26. - 27.11.2011 Kobolt - 140 km Frischluft-Therapie
für verrückte Läufer -
Abenteuer-Diagnose von Günter Kromer
Der Kobolt ist so eine Art kalte Ü24 Party. Ü24 heißt in diesem Fall aber nicht,
dass hier Leute zum Tanzen kommen, die alt genug sind um zu wissen, wer Jimi
Hendrix und Janis Joplin waren. Hier treffen sich statt dessen ein paar
Verrückte, um mehr als 24 Stunden lang in Kälte und bei Dunkelheit zu laufen,
gehen, humpeln und die Orientierung zu verlieren. Ein Mords-Spaß!
Dieser 140 km lange Ultramarathon mit 4446 Höhenmetern führt auf dem
Rheinsteig
von Koblenz nach Bonn. Im letzten Jahr gab es diese Veranstaltung zum ersten
Mal. Damals hieß die 140 km Strecke noch "Kleiner Kobolt", und die 106 km mit
3361 HM, die nun der "Kleine Kobolt" sind, hießen "Kobolt light". Kobolt ist die
Abkürzung von KoblenzBonnLaufTrail.
Für manche Leute mag es schon verrückt sein, einen Marathon zu laufen. Für viele
Marathonis sind Ultramarathons verrückt, und selbst viele Ultraläufer bezeichnen
den Kobolt wohl eher als einen Zeitvertreib, bei dem eine Zwangsjacke zur
Pflichtausrüstung gehört. Verrückt muss man schon sein, um Ende November 24
Stunden oder länger nonstop durch die Gegend zu laufen oder zu gehen. Es zeugt
schon von einer laufschuhverklärten und trailgefärbten Realitätssicht, dass ich
mich trotzdem für so etwas angemeldet habe. Noch verrückter ist, dass ich mich
seit der Anmeldung darauf f r e u e. Aber dass bei mir eine große Schraube
locker ist weiß ich schon lange. |
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Die Rede ist hier nicht von einem der perfekt durchorganisierten 24-Stunden
Läufe, die meist in der sonnigen und warmen Jahreszeit stattfinden, mit endloser
Wiederholung kleinster Runden das Orientierungsvermögen eines
Straßenbahnschaffners erfordern, als schwerste Hindernisse einen Bordstein oder
fünf Meter Steigung bei einer Brücke aufweisen und bei denen fleißige Betreuer
den Läufern rund um die Uhr fast jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Der Kobolt
findet Ende November statt, Sonnenuntergang 16:33 Uhr, Sonnenaufgang 8:05 Uhr,
hat also selbst wenn man die Dämmerungsphase einrechnet über 14 Stunden
Dunkelheit. Verpflegung gibt es unterwegs nur vier Mal, so dass jeder 20-29
Stunden lang einen inklusive Wechselklamotten, Proviant und Getränke bis zu 5
Kilo schweren Rucksack mit schleppen darf, und über die nächtliche Orientierung
auf dem Fernwanderweg kann man Gruselromane schreiben. Aber was soll ich sagen:
es macht Spaß!
In diese Irrenanstalt für Kilometer- und Höhenmetersammler kann man sich nicht
direkt selbst einweisen. Der Kobolt ist keine öffentliche Laufveranstaltung
sondern ein Einladungslauf. Die Organisatoren (Michael Eßer, Andreas
Spieckermann und Stefan Scherzer) laden selbst die Läufer ein. Wer nicht
eingeladen wird kann natürlich mit guten Argumenten per Mail eine Einladung
erbeten, so wie auch ich es gemacht habe. Sobald die je 20 Startplätze für die
106 km und die 140 km ausgebucht sind, kann man sich auf die Warteliste setzten
lassen und hat erfahrungsgemäß immer noch gute Chancen, starten zu dürfen.
Normale Menschen wandern auf dem Rheinsteig. Für diese Zielgruppe gibt es
zahlreiche Wanderbücher. Der Kompass-Verlag gliedert unsere Strecke in 8
Tagesetappen mit 38,5 Stunden, Dumont Aktiv rechnet 9 Tagesetappen mit fast 52
Stunden, und der ADAC Wanderführer teilt es sogar auf ZWÖLF Tage auf.
Viele Kobolt-Läufer übernachten in Bonn und nutzen am Samstagmorgen die
angebotene Transportmöglichkeit vom Ziel zum Start. Da ich wie fast bei jedem
Lauf mit der Bahn statt mit dem Auto anreise, der Zug auf dem Weg nach Bonn aber
ohnehin in Koblenz hält, übernachte ich natürlich in Koblenz. Da ich davon
ausgegangen war, dass der Start direkt in Koblenz-Ehrenbreitstein ist, buchte
ich eine Übernachtung in der Jugendherberge oben auf der Festung. Diese Herberge
zählt zu den komfortabelsten, die ich bisher gesehen habe, und die Aussicht von
Speiseraum und Terrasse hinab zu Rhein und Mosel sowie nach Koblenz ist
großartig. |
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Als ich erfahre, dass wir nicht in Ehrenbreitstein sondern in Urbar starten gehe
ich noch davon aus, dass ich das Aulenbergstadion von der Festung aus mit einem
bequemen 20minütigen Spaziergang erreichen kann.
Leider erfahre ich dann am Samstagmorgen beim Abmelden aus der Herberge, dass
der größte Teil der Festung momentan wegen Bauarbeiten gesperrt ist und daher
auch der Wanderweg nach Urbar weg fällt. Suuuuuper! Jetzt wird es für mich noch
vor dem Start echt stressig. Zuerst muss ich mit dem Schrägaufzug nach unten
fahren, was aufgrund der Wartezeit schon mal zehn Minuten kostet. Dann steht ca.
30 Minuten Speedwalking auf der vorübergehenden Ersatzroute des Rheinsteigs an,
natürlich nicht nur mit Laufrucksack sondern auch mit der Dropbag und vor allem
auch mit dem großen Rucksack und dem Gepäck für Übernachtung, Hin- und
Rückfahrt. Unterwegs muss ich das Zeug sogar über Treppen einen Hügel hinauf
schleppen.
Als ich dann zum Glück noch rechtzeitig vor dem Briefing beim Stadion ankomme,
bin ich schon klatschnass geschwitzt und völlig außer Atem. Nennt man so etwas
„Warmlaufen“? Zwei Minuten später, und das Auto mit den Dropbags und dem Gepäck
für das Ziel wäre ohne meine Taschen abgefahren.
Nach der Ausgabe von Ausdrucken mit den recht gut aufbereiteten Streckeninfos
wird uns noch einiges Wissenswertes über die Route erzählt. Im Gegensatz zu den
meisten anderen Marathons oder Ultramarathons gibt es hier keine von den
Organisatoren angebrachten Wegmarkierungen, also weder Schilder mit Pfeilen,
Flatterbänder, Sägemehl am Boden bei Abzweigungen, und natürlich bei Nacht auch
keine Reflektoren. Wir müssen uns ausschließlich anhand der offiziellen
Markierung des Fernwanderwegs orientieren, ein blaues, gerade mal
spielkartengroßes Zeichen.
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Da der Rheinsteig in beide Richtungen gewandert werden kann, führen die
Markierungen natürlich sowohl nach Bonn als auch entgegengesetzt. Wer sich
unterwegs also verirrt muss später aufpassen, dass er danach nicht wieder zurück
in Richtung Koblenz läuft.
Unmittelbar nach dem Start folgt der Beweis dieser These, denn der größte Teil
des Läuferfeldes folgt schon nach etwa 150 Metern dem nach Koblenz führenden
Zeichen statt rechts in Richtung Bonn zu laufen. Dieser Fehlstart führt zu viel
Gelächter und schärft vorübergehend unsere Aufmerksamkeit.
Die Abstände zwischen schnellen und langsamen Läufern wachsen extrem schnell.
Ich beginne den Kobolt ganz bequem im Tempo eines gemütlichen Trainingslaufes
und laufe gegen Ende des Feldes in einer kleinen Gruppe mit wechselnder
Besetzung. Tom Eller ist meist dabei, und auch Eric Tuerlings, der Veranstalter
des sehr empfehlenswerten Keufelskopf Ultra-Trail, bei dem ich nächstes Jahr zu
zweiten Mal starten werde. |
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Während der ersten Stunden sehen wir den Rhein nur ganz selten in der Ferne,
denn der Rheinsteig führt hier in weitem Bogen um das Neuwieder Becken. Nur beim
Ausflugslokal Wüstenhof kann ich ein schönes Foto mit Rheinblick knipsen. |
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Ich gehe am Stock! Zum ersten Mal seit vielen Jahren bin ich mit Tourenstöcken
unterwegs. Vor gefühlt unendlich langer Zeit war ich wohl einer der ersten, der
die Vorteile der Leki Makalu bei langen, steilen Gebirgstouren nutzte. Damals
war der Anblick von Wanderern mit Stöcken noch eine Seltenheit, und man wurde
angestarrt wie ein Skifahrer, der seine Ski verloren hat. Damals hätte ich
selbst im schlimmsten Alptraum nicht erwartet, dass Jahre später Heerscharen von
pausenlos plappernden Freizeitgruppen mit ähnlichen Stöcken die Parkanlagen auch
auf völlig ebenen Wegen heimsuchen. Als unmittelbare Folge der Nordic
Walking-Plage traue ich mich schon lange nicht mehr mit Stöcken in die
Öffentlichkeit. Ich will auf gar keinen Fall mit so einem Bodenkratzer
verwechselt werden! Doch meine Erfahrung beim Chiemgau 100, wo ich mit Stöcken
mindestens eine halbe Stunde früher die Schlammtrails bewältigt hätte und
dadurch noch innerhalb des Zeitlimits ins Ziel gekommen wäre, ließ mich
umdenken.
Beim Kobolt bleibt man meist von Asphalt verschont. Überwiegend geht es über
Waldwege oder Trails. Im Bereich des Neuwieder Beckens gefallen mir vor allem
die vielen Hohlwege. |
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Nein, das ist keine der offiziellen Verpflegungsstationen! |
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Und jetzt gibt es eins auf die Rüben! |
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So eine Strecke wie der Rheinsteig bietet unfairen Läufern natürlich viele
Gelegenheiten zur Abkürzung. Als originelle Alternative zu normalen
Kontrollstellen kamen die Chef-Kobolte auf die Idee, dass wir unterwegs an
einigen Stellen, die ganz besonders zur Abkürzung einladen, Fotos von markanten
Punkten machen müssen. Der Römerturm bei km 18 ist das erste dieser
Pflichtfotos. Der Turm ist ein Nachbau eines Wachturms, der früher hier am Limes
stand. Im Hintergrund steht auch der Nachbau von einem kleinen Stück dieses
langen Grenzbefestigungszaunes, der inzwischen zum Weltkulturerbe zählt, zu
sehen. |
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Pflichtfoto am Römerturm |
Mein Rucksack ist mit den vorgeschriebenen 1,5 Litern Getränke, dem Proviant,
Wechselklamotten, zwei Stirnlampen, Ersatzbatterien, Kamera und mehr fast 5 kg
schwer. Da ich in der kalten Nacht kein eiskaltes Wasser trinken will schleppe
ich auch eine große Thermoskanne mit. Statt eines modernen Laufrucksacks halte
ich noch immer meinem uralten Salewa Wanderrucksack die Treue, da er beim Laufen
sehr bequem ist.
Heute habe ich vielleicht ausnahmsweise sogar einen kleinen Vorteil gegenüber
Läufern mit sportlicher Figur: mein Bauch bildet ein Gegengewicht zur Last auf
dem Rücken und hält den Körper in Balance. Ja, mit 48 Jahren bekomme ich endlich
das, was mir bisher gefehlt hat: eine richtig männliche Figur - zumindest in der
Kategorie M50 - oben immer weniger Haare und vorne immer mehr Bauch. |
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Bald komme ich an der Burg Sayn vorbei. |
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Kurz darauf erreiche ich auch das Schloss Sayn. |
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Da wir nicht „auf Bestzeit“ laufen, gönnen wir vier Läufer unserer aktuellen
kleinen Gruppe den Luxus einer kleinen Pause in einem Café gegenüber vom
Schloss. |
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Im letzten Jahr hatten die Kobolte Schnee, doch heute bleibt der Himmel zwar den
ganzen Tag über bewölkt, aber es ist trocken und nicht zu kalt. Nach dem
überdurchschnittlich warmen und extrem trockenen November hängt noch
ungewöhnlich viel Herbstlaub an den Bäumen, so dass die Landschaft nicht ganz so
grau wirkt wie normal um diese Zeit.
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Eric und Tom treffen jemandem, der wie ein Kobold aussieht, aber laut
Beschriftung ein Wanderer sein soll. |
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Insgesamt gibt es auf den 140 km nur vier Verpflegungsstellen, bei denen
offiziell nur Getränke und Suppe angeboten werden. Natürlich ist die
Speiseauswahl dann doch größer als angekündigt. Kurz vor Sonnenuntergang
erreichen wir VP 1. Wie auch bei den folgenden Stationen stehen auch hier neben
der Bank Heizstrahler, damit man bei der Rast nicht zu sehr auskühlt. Sogar
warme Cola, im Sommer absolut unvorstellbar, wird angeboten. |
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Da ich mich nicht hinsetzen will, kühle ich während der Pause schnell aus. Zum
ersten und auch einzigen Mal an diesem Wochenende friere ich. Schon verrückt:
bei meinen drei Ultramarathons im Sommer in den Alpen fror ich jeweils unterwegs
sehr stark, und jetzt, Ende November, empfinde ich das Klima dank idealer
Bekleidung nur zehn Minuten lang als zu kühl.
Als Eric und ich wieder aufbrechen wollen, erkennen wir, dass uns Tom nicht mehr
begleiten wird. Er hatte ohnehin von Anfang an gewusst, dass er wegen einem
Termin am Sonntagmittag vorzeitig aus dem Rennen muss, und nun fehlt ihm die
Motivation. Schade, ich hätte ihn gerne weiter begleitet, aber verstehen kann
ich seine Entscheidung sehr gut.
Eric und ich laufen nun viele Stunden zu zweit weiter.
Dann wird es dunkel um mich herum. Zeit, die Stirnlampe aufzusetzen! Erst im
Lichtstrahl der Lampe bemerke ich die vielen kleinen Motten oder Nachtfalter,
die hier durch die Luft flattern. Zusätzlich zur Lampe auf dem Kopf habe ich,
wie von den Veranstaltern empfohlen, eine zweite ums Handgelenk gewickelt, um
bei Abzweigungen nach den Wegmarkierungen zu suchen. Diese schalte ich aber
immer nur kurz ein, wenn ich im Lichtkegel der anderen nichts sehe.
Unterwegs bietet die Laubbachsmühle ein idyllisches Fotomotiv. |
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