Ein Laufbericht über den Chiemgauer 100 von Norbert
Rößler
Fotos von N. Rößler, S. Roth, B. Spring und O.
Schuberth
Join a great challenge
So habe ich schon vor 5 Jahren meinen Bericht über den 1. Chiemgauer 100 Km–Lauf
überschrieben. Das Motto des Laufs ist auch bei der 6. Austragung unverändert
geblieben. Die Strecke auch und eine Herausforderung ist der Lauf zweifellos
immer noch – die Überschrift passt also weiterhin. Mittlerweile ist der Lauf als
einer der schwierigsten Ultras in Deutschland eine feste Größe, auch die
100-Meilen-Variante fand dieses Jahr schon zum 5. Mal statt und nachdem die
Angriffe der Naturschützer mit vereinten Kräften auf ein vernünftiges Maß
reduziert wurden, steht wohl auch der Zukunft des Laufs wenig im Weg.
„Great challenge“ kann man ganz trivial mit „große Herausforderung“ übersetzen
und unter diesen Tenor hatte ich vor 5 Jahren meinen Bericht gestellt. „Great“
lässt sich aber auch mit „großartig“ übersetzen und das
Internet-Wörterbuch LEO bietet
auch „lockende Aufgabe“ als Übersetzung an. Für mich persönlich trafen dieses
Jahr eher diese Übersetzungsvarianten zu. Seit 4 Jahren laufe ich eher
sporadisch und verlasse mich bei gelegentlichen Wettkämpfen auf meine Erfahrung
und Sturheit, was, je weiter die guten Laufjahre zurückliegen, doch immer
seltener zum Erfolg führt. Allerdings träume ich immer noch von meinen geliebten
langen Landschaftsläufen, wie dem Swiss Jura oder eben dem Chiemgauer 100er und
so fuhr ich Ende Juli gen Ruhpolding, um mich dieser „lockenden Aufgabe“ zu
stellen.
Zentrum der Veranstaltung ist das Waldstadion am Ortsrand und hier trafen wir
uns am Freitagabend zur Pastaparty und zum Briefing. Die 100-Meilen-Läufer
hatten da schon die ersten 2 bis 3 Laufstunden und einige hundert Höhenmeter
hinter sich. Wir Kurzstreckler genossen die leckere Pasta, die inklusive Getränk
und Nachschlag im Startgeld enthalten ist. Giselher Schneider, der Chef des
Ganzen, selbst ein hervorragender Hundertmeilenläufer, präsentierte mit seinem
trockenen Humor die besonderen Schwierigkeiten der Strecke und wies nochmals auf
die wichtigsten Grundregeln hin, vor allem im Zusammenhang mit dem Umwelt- und
Naturschutz.
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Morgenstimmung |
Morgenstimmung |
Als wir kurz vor 5 Uhr am nächsten Morgen zum Stadion fuhren, zeigte das
Thermometer 7° C, dichter Nebel lag im Tal und durch den Wald vor dem Stadion
irrlichterten die Stirnlampen der 100-Meilen-Läufer, die mittlerweile 86 km
hinter sich hatten und sich wieder dem Stadion näherten. Sie tummelten sich dann
auf ihren restlichen 74 km auf der selben Strecke, die wir als Runde 2 in
Angriff nehmen würden.
Die 100 Km-Strecke ist eine Art 8, d.h. man läuft zunächst eine kleine Runde von
26 km mit 540 Hm, in der Ausschreibung als Prolog bezeichnet, erreicht dann
wieder das Stadion und danach geht´s richtig in die Berge. Ich startete am
hinteren Ende des Feldes und da sich die Spitze nach 500 m schon zum ersten Mal
verlief, fand ich mich kurzfristig in der Spitzengruppe wieder. Das entsprach
aber gar nicht meinem Konzept. Vor 5 Jahren hatte ich auf der ersten Runde
versucht Tempo zu machen und war schon ausgepowert im Stadion angekommen.
Diesmal wollte ich den Prolog wirklich zum Einrollen nutzen. Ich plauderte mit
dem einen oder anderen Mitläufer, genoss den Tagesanbruch, und bewunderte im
Vorbeilaufen einen wunderschönen Sonnenaufgang über den noch nebelverhangenen
Dörfern. Die ersten Kilometer sind geprägt von hügeligem Auf und Ab auf breiten
Forstwegen. So ab Km 8 wechselt man vermehrt auf Pfade und um km 11,5 wird der
Pfad dann beim Inzeller Alpensteig für 3 Km schmal, schmierig und man kann
linkerhand durchaus abstürzen. Hier wechselte ich sicherheitshalber ins schnelle
Gehen. Der eine oder andere sprang zwar leichtfüßig vorbei, aber so war´s
sicherer und ich erholte mich auch gut, so dass ich die letzten Höhenmeter zur
ersten Kontrollstelle bei der Kaitlalm wieder hinauf joggen konnte. Der Lauf ist
mit nur 6 Verpflegungsstellen ausgeschrieben, aber diese bieten eine
überwältigende Vielfalt und Reichhaltigkeit und zwischen den Versorgungsstellen
gibt es dann noch Kontrollstellen, an denen grundsätzlich neben Wasser und Iso
auch noch eine Kleinigkeit zu Essen angeboten wird. So schnappte ich mir gegen
6.45 Uhr bei der Kaitl-Alm ein Stück Schokokuchen zum Frühstück und trabte
gemütlich mampfend auf breiten, überwiegend leicht fallenden Waldwegen zurück
ins Stadion. |
Alpensteig bei Inzell |
Alpensteig bei Inzell |
Ab in die Berge |
Ab in die Berge |
Die nächsten ca. 25 Km sind das Kernstück des Laufs. Während laut Marschtabelle
auf der Homepage des Laufes die Letzten im Feld die Einführungsrunde (26 Km) in
ca. 3 ½ Std. absolvieren sollen, sind für die folgenden 25 km bis Eschelmoos
dann 5 1/2 Std vorgesehen. Das ist eigentlich allenfalls langsames Wandertempo,
aber dennoch realistisch, denn so richtig viel gibt es für die Teilnehmer im
hinteren Drittel auf diesem Stück nicht zu laufen. Drei Anstiege und 2 ½
Abstiege stehen an und schon einen Kilometer vom Stadion entfernt wird es ernst.
Der Aufstieg zum Unternberg startet mit einem Steilstück durch offene
Wiesenhänge, dann folgt eine Passage auf Forstwegen, wo man auch gelegentlich
joggen kann. Man kann es aber auch lassen, dann hat man ausreichend Luft für den
berühmt-berüchtigten Skihang (410 Hm auf 2,3 Km). Ich ging die komplette Passage
ruhig, aber zügig. Bei meiner wackeligen Form machte es gar keinen Sinn sich
hier zu verausgaben. Nach dem Unternberg folgt eine typische „Denkste“-Passage.
Auf 3 km verläuft die Strecke ausschließlich flach und fallend und man verliert
reichlich Höhenmeter. Man denkt also, hier könnte man wieder ordentlich Zeit gut
machen. Das gelingt auch gut 500 m lang und dann beginnt die erste Alm. Das
bedeutet, dass der Weg zur Kuhweide wird und zusammen mit dem Regen der Vortage
ergibt sich ein unvergleichliches Schlamm-Matsch-Kuhfladen-Gemisch, dem man nur
entkommen kann, wenn man oberhalb des Wegs am Hang rumeiert. Es folgen steile,
wurzelige Bergab-Passagen, dann wurzelige Schlammstücke oder auch mal steile,
schmale Kuhfladenpfade. Mir machte dieser Weg mächtig Spaß, aber so richtig
zügig kam ich nicht voran und meine Mitläufer fluchten kräftig. Das letzte
Bergabstück von der Simandl-Alm hinab zur Brandner-Alm war dafür für alle
wunderschön. Das Gelände öffnete sich, wir trabten durch den sonnendurchfluteten
Hang und unter uns waberte immer noch der Nebel durch die Täler – einfach nur
schön. Aber nur 5 Minuten lang. Das musste reichen.
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Skihang am Unternberg |
Zwischen Kuhfladen, Wurzeln und Matsch |
Zwischen Kuhfladen, Wurzeln und Matsch |
Über den Wolken |
Dann begann der Anstieg zur Hörndlwand. 2,4 km lang, 480 Hm, zunächst durch
Laubwald, dann folgt Buschwerk und oben offener Fels und Geröll. Technisch ist
nichts Schwieriges zu bewältigen, man muss halt hochstapfen. Das ging ich weiter
ruhig an, freute mich an den Tausenden von Glockenblumen, Margeriten und
Wiesenflockenblumen, sowie den wenigen noch blühenden Alpenrosen. Heute war
diese Herausforderung für mich eindeutig großartig. Dieser Eindruck steigert
sich noch, als ich gemeinsam mit Sabine Martin, der späteren Siegerin in der
Frauenwertung, das Hochplateau an der Hörndlwand erreichte. Erstens hatte man
hier eine grandiose Aussicht auf das
Kaisergebirge und das
Mangfallgebirge. Und
zweitens hatten die Organisatoren hier wieder eine Kontrollstelle aufgebaut, wo
erneut Wasser, Iso und Snacks angeboten wurden. Diese Helfergruppe hatte zwar
wahrscheinlich den mit Abstand schönsten Arbeitsplatz, aber die Getränke die 500
Höhenmeter von der Brandneralm heraufzutragen - alle Achtung und ganz herzlichen
Dank. Herzlichen Dank sage ich auch immer für den jetzt folgenden Abstieg von
der Hörndlwand ins Röthelmoos. Man kann hier nirgends gefährlich abstürzen, aber
das ist ungefähr das einzig Positive, das mir zu diesem Abstieg einfällt. Er ist
steil , lang, rutschig, felsig und nervt. Aber ich wollte ja heute alles ganz
ruhig angehen, also stieg ich eben hinunter, landete dieses Mal nur zwei Mal auf
dem Allerwertesten und hatte nach ca. 45 Minuten ab der Kontrollstelle auch
diese für mich ungeliebte Passage überwunden.
An der Langerbauer-Alm wartete zur
Belohnung nach 41,6 Km die zweite Vollverpflegungsstelle. Das Angebot war
überwältigend und die Helfer superfreundlich und hilfsbereit. Da fiel es schwer
sich wieder loszureißen und sofort den nächsten Anstieg anzugehen. Der Anstieg
zur Jochbergalm zieht sich recht lange zunächst auf Kieswegen im Wald, wo man
durchaus etwas laufen kann, später werden die Kieswege steiler und schließlich
bildet ein steiler Grashang den Schlussakkord hinauf zur Kontrollstelle an der
Jochbergalm.
Danach wird es wieder alpiner und man steigt auf Pfaden kräftig,
aber unschwierig, hinauf zur Scharte am Hochsattel. Dort wechselt man hinüber
auf die andere Bergseite und hat hier einen ganz guten Überblick über die noch
kommenden Aufgaben: Weit geht der Blick hinaus ins Voralpenland Richtung Bergen,
der Hochfelln ist zu sehen, den wir nach etwa 80 Km erklimmen werden und auch
das Tal, durch das wir dann zurück nach Ruhpolding traben werden.
Ich nahm mir hier nicht sehr viel Zeit, denn jetzt begann so langsam die
Passage, wo ich beabsichtigte etwas Zeit gut zumachen. Der Abstieg Richtung
Eschelmoos verläuft zwar auf schmalen Pfaden und es ist auch die eine oder
andere „sturzige Stelle“ dabei, wo ich in den Gehschritt überwechselte. Aber
dieser Abstieg war mit Abstand der Angenehmste. Nicht zu steil, nicht zu felsig,
kaum hohe Stufen und vor allem trocken – der Einstieg in den leichteren Teil des
Laufs.
Im Eschelmoos biegt die Verkürzungsvariante 66 Km ab, im Abstieg sieht man auch
die Verpflegungsstelle, die wir dann bei Km 85 erreichen werden. Hier ist für
mich das oben erwähnte Kernstück des Laufs vorbei – 5:15 Std. habe ich seit dem
Stadion gebraucht und habe noch leidlich lockere Beine. Das gilt auch für Tom
Wolter-Rösler, den ich hier überhole. Er hat auf der 100-Meilen-Strecke jetzt
111 Km absolviert und macht noch einen guten Eindruck. Weniger optimistisch
wirkt dagegen Hermann Böhm, aber auch er wird sich durchbeißen und wieder die
100 Meilen beenden – Herzlichen Glückwunsch!
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Anstieg zur Hörndlwand |
Abstieg von der Hörndlwand - ein rutschiges Vergnügen |
Abstieg von der Hörndlwand - ein rutschiges Vergnügen |
Abstieg von der Hörndlwand - ein rutschiges Vergnügen |
Schönes am Wegesrand |
Die folgenden 25 Km bis Egg will ich eher kurz abhandeln. Man pendelt in Höhen
um 900 m, läuft überwiegend auf Forstwegen, relativ viel im Wald und der einzige
richtige Knaller ist der Skihang am Wirtshaus Kohlstadt, wo man auf 900 m 220 Hm
hochkraxelt. Ansonsten kann man zügig durch die Voralpenlandschaft traben und
endlich mal Kilometer machen.
In Maria Eck läuft man an der schönen
Wallfahrtskirche vorbei und dort erleide ich meistens einen kleinen
Kulturschock, weil auf dem großen Parkplatz jede Menge Autos und Reisebusse,
Touristenmassen und Trachtengruppe zugange sind – das normale Leben hat uns
wieder.
Die Verpflegungsstellen in Kohlstadt, Maria Eck und Egg waren ebenfalls
großartig. Mit der Zeit gewöhnte ich mir eine gewisse Verpflegungsroutine an.
Ein, zwei Gels, weil sie halt nützen, dann ein Schluck Erdinger Alkoholfrei, um
den grausigen Geschmack zu überspielen, dann Pellkartoffeln mit Salz für die
Kohlenhydrate, wieder Erdinger zum runterspülen, Banane und Wassermelone, weil
man ja auch Obst essen soll und zum Schluss wieder Erdinger, damit kein Rest in
der Flasche blieb. Der Lauf gefiel mir heute einfach großartig , wobei sicher
mit eine Rolle spielte, dass ich bereits vor 17 Uhr in Egg einlief. Damit war
ich 1 Stunde und 20 Minuten vor dem cut-off, würde gegen 19 Uhr auf dem
Hochfelln sein und sicher noch bei Helligkeit den Abstieg bewältigen. Außerdem
war ich recht zuversichtlich, dass in der verbleibenden Stunde noch weitere
Läufer hinter uns in den Anstieg gegangen waren.
Eine Wiederholung meines
Traumas von 2005 als ich bei einbrechender Dunkelheit, alleine im Gewitter den Hochfelln runtereierte schien also ausgeschlossen. Zumal sich auch das Wetter
weiterhin von der allerperfektesten Seite zeigte. Es schien ganztägig die Sonne,
aber da sich immer wieder Wolken vor dieselbe schoben, wurde es nie wärmer als
25°C - auch in dieser Hinsicht ein perfekter Lauftag.
Aber bevor mich die
Begeisterung völlig übermannte, stand als kleiner Dämpfer der Hochfelln mit 950
Hm Anstieg vor uns. Den ging ich ganz alleine an, weil ich mich erst später als
meine Mitläufer von der Verpflegungsstelle losreißen konnte. Mittlerweile machte
sich meine fehlende Ausdauer schon bemerkbar und vor allem muskulär geriet ich
langsam an meine Grenzen. Also einen Gang raus und gemütlich hochsteigen. Nach
wie vor war die Reststrecke noch weit. Wenn ich jetzt überzog, würde ich noch
stundenlang büßen.
Der Anstieg zum Hochfelln lässt sich in 3 Passagen
strukturieren. Das erste Drittel auf der rechten Hangseite steigt auf breiten
Wegen kräftig an. Im 2. Drittel wechselt man auf die andere Hangseite. Der Pfad
wird flacher, jedoch schmaler, ist häufig völlig vom Gras überwachsen und damit
unsichtbar und zu allem Überfluss gähnt linkerhand immer tiefer der Abgrund.
Mittlerweile war meine Muskulatur wieder so strapaziert, dass ich nicht sicher
war, wie ich bei einem Stolperer reagieren würde. Also ging ich weiter stoisch
den Berg hinauf und hoffte auf bessere Streckenverhältnisse. Von denen ich aber
schon wusste, dass sie vorerst nicht kommen würden. Das letzte Drittel des
Anstiegs verläuft nämlich auf der linken Seite eines großen Kessels. Der Pfad
wird wieder steiler, hohe Felsstufen unterbrechen den Rhythmus. Auch hier konnte
ich nicht laufen. Immerhin sah man ganz oben mittlerweile das Hochfellnhaus und
auch wenn ich mich langsam bewegte, es kam mit jedem Schritt näher. Etwa in der
Mitte des Kessels schloss ich zu Michael Grau aus München auf. Wir waren uns
gelegentlich bereits unterwegs begegnet. Jetzt gingen wir die letzte
Viertelstunde, zuletzt auf einem ordentlichen Wanderweg, gemeinsam zum Gipfel.
Dort genossen wir den phantastischen Rundblick über Chiemsee, Alpenhauptkamm und
Kaisergebirge und tranken in aller Ruhe zusammen unser Bier – ein Genuss. |
Skihang bei Kohlstadt |
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Freundliche Helfer bei Maria Eck |
Freundliche Helfer bei Maria Eck |
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