Teil 2 Januar bis Februar 2006
„Die 100 KM von Biel – Ich war dabei!!!“, das wollte ich auch
einmal sagen. Die Idee, die 100 KM von Biel zu laufen, kam mir in der
Euphorie nach meiner Teilnahme beim
Rennsteiglauf 2003.
Aber Biel ist noch weit. Heute ist wieder einmal Sonntag. Der Tag der
langen Läufe. Gestern bin ich zeitig ins Bett, denn heute morgen geht es
sehr früh los. Draußen ist es noch dunkel und wie in den letzten Tagen
sibirisch kalt. Minus 11 Grad. Dazu weht ein eisiger Wind. Ich bereite
meinen Trinkgürtel vor. In die Flaschen kommt eine Extraportion
Malodextrin. An den Beinen habe ich eine warme Wintertight, über mein
Shirt kommt vor der Jacke noch eine Weste. Die Mütze Marke Björn Dählie
darf heute auf keinen Fall fehlen. Sie hält bei den eisigen Temperaturen
den Kopf und die Ohren besonders warm. Zum Abschluss wird noch die
Stirnlampe über den Kopf gezogen. Bloß nicht die Handschuhe vergessen!
Dann kann es auch schon los gehen. Ich öffne die Haustür. Da streckt die
Kälte ihre Krallen nach mir aus und schreit mir ins Gesicht: „ It´s cool
man!“. Zügig gehe ich die Straße entlang, erhöhe immer mehr mein
Schritttempo und wechsele bald über zum Laufen. Beim Bäcker an der Ecke
starte ich bei 5.45 Uhr die Polar. Werktags ist um diese Zeit schon
einiges los hier. Aber sonntags ist es auch beim Bäcker dunkel.
Mein Weg führt mich erst einmal entlang meiner Hausstrecke nach
Hemhofen. In Zeckern
biege ich von dieser ab. Ich will auf dem Fuß-/Radweg entlang der B 470 in
Richtung Forchheim laufen. Die letzten Lichter verschwinden hinter mir.
Dunkelheit umgibt mich. Es ist ruhig. Nicht einmal ein Vogel ist zu hören.
Kein Auto kommt vorbei. Klar, welcher Idiot ist schon um die Uhrzeit
unterwegs? Ich, sonst niemand. Die Kälte packt mit ihren Krallen zu. Bei
mir immer zuerst an den Händen. Mit Fingergymnastik versuche ich meine
Hände wieder normal zu durchbluten. Hinter dem Hügel müssten jetzt gleich
die Lichter von Oesdorf
auftauchen. Finger auf, Finger zu. Wenn meine Hände nicht frieren würden,
wäre es jetzt sogar ganz angenehm. Ich bin warm eingepackt und
mittlerweile aufgewärmt. Nur eben die Hände .... Jetzt mach´ mal halb
lang! Beim Sibirien Ice Marathon, kurz SIM, geht es ganz anders zur Sache.
Minus 30 Grad und mehr. Ja, aber ich bin doch kein Eisbär! Mir kommt der
Refrain eines uralten Schlagers in den Sinn:
„Kann mir mal wer verraten wie das der Eisbär macht, dass er bei Minus 40
auf dem Eisberg sitzt und lacht.“
Während meine linke Hand warm wird durchlaufe ich Oesdorf. Die rechte
bleibt kalt. Trotzdem gelingt mir der geübte Griff zur Trinkflasche
relativ leicht. Es klappert verdächtig in der Getränkeflasche. Eis?
Maltodextrin on the rocks – geschüttelt, nicht gerührt. Eine Sauna wäre
jetzt nicht schlecht. So wie letzte Woche in Thüringen. Ich war wieder
einmal auf Reisen und konnte wegen der Eisglätte nicht trainieren.
Kurzerhand wurde der Trainingsplan umgestellt und wegen akuter
Verletzungsgefahr die Trainingseinheiten in die Sauna verlegt. Vorher bin
ich eine halbe Stunde auf dem Fitnessrad geradelt. Anschließend zwei
Saunagänge und danach ein kühles Weizen. Wunderbar! Doch heute gibt es
Maltodextrin on the rocks. Oesdorf liegt jetzt hinter mir. Von der heißen
Dusche bin ich also weit entfernt und eine Sauna ist weit und breit nicht
zu sehen. Ich spüre meine rechte Hand wieder und laufe Richtung
Wimmelbach. Durch das kalte Getränk angeregt, meldet sich nun meine Blase.
Also einen kurzen, erfrischenden Halt eingelegt. Übrigens da fällt mir
ein: „Wie pinkelt ein Eskimo?“ Genau: „Klack, klack, klack.“ Weiter geht´s
durch Wimmelbach nach Burk. Der Horizont schimmert wie gemalt in
verschiedenen hellroten Tönen. Wie romantisch? Bald ist Sonnenaufgang.
Hinter dem nächsten Hügel tauchen die Lichter von
Forchheim auf. Der
Ortsteil Burk ist also nicht mehr weit. Der linke Zeigefinger schmerzt.
Jetzt wird meine linke Hand zum Eisklumpen. Ich denke mir, ein
Trainingslager im Süden wäre schon spitze. Und wieder summt mir der
Uraltschlager im Kopf herum. Die Melodie geht mir nicht mehr aus dem
Kopf::
„Ich sitze lieber an der Riveira unter Palmen und lutsch´ an einem
Eisbonbon.“
In Burk angekommen laufe ich zum Kanal hinunter. Links von mir die Strecke
vom Forchheimer Nikolauslauf, aber ich biege rechts ab und folge dem
RMD-Kanal. Da kommt mir doch tatsächlich ein Gleichgesinnter entgegen.
Fast gleichzeitig heben wir unsere eiszapfenschweren Hände zum Gruß:
„Guten Morgen!“, entfährt es uns kaum verständlich wegen der vereisten
Lippen. Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass meine rechte Hand wieder
gefühllos ist. Die linke ist angenehm warm. Unsere Stirnlampen wippen
anerkennend auf und ab. Schon sind wir aneinander vorbei. Ich bin wieder
allein mit mir, meinen kalten Gliedmassen und meinen warmen Gedanken. Ich
fühle mich wie
Scott und Amundsen
bei ihrem Wettlauf zum Südpol. Auf dem Kanal schwebt der Morgennebel, die
Sonne geht auf und es ist absolut still. Der Weg führt mich an Hausen
vorbei weiter nach Baiersdorf. Schön das es hell wird, denn zur Zeit laufe
ich nur noch im Dunkeln. Neuerdings sogar freitags 22.00 Uhr. Die
berühmten Freitagabendläufe, ich gestehe, habe ich ein paar Mal ausfallen
lassen. Biel ist noch weit. Letzten Freitag habe ich mich wieder
aufgerafft. Mittlerweile bin ich der Meinung 1 Std. reicht, um sich an die
Uhrzeit zu gewöhnen. Die langen Läufe mache ich lieber tagsüber, wenn ich
von der Sonne angestrahlt werde. So wie jetzt, wenn die Sonne mich durchs
Geäst anblinzelt. Der Kanal ist komplett zugefroren. Wie kalt ist wohl das
Wasser? Ob die Eisdecke mich tragen würde? Wie viel Grad haben wir
mittlerweile? Wahrscheinlich nicht viel wärmer als beim Start und der Wind
weht immer noch. Ich laufe ihm natürlich genau entgegen. Also ungefähr
minus saukalt:
„Kann mir mal wer verraten wie das der Eisbär macht,
dass er bei Minus 40 auf dem Eisberg sitzt und lacht.“
Vom Abzweig in Baiersdorf nach Röttenbach sind es genau 8 KM. Also noch
rund 40 Minuten Laufen und 10 Minuten Dehnen bis zur heißen Dusche. Der
Gedanke motiviert, ich werde kurzfristig etwas schneller. Kurz darauf
trotte ich wieder in meinem gewohnten Gang dahin. Ist das der
Ultraschleifschlurfschritt? Keine Ahnung, die Bergwertung wartet noch auf
mich dann habe ich es geschafft. Zur Abwechslung sind beide Hände nicht
mehr zu spüren. Wieder kommt mir der Gedanke an ein Trainingslager.
Mexiko? Klingt gut! Die Temperaturen sind jedenfalls dort angenehmer. Da
leben sie, die Tarahumara, die
Indianer der Sierra Madre. Die sind nicht so wehleidig wie ich. Die besten
Ultraläufer der Welt. Sie selbst nennen sich Raramuri, was so viel heißt
wie „die, deren Füße sind wie der Blitz“. Ultraläufe an sich (z.B. der
Leadville Trail - 160 KM durch Hochgebirgsgelände) sind ihnen eigentlich
zu langweilig. Ihre Herausforderung heißt Rarajipari, ein traditioneller
Tarahumara-Ball-Lauf. Dabei wird mit dem Fuß ein kleiner Holzball,
natürlich selbst geschnitzt, vor sich hergetrieben. Das ganze 24, 36 oder
40 Stunden je nach Streckenlänge. Diese kann irgendwo zwischen 100 und 200
Meilen liegen. In der Nacht wird die Strecke mit brennenden Kiefernfackeln
beleuchtet. Der hüpfende Ball darf dabei keines Falls aus den Augen
verloren werden. Der Indianer Silvino hatte doppeltes Glück. Er hatte
nicht nur das Rennen gewonnen, sondern auch zum ersten Mal hinterher kein
Blut im Urin. Die ganze Geschichte ist nachzulesen in der Runner´s World
2/2006 ab Seite 52: „Das Geheimnis der Tarahumara“ Und ich heul hier rum,
weil die Kälte ein bisschen an mir nagt. Jochen, du bist ein alter
Warmduscher! Ja, das stimmt ich kann Kälte nicht vertragen. Und schon
wieder meldet sich der alte Gassenhauer:
„Ich könnte mich am Nordpol nicht verlieben,
und gäb´s auch dort die schönsten Frau´n der Welt.
Mein Herz kann leider Kälte nicht vertragen.........“
Während ich mich den Steilhang zur „Roten Marter“ hoch schleppe, sehe ich
aus den Augenwinkeln einen Läufer auf mich zukommen. Aus den Augenwinkeln
deswegen, weil meine Körperhaltung inzwischen der einer 90jährigen Bäuerin
aus der Fränkischen nicht unähnlich ist. Ich muss unbedingt etwas für
meinen Oberkörper tun, denke ich mir. Bauchmuskeltraining zum Anfang wäre
nicht schlecht. Eine bessere Körperhaltung ist gleich ein besserer
Laufstil! Das kommt mir auf der langen Strecke zu gute. Apropos Laufstil,
denn Laufstil kenne ich doch. Ich kann noch kein Gesicht erkennen, aber
dem Gang nach könnte es mein Lauffreund Roland Kupfer sein. In der Tat:
„Das Du wieder unterwegs bist, dass freut mich besonders!“ Roland hatte
sich das letzte halbe Jahr mit einer Knieverletzung rumgeplagt. Jetzt
versucht er sich wieder langsam an die alte Form heran zu tasten.
„Übertreibe es bloß nicht! Ganz langsam steigern!“, heißt mein Rat. Wie
schnell überzieht man aus Ungeduld und Euphorie nach einer
Verletzungspause und läuft in die nächste hinein. „Also dann, Servus!“ Wir
kühlen schnell aus und traben weiter unseres Weges. In meinem Kopf summt
es:
„Ich kann Kälte leider nicht vertragen..........“
Der Ausgangspunkt des Long Jogs ist auch mein Ziel. Das heißt für heute
32,5 km in 2:45 Std. Bei der Kälte konnte ich einfach die 3 Std. nicht
voll machen. Ihr wisst es ja mittlerweile: Ich kann Kälte leider nicht
vertragen! Vor allem, wenn Du vorher an Deiner Haustür vorbei kommst. Du
weißt, dahinter wartet eine heiße Dusche auf Dich. Also nichts wie
drunter! Herrlich! Es ist so schön, wenn die Gliedmaßen wieder langsam zum
Leben erwachen. Zuerst kribbelt es noch als würden 1000 Ameisen durch die
Blutbahnen laufen. Doch dann ist es angenehm. Ein warmer Tee weckt die
Lebensgeister völlig. Das war schon Hardcore heute. Extremlongjogging!
It´s cool man! Ich denke kurz an Biel und freue über das Datum (9. Juni).
Da bleiben mir solche Temperaturen erspart. Und jetzt alle zusammen:
„Kann mir mal wer verraten wie das der Eisbär macht,
dass er bei Minus 40 auf dem Eisberg sitzt und lacht.“
Run happy!
Jochen Brosig
Röttenbach, den 3. März 2006 |