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Mont Blanc Ultra 2005

Zieleinlauf beim Mont Blanc Ultra 2005

laufspass.com -  26. - 28.8.2005 The Northface Ultra Trail du Mont - Blanc

Drei Länder - 158 km -  +- 8600 Höhenmeter

Es wechselt Pein und Lust. Genieße, wenn du kannst und leide, wenn du musst.

Teil 4

Bericht von Norbert Rößler
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Die letzten 50 Kilometer

Hinter La Fouly geht´s eine Zeit flach an einem Fluss entlang und ich versuche mit einer Sprinteinlage die nächste Verpflegungsstelle in gut 8 Km Entfernung noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Wieder mal ein Fall von denkste. Es geht hoch über einer Schlucht sehr abschüssig an tiefen Abstürzen entlang und dann tauchen wir in einen finsteren Wald ein und auch wenn es draußen eventuell noch Reste von Helligkeit gegeben hätte, ich tappe völlig im Dunkeln.
Meine zweite Nacht hat begonnen. Der Abstieg nach Praz de Fort nervt mich entsprechend und anschließend laufen wir furchtbar lange kreuz und quer durch den Ort bis wir die Verpflegung erreichen. Danach hänge ich mich immer wieder an größere Gruppen von Läufern, um wieder gut in die Nacht hineinzukommen. Es ist ein völlig anderes Laufen als in der ersten Nacht. Das Feld ist sehr ausgedünnt und weit auseinander gezogen. Es kann schon passieren, dass man lange Zeit ganz alleine unterwegs ist und auch wenn die Markierung wirklich absolut perfekt ist, habe ich doch keine Lust und Konzentration mich jetzt auch noch groß mit Streckensuche zu beschäftigen. So laufen wir zuerst abwärts nach Issert und dann kommt zur Abwechslung mal wieder ein Anstieg. 461 m auf 4,6 Km in dunkelstem Wald. Immer wieder sieht man in der Ferne Lichter, die zu einem Ort gehören müssen, oder hat Blicke in die Ebene auf Orsiere. Bei jedem Licht hoffe ich, dass wir jetzt Champex erreicht haben, immer wieder sehe ich weit oben im Wald eine Stirnlampe blitzen. Es ist einfach nur nervig. Aber irgendwann doch zu Ende.

Wir erreichen zunächst Champex-Lac (km 117) und traben am idyllischen See entlang und dann endlich die zweite große Verpflegung in Champex d`en bas. (Km 120) Hier wartet zum letzten Mal meine Frau auf mich und der zweite Kleidersack, den wir in Chamonix abgegeben haben. Obwohl es immer wieder nieselt und ich überwiegend ohne Jacke laufe, ist kein weiterer Kleidungs- und Schuhwechsel nötig, nur meine Müsliriegel übernehme ich für die letzten 38 Km. Elke und Jochen haben glücklicherweise auf mich gewartet und wir beschließen den jetzt folgenden, sehr schweren Anstieg nach Bovine gemeinsam anzupacken. Hinüber nach Plan de l´au plaudern wir angeregt und verpassen die Abzweigung von der Asphaltstraße, aber da Elke aufgepasst hat, sind wir schon nach 100 m wieder auf dem richtigen Weg. Wobei ich nicht behaupten kann, dass mir dieser Weg sehr gefällt. Der Anstieg lässt sich diesmal recht einfach beschreiben: Ein breites Bachbett zieht sich ca. 2 Km senkrecht den Berg herunter. Der Weg verläuft mal links vom Bett, mal rechts und wenn er sich nicht entscheiden kann, eben mittendrin. Die Steine, über die wir hinaufklettern, sind so ab 20 cm hoch, aber meistens veritable hohe Stufen von 50 und mehr cm. Dabei oft nur schmale Auftrittsflächen, die vom stundenlangen Regen sehr glitschig sind. Mit einem Wort: Der schwerste Anstieg des Laufs und das in der zweiten Nacht so gegen 1 Uhr in der Früh. Laut Road-Book sollen wir 500 Hm auf 1,5 Kilometer erklimmen, aber ich habe bald überhaupt kein Gefühl mehr für Raum, Zeit und Weg. Tritt suchen, Fuß setzen, mit den Stöcken nachdrücken und hoch, Tritt suchen,.....Mein Puls rast, manchmal sind die Tritte so hoch, dass ich einfach das rechte Knie hoch setze und mich dann auf die nächst höhere Stufe abrolle. Irgendwann, ich bin längst schweißgebadet und jetzt doch auch körperlich fertig sagt, Jochen, der einen Höhenmesser hat: „Jetzt haben wir die Hälfte“. Innerlich breche ich fast zusammen, aber man soll Humor zeigen, auch wenn man keinen mehr hat, also lobe ich ihn: “Jochen, du bist ein echter Freund.“ Er revanchiert sich, indem er weiter voran steigt und alle paar Meter verkündet: Jetzt wird der Weg leichter. Es dauert zwar lange bis das wirklich stimmt, aber schließlich erreichen wir die Hochebene von Bovine und bald auch das einsame Zelt das hier die VS beherbergt.

Die Geduld meiner Begleiter spanne ich hier massiv auf die Folter. Ich bin schweißgebadet, aber die Kälte schüttelt mich und ich muss essen, um wieder Kraft zu bekommen. Die Helferin im Zelt wickelt mich in Schlafsack und Überlebensdecke und füttert mich mit warmer Suppe. Hier könnte ich ewig bleiben, aber Elke und Jochen stehen draußen in der Kälte im Nieselregen und warten. Noch eine Suppe, noch eine ......

Ich gehe wieder raus und freue mich, dass meine Begleiter noch da sind. Wären sie weitergegangen, hätte ich mich auch gefreut und im Zelt eine Stunde geschlafen. So tappe ich hinter Elke her. Noch einige Höhenmeter hinauf und dann beginnt der Abstieg zum Col de la Forclaz. Dieser Pass hat den Vorteil, dass wir hier auf unserer Fahrt von Karlsruhe nach Chamonix schon vorbeigekommen sind. Aber noch sind wir nicht dort. Der Abstieg ist schwer für mich. Schmale, steile, dunkle Wurzelpfade und meine Stirnlampe beleuchtet Nieselregen und Nebel, dringt aber nicht mehr wirklich zum Boden durch. Ich muss mich extrem konzentrieren, aber irgendwann ist Schluss. Alles dreht sich. Ich brauche eine Pause. Elke hilft mir in dieser Phase sehr und irgendwann sehen wir tatsächlich die Lichter am Col de la Forclaz. Die zwei Kilometer hinunter nach Trient wurden wohl gegenüber dem Vorjahr entschärft. Der Abstieg verläuft jedenfalls halbwegs zivilisiert und mit der Zwischenzeit von 4 ½ Stunden für die 12 Kilometer ab Champex erreichen wir Trient (Km 132).

Es ist fast 5 Uhr morgens. Um uns herum dröhnt Disco-Musik und einige Nachtschwärmer schwingen das Tanzbein: Mir ist absolut nicht nach Tanzen zumute. Wir sind jetzt seit 34 Stunden unterwegs, seit 45 Stunden bin ich wach und ich bin am Ende. Gar nicht so sehr körperlich. Natürlich schmerzt nach mittlerweile 132 km und 7.427 Höhenmetern die Beinmuskulatur, die Füße brennen und die eine oder andere Blase wird sich unter den verschiedenen Pflasterschichten auch gebildet haben. Arme und Oberkörper tun weh, weil die ungewohnte Arbeit mit den Wanderstöcken ihren Tribut fordert. Aber das kann man alles durch Änderung der Bewegungsabläufe abmildern und meistens gelingt es mir ganz gut die Schmerzen einfach „wegzutunneln“. Hauptproblem ist wohl die Müdigkeit, der Kreislauf spielt verrückt.

Mal ist der Puls kaum noch vorhanden, wenige Minuten später keuche ich wie eine Dampflok. Wäre ich jetzt bei einem 24-Stunden-Lauf, könnte ich irgendwie weiter um die Runde wackeln und jede Viertelstunde neu entscheiden, ob ich weitermache. Hier ist das Problem das Streckenprofil. 630 HM warten auf den nächsten 3 km. Das hört sich wieder ziemlich senkrecht an und wenn ich jetzt weiterlaufe, brauche ich, wenn es gut geht 2 Std. bis zur nächsten VS. Meine beiden Begleiter habe ich auf den letzten 12 km sicher eine halbe Stunde aufgehalten. Die schicke ich jetzt weg. Es reicht, wenn ich 26 km vor dem Ziel scheitere.

Natürlich könnte ich schlafen. Manchmal hilft schon eine einzige Stunde. Aber nach wie vor haben wir nur 2:45 Std. Vorsprung aufs Zeitlimit. Und ich weiß weder, ob ich mich wirklich in einer Stunde erhole, noch ob die Muskulatur danach weiter mitspielt.

Ich weiß nur, dass ich eine Stunde weniger Vorsprung haben werde. Also weiter, keine Ahnung wie. Aber weiter.

Über die nächsten 2 Stunden sollte man besser den Mantel des Schweigens breiten.

Wenn die Serpentinen schnell die Richtung wechseln, geht es recht gut, aber wenn es längere Zeit gerade aus geht.... Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Halluzinationen. Ich sehe Strommasten, Forsthäuser und Brückenbauwerke. Und einige Sekunden später sind da doch wieder nur Bäume. Ich muss schlafen. Nicht ganz einfach bei einem nur 50 cm breiten Bergpfad, aber mir bleibt nichts Anderes übrig. Im Stehen schlafen ist wahrscheinlich auch gefährlich. Ich lege mich neben einen Felsen, so dass ich zumindest in diese Richtung nicht wegrollen kann und schließe die Augen. Bald höre ich eine Stimme: „Ca va?“ „Mal, très mal!“ Der französische Laufkollege scheint sehr besorgt. Er füttert mich mit Cola und Gel. Ich bitte ihn etwas langsamer zu gehen, damit ich mitkommen kann. Wir unterhalten uns etwas. Dies lenkt ab und hält wach, ich hänge mich dran. 10 Minuten lang, vielleicht 15. Dann werde ich langsamer und falle zurück, gehe alleine weiter – ich bin müde, sehe wieder meine nun schon vertrauten Strommasten und lege mich wieder neben einen Felsen. Drei, vier Mal wiederholt sich dieses Spiel. Ich kann gar nicht mehr denken, funktioniere nur noch irgendwie. Dann kommen wir aus dem Wald heraus, der Weg wird flacher, es dämmert bereits und wir erreichen die VS bei Tseppes. Die zwei schwersten Laufstunden meines Lebens sind vorbei. 3,1 km habe ich in dieser Zeit absolviert.

Ich habe schon lange nichts mehr über die Landschaft geschrieben. Teilweise liegt dies natürlich daran, dass man nachts eben relativ wenig sieht. Aber z.B. auf der Hochfläche bei Bovine hatten wir einen wunderschönen Fernblick. Im folgenden Abstieg konnte man sogar einen Zipfel des Genfer Sees erblicken. Und vom Col de la Forclaz hatte man einen schönen Blick auf den Gletscher von Trient. Ich muss zugeben, wirklich wahrgenommen habe ich davon nichts. So geht`s mir auch jetzt wieder. Die ganze Konzentration gilt dem Weg. Ab Catogne geht es zunächst auf 2,4 km 381 HM bergab, dann wird das Gefälle flacher und auf den weiteren 2,9 km bis Vallorcine verliert man weitere 380 HM. Diese Passage ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass Zahlen nicht viel aussagen. Viel wichtiger ist die Wegbeschaffenheit und die ist auf dem ersten Teil des Abstiegs wieder mal grenzwertig. Man muss sich einen ungefähr 30 cm breiten Pfad vorstellen, durch Erosion ca. 20-30 cm tief abgetragen, so dass eine Art Trog entsteht, in dem man notgedrungen laufen muss. Na ja und damit`s nicht langweilig wird, ist dieser Trog ca. 10 cm mit Schlamm und Match gefüllt. Man schliddert die Serpentinen hinunter, die Schuhe verschwinden komplett im Matsch und man hofft bei jedem Schritt, dass der Schmodder nicht oben in die Schuhe schwappt, oder dass es einem nicht die Schuhe auszieht. Ich denke an die Läufer, die hier in der Nacht durchgekommen sind – irre, einfach unvorstellbar. Für mich ist das Stück ganz angenehm. Denn die wenigen Lebensgeister, die sich irgendwo im Körper noch versteckt haben, werden wieder geweckt. Einmal kann ich mich nicht halten, stürze aber nur auf die Knie. Jetzt sehe ich endgültig aus wie ein Schwein.

Nach der Hälfte des Abstiegs erreichen wir die „Gipfelstation“ des Sessellifts von La Balme. Wir sind also wieder in Frankreich. Von hier wird das Gefälle gemäßigter und vor allem die Wege autobahnähnlich breit. Nicht unbedingt landschaftlich schön, aber gut laufbar und so geht`s halbwegs flott Vallorcine entgegen. Zwar dauert es noch endlos bis wir wirklich den Talboden erreicht haben. Aber damit ist`s vollbracht. So gegen 8.45 Uhr erreiche ich die VS in Vallorcine. Nach wie vor nur 2.45 Std. Vorsprung auf die Sollzeit, aber 16 km in 7 Std. werden zu machen sein, zumal keine nennenswerten Anstiege und kein furchteinflößendes Gefälle mehr ansteht. So wandere ich frohgemut das breite Tal entlang und erklimme auf einem breiten Weg den letzten Col (des Montets). Unterwegs braust plötzlich ein „ICE“ an mir vorbei. Ryan Shakal aus Berlin war fast die ganze Strecke vor mir, hatte sich dann in Champex für die Schlafvariante entschieden und hat jetzt ein Tempo drauf, als hätte er erst vor 5 km begonnen. Macht Spaß ihm nachzuschauen und auch sonst kommt langsam die gute Laune zurück. Die Strecke berührt und kreuzt jetzt viele Parkplätze und Straßen, wo Betreuer warten, die uns Läufer anfeuern oder uns gratulieren. So schwebe ich fröhlich zur letzten VS in Argentiere hinunter.

Bei Argentiere

Hier erwartet mich ein völlig ungewohntes Bild. Eine VS ohne Läufer, da die es jetzt plötzlich alle eilig haben und ohne weiteren Stop zum Endspurt ansetzen. Dazu habe ich nun doch keine Lust. Mein Ziel war anzukommen, dafür habe ich gut gekämpft und ob ich nun 41 Stunden brauche oder 41 ½ , dafür werde ich sicher nicht kämpfen. Also wandere ich das herrliche Tal leicht oberhalb der Arve hinab nach Tines, das wir nur ganz kurz an der Arvebrücke touchieren. Weiter geht`s der Arve entlang und dann kommt der allerletzte Berg. Der Läufer neben mir flucht vernehmlich auf französisch. Ich grinse nur. Stand doch in der Streckenbeschreibung und stapfe die 136 m kraftvoll hinauf. Vor mir leiden mehrere Läufer, die mich vorher überholt hatten. Das macht ja noch mal richtig Spaß. Da könnte man doch – ein Blick auf die Uhr – ganz ohne zu kämpfen einen kleinen Endspurt hinlegen und noch vor 12 Uhr ins Ziel kommen. Gesagt, getan. Wir erreichen den petit balcon sud mit schönem Blick auf den Mont Blanc, der sich allerdings in Wolken hüllt und dann geht`s zum letzten Mal bergab. Zahlreiche Betreuer kommen uns entgegen und gratulieren. Alles geht plötzlich locker und leicht. Ich erreiche die ersten Häuser von Chamonix und alles was so an Mitläufern in Sichtweite kommt, überhole ich mit langen Schritten. Die Fußgängerzone naht,

Die letzten Meter

Zieleinlauf

Zieleinlauf

Zuschauer in Dreierreihen, laute Anfeuerung, die letzte Kurve – alles schwarz vor Menschen, die jubeln – Gänsehaut auch beim Zieleinlauf;

Zieleinlauf

ich bin nach 40 Stunden 53 Minuten wieder zurück.

Gratulation

Eine Stunde lang brauche ich, bis ich körperlich und emotional wieder unten bin,

Erste Erholung

Strapazierte Kleidung

dann geht`s ins Hotel zum Duschen und gegen 19 Uhr dann zum Abschlussbuffet. Dieses „Get together“, um Erlebnisse auszutauschen und sich gegenseitig zu gratulieren, würde ich auch beim Essen aus der Gulaschkanone genießen. Aber wir sind ja in Frankreich und so gibt es in einem der großen Hotels , dem Hotel Majestic, ein großartiges Buffet,

Buffet im Majestic

auch wenn die Schlangen bei ca. 2.000 Teilnehmern dieses Mal zeitweise schon lang waren. Georg Weiß (der dritte deutsche Dreifachfinisher) treffen wir endlich, nachdem er uns beim Lauf mit seiner Zeit von 29 Stunden von Anfang an enteilt war. Wir sehen erste Ausschnitte aus einem wirklich eindrucksvollen Laufvideo. Und wir (und vor allem Jochen) bekommen Gelegenheit die verbrauchten Kalorien in jeder Form nachzuladen.

Weinprobe

So verbringen wir einen schönen Abend als würdigen Abschluss eines großartigen Laufs.
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