
ausgefüllt.
Wenn Du einmal im Leben auf Salz laufen willst, dann tue es dort auf dem „Tuz
Gölü“ im türkischen Hochland, ob beim Bewerb 4G oder 6G, wo Du etwa
20 Kilometer auf Salz geboten bekommst oder beim Bewerb „Toughest Day“ oder
Ultramarathon, wo Dir über 100 Kilometer auf Salz abgefordert werden, wenn Du
nicht vorher schon aussteigst.
Hauptsache, Du erlebst dieses Gefühl, Salz auf Deiner Haut zu sehen und zu
spüren, das Gefühl unendlicher Hitze, unendlicher Weiten und unendlichen Glücks.
Und wenn Du Dich für einen Start in 2016 entscheiden solltest, dann sehen wir
uns dort auf dem „Tuz Gölü“, ganz bestimmt dann aber die vollen gut 100
Kilometer lang. Salz auf meiner Haut, das Schönste, das ich je erlebt habe.
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