Ultra-Trail du Mont-Blanc® vom 28. bis 30. August 2015 - Laufbericht
von Thomas Eller
Wenn ich über den UTMB berichten soll, dann fange ich am
besten ganz am Anfang an.
Es war 2008, kurz nachdem ich den TAR gefinished hatte. Da sprach mich ein
Lauffreund an, der „Coolrunner“ Bernie, dass ich „jetzt auch den UTMB laufen
müsse!“
Immerhin, so Bernie, hätte ich mir ja durch das Finish drei UTMB-Punkte
verdient.
Für mich klang das alles merkwürdig fremd.
UTMB? UTMB-Punkte?
Noch bevor ich mich schlau machte, sagte ich spontan zu. Na ja, dachte ich, wenn
ich das muss, dann muss ich es halt.
Etwas später schluckte ich, als ich erfuhr, dass Bernie, immerhin damals ein
wesentlich erfolgreicherer Läufer wie ich, den UTMB nicht finishen konnte.
Der UTMB, der Ultra-Trail du Mont-Blanc, der 170 Kilometer
lange Trail um den „weißen Berg“, gespickt mit 10.000 positiven Höhenmetern, war
damals schon sehr bekannt. Bei vielen, nur eben nicht bei mir.
Und da dürfen nur sehr erfahrene Trailrunner teilnehmen. Auch damals schon. 2009
brauchte man vier UTMB-Punkte, ein Witz aus heutiger Sicht. Heute brauchst Du
neun UTMB-Punkte aus drei Rennen und die Vergabe dieser Punkte ist auch noch
erschwert worden. Kurzum, Du musst viel gelaufen haben, um da laufen zu dürfen.
Dass Du zudem auch noch eine Affäre mit Fortuna haben solltest, weil sich meist
drei Mal so viele Trailer für die 2.300 Startplätze bewerben, sei nur nebenbei
erwähnt.
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Es stehen also nur erfahrene Cracks stundenlang an der
Startlinie in der schönen französischen Alpenstadt Chamonix, den Schreiber
dieses Artikels einmal ausgenommen, zumindest 2015. Und alle warten auf den
„magischen Moment“, den Start des wahrscheinlich atemberaubendsten Rennens der
ganzen Welt.
Allein die hoch professionelle Gestaltung der letzten Stunde vor dem Start ist
die Reise nach Frankreich wert, da ist das Gänsehautfeeling garantiert.
Das aufregende Bild der Stadt, die kleine Kirche hinter dem Start, auf die
zuzulaufen Dein Freitagabendtraum ist, der gigantische und eindrucksvolle
Startbogen, die coole Musik, die perfekte Moderation, die vielen Tausend
frenetisch jubelnden Zuschauer, die Tausend Kinderhände, die Du abklatschen
wirst, die vielen Hundert in den Abendhimmel gehaltenen Kameras, alles wirkt wie
ein wunderbarer, fiebriger Traum, großartig, phänomenal, eine echte „once in a
lifetime story“.
Offiziell sind es immer 2.300 Starter, mit denen, die wegen doppeltem Lospech in
den Vorjahren eine Startgarantie haben, sind es oft knapp 2.500 Starter.
Einer jener 2.300 Starter in 2015 war auch „The Legend“, der große alte Mann,
Christoph Geiger. Christoph startet für die Laufgruppe Derendingen aus der
Schweiz. Er wurde im Mai 1942 geboren und ist mit 73 Jahren wohl einer der
ältesten Starter im Feld. Er startet in der Altersgruppe „Veterans 4“. Und er
steht 2015 zum insgesamt vierten Mal da an der Startlinie, drei Mal konnte er
die vielen und ambitionieren Cut-Off Zeiten nicht erfüllen. 2015 aber sollte
alles anders werden.
Christoph ist ein läuferischer Spätstarter. Der Sohn des Malers Ernst Geiger
startete erst in seinen 50er Jahren als Läufer. Er brachte es aber auf vielen
Strecken zu mehr als beachtlichen Leistungen:
8:28 Stunden für die 100 Kilometer von Biel (1998), beispielsweise oder die
203,155 Kilometer auf 24 Stunden (1997).
Ich hatte „The Legend“ schon 2013 in Nepal kennen und schätzen gelernt. Seine
sehr eigene und spezielle Art macht ihn eben zu dieser Legende im Läuferfeld.
Ein anderer der Starter im Feld war Xavier Thevenard. Er war einer der, auf alle
Bewerbe verteilt, 143 internationalen Elite-Läufer, sicher einer der Favoriten,
wenn nicht der Top-Favorit und er startete ganz vorne vor der großen Masse der
anonymen Läufer. Später sollte es heißen, dass sein Blick beim Start schon
verriet, dass er sich des kommenden Sieges sicher war. Wenn es so war, dann war
diese Voraussicht berechtigt. Der Umstand, dass Xavier der erste Athlet war, der
mit dem UTMB (2013), dem CCC (2010) und dem TDS (2014) schon alle drei
historischen Läufe der Trail-Woche in Chamonix gewonnen hat, erleichterte ihm
wohl diese Zuversicht auf den UTMB-Sieg 2015.
UTMB Official Video - The North Face® Ultra-Trail du
Mont-Blanc®
Und Xavier, der junge Franzose, der für Asics startet, lief 2015 spätestens ab
Kilometer 100 ein einsames Rennen, weit vor Luis Alberto Hernando und David
Laney, die später die Plätze zwei und drei belegen sollten. Am Ende war sein
Vorsprung auf die beiden auf fast 50 Minuten angewachsen, sensationell
irgendwie. Irgendwie aber auch nicht, denn Xavier wusste das ja schon vorher.
Wenn man bedenkt, dass der UTMB erstmals im Oktober 2002 in den internationalen
Laufkalender eingetragen wurde und anfangs von einer Neunergruppe von Freunden
gelaufen wurde und dass der Ultra-Trail du Mont-Blanc mit den dazu gekommenen
Trail-Alternativen von 53 Kilometern Länge (OCC) bis zu 300 Kilometern Länge (PTL)
dieses Jahr 7.500 Läufer aus 87 verschiedenen Nationen angezogen hat, dann
versteht man vielleicht, warum ich jedem Trailer sage, dass ein Start beim UTMB
zumindest ein Mal im Läuferleben gewissermaßen Pflicht ist. Wer sich das
entgehen lässt, der verlässt auch eine Abend-Gala vor dem Feuerwerk.
Was Catherine und Michel Poletti mit ihrem Team hier geschaffen haben, das ist
wohl die weltweit beste und bekannteste alpine Laufbewerb-Serie. Für mich
jedenfalls ist die Präsenz in Chamonix Ende August nunmehr seit 2009 Pflicht,
Freude und Jahreshöhepunkt zugleich.
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2015 war ja europaweit ein ganz besonderer Sommer für die Läufer, es gab eine
Rekordhitzewerte bei vielen Bewerben und auch der UTMB blieb davon nicht
verschont.
Dabei konnte es keiner der Normalläufer vermeiden, den langen Samstag durch die
Hitze der Berge zu rennen, der heiße Sonntag jedoch blieb all denjenigen
erspart, die statt in den erlaubten 46 Stunden in 40 Stunden oder schneller im
Ziel waren.
Xavier Thevenard, der Sieger des UTMB, war dabei nach 21:09:15 Stunden kurz nach
15 Uhr am Samstag mit einem triumphalen Vorsprung vor den Verfolgern im Ziel,
Christoph Geiger gewann seine Altersklasse V4 in 46 Stunden und 24 Minuten und
musste dabei die gesamte Sonntagshitze aushalten. Dass Christoph trotz der 24
Minuten oberhalb der 46 Stunden Schwelle gewertet wurde, lag dabei daran, dass
er zuvor alle Cut-Off Zeiten einhalten konnte, in Les Houches, in St. Gervais,
in Les Contamines, am Col du Bonhomme, am Col de la Seigne, am Refuge Bertone,
am Grand Col Ferret, in Courmayeur, in Trient, in Vallorcine, um nur einige der
vielen Stationen in Frankreich, Italien und in der Schweiz zu nennen.
Wenn man den Ultra-Trail du Mont-Blanc beschreibt, dann geht es gar nicht
anders, als die vielen Spitzenleistungen zu erwähnen, für die diese Bewerbe
stehen. Die Verpflegung ist phänomenal, lecker, französisch und vielseitig, die
Organisation mit über 2.000 Helfern perfekt. Da wird an alles gedacht, nichts
bleibt dem Zufall überlassen. Die Online-Verfolgung, die Live-Berichterstattung,
die Betreuung der Laufbegleiter und der Presseleute, in all diesen Punkten setzt
der UTMB Maßstäbe.
Die Läufer, die aussteigen müssen, werden in hervorragender Weise betreut und
die, die bei den vielen Kontroll- und Verpflegungsstellen ihren Weg fortsetzen,
werden jedes Mal mit Euphorie und einer riesigen Portion Motivation auf die
weitere Reise geschickt.
Und wer gedacht hat, dass der Wechsel des Hauptsponsors die Bewerbe verändern
würde, der sah sich positiv getäuscht. Jeder einzelne Finisher des CCC, des TDS,
des UTMB und des PTL war auch in 2015 stolz, die entsprechende Finisherweste
tragen zu dürfen. Mancher von denen hat diese Weste dann tagelang nicht mehr
ausgezogen.
Für mich ist allein der Hin- und Rücktransport der vielen Tausend Dropbags zu
den einzelnen Dropbag-Stationen der einzelnen Bewerbe eine logistische
Meisterleistung und die hervorragend besetzte UTMB-Messe, der „Salon Ultratrail“,
macht Spaß, Stunden über Stunden dort zu verbringen, egal, ob man sich über die
neuesten Trail-Accessoires oder über andere Ultraläufe informieren will. Alle
Läufe und alle Unternehmen, die etwas auf dieser Welt zählen, sind dort
vertreten. Kostspielige Verführungen, denen man nur allzu gerne nachgibt und die
vielen Alternativen der UTWT (Ultra Trail World Tour) und der ITRA
(International Trail Running Association) füllen den Laufkalender des
Folgejahres fast vollständig.
Das Mont-Blanc Massiv, dass beim UTMB umrundet wird
Beide, Xavier und Christoph, haben beim UTMB 2015 Geschichte geschrieben, Xavier
hat seine Vormachtstellung im Trailrunning eindrucksvoll bewiesen und Christoph
hat seinem Namen „The Legend“ ein weiteres wichtiges Detail hinzugefügt.
In dem Alter, in dem sich die meisten Menschen nur noch über die Höhe der
Pflegestufe Gedanken machen, spurtet dieser Mann, mein Vorbild, über die bis zu
2.500 Meter hohen Berge und sorgt für Fotos, die um die Welt gehen.
Es ist ein weiterer, ein letzter Grund, um festzustellen, dass das Trailrunning
eine wirklich allen zugängliche Disziplin geworden ist. Trailrunning
symbolisiert Freiheit, Gemeinsamkeit, sportliches Verhalten, also wesentliche
menschliche Werte. Und Trailrunning ist für junge Läufer wie auch für ältere und
alte Läufer gemacht, ein gemeinsames Erlebnis, das die Teilnehmer aller
Altersklassen verbindet.
Und wo auf dieser Welt kann dieses Erlebnis besser, landschaftlich schöner,
imposanter und spektakulärer genossen werden als am und um den „weißen Berg“
herum?
Chamonix, Mont Blanc, Madame Poletti – merci beaucoup à tous!