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Bericht vom
Rennsteig Ultra am 20.5.2006 von Klaus Sobirey

Kultlauf im Thüringer Wald - der Rennsteig Supermarathon 2006

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Starttor beim Rennsteig - Marathon in Neuhaus (Bild von 2003)

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Kultlauf im Thüringer Wald - der Rennsteig Supermarathon 2006

Für jeden Marathoni, der die „klassische“ Distanz von 42,195 km ein paar mal ohne traumatisches Erlebnis überstanden hat, kommt irgendwann einmal der Punkt, an dem er sich fragt, wie wohl die läuferische Welt jenseits dieser magischen Grenze aussieht. Auch ich habe diesen Punkt erreicht. Und weil es - wenn schon, denn schon - etwas Besonderes sein sollte, war für mich schon recht bald klar, dass der geschichts- wie geschichtenträchtige Rennsteiglauf die ideale Teststrecke für einen solchen Selbsterfahrungstrip bietet.

Dass der Rennsteiglauf nicht in gängige Schemata passt, zeigt schon der Umstand, dass der Marathon hier 43,1 km lang ist. Aber es sind wohl gerade die besonderen Eigenarten, die alljährlich im Mai seit nunmehr 34 Jahren Tausende in den Thüringer Wald im Herzen Deutschlands strömen lassen, um bei einer der diversen Lauf- und Wanderveranstaltungen, vom 10 km-Walk bis zum Supermarathon, dabei zu sein. 16.628 (!) haben sich 2006 angemeldet und für einen neuen Teilnehmerrekord gesorgt. Auch wenn Hauptanziehungspunkt mittlerweile der Halbmarathon mit fast 6.000 Startern ist – die Königsdisziplin ist und bleibt der Supermarathon, der „lange Kanten“ über hügelige 72,7 km von Eisenach nach Schmiedfeld. Und genau dieser Herausforderung wollte ich mich stellen.

Zünftig geht es bereits am Vorabend des Laufes zu. Auf dem Marktplatz in Eisenach sammeln sich die „Ultras“ zur Kloßparty mit Gulasch und Blaukraut. Das Schwarzbier von Sponsor Köstritzer fließt in Strömen, die Stimmung ist ausgelassen, Rennsteig-Novizen wie ich scheinen eher in der Minderheit zu sein. Das kommunikative Miteinander setzt sich im „Massenquartier“, einer Schule am Stadtrand, für das auch ich mich neben etwa 200 anderen Läufern entschieden hatte, fort. Kaum ist am Abend Ruhe eingekehrt, klingeln vor 4 Uhr schon die ersten Wecker – kein Wunder: So hart wie die Distanz ist auch die Startzeit um 6 Uhr.

Über 1600 Läufer finden sich im ersten Morgenlicht auf dem Marktplatz ein. Traditionell wird das volkstümliche Rennsteiglied gespielt – dann geht es los. Nur ein paar Hundert Meter lang klappern die Schritte über das Pflaster der Fußgängerzone, dann verschluckt schon die Natur den Läuferstrom. Die Natur, genauer gesagt der Wald in all seinen Facetten, ist das beherrschende Element des Laufs – die nächste Ansiedelung werde ich erst wieder im Ziel sehen.

Noch locker nehme ich mit den anderen die gleich von Anfang an deftigen Steigungen. Dass der Untergrund der Wege teils ziemlich matschig ist, sehe ich mehr als Herausforderung denn als Hindernis. Schnell gewinnen wir an Höhe. Erst bei Kilometer 7 ist der eigentliche Rennsteig, der sich als historischer Höhenweg über 160 km durch den Thüringer Wald zieht, erreicht. Immer wieder erinnern alte, verwitterte Grenzsteine an vergangene Zeiten. In stetigem Auf und Ab geht es dahin, meist auf breit trassierten Forstwegen, dann wieder auf schmalen Wanderpfaden oder auch mal über dichtes Wurzelwerk. Nur ab und zu gibt der Wald einen weiten Blick über das sanft geschwungene Bergland und die tiefliegende Ebene frei.

Bei Kilometer 25,5 ist der erste Meilenstein der Strecke erreicht: der „Große Inselsberg“, mit 925 Metern zwar nicht gerade ein Bergriese, aber immerhin gut 700 Meter höher als Eisenach liegend. So steil wie das letzte Stück den Berg hinaufführt, so steil geht es auf der anderen Seite hinab. Auf einem Niveau von 700 – 800 Höhenmetern zieht sich die Strecke in zahllosen Wellen dahin. Noch fühle ich mich gut, genieße die satt grüne Natur und die Ruhe. Weit hat sich der Pulk auseinandergezogen, bisweilen komme ich mir wie ein einsamer Waldläufer vor.

Zu den Höhepunkten der Strecke zählen zweifelsohne die zahlreichen Getränke- und Verpflegungsstellen. Stolze 15 sind es an der Zahl, oft urplötzlich aus dem Grün auftauchend und immer ein Ort der Freundlichkeit und aufmunternden Worte. Vor allem bei der malerisch gelegenen Ebertswiese genau zur Streckenhälfte fällt es mir schwer, mich wieder zu verabschieden. Das kulinarische Angebot ist einmalig. Neben dem üblichen Sortiment werden Spezialitäten wie Schmalz- und Wurstbrote, Heidelbeersuppe (lecker!) oder der legendäre warme Haferschleim geboten. Letzteren hätte ich „freiwillig“ wohl nie probiert – jetzt weiß ich: gerade bei einem so langen Lauf ist er einfach genial.

Kurz hinter Kilometer 40: eine längere Steigung, etwas steiler als sonst, aber bestimmt nicht außergewöhnlich. Plötzlich geht nichts mehr - die Beine streiken. Habe ich mein Limit schon erreicht? Die Vorstellung, dass noch über 30 km vor mir liegen, lässt mein Selbstvertrauen gegen Null sinken. Zwar kommen auch die meisten anderen nur in mehr oder weniger dynamischem Schritttempo voran, aber das hilft mir nicht aus meiner Frustration. Schier endlos ziehen sich Zeit und Kilometer.

Ein halber Becher Cola am nächsten Verpflegungspunkt bringt jedoch den Umschwung. Ich kann es kaum glauben. Zumindest in der Ebene und bergab kehre ich in einen flüssigen Lauf zurück, bergan begnüge ich mich fortan wohlweislich mit dem „ersten Gang“. Obwohl es immer windiger, wolkiger und kälter wird, immer stärkerer Regen den Boden in ein Schlammbad verwandelt: nie wieder habe ich Zweifel, es bis ins Ziel zu schaffen. Keinen Gedanken verschwende ich daran, beim „Grenzadler“ (km 54,5) die Möglichkeit zum Ausstieg mit Zeitnahme zu nehmen.

Kurz vor km 62 erreicht die Strecke bei „Plänckners Aussicht“ unterhalb des Großen Beerbergs mit 973 m NN ihren Kulminationspunkt. Von nun an geht es (fast) nur noch bergab, hinab zum Ziel in Schmiedefeld, jenem kleinen Ort, an dem alle Läufe, gleich ob sie in Neuhaus, Oberhof oder Eisenach starteten, enden. Schon von weitem höre ich durch den Wald den Lärm der Menschen. Trotz des mittlerweile heftigen Regens bereiten die Menschen den Zielankömmlingen einen mitreißenden Empfang. Grandios ist das Gefühl, 72,3 km und (handgemessene) 1800 Höhenmeter geschafft zu haben – und dieses Gefühl spürt man auch bei allen anderen, die im riesigen Festzelt noch viele Stunden lang feiern.

Resümee: Der Rennsteigsupermarathon ist eine wirklich „knackige“ Herausforderung – doch die perfekte Organisation und herzliche Atmosphäre helfen sehr, diese zu meistern. Fast alle, die es wagen, schaffen es ins Ziel, auch wenn zwischen dem Ersten (5:26) und dem Letzten (12:23) beachtliche sieben Stunden liegen.
 

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