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Die Bieler Lauftage mit ihrem weltberühmten 100
Kilometerlauf haben bereits Kultstatus. Wer als Läufer was auf sich hält
muss nicht nur einmal Kultläufe wie den Boston -, New York -, Jungfrau-,
London- oder Berlin-Marathon gelaufen sein, nein er muss sich auch wenigstens
einmal in seinem Läuferleben an die unbeschreiblich lange Distanz von
100.000 Metern gewagt haben. Im Gegensatz zu den meisten anderen 100 -
Kilometerläufen ist in Biel auch die Stimmung was ganz anderes. Der Umstand, dass man z.B. statt 10 öden 10 - Kilometerrunden nur eine
einzige Runde durch schöner Landschaft in einem durchaus nicht einfachen
profilierten Gelände läuft ,macht den Lauf schon zu was Besonderen.
Aber
nicht nur das. Der Start erfolgt Abends um 22:00, wenn es gerade dunkel
wird. So läuft man in die Nacht hinein. Zuerst an Zuschauermassen und
unzähligen Straßenfesten vorbei, bis man schließlich in die Dunkelheit und
Stille der Nacht förmlich abtaucht.
Irgendwann zieht sich das Feld
auseinander und es wird auch immer einsamer um einen. Wenn man auf
Fahrradbegleitung verzichtet, ist man dann völlig auf sich allein gestellt
und erwartet mit Sehnsucht den allmählich grauenden Morgen. Je nach
Schnelligkeit befindet man sich dann sozusagen als Neugeborener, vom Licht der
Sonne bestrahlt, entweder schon kurz vorm Ziel oder wie so viele
Normalläufer noch zig Kilometer und viele Stunden davon entfernt.
Erhebend
ist dann schließlich das Gefühl, wenn man die 99 Kilometermarke erspäht und dann weiß:
Ich habe es geschafft. All das Leid, all die Plagen der Strecke, Wind,
Wetter, Sturm und Hitze und die Blutblasen sind vergessen. Man schwebt auf
Wolke 7 ins Ziel ein und fühlt sich wie von einer anderen Welt.
Heute sind die 100 km von Biel wohl der größte und
wichtigste "Hunderter". Dabei begann alles so klein:
6 Wochen bevor ich
das Licht der Welt erblickte, begaben sich bereits am 13.11.1959 35
Unentwegte auf diese lange Distanz. 22 hielten den Entbehrungen und
Wetterunbilden stand und bewiesen so, dass auch der motorisierte Mensch
der "Moderne" noch 100 Kilometer am Stück marschieren oder laufen kann.
Historiker die z.B. was über die Marschleistungen Napoleonischer Armeen
oder der chinesische Volksarmee beim "Langen Marsch" geschrieben haben mag
das genauso wenig verwundern wie Weltkriegsveteranen, die in der
Infanterie durch Russlands Weiten marschieren "durften".
43 Jahre später im Jahr 2002 spiele ich erstmals mit den
Gedanken mich an diese für mich unvorstellbare Distanz irgendwie zu wagen.
Aber ich schiebe dieses Vorhaben dann doch immer wieder ängstlich vor mich
her.
Endlich ist es dann im Februar 2004 nach dem
Bad Füssing Marathon so weit,
dass ich mich trotz leichter aber länger andauernder Beschwerden an der
rechten Ferse am Achillessehnenansatz einfach zum Hunderter anmelde, um
endlich Nägel mit Köpfen zu machen.
Meine Freunde Andreas und Mathias ohnehin etwas wagemutiger machen es auch
so.
Da wir nicht wissen wie es so ist durch die Nacht zu laufen, starten
wir im April 2004 einfach einen Test und laufen
36
km durch die Nacht. Als wir morgens um 3:20 unser Ziel erreichen,
wissen wir, dass Nachtläufe unproblematisch sind. Aber die Vorstellung
jetzt noch 64 km laufen zu müssen, lässt uns 100 km - Aspiranten
erschaudern. Bei solchen Gedanken schlottern uns schon die Knie...
Wenige Tage vor dem großen Lauf lese ich zur Einstimmung
über die "Einsamkeit des Langstreckenläufers bei Kilometer 70" in
Werner
Sonntags Buch "Marathon" am Frühstückstisch in gemütlich warmer Wohnung
fernab abenteuerlicher Laufstrecken: "100 Kilometer - dies ist ein
Volksfest... Um 4 Uhr morgens finde ich vor einem Haus am Waldrand eine
Kanne heißen Tee und Tassen ... "
Zufrieden neige ich mich zurück und schlürfe im trauten
Heim fern von jeglichen Ungemach meinen stark gesüßten Tee. "Oh wie schön,
welch' Freuden warten auf mich!"
"...Kirchberg, die große Zäsur bei Kilometer 59. Die
Szene erinnert an einen Hauptverbandsplatz, penetranter Geruch nach
Massagemitteln, die Samariter massieren nach Leibeskräften ..."
Ängstlich steigt es mir in den Kopf: Oh je zu was hast du
dich da angemeldet? 42 Kilometer passen in mein Verständnis noch rein,
aber 100 km sind doch wohl 120.000 Schritte. Habe ich schon mal weiter als bis
1000 gezählt? Als Kind habe ich es mal vergeblich versucht ...
Das Kapitel schließt "Der Hunderter in Biel hat eine
neue Dimension im Langstreckenlauf eröffnet. Und für manchen auch im
Leben. Wie hat einer geschrieben: Irgendwann mußt du nach Biel. Es muß ein
Verrückter gewesen sein."
Auch ich muss da hin. Wie aber erging es mir "Verrückten"? |