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Die letzten 50 Kilometer
Hinter La Fouly geht´s eine Zeit flach an einem Fluss entlang und ich
versuche mit einer Sprinteinlage die nächste Verpflegungsstelle in gut 8
Km Entfernung noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Wieder mal
ein Fall von denkste. Es geht hoch über einer Schlucht sehr abschüssig an
tiefen Abstürzen entlang und dann tauchen wir in einen finsteren Wald ein
und auch wenn es draußen eventuell noch Reste von Helligkeit gegeben
hätte, ich tappe völlig im Dunkeln.
Meine zweite Nacht hat begonnen. Der
Abstieg nach Praz de Fort nervt mich entsprechend und anschließend laufen
wir furchtbar lange kreuz und quer durch den Ort bis wir die Verpflegung
erreichen. Danach hänge ich mich immer wieder an größere Gruppen von
Läufern, um wieder gut in die Nacht hineinzukommen. Es ist ein völlig
anderes Laufen als in der ersten Nacht. Das Feld ist sehr ausgedünnt und
weit auseinander gezogen. Es kann schon passieren, dass man lange Zeit
ganz alleine unterwegs ist und auch wenn die Markierung wirklich absolut
perfekt ist, habe ich doch keine Lust und Konzentration mich jetzt auch
noch groß mit Streckensuche zu beschäftigen. So laufen wir zuerst abwärts
nach Issert und dann kommt zur Abwechslung mal wieder ein Anstieg. 461 m
auf 4,6 Km in dunkelstem Wald. Immer wieder sieht man in der Ferne
Lichter, die zu einem Ort gehören müssen, oder hat Blicke in die Ebene auf
Orsiere. Bei jedem Licht hoffe ich, dass wir jetzt Champex erreicht haben,
immer wieder sehe ich weit oben im Wald eine Stirnlampe blitzen. Es ist
einfach nur nervig. Aber irgendwann doch zu Ende.
Wir erreichen zunächst Champex-Lac (km 117) und traben am idyllischen See entlang und dann
endlich die zweite große Verpflegung in Champex d`en bas. (Km 120) Hier
wartet zum letzten Mal meine Frau auf mich und der zweite Kleidersack, den
wir in Chamonix abgegeben haben. Obwohl es immer wieder nieselt und ich
überwiegend ohne Jacke laufe, ist kein weiterer Kleidungs- und
Schuhwechsel nötig, nur meine Müsliriegel übernehme ich für die letzten 38
Km. Elke und Jochen haben glücklicherweise auf mich gewartet und wir
beschließen den jetzt folgenden, sehr schweren Anstieg nach Bovine
gemeinsam anzupacken. Hinüber nach Plan de l´au plaudern wir angeregt und
verpassen die Abzweigung von der Asphaltstraße, aber da Elke aufgepasst
hat, sind wir schon nach 100 m wieder auf dem richtigen Weg. Wobei ich
nicht behaupten kann, dass mir dieser Weg sehr gefällt. Der Anstieg lässt
sich diesmal recht einfach beschreiben: Ein breites Bachbett zieht sich
ca. 2 Km senkrecht den Berg herunter. Der Weg verläuft mal links vom Bett,
mal rechts und wenn er sich nicht entscheiden kann, eben mittendrin. Die
Steine, über die wir hinaufklettern, sind so ab 20 cm hoch, aber meistens
veritable hohe Stufen von 50 und mehr cm. Dabei oft nur schmale
Auftrittsflächen, die vom stundenlangen Regen sehr glitschig sind. Mit
einem Wort: Der schwerste Anstieg des Laufs und das in der zweiten Nacht
so gegen 1 Uhr in der Früh. Laut Road-Book sollen wir 500 Hm auf 1,5
Kilometer erklimmen, aber ich habe bald überhaupt kein Gefühl mehr für
Raum, Zeit und Weg. Tritt suchen, Fuß setzen, mit den Stöcken nachdrücken
und hoch, Tritt suchen,.....Mein Puls rast, manchmal sind die Tritte so
hoch, dass ich einfach das rechte Knie hoch setze und mich dann auf die
nächst höhere Stufe abrolle. Irgendwann, ich bin längst schweißgebadet und
jetzt doch auch körperlich fertig sagt, Jochen, der einen Höhenmesser hat:
„Jetzt haben wir die Hälfte“. Innerlich breche ich fast zusammen, aber man
soll Humor zeigen, auch wenn man keinen mehr hat, also lobe ich ihn:
“Jochen, du bist ein echter Freund.“ Er revanchiert sich, indem er weiter
voran steigt und alle paar Meter verkündet: Jetzt wird der Weg leichter.
Es dauert zwar lange bis das wirklich stimmt, aber schließlich erreichen
wir die Hochebene von Bovine und bald auch das einsame Zelt das hier die
VS beherbergt.
Die Geduld meiner Begleiter spanne ich hier massiv auf die
Folter. Ich bin schweißgebadet, aber die Kälte schüttelt mich und ich muss
essen, um wieder Kraft zu bekommen. Die Helferin im Zelt wickelt mich in
Schlafsack und Überlebensdecke und füttert mich mit warmer Suppe. Hier
könnte ich ewig bleiben, aber Elke und Jochen stehen draußen in der Kälte
im Nieselregen und warten. Noch eine Suppe, noch eine ...... Ich gehe
wieder raus und freue mich, dass meine Begleiter noch da sind. Wären sie
weitergegangen, hätte ich mich auch gefreut und im Zelt eine Stunde
geschlafen. So tappe ich hinter Elke her. Noch einige Höhenmeter hinauf
und dann beginnt der Abstieg zum Col de la Forclaz. Dieser Pass hat den
Vorteil, dass wir hier auf unserer Fahrt von Karlsruhe nach Chamonix schon
vorbeigekommen sind. Aber noch sind wir nicht dort. Der Abstieg ist schwer
für mich. Schmale, steile, dunkle Wurzelpfade und meine Stirnlampe
beleuchtet Nieselregen und Nebel, dringt aber nicht mehr wirklich zum
Boden durch. Ich muss mich extrem konzentrieren, aber irgendwann ist
Schluss. Alles dreht sich. Ich brauche eine Pause. Elke hilft mir in
dieser Phase sehr und irgendwann sehen wir tatsächlich die Lichter am Col
de la Forclaz. Die zwei Kilometer hinunter nach Trient wurden wohl
gegenüber dem Vorjahr entschärft. Der Abstieg verläuft jedenfalls halbwegs
zivilisiert und mit der Zwischenzeit von 4 ½ Stunden für die 12 Kilometer
ab Champex erreichen wir Trient (Km 132). |
Es ist fast 5 Uhr morgens. Um uns herum dröhnt Disco-Musik
und einige Nachtschwärmer schwingen das Tanzbein: Mir ist absolut nicht
nach Tanzen zumute. Wir sind jetzt seit 34 Stunden unterwegs, seit 45
Stunden bin ich wach und ich bin am Ende. Gar nicht so sehr körperlich.
Natürlich schmerzt nach mittlerweile 132 km und 7.427 Höhenmetern die
Beinmuskulatur, die Füße brennen und die eine oder andere Blase wird sich
unter den verschiedenen Pflasterschichten auch gebildet haben. Arme und
Oberkörper tun weh, weil die ungewohnte Arbeit mit den Wanderstöcken ihren
Tribut fordert. Aber das kann man alles durch Änderung der
Bewegungsabläufe abmildern und meistens gelingt es mir ganz gut die
Schmerzen einfach „wegzutunneln“. Hauptproblem ist wohl die Müdigkeit, der
Kreislauf spielt verrückt. Mal ist der Puls kaum noch vorhanden, wenige
Minuten später keuche ich wie eine Dampflok. Wäre ich jetzt bei einem
24-Stunden-Lauf, könnte ich irgendwie weiter um die Runde wackeln und jede
Viertelstunde neu entscheiden, ob ich weitermache. Hier ist das Problem
das Streckenprofil. 630 HM warten auf den nächsten 3 km. Das hört sich
wieder ziemlich senkrecht an und wenn ich jetzt weiterlaufe, brauche ich,
wenn es gut geht 2 Std. bis zur nächsten VS. Meine beiden Begleiter habe
ich auf den letzten 12 km sicher eine halbe Stunde aufgehalten. Die
schicke ich jetzt weg. Es reicht, wenn ich 26 km vor dem Ziel scheitere.
Natürlich könnte ich schlafen. Manchmal hilft schon eine einzige
Stunde. Aber nach wie vor haben wir nur 2:45 Std. Vorsprung aufs
Zeitlimit. Und ich weiß weder, ob ich mich wirklich in einer Stunde
erhole, noch ob die Muskulatur danach weiter mitspielt. |
Ich weiß nur, dass ich eine Stunde weniger Vorsprung haben
werde. Also weiter, keine Ahnung wie. Aber weiter. Über die nächsten 2
Stunden sollte man besser den Mantel des Schweigens breiten.
Wenn die Serpentinen schnell die Richtung wechseln, geht es recht gut,
aber wenn es längere Zeit gerade aus geht.... Ich habe zum ersten Mal in
meinem Leben Halluzinationen. Ich sehe Strommasten, Forsthäuser und
Brückenbauwerke. Und einige Sekunden später sind da doch wieder nur Bäume.
Ich muss schlafen. Nicht ganz einfach bei einem nur 50 cm breiten
Bergpfad, aber mir bleibt nichts Anderes übrig. Im Stehen schlafen ist
wahrscheinlich auch gefährlich. Ich lege mich neben einen Felsen, so dass
ich zumindest in diese Richtung nicht wegrollen kann und schließe die
Augen. Bald höre ich eine Stimme: „Ca va?“ „Mal, très mal!“ Der
französische Laufkollege scheint sehr besorgt. Er füttert mich mit Cola
und Gel. Ich bitte ihn etwas langsamer zu gehen, damit ich mitkommen kann.
Wir unterhalten uns etwas. Dies lenkt ab und hält wach, ich hänge mich
dran. 10 Minuten lang, vielleicht 15. Dann werde ich langsamer und falle
zurück, gehe alleine weiter – ich bin müde, sehe wieder meine nun schon
vertrauten Strommasten und lege mich wieder neben einen Felsen. Drei, vier
Mal wiederholt sich dieses Spiel. Ich kann gar nicht mehr denken,
funktioniere nur noch irgendwie. Dann kommen wir aus dem Wald heraus, der
Weg wird flacher, es dämmert bereits und wir erreichen die VS bei Tseppes.
Die zwei schwersten Laufstunden meines Lebens sind vorbei. 3,1 km habe ich
in dieser Zeit absolviert. |
Ich habe schon lange nichts mehr über die Landschaft
geschrieben. Teilweise liegt dies natürlich daran, dass man nachts eben
relativ wenig sieht. Aber z.B. auf der Hochfläche bei Bovine hatten wir
einen wunderschönen Fernblick. Im folgenden Abstieg konnte man sogar einen
Zipfel des Genfer Sees erblicken. Und vom Col de la Forclaz hatte man
einen schönen Blick auf den Gletscher von Trient. Ich muss zugeben,
wirklich wahrgenommen habe ich davon nichts. So geht`s mir auch jetzt
wieder. Die ganze Konzentration gilt dem Weg. Ab Catogne geht es zunächst
auf 2,4 km 381 HM bergab, dann wird das Gefälle flacher und auf den
weiteren 2,9 km bis Vallorcine verliert man weitere 380 HM. Diese Passage
ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass Zahlen nicht viel aussagen. Viel
wichtiger ist die Wegbeschaffenheit und die ist auf dem ersten Teil des
Abstiegs wieder mal grenzwertig. Man muss sich einen ungefähr 30 cm
breiten Pfad vorstellen, durch Erosion ca. 20-30 cm tief abgetragen, so
dass eine Art Trog entsteht, in dem man notgedrungen laufen muss. Na ja
und damit`s nicht langweilig wird, ist dieser Trog ca. 10 cm mit Schlamm
und Match gefüllt. Man schliddert die Serpentinen hinunter, die Schuhe
verschwinden komplett im Matsch und man hofft bei jedem Schritt, dass der
Schmodder nicht oben in die Schuhe schwappt, oder dass es einem nicht die
Schuhe auszieht. Ich denke an die Läufer, die hier in der Nacht
durchgekommen sind – irre, einfach unvorstellbar. Für mich ist das Stück
ganz angenehm. Denn die wenigen Lebensgeister, die sich irgendwo im Körper
noch versteckt haben, werden wieder geweckt. Einmal kann ich mich nicht
halten, stürze aber nur auf die Knie. Jetzt sehe ich endgültig aus wie ein
Schwein.
Nach der Hälfte des Abstiegs erreichen wir die „Gipfelstation“
des Sessellifts von La Balme. Wir sind also wieder in Frankreich. Von hier
wird das Gefälle gemäßigter und vor allem die Wege autobahnähnlich breit.
Nicht unbedingt landschaftlich schön, aber gut laufbar und so geht`s
halbwegs flott Vallorcine entgegen. Zwar dauert es noch endlos bis wir
wirklich den Talboden erreicht haben. Aber damit ist`s vollbracht. So
gegen 8.45 Uhr erreiche ich die VS in Vallorcine. Nach wie vor nur 2.45
Std. Vorsprung auf die Sollzeit, aber 16 km in 7 Std. werden zu machen
sein, zumal keine nennenswerten Anstiege und kein furchteinflößendes
Gefälle mehr ansteht. So wandere ich frohgemut das breite Tal entlang und
erklimme auf einem breiten Weg den letzten Col (des Montets). Unterwegs
braust plötzlich ein „ICE“ an mir vorbei. Ryan Shakal aus Berlin war fast
die ganze Strecke vor mir, hatte sich dann in Champex für die
Schlafvariante entschieden und hat jetzt ein Tempo drauf, als hätte er
erst vor 5 km begonnen. Macht Spaß ihm nachzuschauen und auch sonst kommt
langsam die gute Laune zurück. Die Strecke berührt und kreuzt jetzt viele
Parkplätze und Straßen, wo Betreuer warten, die uns Läufer anfeuern oder
uns gratulieren. So schwebe ich fröhlich zur letzten VS in Argentiere
hinunter. |
Bei Argentiere
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Hier erwartet mich ein völlig ungewohntes Bild. Eine VS
ohne Läufer, da die es jetzt plötzlich alle eilig haben und ohne weiteren
Stop zum Endspurt ansetzen. Dazu habe ich nun doch keine Lust. Mein Ziel
war anzukommen, dafür habe ich gut gekämpft und ob ich nun 41 Stunden
brauche oder 41 ½ , dafür werde ich sicher nicht kämpfen. Also wandere ich
das herrliche Tal leicht oberhalb der Arve hinab nach Tines, das wir nur
ganz kurz an der Arvebrücke touchieren. Weiter geht`s der Arve entlang und
dann kommt der allerletzte Berg. Der Läufer neben mir flucht vernehmlich
auf französisch. Ich grinse nur. Stand doch in der Streckenbeschreibung
und stapfe die 136 m kraftvoll hinauf. Vor mir leiden mehrere Läufer, die
mich vorher überholt hatten. Das macht ja noch mal richtig Spaß. Da könnte
man doch – ein Blick auf die Uhr – ganz ohne zu kämpfen einen kleinen
Endspurt hinlegen und noch vor 12 Uhr ins Ziel kommen. Gesagt, getan. Wir
erreichen den petit
balcon sud
mit schönem Blick auf den Mont Blanc, der sich allerdings
in Wolken hüllt und dann geht`s zum letzten Mal bergab. Zahlreiche
Betreuer kommen uns entgegen und gratulieren. Alles geht plötzlich locker
und leicht. Ich erreiche die ersten Häuser von Chamonix und alles was so
an Mitläufern in Sichtweite kommt, überhole ich mit langen Schritten. Die
Fußgängerzone naht, |
Die letzten Meter
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Zieleinlauf
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Zieleinlauf
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Zuschauer in Dreierreihen, laute Anfeuerung, die letzte
Kurve – alles schwarz vor Menschen, die jubeln – Gänsehaut auch beim
Zieleinlauf; |
Zieleinlauf
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ich bin nach 40 Stunden 53 Minuten wieder zurück. |
Gratulation
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Eine Stunde lang brauche ich, bis ich körperlich und
emotional wieder unten bin,
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Erste Erholung
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Strapazierte Kleidung
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dann geht`s ins Hotel zum Duschen und gegen 19 Uhr dann zum
Abschlussbuffet. Dieses „Get together“, um Erlebnisse auszutauschen und
sich gegenseitig zu gratulieren, würde ich auch beim Essen aus der
Gulaschkanone genießen. Aber wir sind ja in Frankreich und so gibt es in
einem der großen Hotels , dem Hotel Majestic, ein großartiges Buffet, |
Buffet im Majestic
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auch wenn die Schlangen bei ca. 2.000 Teilnehmern dieses
Mal zeitweise schon lang waren. Georg Weiß (der dritte deutsche
Dreifachfinisher) treffen wir endlich, nachdem er uns beim Lauf mit seiner
Zeit von 29 Stunden von Anfang an enteilt war. Wir sehen erste Ausschnitte
aus einem wirklich eindrucksvollen Laufvideo. Und wir (und vor allem
Jochen) bekommen Gelegenheit die verbrauchten Kalorien in jeder Form
nachzuladen. |
Weinprobe
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So verbringen wir einen schönen Abend als würdigen
Abschluss eines großartigen Laufs. |
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