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Bieler Lauftagebuch von Jochen Brosig
Teil 2 Januar bis Februar 2006

Jochen Brosig plant 2006 erstmals bei den 100 km von Biel teilzunehmen. Bereits für die lange Vorbereitungsphase führt er dazu ein für den Leser interessantes und auch mal amüsantes Lauftagebuch.

Autor:  Jochen Brosig

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Teil 2 Januar bis Februar 2006

 „Die 100 KM von Biel – Ich war dabei!!!“, das wollte ich auch einmal sagen. Die Idee, die 100 KM von Biel zu laufen, kam mir in der Euphorie nach meiner Teilnahme beim Rennsteiglauf 2003.
Aber Biel ist noch weit. Heute ist wieder einmal Sonntag. Der Tag der langen Läufe. Gestern bin ich zeitig ins Bett, denn heute morgen geht es sehr früh los. Draußen ist es noch dunkel und wie in den letzten Tagen sibirisch kalt. Minus 11 Grad. Dazu weht ein eisiger Wind. Ich bereite meinen Trinkgürtel vor. In die Flaschen kommt eine Extraportion Malodextrin. An den Beinen habe ich eine warme Wintertight, über mein Shirt kommt vor der Jacke noch eine Weste. Die Mütze Marke Björn Dählie darf heute auf keinen Fall fehlen. Sie hält bei den eisigen Temperaturen den Kopf und die Ohren besonders warm. Zum Abschluss wird noch die Stirnlampe über den Kopf gezogen. Bloß nicht die Handschuhe vergessen! Dann kann es auch schon los gehen. Ich öffne die Haustür. Da streckt die Kälte ihre Krallen nach mir aus und schreit mir ins Gesicht: „ It´s cool man!“. Zügig gehe ich die Straße entlang, erhöhe immer mehr mein Schritttempo und wechsele bald über zum Laufen. Beim Bäcker an der Ecke starte ich bei 5.45 Uhr die Polar. Werktags ist um diese Zeit schon einiges los hier. Aber sonntags ist es auch beim Bäcker dunkel.

Mein Weg führt mich erst einmal entlang meiner Hausstrecke nach Hemhofen. In Zeckern biege ich von dieser ab. Ich will auf dem Fuß-/Radweg entlang der B 470 in Richtung Forchheim laufen. Die letzten Lichter verschwinden hinter mir. Dunkelheit umgibt mich. Es ist ruhig. Nicht einmal ein Vogel ist zu hören. Kein Auto kommt vorbei. Klar, welcher Idiot ist schon um die Uhrzeit unterwegs? Ich, sonst niemand. Die Kälte packt mit ihren Krallen zu. Bei mir immer zuerst an den Händen. Mit Fingergymnastik versuche ich meine Hände wieder normal zu durchbluten. Hinter dem Hügel müssten jetzt gleich die Lichter von Oesdorf auftauchen. Finger auf, Finger zu. Wenn meine Hände nicht frieren würden, wäre es jetzt sogar ganz angenehm. Ich bin warm eingepackt und mittlerweile aufgewärmt. Nur eben die Hände .... Jetzt mach´ mal halb lang! Beim Sibirien Ice Marathon, kurz SIM, geht es ganz anders zur Sache. Minus 30 Grad und mehr. Ja, aber ich bin doch kein Eisbär! Mir kommt der Refrain eines uralten Schlagers in den Sinn:
„Kann mir mal wer verraten wie das der Eisbär macht, dass er bei Minus 40 auf dem Eisberg sitzt und lacht.“

Während meine linke Hand warm wird durchlaufe ich Oesdorf. Die rechte bleibt kalt. Trotzdem gelingt mir der geübte Griff zur Trinkflasche relativ leicht. Es klappert verdächtig in der Getränkeflasche. Eis? Maltodextrin on the rocks – geschüttelt, nicht gerührt. Eine Sauna wäre jetzt nicht schlecht. So wie letzte Woche in Thüringen. Ich war wieder einmal auf Reisen und konnte wegen der Eisglätte nicht trainieren. Kurzerhand wurde der Trainingsplan umgestellt und wegen akuter Verletzungsgefahr die Trainingseinheiten in die Sauna verlegt. Vorher bin ich eine halbe Stunde auf dem Fitnessrad geradelt. Anschließend zwei Saunagänge und danach ein kühles Weizen. Wunderbar! Doch heute gibt es Maltodextrin on the rocks. Oesdorf liegt jetzt hinter mir. Von der heißen Dusche bin ich also weit entfernt und eine Sauna ist weit und breit nicht zu sehen. Ich spüre meine rechte Hand wieder und laufe Richtung Wimmelbach. Durch das kalte Getränk angeregt, meldet sich nun meine Blase. Also einen kurzen, erfrischenden Halt eingelegt. Übrigens da fällt mir ein: „Wie pinkelt ein Eskimo?“ Genau: „Klack, klack, klack.“ Weiter geht´s durch Wimmelbach nach Burk. Der Horizont schimmert wie gemalt in verschiedenen hellroten Tönen. Wie romantisch? Bald ist Sonnenaufgang. Hinter dem nächsten Hügel tauchen die Lichter von Forchheim auf. Der Ortsteil Burk ist also nicht mehr weit. Der linke Zeigefinger schmerzt. Jetzt wird meine linke Hand zum Eisklumpen. Ich denke mir, ein Trainingslager im Süden wäre schon spitze. Und wieder summt mir der Uraltschlager im Kopf herum. Die Melodie geht mir nicht mehr aus dem Kopf::
„Ich sitze lieber an der Riveira unter Palmen und lutsch´ an einem Eisbonbon.“

In Burk angekommen laufe ich zum Kanal hinunter. Links von mir die Strecke vom Forchheimer Nikolauslauf, aber ich biege rechts ab und folge dem RMD-Kanal. Da kommt mir doch tatsächlich ein Gleichgesinnter entgegen. Fast gleichzeitig heben wir unsere eiszapfenschweren Hände zum Gruß: „Guten Morgen!“, entfährt es uns kaum verständlich wegen der vereisten Lippen. Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass meine rechte Hand wieder gefühllos ist. Die linke ist angenehm warm. Unsere Stirnlampen wippen anerkennend auf und ab. Schon sind wir aneinander vorbei. Ich bin wieder allein mit mir, meinen kalten Gliedmassen und meinen warmen Gedanken. Ich fühle mich wie Scott und Amundsen bei ihrem Wettlauf zum Südpol. Auf dem Kanal schwebt der Morgennebel, die Sonne geht auf und es ist absolut still. Der Weg führt mich an Hausen vorbei weiter nach Baiersdorf. Schön das es hell wird, denn zur Zeit laufe ich nur noch im Dunkeln. Neuerdings sogar freitags 22.00 Uhr. Die berühmten Freitagabendläufe, ich gestehe, habe ich ein paar Mal ausfallen lassen. Biel ist noch weit. Letzten Freitag habe ich mich wieder aufgerafft. Mittlerweile bin ich der Meinung 1 Std. reicht, um sich an die Uhrzeit zu gewöhnen. Die langen Läufe mache ich lieber tagsüber, wenn ich von der Sonne angestrahlt werde. So wie jetzt, wenn die Sonne mich durchs Geäst anblinzelt. Der Kanal ist komplett zugefroren. Wie kalt ist wohl das Wasser? Ob die Eisdecke mich tragen würde? Wie viel Grad haben wir mittlerweile? Wahrscheinlich nicht viel wärmer als beim Start und der Wind weht immer noch. Ich laufe ihm natürlich genau entgegen. Also ungefähr minus saukalt:
„Kann mir mal wer verraten wie das der Eisbär macht,
dass er bei Minus 40 auf dem Eisberg sitzt und lacht.“

Vom Abzweig in Baiersdorf nach Röttenbach sind es genau 8 KM. Also noch rund 40 Minuten Laufen und 10 Minuten Dehnen bis zur heißen Dusche. Der Gedanke motiviert, ich werde kurzfristig etwas schneller. Kurz darauf trotte ich wieder in meinem gewohnten Gang dahin. Ist das der Ultraschleifschlurfschritt? Keine Ahnung, die Bergwertung wartet noch auf mich dann habe ich es geschafft. Zur Abwechslung sind beide Hände nicht mehr zu spüren. Wieder kommt mir der Gedanke an ein Trainingslager. Mexiko? Klingt gut! Die Temperaturen sind jedenfalls dort angenehmer. Da leben sie, die Tarahumara, die Indianer der Sierra Madre. Die sind nicht so wehleidig wie ich. Die besten Ultraläufer der Welt. Sie selbst nennen sich Raramuri, was so viel heißt wie „die, deren Füße sind wie der Blitz“. Ultraläufe an sich (z.B. der Leadville Trail - 160 KM durch Hochgebirgsgelände) sind ihnen eigentlich zu langweilig. Ihre Herausforderung heißt Rarajipari, ein traditioneller Tarahumara-Ball-Lauf. Dabei wird mit dem Fuß ein kleiner Holzball, natürlich selbst geschnitzt, vor sich hergetrieben. Das ganze 24, 36 oder 40 Stunden je nach Streckenlänge. Diese kann irgendwo zwischen 100 und 200 Meilen liegen. In der Nacht wird die Strecke mit brennenden Kiefernfackeln beleuchtet. Der hüpfende Ball darf dabei keines Falls aus den Augen verloren werden. Der Indianer Silvino hatte doppeltes Glück. Er hatte nicht nur das Rennen gewonnen, sondern auch zum ersten Mal hinterher kein Blut im Urin. Die ganze Geschichte ist nachzulesen in der Runner´s World 2/2006 ab Seite 52: „Das Geheimnis der Tarahumara“ Und ich heul hier rum, weil die Kälte ein bisschen an mir nagt. Jochen, du bist ein alter Warmduscher! Ja, das stimmt ich kann Kälte nicht vertragen. Und schon wieder meldet sich der alte Gassenhauer:
„Ich könnte mich am Nordpol nicht verlieben,
und gäb´s auch dort die schönsten Frau´n der Welt.
Mein Herz kann leider Kälte nicht vertragen.........“

Während ich mich den Steilhang zur „Roten Marter“ hoch schleppe, sehe ich aus den Augenwinkeln einen Läufer auf mich zukommen. Aus den Augenwinkeln deswegen, weil meine Körperhaltung inzwischen der einer 90jährigen Bäuerin aus der Fränkischen nicht unähnlich ist. Ich muss unbedingt etwas für meinen Oberkörper tun, denke ich mir. Bauchmuskeltraining zum Anfang wäre nicht schlecht. Eine bessere Körperhaltung ist gleich ein besserer Laufstil! Das kommt mir auf der langen Strecke zu gute. Apropos Laufstil, denn Laufstil kenne ich doch. Ich kann noch kein Gesicht erkennen, aber dem Gang nach könnte es mein Lauffreund Roland Kupfer sein. In der Tat: „Das Du wieder unterwegs bist, dass freut mich besonders!“ Roland hatte sich das letzte halbe Jahr mit einer Knieverletzung rumgeplagt. Jetzt versucht er sich wieder langsam an die alte Form heran zu tasten. „Übertreibe es bloß nicht! Ganz langsam steigern!“, heißt mein Rat. Wie schnell überzieht man aus Ungeduld und Euphorie nach einer Verletzungspause und läuft in die nächste hinein. „Also dann, Servus!“ Wir kühlen schnell aus und traben weiter unseres Weges. In meinem Kopf summt es:
„Ich kann Kälte leider nicht vertragen..........“

Der Ausgangspunkt des Long Jogs ist auch mein Ziel. Das heißt für heute 32,5 km in 2:45 Std. Bei der Kälte konnte ich einfach die 3 Std. nicht voll machen. Ihr wisst es ja mittlerweile: Ich kann Kälte leider nicht vertragen! Vor allem, wenn Du vorher an Deiner Haustür vorbei kommst. Du weißt, dahinter wartet eine heiße Dusche auf Dich. Also nichts wie drunter! Herrlich! Es ist so schön, wenn die Gliedmaßen wieder langsam zum Leben erwachen. Zuerst kribbelt es noch als würden 1000 Ameisen durch die Blutbahnen laufen. Doch dann ist es angenehm. Ein warmer Tee weckt die Lebensgeister völlig. Das war schon Hardcore heute. Extremlongjogging! It´s cool man! Ich denke kurz an Biel und freue über das Datum (9. Juni). Da bleiben mir solche Temperaturen erspart. Und jetzt alle zusammen:
„Kann mir mal wer verraten wie das der Eisbär macht,
dass er bei Minus 40 auf dem Eisberg sitzt und lacht.“

Run happy!

Jochen Brosig

Röttenbach, den 3. März 2006

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