Trail Menorca Cami de Cavalls vom 19.05. -
20.05.2017 - 185 schrecklich schöne Kilometer
Stelle Dir eine Insel vor, die ohne eine Küstenstraße
auskommt. Nur eine Straße quer über die Insel, ziemlich exakt durch die
Inselmitte. Und dazu einige Querstraßen, die meist bis an die Küsten reichen.
Und wenn die se Querstraßen dann meist 15 oder 20 Kilometer voneinander entfernt
sind, dann führt das an den Küsten zu 15 oder 20 Kilometer langen
Küstenstreifen, die nie begangen werden, weil der gewöhnliche Tourist, bewaffnet
mit seinem Sonnenschirm, den Campingstühlen, einer mit Eis und Getränken
gefüllten Kühltasche, mit Sudoku-Heftchen und den Schwimmflügeln für die Kiddies,
maximal 200 Meter von dieser Straße, die die Küste geküsst hat, nach rechts oder
links gehen. Wer geht schon weiter auf einem Küstentrail?
Der „Cami de Cavalls“, der „Weg der Pferde“, ist solch ein
Küstentrail auf solch einer fast idealen Insel und er führt über 185 Kilometer
einmal rund um die schöne Insel Menorca. Menorca wiederum ist nicht nur die
kleinere der beiden größten Balearen-Inseln, sie heißt auch „Die Kleinere“. „Die
Größere“, übersetzt: Mallorca, liegt in Sichtweite nebenan.
Und auf diesem „Cami de Cavalls“ wird alljährlich ein Rennen ausgetragen, das
ich schon vor Jahren zu einem meiner Lieblingsläufe ernannt habe. Und das will
etwas heißen, habe ich doch schon den einen oder anderen Lauf hinter mich
gebracht, in Deutschland, in Europa und auch außerhalb.
Warum also sind mir diese 185 Kilometer so heilig?
Es ist das Event als Ganzes, es ist Victor, der Cheforganisator, Herz, Seele und
Hirn der Veranstaltung, es ist der wunderschöne Start- und Zielort Ciutadella
mit dem zweitgrößten Naturhafen der Welt, es ist der harte Boden im
„Steingarten“, den ich trotz meines dramatischen Sturzes 2017 liebe, es sind die
einheitlich weiß getünchten Dächer in manchen Städten Menorcas, es sind die
landestypischen, einfachen Holzgatter, die selbst die Millionärsvillen zieren,
es sind die Buchten im Süden mit dem klaren grün-blauen Wasser, durch das man
die Schatten der Schiffe auf dem Meeresgrund sieht, es sind die aufregenden und
ständig wechselnden Landschaften im Norden, es ist schlichtweg der Charme dieser
Insel.
Drei Mal bin ich über die 185 K gestartet, bei meiner Premiere musste ich die
Option „kontrollierter Ausstieg mit Wertung nach 100 K“ ziehen, zwei Mal aber
bin ich durchgekommen. Und das, obwohl diese 185 K Dich mehr fordern als Dir
lieb sein kann.
Die heiße Sonne, oft gepaart mit heftigem Wind, der schwierige Boden, auf den Du
Dich permanent konzentrieren musst und der Dich dennoch leicht umhaut, die
kurzen, aber knackigen Anstiege, die Treppen und die Strandpassagen im weichen
Sand, alles zusammen ist eine besondere Herausforderung für die Muskeln, aber
auch für die Füße.
Aber wenn Du dann drin bist, dann bist Du vollkommen fertig, aber auch
vollkommen glücklich.
Die 185 K setzen sich zusammen aus dem Bewerb Norte mit 100 K und dem Bewerb Sud
mit 85 K, wer aber etwas auf sich hält, der nimmt eben die volle Dosis. Aber es
gibt auch noch eine 55 K und sogar eine 37 K Distanz für diejenigen, die einfach
auch mal dabei sein wollen.
Wer aber etwas auf sich hält und zudem auch noch einigermaßen schnell ist, der
startet in der Nachmittagsgruppe, was Deine Maximalzeit um 5 Stunden auf dann
nur noch 35 Stunden verkürzt.
Ich startete immer in der frühen Gruppe, auf dem Placa dels Pins, Ciutadella, um
09.00 Uhr. Kurz zuvor hatte uns der Moderator auf lustige Weise aufs Laufen
eingestimmt und zum Abschluss der Wartezeit kamen noch eine große Gruppe Reiter
mit ihren geschmückten Pferden, um allerlei interessante Rochaden und Pirouetten
mit ihren Pferden zu zeigen.
Dann ging es auch gleich los, unter vier Startbögen durch und zwischen immens
vielen jubelnden und filmenden Zuschauern hindurch.
Dann folgen die Durchquerung der Stadt, vorbei an wunderschönen Restaurants, dem
aufregenden Naturhafen mit seinen vielen Segelbooten, anschließend bleibst Du
auf der Straße und passierst die wahrscheinlich schönsten und teuersten Häuser
von Ciutadella. Jedes dieser Häuser ließ meine Liebe zu dieser Insel entstehen.
Dann folgen dieser Stadt vorgelagerte Suburbs, Vororte, die häufig recht
touristisch geprägt sind und die meine Liebe zu dieser Insel wohl nicht hätten
entfachen können. Wer aber da wie ich bei meinem ersten Start glaubt, die
Strecke sei doch recht einfach, der lasse sich von den ersten 11 Kilometern
nicht irreleiten und nicht zum Überpacen verführen.
Von jetzt auf gleich beginnt der „Steingarten“. Extrem von der Witterung
zerfressener Kalkstein, der unglaublich scharfkantig ausgeprägt ist, prägt
diesen „Steingarten“, den Du lieben wirst wie ich.
Die Zivilisation liegt hinter Dir, das Gelände ist zwar karg, aber absolut
faszinierend. Kein Baum trotzt hier dem ständigen Wind, es ist ein besonders
hartes Geläuf in unberührter Natur und alle 20 Kilometer ändert sich die
Landschaft vollkommen. Du fühlst Dich mal wie im schottischen Hochland, mal in
einer niedrigen Alpenregion. Oft siehst Du das Meer nicht, Du bist aber meist
keine Hundert Meter davon entfernt.
Die Verpflegungspunkte sind dann Oasen der Entspannung für Dich, gut bestückt
und an manchen sind die Nudelportionen schon in kleinen Behältnissen verpackt,
sodass Du Dir einfach ein solches Behältnis und eine Gabel nehmen kannst, um zu
futtern. Gönne Dir diese Kohlenhydrate, Du wirst sie alle brauchen.
Jeder der insgesamt 14 Verpflegungspunkte hat auch eine Zeitnahmematte, alles
bei diesem Event ist sehr liebevoll und aufwändig gemacht. Und die helfenden
Engel an den Verpflegungsposten sind durchweg nett, sie begrüßen Dich mit Radau
und wünschen Dir beim Verlassen der Oase Glück, Spaß und Erfolg.
Nach einem gelaufenen Marathon kommt die wohl schwierigste
Passage des Rennens, immer rauf und runter, direkt am Meer, aber die Hitze, die
Steilheit der kurzen Aufwärts- und Abwärtspassagen und das Geläuf, die Strecke
selbst, lassen Dich jubeln, wenn Du diese Passage hinter Dir hast.
Ein längerer Straßenabschnitt, eigentlich ja gar nicht das, was wir erleben
wollen, kommt aber als Geschenk daher, um wieder etwas zu entspannen, bevor es
scharf links in den, wie ich finde, schönsten Teil der nördlichen Strecke
übergeht.
Nun kommst Du in den Naturpark S’Albufera d’Es Grau und da fühlst Du Dich eher
im Hochland zu Hause, bunte Blumen, weidende Pferde, viel trockenes Gras, ein
hügeliges Gelände und Du vergisst, dass Du Dich auf nicht einmal auf 100 Metern
über N.N. bewegst. Dieser Naturpark ist auch das Herzstück des
Biosphärenreservats Menorca. Biosphärenreservat Menorca? Ja, denn die gesamte
Insel wurde 1993 von der UNESCO als solches ausgezeichnet. Und deshalb stehen
heute 42% der Insel unter Naturschutz, eine außergewöhnlich hohe Quote. Die etwa
fünf Mal größere Insel „Die Größere“ (Mallorca) könnte sich daran ein Beispiel
nehmen.
Ein Beispiel nehmen könnte sich Mallorca auch daran, dass der Cami de Cavalls
komplett für jeden zugänglich ist, während auf Mallorca beim GR 221 im
Tramuntana Gebirge viele der Landbesitzer Durchgangsrechte verweigern, was dazu
geführt hat, dass der GR 221 auch bald 20 Jahre nach seiner Erschaffung noch
immer keine einheitliche Streckenführung und keine vollständige Markierung hat.
Überhaupt, die Höhe … auf nur 140 Meter über N.N. liegt der höchste Punkt der
Strecke und dennoch sammelst Du knapp 3.000 Höhenmeter auf der gesamten Strecke.
Man muss tatsächlich nicht hoch hinaus, um diese Höhenmeter zu sammeln, ein
ständiges Auf und Ab genügt. Und von diesen Auf und Abs gibt es mehr als
genügend.
Kurz vor der 100 K Marke bist Du am Hafen von Mao, der
Hauptstadt und Du passierst wieder Restaurant auf der rechten Seite und Schiffe
aller Größen auf der linken Seite. Es sind etliche flache Kilometer, die Du dann
irgendwann nach rechts verlässt, um zum Ende des Costa Norte, dem Beginn des
Costa Sud und zu Deinem DropBag zu kommen.
Um Mitternacht dort zu sein wäre immer mein Traum gewesen, geschafft habe ich
das aber noch nie. Du darfst aber auch nicht erst um 3.00 Uhr dort ankommen,
denn das wäre die Cut-Off-Zeit für die Starter der frühen Startgruppe.
Die Läufer der frühen Startgruppe dürfen aber auch nicht vor 1.00 Uhr hier
weiter gehen, wenn Du also gegen 0.30 Uhr ankommst, dann wäre das perfekt
getimed.
Hier am Verpflegungspunkt Es Castell, in der großen Sporthalle, hast Du die
Möglichkeit, Dich frisch zu machen, zu duschen, massiert zu werden, ausgiebig zu
essen und zu trinken, zu ruhen oder sogar zu schlafen, bevor Du Deinen Weg auf
dem „Weg der Pferde“ auf dem Costa Sud fortsetzt. Du könntest hier sogar
schlimmstenfalls aussteigen und würdest in einer Sonderwertung „2. Klasse“
gewertet werden. Shirt ja – DUV-Eintrag nein …
Und der Süden der Insel ist tatsächlich vollkommen anders als der Norden.
Urbaner, mehr Buchten, weniger karg. Du würdest etwas verpasst haben, wenn Du
nach 100 K ausgestiegen wärst, also denke darüber am besten gar nicht erst nach.
Die Küstenorte im Süden sind durchweg zauberhaft, die Wege in diesen Städtchen
sind besonders gepflegt, es ist die Heimat des hochwertigen Tourismus.
Menorca besticht sowieso dadurch, nahezu keine „Bettenburgen“ zu haben. Es gibt
keinen Ballermann und die singenden, grölenden und tanzenden Deutschen, die auf
die große Balearen-Insel verschifft wurden, sind auf Menorca nicht gut gelitten.
Noch einige Stunden an Buchten vorbei, in denen das Mondlicht glänzt, dann folgt
das Erwachen des Tages. Und das ist dort im Süden ganz besonders schön. Die
Vögel singen, Deine Laune steigt, Du bist glücklich.
San Tomàs heißt dann das Küstenstädtchen im Süden, das ich am meisten liebe,
nicht nur wegen des Namens. Alles ist so aufgeräumt hier und der schöne Weg
durch den Ort zur Verpflegungsstelle ist eine Wonne. Touristen, die die
auffallend schmutzigen und müden Läufer sehen, sind verzückt, klatschen und
feuern Dich an.
Zum Abschluss bekommst Du wieder Karstboden, ein steiniges Plateau mit
scharfkantigem Stein, auf dem 2015 ein Gegenwind herrschte, gegen den Du Dich
durchkämpfen musstest. 2017 hatte der Gott der Winde ein Einsehen mit mir und
ließ es nur mäßig wehen.
Warum der Gott der Winde ein Einsehen mit mir hatte?
Na ja, ich hatte mir schon bei Kilometer 12,5 einen Sturz im „Steingarten“
geleistet, bei dem sich der scharfkantige Stein in meinen Oberschenkel gebohrt
hatte. Blutend und mit immensen Schmerzen lief ich also die folgenden 172,5 K
weiter, ein Aussteigen war aber zu keinem Zeitpunkt eine Option.
Empfehlen kann ich Dir solch ein törichtes Verhalten aber nicht, die Wunde, die
dann mit sieben Stichen im Ziel genäht wurde (ohne richtig sauber zu sein),
verhagelte mir einige Starts danach.
Heute ist alles gut verheilt, die Haut an dieser Stelle aber sieht etwas
pergamentartig aus. Und sie ist rot, das wird sie wohl auch ewig bleiben. Und
sie wird mich auf ewig an den „Weg der Pferde“ von 2017 erinnern, genauso wie
die grüne Weste, die ich mir wahrlich hart erkämpft habe.
Die Erlösung der Ziellinie hatte ich tatsächlich noch nie so sehr gespürt wie
dort in Ciutadella. Und nie war ich so dankbar.
Menorca, Cami de Cavalls, Ciutadella, das Event, Victor und diese Landschaft –
immer wieder. Und wieder. Und wieder …
Offizieller Film des Veranstalters
Video Resumen VI Compressport Trail Menorca Cami de Cavalls
in spanischer Sprache mit englischen Untertiteln: