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Run auf den Berglauf-Olymp - Der 16. Jungfrau-Marathon
2008 - Ein Bericht von Klaus Sobirey
Erst 15 Jahre ist es her, dass in Interlaken die Idee geboren
wurde, einen Marathon durch die Bergwelt des Berner Oberlandes im Angesichte des
berühmten Dreigestirns Eiger – Mönch - Jungfrau zu initiieren. Und doch hat der
Jungfrau Marathon schon heute erreicht, was kaum ein Marathon schafft: Er ist
„Kult“, fast schon ein Mythos, der „New York Marathon“ der Berge. Die
Anmeldezahlen stellen jeden anderen Bergmarathon in den Schatten. Kein
Bergmarathon ist so begehrt wie dieser, was auch die Top-Platzierung im
alljährlichen marathon4you-Ranking belegt. Schon bis Februar muss man die
Anmeldeentscheidung treffen und dann, wenn (wie üblich) die Zahl der Anmelder
das Teilnehmerlimit überschreitet, hoffen, dass einem das Losglück hold ist.
2008 sah das dann so aus, dass für 5.500 Anmelder Ende Februar 4.000 Startplätze
zur Verfügung standen. Ich hatte Glück und bekam eine Startplatzzusage. Nicht so
recht vorstellen konnte ich mir da zwar noch, wie bei einem solch großen
Teilnehmerfeld ein Berglauf funktionieren kann, der immerhin 1.839 Höhenmeter
aufwärts für die Läufer bereit hält und in hochalpines Gelände bis auf über
2.200 m üNN hinauf führt. Aber aus der Tatsache, dass sich alle Jahre wieder
Menschen aus aller Welt um ein Startticket zu diesem Spektakel reißen, schloss
ich einfach, dass es funktionieren musste.
Interlaken, die „Metropole“ des Berner Oberlandes und Ausgangspunkt des Laufs,
ist von München aus mit dem Auto gut erreichbar, sei es etwas länger, dafür
schneller über Bern, oder etwas kürzer, aber kurviger über Luzern. Privilegiert
ist schon die Lage des Ortes auf dem „Bödeli“, dem Talgrund zwischen Thunersee
und Brienzersee. Kein Wunder, dass dieses Fleckchen Erde schon Mitte des 19.
Jahrhunderts vom Fremdenverkehr entdeckt wurde, was dem Ort eine ganze Reihe
nostalgischer, prachtvoller Luxushotels beschert hat, allen voran die
5-Sterne-Grand Hotels Victoria-Jungfrau und Beau Rivage. Ganz so edel steigen
wir nicht ab. Wir begnügen uns mit einem einfachen Quartier im einige Kilometer
entfernten, dafür - was ich bei der Buchung nicht bedacht hatte - 650 Meter
höher gelegenen Dorf Beatenberg. Entschädigt werden wir dort zumindest durch
einen fantastischen Panoramablick auf die 4000er-Kette von Eiger, Mönch und
Jungfrau, einen Blick, den man in Interlaken vom Tal aus so nicht bekommen kann,
denn dort stehen die unmittelbar angrenzenden kleineren Hausberge zumeist
blickmäßig im Weg.
Viel los schon vor dem Marathon
Dreh- und Angelpunkt des Laufs ist das große Festzelt auf der Höhematte, einem
weitläufigen Wiesengelände mitten in der Stadt, direkt gegenüber dem
majestätischen Grand-Hotel Jungfrau-Victoria. Durch das steilwandige, im Süden
die umliegende Bergekette durchbrechende Lütschinental reicht der Blick von hier
aus bis zum weiß am Horizont schimmernden 4.158 m hohen Jungfrau-Massiv.
Verlockend und gleichzeitig unerreichbar erscheint mir von hier aus der
Gebirgsstock, dessen Gipfel immerhin 3.600 m höher liegt als Interlaken. Und in
die Vorfreude auf den morgigen Lauf mischt sich eine gehörige Portion Respekt.
Im Festzelt lädt eine kleine aber feine Marathonmesse zum „Schnäppchenkauf“ ein
und hier bekomme ich auch ohne jedes Warten meine Startnummer und den Zeitchip.
Dass im und vor allem auch um das Zelt herum am späten Nachmittag großer Trubel
herrscht, liegt aber weniger an der Messe, als am läuferischen Rahmenprogramm:
In der föhnigen Nachmittagshitze werden neben einem Mini-Marathon über 4,2 km
rund um die Höhematte mehrere Mini-Runs für Kinder ausgetragen; altersabhängig
müssen sich diese auf Distanzen von 200 bis 1.600 Metern bewähren. Besonders
heftig geht es bei den Kleinsten zu: da geraten beim Start gleich mal ein paar
der Minis „unter die Beine“ – aber passiert ist niemand etwas.
Ab 18 Uhr füllt sich das Zelt zusätzlich durch die Besucher der Pasta-Party.
Umsonst bzw. im Startgeld eingeschlossen ist die Pasta nicht – aber wohl
nirgendwo in Interlaken kann man sich für 14 Franken an diesem Abend mit Nudeln
(incl. Nachschlag), Getränk und ein Obst den Bauch füllen. Wenig später werden
von einem Moderator die „Spitzenläufer“ aufgerufen und vorgestellt, darunter die
Südtiroler Bergspezialisten Hermann Achmüller und Gerd Frick und die Siegerin
von 2006, Simona Staicu.
Am Start - Sonne und Stimmung
Der erste Blick auf dem Fenster am nächsten Morgen zeigt mir einen strahlend
blauen Himmel. Allerdings sehe ich am südlichen Horizont schon erste Wolken um
die Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau ziehen. Ich hoffe, dass das Wetter
hält, denn eine zunehmende Eintrübung und schließlich Regen sind für heute
vorhergesagt. Von Beatenberg gelange ich mit dem Linienbus hinunter nach
Interlaken, wo aus allen Himmelsrichtungen die Läufer zum Startgelände an der
Höhematte strömen. Die Stimmung ist trotz des Andrangs äußerst entspannt. Eine
Gruppe Alphornbläser gibt ein Ständchen, Fahnenschwinger zeigen ihre
Fertigkeiten. Erst 15 Minuten vor dem Start formiert sich langsam das Startfeld
auf dem Höhenweg, der Straße zwischen Höhematte und dem Hotel Jungfrau-Victoria.
Je nach angepeilter Zielzeit kann man sich seinen Startblock aussuchen. Kurz vor
dem Start wird die Schweizer Nationalhymne gespielt und nur kurz tritt
andächtiges Schweigen ein. Dann ist es soweit: Um Punkt 9 Uhr ertönt der
Startschuss und eine Serie von Böllerschüssen donnert durch das Tal.
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Die ersten zehn Kilometer – flach wie eine Flunder
Die Meute stürzt sich hochmotiviert auf die Strecke. Nun ja: stürzen ist
vielleicht etwas übertrieben. Denn angesichts des dichten Läuferfeldes – 4.076
Starter aus 43 Nationen sind es in diesem Jahr – ist ein freies Anlaufen nach
Überquerung der Startlinie zunächst nur sehr bedingt möglich. Aber das
gemütliche Traben ist im Hinblick auf die noch bevorstehenden Herausforderungen
sicher kein falscher Einstieg. Und daran ändert sich auf den ersten 3 km, die in
einer Schleife durch Interlaken führen, auch nicht viel. Bereits vom Start weg
umgibt uns eine überaus beeindruckende Klangwolke aus knarrenden Ratschen,
bimmelnden Kuhglocken, Geklatsche und lauten Anfeuerungsrufen. Und das setzt
sich auf unserer Sightseeing-Tour durch den Ort mal mehr, mal etwas weniger
fort. Wieder einmal kann ich feststellen, dass das Schweizer Laufpublikum mit
das beste, sprich motivierungsfreudigste, ist, das es gibt.
Erst als wir nach 3,5 km den Bahnhof Interlaken Ost passieren, wird es ruhiger.
Aber nicht lange: Die Böninger am Westufer des Brienzersees erwarten uns, zudem
dürfen wir, wenn auch nur für wenige Momente, einen herrlichen weiten Blick über
den von steilen Bergen umrahmten, in der Morgensonne glänzenden See werfen. Dann
wendet sich die Strecke jäh nach Westen, der Öffnung des Lütschinentales
entgegen, das vom Bödeli aus in Richtung des Jungfraumassivs führt. Aber bis
dorthin sind es noch einige Kilometer, die wir in völliger Ruhe auf einem
schnurgeraden, brettebenen Asphaltweg durch leuchtend grüne Wiesen zurücklegen.
Zumindest gefühlsmäßig noch so gut wie keinen Höhenmeter bewältigt haben wir,
als wir nach 10 km das malerische Dorf Wilderswil erreichen. Und auch hier
scheinen alle Dorfbewohner auf den Beinen zu sein, um uns einen lautstarken
Empfang zu bereiten. Besonders gefällt mir eine buntgekleidete Truppe, die mit
„Samba a la Schwyz“ einheizt, d.h. rhythmisch ihre unterschiedlich großen
Kuhglocken schwingt. Die Glocken sind teilweise so groß, dass ich das Gefühl
habe, dass selbst eine Kuh auf Dauer ein Haltungsproblem gekommen könnte.
Bis Kilometer 25 – weiterhin Berglauf „soft“
Wilderswil markiert das südliche Ende des „Bödeli“ und gleichzeitig den Eingang
ins Lütschinental. Die wildschäumende Weiße Lütschine überqueren wir in
Wilderswil über eine uralte, überdachte Holzbrücke. Der breite Wildbach mit
seinen namensgebenden milchigweißen Fluten wird auf den nächsten Kilometern
immer wieder unser Begleiter sein. Hinter der Brücke erwartet uns die erste
konditionelle Herausforderung in Form eines langgezogenen Anstiegs. Wirklich
hart ist er aber nicht und alle Mitläufer um mich herum bewältigen diesen noch
im Laufschritt. Durch dichten Wald traben wir etwa 2 km gleichmäßig bergan in
das Tal hinein, dann flacht die Strecke schon wieder ab und es geht in leichtem
Auf und Ab dahin. Der Asphaltweg wird zum Naturweg und noch immer hat man eher
das Gefühl, sich auf einen gemütlichen Landschaftslauf zu befinden.
Bei km 15 erreichen wir den Ort Zweilütschinen. Kurz vor dem Ortseingang müssen
wir die Gleise der Berner Oberland Bahn (BOB) passieren, die von Interlaken aus
über mehrere Stationen, die auch wir als Läufer passieren, bis zum Ziel, der
Kleinen Scheidegg, führt, und daher ein ideales Fortbewegungsmittel für die
mitreisenden Laufbegleiter ist. Kurz bevor ich die Gleise erreiche, wird die
Strecke von einem Ordner gesperrt, was bei einigen Mitläufern Unmutsäußerungen
hervorruft, und wir müssen eine der Bahnen passieren lassen. Einer der Läufer
lässt sich von der Sperrung nicht abhalten und rast kurz vor der Vorbeifahrt des
Zuges am protestierenden Ordner vorbei über die Gleise. Wie sehr sich das für
ihn gelohnt hat, kann ich wenige Minuten später feststellen – da hat das
Läuferfeld ihn schon wieder eingeholt.
Wie Wilderswil ist auch Zweilütschinen ein hübsches Dorf, fast nur aus dunklen,
reich mit Blumen geschmückten Holzhäusern im typischen Baustil des Berner
Oberlandes bestehend. Weiter geht es auf Naturwegen durch Wald und Wiesen, immer
wieder auf Tuchfühlung zur parallel rauschenden Weißen Lütschine und den Gleisen
der Bahn, durch das immer enger werdende Tal. Kaum merklich gewinnen wir an
Höhe, zumal es auch immer wieder mal leicht bergab geht. Zunehmend näher rücken
die Talwände aneinander und entsprechend eingeengt ist auch das Blickfeld. Die
zunehmende Nähe der hohen Berge kann man allenfalls erahnen. Aber es macht
großen Spaß, sich durch die Kühle der Wälder immer weiter in das Tal
vorzutasten. Ein großes Hallo gibt es, als uns einer der mit Laufbegleitern voll
besetzen BOB-Züge langsam überholt und wir heftig aus den Fenstern winkend
angefeuert werden.
Etwa bei km 20 taucht über uns ein riesiger, vielstöckiger Betonklotz, voll mit
parkenden Autos, auf. Auch wenn dies nicht der schönste optische Empfang ist –
wir haben Lauterbrunnen erreicht. Damit ist zumindest kilometermäßig Halbzeit
angesagt. Ein Weg führt uns an der Parkgarage vorbei zur verkehrsgesperrten
Hauptstraße des Ortes hinauf. Und was uns erwartet, geht weit über das hinaus,
was ich mich vorgestellt hatte.
Der Lauf durch Lauterbrunnen wird für uns Läufer fast schon so etwas wie ein
Triumphzug. Wahre Menschenmassen drängen sich auf beiden Straßenseiten und
empfangen uns mit frenetischem Beifall – und das geht so über viele hundert
Meter. Ich frage mich, wo all die Menschen hergekommen sind, denn der Ort hat
nur gut 300 Einwohner. Es herrscht geradezu Volksfeststimmung. Musik wird
gespielt, Kuhglocken werden geschwungen. Dazu eröffnet sich ein grandioser
Ausblick, zum einen entlang der langgezogenen Hauptstraße mit ihren pittoresken
Holzhäusern und den die Straße überspannenden Fahnenbändern, zum anderen auf die
rechterhand gleich hinter den Häusern jäh ansteigenden Felswände, von denen in
freiem Fall fast 300 Meter tief der Staubbachfall hinunterstürzt, und
schließlich in die Ferne, wo sich das durch eiszeitliche Gletscher tief
eingeschnittene Trogtal weitet und am Horizont die nun schon näher gerückten
Felsentürme der 4.000er in den Himmel ragen. Was für eine Kulisse! Ich bin
begeistert und verbringe die Zeit mehr mit Fotografieren als mit Laufen.
Hinter Lauterbrunnen führt ein gut ausgebauter, absolut ebener Asphaltweg weiter
in das Hochtal hinein, mitten durch die sattgrünen Almen hindurch. Das hier
einige hundert Meter breite Tal wird links und rechts von schroff ansteigenden
Festwänden begrenzt, nur in Laufrichtung ist ein Ende nicht abzusehen. Immer
mehr wird vom schneebedeckten Jungfrau-Massiv sichtbar, nur wird es leider auch
zunehmend von Dunst und Wolken eingetrübt. In einem Bogen führt der Weg
schließlich entlang der Weißen Lütschine wieder nach Lauterbrunnen zurück,
allerdings in einen anderen Ortsteil. Das km 25-Schild markiert gleichzeitig das
Ende der Lauterbrunner Hochtalschleife und ich bin gespannt, was uns erwartet.
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Lauterbrunnen |
Lauterbrunner Hochtal |
Aufstieg nach Wengen |
Es geht zur Sache – der Anstieg nach Wengen
Die Versorgungsstation im Lauterbrunner Ortteil Ey bei km 25,5, die bereits
sechste, die wir anlaufen, ist auffällig gut ausgestattet und erfreut sich
besonders großen Zuspruchs. Hundert Meter weiter weiß ich warum – denn nun ist
„Schluss mit lustig“. Der erste echte Härtetest des Jungfrau-Marathons steht an.
Und das heißt: In 26 Serpentinen sind auf weniger als zwei Kilometern knapp 500
Höhenmeter zu überwinden. Durch die letzten Ausläufer Lauterbrunnens geht es
bereits steil bergan und fast wie auf Kommando verstummt jede Kommunikation,
fallen die Läufer vom dynamischen Trab in eine gebückte Gehhaltung. Einige
wenige glauben ihren Laufschritt beibehalten zu können, sehen aber dann doch
schnell ein, dass das unökonomische Kraftverschwendung ohne Tempovorteil
gegenüber dem Gehen ist. Zum Glück geht es am Ortsausgang gleich in den kühlen
und sonnengeschützten Wald hinein. So lässt sich die auch mit schnellem Gehen
verbundene Kraftanstrengung besser bewältigen. Windung um Windung reiht sich
aneinander, ich zähle sie nicht. Aber schnell gewinnen wir an Höhe. Ab und an
eröffnen sich wunderbare Blicke hinab nach Lauterbrunnen und in das Hochtal.
Irgendwann hat die Serpentinendreherei ein Ende und wir erreichen wieder offenes
Gelände. Weiterhin geht es aufwärts, allerdings längst nicht mehr so steil und
zunehmend durchsetzt von flachen Passagen. Das Laufen fällt wieder leichter,
doch merke ich, dass das schnelle Bergangehen durchaus Spuren hinterlässt. Eine
nette Abwechslung ist die BOB, deren Gleise sich wieder der Laufstrecke
annähern, und jeder vorbeiziehende Zug hinterlässt einen Hauch von
Karnevalsstimmung.
Eine gute Idee des Veranstalters ist, die zurückgelegte Distanz ab km 26 alle
250 Meter anzugeben – das wird bis zum Ziel so durchgehalten. Das verhindert
gerade bei anstrengenden Passagen ein etwaiges frustrierendes Warten auf das
nächste km-Schild und verheißt jeweils ein kleines Erfolgserlebnis.
Absolut hervorragend und durchdacht ist auch die Verpflegungssituation. Bereits
2 km nach dem Beginn der Steilpassage in Lauterbrunnen bekommen wir wieder
Wasser, nach weiteren 1,5 km ist wieder „full service“ angesagt. Die stolze Zahl
von 15 Verpflegungsstationen ist zwischen Start und Ziel eingerichtet, davon 5
auf der leichteren ersten Streckenhälfte, 10 auf der anstrengenderen zweiten.
Nur drei davon sind reine Wasserausgabestellen, positioniert dort, wo
Flüssigkeit aufgrund der vorangegangenen Anstrengung besonders benötigt wird.
Ansonsten variiert das Angebot. Es reicht von isotonischen Getränken über Cola
bis zur Bouillon, daneben gibt es Energy-Gels und -Riegel, Magnesiumtabs und
Bananen. Soweit möglich sind die Stationen beiderseits der Strecke aufgebaut,
die Ausgabetische stehen auch nicht allzu dicht beieinander, sodass man sich
wenig ins Gehege kommt. Damit man nicht lange suchen muss, rufen die zahlreichen
Helfer einem schon zu, was sie ausgeben. Ergänzt wird die Läuferbetreuung durch
zahlreiche Sanitäts- und Massagestationen, vor allem auf der zweiten
Streckenhälfte. Dass diese auffällig gut besucht sind, zeigt mir, dass hier wohl
auch eine ganze Reihe weniger Bergerfahrene unterwegs sind.
Etwa bei km 30 erreichen wir schließlich das 1280 m üNN gelegene Dorf Wengen,
international bekannt durch die Lauberhornrennen im Rahmen des Skiweltcups. Auf
der Hauptstraße durchqueren wir den langgezogenen Ort. Wie in Lauterbrunnen
empfängt uns auch hier ein Menschenauflauf und eine Emotion, die man bei einem
Berglauf nicht erahnen würde. Beschreiben lässt sich das nur unzulänglich – man
muss es einfach erleben.
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Hinter Wengen |
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Der lange Weg zur Eigermoräne
Wengen ist zugleich die letzte größere Siedlung vor dem Ziel. 800 Höhenmeter
sind geschafft, 1000 liegen noch vor uns. Und so geht es hinter Wengen gleich
weiter hinauf, wenn auch nicht sonderlich steil. Letztmals legen wir ein
Wegstück auf Asphalt zurück, dann geht es nur noch auf Schotter- und Naturwegen
dahin. Auch wenn die Berganpassagen dominieren, so bieten flache oder auch
leicht abfallende Streckenteile immer wieder eine gewisse Erholung. Entsprechend
bewegt sich der Läufertross mal laufend, mal gehend fort, und das – interessant
zu beobachten – mit großer Einmütigkeit. Richtig in Fahrt kommt er aber nicht
mehr. Die Vegetation wird zusehends offener, Almen dominieren das
Landschaftsbild, ab und zu passieren wir ein Waldstück. Immer tiefer blicken wir
hinab ins Tal und auch Wengen liegt immer weiter hinter und unter uns.
Es wird kühler und zugiger, was nicht nur an der größeren Höhe liegt, sondern
auch daran, dass immer mehr Wolken den Himmel bedecken und wir uns dieser
Wolkendecke zusehends nähern. Die Gipfelregionen der Berge in unserem Blickfeld
verschwinden in den Wolken wie hinter weißen Wattebäuschen. Eiger, Mönch und
Jungfrau liegen hier zwar ohnehin nicht im Blickfeld, aber mir schwant schon,
dass das spätere Panorama nicht ganz ungetrübt sein könnte. So fließen die
Kilometer dahin und ich kann gar nicht mal sagen, dass sie besonders
beschwerlich sind. Die kühle Luft erleichtert das Laufen.
Etwa ab km 38 mutiert der bis dahin noch relativ breite Naturweg zu einem immer
profilierter, winkeliger und schmaler werdenden Bergpfad. Ein steiles wurzeliges
Wegstück führt durch ein letztes Stück niedrigen Wald, dann erreichen wir die
Baumgrenze und um uns herum vegetieren nurmehr niedrige Büsche und Grasmatten.
Das Überholen fällt immer schwerer, ja ist teilweise fast unmöglich. Die meisten
stört das aber nicht, letztlich haben sich jetzt ohnehin diejenigen Läufer mit
einem vergleichbaren Tempo zusammen gefunden. Natürlich gibt es auch ein paar
Dynamiker, die unangenehm dicht aufrücken und sich mit relativ großem
Kraftaufwand immer wieder an einem der Voranlaufenden vorbeidrücken. Aber das
bringt allenfalls Sekunden. Auch ich würde gerne ab und an ein wenig schneller
vorankommen, ergebe mich aber dem Schicksal, zumal ich – wie wohl das Gros der
anderen um mich herum auch – keine besonderen Zeitambitionen hege und ohnehin
Fotostops einlege. Und so trotten wir schweigend einer hinter dem anderen wie
auf einer Ameisenstraße dahin. So manchen merkt man allerdings an, dass sie
kämpfen müssen, um den Anschluss zu halten und den Tross nicht noch mehr
aufzuhalten. An einer Steilstufe bleibt direkt vor mir bleibt ein Läufer in dem
Moment hängen, als er versucht, mit einem großen Schritt hochzusteigen. Ein
plötzlicher Krampf macht ihn bewegungsunfähig und er blockiert hilflos den Weg.
Mir gelingt es nicht, ihn von unten hochzuschieben. Aber sogleich sind zwei
Streckenhelfer von oben zur Stelle, die ihn hoch und seitlich auf die Wiese
ziehen.
Und weiter zieht unsere Karawane .... mitten hinein in die Wolken. Kurz taucht
noch ein laut knatternder filmender Hubschrauber dicht neben uns aus der Tiefe
des Tals auf, dann umhüllen uns die ersten Nebelschwaden und die Fernsicht geht
schell gegen Null. Ein kurzes Stück dürfen wir nochmals bergab laufen, ehe uns
kurz vor km 40 traditionell ein Dutzend malerisch im Wiesenabhang aufgereihter
Alphornbläser musikalisch auf den letzten großen Anstieg vorbereitet. Dazu
lassen Fahnenschwinger großflächige Schweizer Fahnen durch die Luft wirbeln. Ein
reizvolles Bild – mit nur einen kleinen Schönheitsfehler: Der passende optische
Hintergrund fehlt. Nur eine weiße Wand sieht man, wo sonst Berge sind.
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In steilem Gelände ab Wixi (km 38) |
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Alphornbläser im Nebel |
Ein Gebirge aus Wolken statt aus Fels
Die Wolken werden immer dichter. Es regnet zwar nicht, aber alles wird feucht.
Je höher wir kommen, desto schlechter wird die Sicht und desto weniger Läufer
kann ich in der Menschenkette vor mir erkennen. Sie sinkt bis auf wenige Meter,
als ich auf einmal von weiter vorne höre, dass es nun auf die Eigermoräne ginge,
das mit Abstand berühmteste Teilstück, ja das Wahrzeichen des
Jungfrau-Marathons. Bilder des steilen, schmalen Grats der Eigermoräne, über den
die Läufer wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht vor dem gewaltigen Hintergrund
des Gebirgsstocks aus Eiger, Mönch und Jungfrau und zu Füßen des Eigergletschers
empor trippeln, dazu ein tief blauer Himmel, kommen mir in den Sinn. Wie oft
habe ich diese Bilder schon gesehen – in jeder Werbung, in jedem Prospekt des
Jungfrau Marathons sind sie der Aufmacher. Es sind diese Bilder, die sich schon
vor dem Lauf so nachhaltig in die Erinnerung einbrennen. Und jetzt? Nichts,
absolut nichts. Als ich bei km 40,4 den Beginn der Eigermoräne erreiche, kann
ich gerade noch erkennen, dass es links und auch rechts heftig bergab geht, aber
dann kommt schon die Wolkenwand. Mir kommt es ein wenig vor, als liefe ich durch
einen weißen Tunnel.
Etwa 200 Meter mögen es gewesen sein, die ich auf der Moräne unterwegs bin, da
frischt auf einmal der Wind auf. Und ich kann es kaum fassen: Vor mir reißt die
Wolkenwand auf und eröffnet urplötzlich ein großes Blickfenster über den
gesamten Grat bis hin zu den Felsabhängen des Eigers (jedenfalls denke ich mal,
dass es der Eiger ist ...). Wow!! Eine wahrlich dramatische Inszenierung. Aber
so schnell wie der Vorhang aufgeht, so schnell ist er wieder zugezogen. Sind es
10, 20 oder gar 30 Sekunden gewesen? Ich weiß es im Nachhinein nicht mehr. Aber
es freut mich innerlich sehr, wenigstens diese kurze Sequenz erlebt haben zu
dürfen.
Schon bei km 40,8, viel schneller, als ich erwarte, kündet ein erhöht auf einem
Felsblock thronende Dudelsackbläser – auch dies in alter Jungfrau-Tradition –
das Ende der Moräne und gleichzeitig den mit 2.205 m üNN höchsten Punkt der
Laufstrecke an. Was an einem Dudelsack schweizerisch sein soll, erschließt sich
mir zwar nicht so recht, aber eine nette Idee ist es allemal. Nun geht es (fast)
nur noch bergab. Bei km 41 dürfen wir als letzte Wegzehrung Schokolade naschen,
die für uns auf einem Felsentisch dekorativ bereit gehalten wird, dann geht es
auf dem letzten Kilometer nochmals 100 Höhenmeter hinab.
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Kurz vor der Eigermoräne ... |
... leider ohne Panoramablick! |
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Ein kurzes Aufreißen der Wolken |
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Ein rauschender Empfang im Ziel
Der letzte Kilometer wird von den Läufern höchst unterschiedlich angegangen: Die
einen tasten sich vorsichtig, sei es weil sie kräftemäßig am Ende sind oder die
Gelenke schonen wollen, den steinigen Pfad hinab, die anderen lassen es laufen
und geben richtig Gas. Man hat das Gefühl, dass sie nach der Enge und der
Gängelei der letzten Kilometer einfach nochmals Dampf ablassen wollen. Auch wenn
die umgebende Bergwelt wieder im Wolkenmeer versinkt, so erspähe und höre ich
doch schon bald das Ziel: Die Kleine Scheidegg. Ein dichtgedrängtes,
applaudierendes Menschenspalier erwartet uns schon weit vor dem Zielbogen. Die
Laufstrecke ist durch die Wartenden zum Schluss stark verengt, sodass die
Stimmung hautnah herüberkommt. Musik spielt, ein „Speaker“ begrüßt die
Ankommenden. Und schon ist die fiepende Zeiterfassungsmatte im Ziel
überschritten. 3.765 LäuferInnen und damit gut 92 % der Gestarteten erreichen
heute dieses Ziel und einer davon bin ich. Gewonnen hat übrigens der Favorit –
Hermann Achmüller erreichte in 3:03:18 Std. das Ziel. Beste Frau war wie schon
2006 Simona Staicu in 3:39:05 Std.
Wie alles Übrige sind auch die Abläufe im Ziel bestens organisiert: Erst gibt es
die Medaillen, dann muss man gut 200 Meter bis zur großräumig angelegten
Bergstation zurücklegen, wo sich die sonstige Infrastruktur befindet. In einer
gesonderten Halle erhalte ich mein deponiertes Gepäck, ein Stück weiter gibt es
das Finisher-Shirt gegen Rückgabe des Zeitchips und in einem riesigen Duschraum
kann man sich schließlich mit heißem Wasser den Schweiß vom Körper schwemmen
lassen. Trotz der nebeligen Kühle sitzen Hunderte Außenbereich der Berghütten.
Wir ziehen es allerdings vor, mit der Bergbahn ganz langsam wieder gen
Interlaken zu zockeln.
Beendet ist das „Event“ Jungfrau-Marathon damit aber noch längst nicht. Ab 17
Uhr wird im Festzelt auf der Höhematte weitergefeiert. Kulinarisch werden Pizza,
Pasta, Asia geboten, es spielt Guggenmusik, man kann sich Videos vom heutigen
Lauf anschauen und sich sein „Finisher-Diplom“ ausdrucken lassen. Später am
Abend kommt es zur großen Siegerehrung, bevor zum Abschluss eine Schweizer
Rockband für Stimmung sorgt. Und draußen erinnert uns heftiger Dauerregen daran,
dass es mit dem Wetter heute noch sehr viel ärger hätte kommen können.
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Ein Resümee zum Schluss
Dass der Jungfrau-Marathon als die Nr. 1 des Bergmarathons gilt, ist kein
Zufall: Es stimmt einfach (fast) alles. Die Organisation einschließlich der
Betreuung und Verpflegung unterwegs ist perfekt (1300 Helfer!), die Stimmung an
der Strecke ist einfach fantastisch, die Strecke ist wunderschön, in ihrer
Führung durchdacht und gut zu belaufen.
Wenn es überhaupt etwas zu mäkeln gäbe, so ist das letztlich eine Folge des
Erfolgs der Veranstaltung. 4.000 Teilnehmer sind für einen Berglauf einfach fast
eine Nummer zu groß. Die Streckenführung trägt zwar sehr zur Entzerrung des
Läuferfeldes bei, verhindert aber doch nicht gewisse Staubildungen ab km 38.
Andererseits - so richtig unglücklich dürften zu diesem Zeitpunkt die
allerwenigsten sein, wenn sie es zwangshalber ein wenig langsamer angehen
müssen, als sie vielleicht noch könnten ....
Nichtsdestotrotz: Eines weiß ich jetzt schon sicher: Ich werde wiederkommen. Nur
leider sagen das alle anderen auch.
Noch Fragen? Dann bitte einfach unter
www.klaus_sobirey@lycos.de
melden.
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