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Sardona Trail am 14.09.2013 - Ein hochalpiner Lauftraum - Bericht von Thomas SchmidtkonzBericht - Bildimpressionen - Film - Infos / Bewertung - Zurück zur Übersichtsseite - Weitere Laufberichte - Über den Autor |
Wildes Bergpanorama am Wildsee beim Sardona Trail am 14.09.2013 |
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EinleitungDie Tektonikarena Sardona rund um den etwas über 3000
m hohen Piz Sardona
wurde im Juli 2008 von der UNESCO zusammen mit einem 32'850 Hektar
großen Gebiet in das Weltnaturerbe aufgenommen. Weil man sich einen
großen Teil der Schönheiten dieser Hochgebirgslandschaft nur erwandern
oder erlaufen kann, wurde dazu der Sardona Welterbeweg eingerichtet. Der StartPünktlich um 9:15 starten knapp 100 "Helden der Berge". Vor
uns liegt ein Marathon! Aber was für einer! Zusätzlich zur Marathondistanz
erwarten uns gut 3000 Höhenmeter. Das aber nicht nur bergauf, sondern das
gleiche auch noch einmal bergab. Aber nicht auf Läuferautobahnen wie z.B.
beim Jungfrau Marathon, sondern fast zu 100 % auf technisch anspruchsvollen Singletrails, wie man es beim morgigen
Jungfrau Marathon
allenfalls an der legendären Moräne vor der atemberaubenden Kulisse von
Mönch, Jungfrau und Eiger erleben darf. Mein großer LaufgegnerWieder einmal rasen alle wie bei einem 5 KM Dorflauf los. Nur einer nicht, nämlich ich der notorische Genusslaufpapst! Aber ehrlich gesagt, selbst wenn ich es wollte, könnte ich bei diesem Läuferfeld nicht lange in der vorderen Hälfte mithalten. Spätestens nach 2-3 Kilometern wäre ich dann wohl reif fürs Sauerstoffzelt.
Und schon rennen sie mir davon!
Ich kenne vom letzten Jahr die Strecke teilweise und weiß daher in etwa auf was ich mich eingelassen habe. Daher renne ich zwar auf den ersten Metern zwar nicht richtig los, aber trödeln darf ich heute dennoch nicht, was mich wegen der wunderbaren Fotomotive auf der Strecke schon etwas schmerzt. Die richtige WahlDer erste Kilometer ist flach und es geht sogar etwas bergab. Aber bald folgt der erste Anstieg auf den gut 2000 Meter hohen Garmil, wobei wir auf 3 km Laufstrecke die ersten 600 Höhenmeter überwinden werden. Ich bin mal wieder Letzter im Läuferfeld, aber immerhin bewegen sich noch ein paar Läufer relativ nah vor mir in Sichtweite. Je weiter wir an Höhe gewinnen desto besser wird der Ausblick auf das tief unter mir liegende Rheintal und auf die Churfirsten, die heute noch oft das Bergpanorama in der Ferne prägen werden. Ihr Name leitet sich mit ihrer „kollegialen Formation“. wie vom historisch Bewanderten kaum anders zu erwarten. von den sieben Kurfürsten des Heiligen Römisch-Deutschen Reiches ab. Weder sie noch ich dürfen heute einen neuen Kaiser wählen, aber bei dieser tollen Aussicht auf die umliegende Bergwelt habe ich heute mit diesem Marathon die richtige Wahl getroffen. Diese Wahl fiel mir sicher leichter als meine kürzliche Briefwahl für den Bayerischen Landtag und Bundestag. Während nämlich Politiker eine ungemein schwierige Beziehung zur Wahrheit haben, zeigen Dir die Berge schnell auf was Wahrheit also Sache ist und was nicht! Garmil und GaffiaIch gehe den langen Anstieg auf den Garmil bedächtig an.
Trotzdem erklimme ich laut Höhenmesser pro Minute so ca, 10 - 15
Höhenmeter ohne, dass ich dabei zu sehr in den Seilen hänge. Alles was zweistellig
ist, ist bei mir gut. Ich bin daher mit meiner momentanen Fitness und auch
mit meinem Körpergefühl sehr zufrieden. Trotz meines zu dicken Bauchs liegen
mir sehr steile Anstiege. Vielleicht zieht ja der Bauch nach oben? Oder
sucht es als prächtige Erhebung gar seinesgleichen?
Ausblick mit Regenbogen! Der Ausblick vom Garmil mit Gipfelkreuz ist erhebend und ich bin stolz, dass ich den ersten Anstieg so gut bewältigt habe. Dahinter geht es erst einmal in Richtung Gaffla bergab. Da ich kein allzu guter Bergabläufer bin, enteilen mir schließlich die letzten Läufer. In Gaffia, das ich nach etwa 80 Minuten Laufzeit erreiche, ist nach 6,4 offiziellen Kilometern die erste Verpflegungsstelle. Zu meiner Freude liege ich noch in meinem Zeitplan. Außerdem freue ich mich, dass es hier auch Energy-Gels gibt. Wie ich später feststelle sind diese salzig und schmackhaft und nicht so eine süße Pampe wie bei anderen Gels üblich. Denn Salz ist was, was wir heute auch brauchen, weil wir trotz des relativ kühlen Wetter ungemein viel Flüssigkeit und damit auch Salze herausschwitzen. Plötzlich bin ich nicht mehr alleineFrisch gestärkt gehe ich den nächsten Anstieg an und höre
hinter mir Applaus. Der galt aber nicht mir, sondern dem ersten Läufer des
Halbmarathonfeldes. Diese "Kurzdistanzler" starteten eine halbe Stunde nach uns. Wahnsinn wie
dieser Läufer an mir vorbeisprintet. Das ist doch kein flacher Straßenlauf
sondern ein steiler Berglauf!
Der schnelle Thomas Bald überholen mich zahlreiche weitere "Kurzdistanzler". Zwar muss ich ich immer wieder mal ausweichen, aber dafür bekomme ich nun schöne Fotomotive vor die Linse ohne meinem eigenen Läuferfeld hinterherhetzen zu müssen. So kommt mir der zeitversetzte Start sehr entgegen! Bizarre Felsformationen prägen nun die Hochgebirgslandschaft. Wären die Berge hier nicht so hoch, könnte ich mich nun fast so heimisch wie in meiner Heimat der Fränkischen Schweiz fühlen.
Bizarre Felsen Perlen und Edelsteine der BergeWeg und Landschaft werden nun immer wilder und hinter einem Kamm tut sich der Blick auf den wunderschönen Baschalvasee auf. Dieser und die weiteren Seen sind wirklich Perlen und Edelsteine der Berge, umkränzt von mehr oder weniger zackigen Bergkämmen. Jeder See ist dabei in seiner Art einzigartig und zeigt auch seine individuelle Färbung. Diese reicht von einem hellen Blau und Grün bis zu einem Schwarzgrün beim Schwarzsee.
Baschalvasee Während der Baschlavasee in etwa 2200 Meter Höhe liegt, liegen die anderen Seen aber in Höhen von bis zu 2500 Meter Höhe. Daher geht es nun immer weiter bergauf, während uns nun ein eiskalter Wind entgegen bläst. Erstmals muss ich deswegen meine Laufjacke auspacken und anziehen. Vor dem Schwarzsee überqueren wir einen Höhenkamm mit zahlreichen Steinmännchen. Diese wunderbare Szenerie raubt mir fast den Atem. Wie gerne würde ich hier verweilen, fotografieren und filmen, aber leider nervt mich mein Feind die erste Cutoffzeit. Ich liege zwar noch im Zeitplan, aber einen Zeitpuffer habe ich kaum. Lass nur einmal eine schwere Geröllstrecke o.ä. kommen, dann verpufft die Zeit in Nu und ich bin dann in massiver Zeitnot! Bislang war die Strecke zwar anspruchsvoll und anstrengend, aber rein technisch gesehen noch nicht außergewöhnlich schwer.
Steinmännchen auf dem Weg zum Schwarzsee Der Schwarzsee kurz dahinter zeigt sich, wie kaum anders zu erwarten, in dunkler Farbe aber einem wunderschönen Schwarzgrün, worin sich die von Schnee weiß bepuderten Berge rundum spiegeln. Ein wunderschöner Farbkontrast!
Am Schwarzsee Gefahren der BergeHinter diesem Bergjuwel geht es steil bergauf. Vor uns eine steile und dunkle Felswand mit allerlei Eiszapfen. Da es aber gerade in der Wand taut, lösen sich diese Eiszapfen und donnern wie Steinlawinen gen Tal. Ein fürwahr unangenehmer Ort! Wenn ein großer Eiszapfen auf Dein Haupt donnert, kann das sicher unangenehm ausgehen.
Hier brechen Eiszapfen herab und beschießen die Läufer Da, direkt darunter steht doch glatt der unter Ultraläufern sehr bekannte sehbehinderte Didi mit seinem Guide. Beide verfolgen in unmittelbarer Nähe das gefährliche Schauspiel. Mein Gruß fällt diesmal sehr kurz aus. Das aber nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil ich diese Gefahrenstelle schnell hinter mir lassen möchte. Der erste Cutoff-PunktEs geht nun weiter steil aufwärts bis ich in gut 2500 Meter Höhe einen weiteren windigen Pass passiere. Dahinter erreiche ich den Schottensee, der ein weiteres Bergjuwel ist.
Der Schottensee Hier vermute ich zuerst den ersten Checkpoint, da ich
während des Laufs den Schottensee bereits für den Wildsee halte. Meine
freudige Erwartung wird also herb enttäuscht, als ich meinen Irrtum erkenne.
Der Wildsee mit Pizolgletscher und Pizolgipfel etwas in Wolken. Lavtinasattel - Dach der StreckeNun folgt erstmals ein technisch sehr anspruchsvoller Streckenabschnitt, nämlich ein großes Geröllfeld, das dazu verschneit ist. Das ist einer der schon zuvor befürchteten Streckenabschnitte, die viel Zeit kosten, wenn man nicht Kopf und Kragen riskieren will. Schon jetzt weiß ich, dass es mit der nächsten Cutoffzeit in gerade mal knapp 2 1/2 Stunden sehr knapp werden wird, obwohl ich erst am Anfang dieses nächsten Streckenabschnitts stehe.
Solche Streckenabschnitte kosten viel Zeit! Beim Pitztal Trail
Maniak habe ich solche Geröllfelder verflucht, weil sie dort so
reichlich gesät waren und mich endlos aufhielten. Aber hier endet der
problematische Streckenabschnitt doch relativ schnell. Mitten zwischen den
Felsbrocken ist hier ein sonniges Plätzchen und just rasten hier drei der
Ultraläufer, die schon eine 3/4 Stunde vor mir auf die Strecke gegangen
sind. Na, die sind schon jetzt so im Zeitverzug, dass sie ihr Rennen sicher
nicht zu Ende führen werden. Ich spreche sie aber nicht darauf an, weil so
was sicher frustrierend ist, sondern pack meine Brotzeit - :-) Veganer mögen mir
verzeihen - mit leckerem Bünderfleisch aus, die ich schon in weiser
Voraussicht mitgenommen habe, weil beim Marathon die Abstände zwischen den
Labestationen schon riesengroß sind.
Ausblick vom Lavitnasattel auf den Wildsee in knapp 2600 m Höhe Zuletzt muss ich dabei noch ein Schneefeld queren und stehe nun in knapp 2600 Meter Höhe auf dem Dach des Sardonatrails. Höher geht es heute nicht mehr hinauf! Der Ausblick auf beide Seiten ist faszinierend. Hinter mir der herrliche Wildsee in einer steinigen Landschaft und vor mir grünere Berghänge, die jäh in eine tiefe Schlucht abbrechen. Langer Abstieg und Kampf gegen die ZeitAuf den nächsten 3 km Strecke geht es nun sehr steil über 1000 Höhenmeter bergab. Das ist schon ein beachtliches Gefälle! Wenigstens ist der Bergpfad bergab bei weitem nicht so technisch anspruchsvoll wie z.B. beim Pitztal Trail Maniak vom Saßen hinunter, so dass ich nicht noch viel weitere Zeit verliere. Dennoch wird mein Zeitrahmen zur nächsten Cutoffzeit immer knapper und ich fühle mich schon wie ihr Sklave. Schließlich erreiche ich Almwiesen. Von der Ferne gesehen meint man, da könnte man nun leichter herunter laufen, aber durch die Tritte der Kühe ist in der Nähe besehen alles sehr holprig und oft auch matschig. Eine Laune der Natur, ein großer Stein in Herzform sagt mir aber: "Zeige ein Herz für Almwiesen und Kühe!"
Stein in Herzform Vorhin fragte ich mich schon mehrmals wie ich in die Schlucht des tief mit Felsen eingeschnittenen Weisstannentals hinunter kommen soll. Ein schmaler Bergpfad am Rand des Abgrundes beantwortet die Frage. An manchen Stellen sollte man hier wirklich nicht ausrutschen, aber spätestens nach meinem diesjährigen Pitztaltrail fordert so was bei mir nur noch ein müdes Lächeln heraus.
Bergpfad mit Abgrund Wie schon letztes Jahr, fällt auch dieses Jahr der
Sardona Trail terminmäßig auf den Almabtrieb. So werde ich Zeuge wie an dieser
kritischen Stelle die Kühe abgetrieben werden. Anscheinend haben die Kühe
und ihr Hirten hier ein kleine Pause eingelegt. Während mich die Hirten
freundlich grüßen, gucken mich die Vierbeiner neugierig an. "Wird er nun in
eine unserer Tretminen rein treten oder nicht? Grins!"
Gleich drei Wasserfälle! Bei Batöni weist mir ein Streckenposten den Weg der Marathonläufer, der in Richtung Weisstannen gen Tal führt, während die Ultraläufer hier mit dem Heidelpass den nächsten großen Pass angehen mussten. Ich laufe nun einen Bach entlang und links an einem Wehr vorbei. Plötzlich merke ich, dass ich auf dem Hohlweg sein muss. Der richtige Weg führt auf der anderen Bachseite weiter und ich habe keine Chance hier oder unterhalb den Bach zu queren. Mist! Da muss ich wohl wieder bergauf laufen bis zum Wehr , wo auch ein Steg ist. So rennt mir die Zeit davon! Werde ich die nächste Cutoffzeit schaffen? Die Chancen dazu sinken immer mehr! Russlandfeldzug im HerbstIrgendwann muss doch hier mal so was wie ein Fahrweg kommen, wo ich endlich
mal Tempo machen kann. Statt des Fahrwegs folgt ein zwar breiter Weg. Aber
laufbar ist der nicht. Der besteht ja nur aus bodenlosen Morast, den das
liebe Bergvieh beim Almabtrieb zu einen zähen Brei vermengt hat. Ja, jetzt
kann ich mir gut vorstellen wie unsere kriegerischen Väter beim
Russlandfeldzug im russischen Herbst im Morast vor Moskau stecken blieben!
Da kann es doch nicht weitergehen! Ja, in der Tat eine Streckenmarkierung
weist auf einen schmalen Pfad, der steil nach oben führt. Ein Wegweiser
nennt ihn dazu wirklich "Bergpfad"! Ich fluche lauthals! Eigentlich sollte
es doch jetzt nach Weisstannen bergab gehen. Aber denkste hier geht es
stattdessen bergauf! Wie soll ich da jemals die nächste Zielschlusszeit einhalten
können?
Schlamm und steiler Berghang, was nun? Im eigentliche gehbaren Teil würde ich mindestens bis zu den Knöcheln, wenn nicht noch deutlich tiefer versinken. Das ist mir zu riskant, weil ich in den zähen Brei meine Schuhe nicht verlieren möchte. Also weiche ich auf den Steilhang oberhalb aus und krabble auf allen vieren vorbei. Problemzone umgangen, aber wieder Zeit verloren! Zu Tode betrübt - Himmelhoch jauchzendEin Blick auf die Uhr zeigt, das wird knapp mit der Ankunft beim Verpflegungspunkt und Checkpoint in Weisstannen, den ich an der gleichen Stelle wie letztes Jahr vermute. Noch immer ist kein Fahrweg zu sehen, wo ich mal Tempo machen könnte. Es geht gerade einen schmalen Pfad steil eine Wiese runter, während mein Bangen immer größer wird. Ich versuche Gas zu geben, aber muss immer wieder auf den holprigen Weg achten, weil z.B. ein verstauchter Knöchel auch ein vorzeitiges Aus bedeuten würde. Endlich kommt doch noch ein Fahrweg. Ich gebe massiv Gas.
Als ich endlich den Ortseingang vom Weisstannen erreiche, bin ich genau 6
Stunden unterwegs. Na ja bis zum Ortsende von Weisstannen, wo letztes Jahr
der Checkpoint war ist es nicht mehr weit und unter den heutigen Bedingungen
mit dem Schnee usw. werden sie wegen 3-5 Minuten sicher ein Auge zudrücken.
Aber, als ich endlich die heiß ersehnte Stelle erreiche, sehe ich weit und
breit keine Menschenseele und auch nichts was so wie ein Verpflegungspunkt
aussieht. Wohin sind denn die alle ausgeflogen? Mein Frust darüber ist riesengroß. Aber ich hab ja meine Stirnlampe dabei und werde das ganze bis zum Ende durchziehen, egal ob als offizieller oder halt dann als inoffizieller Teilnehmer, weil ja die Ultraläufer dann ohnehin noch auf dem letzten Streckenabschnitt sein werden und das bis in die frühen Morgenstunden. Ab Schwendi habe ich so eigentlich theoretisch alle Zeit der Welt. Als ich endlich nach 6 1/2 Stunden Laufzeit in Schwendi ankomme, begrüßen sie mich dort fröhlich und schauen mich verwundert an, weil ich mein Gesicht so griesgrämig verziehe. Ich sage: "Ich habe eine Stirnlampe mit dabei und ziehe deswegen den Rest durch!" Jetzt verstehen sie mich und klären mich auf, dass die Zielschlusszeit etwas verlängert wurde und ich auch offiziell weiterlaufen darf. Vor Freude umarme ich deswegen einen der Streckenposten und lass mich mit ihm fotografieren:
In Schwendi! Hurra, ich darf weiterlaufen! Friede, Freude, EierkuchenAber bevor es weitergeht, muss ich erst einmal reichlich trinken und essen. Die hier ist der erste Verpflegungspunkt seit Gaffia, also seit gut 5 Stunden Laufzeit. Unterwegs musste ich deswegen schon meine Trinkwasservorräte aus diversen Bergbächen und auch einmal bei einem der oberen Seen nachfüllen. Aber der Tisch ist hier reichlich gedeckt. Sogar das leckere und nicht ganz billige Bündner Fleisch gibt es hier! Ich trinke ein Fass voll Cola, während ich mir meine schon wieder fast leeren Trinkflaschen wieder auffüllen lass. So verweile ich hier fast ein Viertelstündchen. Mittlerweile ist es schon 16:00 geworden. Ich frage wann die ersten Ultraläufer hier vorbeikamen und höre zu meinem Erstaunen, dass man die Ersten hier erst ab 17:00 erwartet. Oha, da werden aber viele die Zielschlusszeit von 20 Stunden beim Ultra nicht schaffen! Ich werde wohl für den nun kommenden ewig langen Aufstieg 3 Stunden und für den Abstieg eine weitere gute Stunde laut meiner Berechnungen brauchen. Ich rechne also mit einer Ankunftszeit so gegen 20:15. Da werden mich sicher unterwegs einige Ultraläufer noch überholen. Ich freue mich schon auf die Fotomotive. Der große Anstieg und verflogener SchreckenFrisch gestärkt gehe ich nun den großen Anstieg von fast 1400 Höhenmeter an, der mir letztes Jahr beim Ultra sehr große Mühen bereitete. Da hinter mir ja noch die Ultraläufer kommen und ich eine Stirnlampe habe, habe ich jetzt rein theoretisch alle Zeit der Welt. Ich überquere nun den Weisstannen-Bach und stehe in 909 Meter Höhe am tiefsten Punkt der Strecke. Bis zur Passhöhe bei der Gamidaurspitze in 2370 m Höhe werde ich in den nächsten Stunden fast 1400 Höhenmeter überwinden. Zuerst folgt aber einmal der "Wald des Schreckens", der uns Ultraläufern letztes Jahr einiges an Mühen bereitete, weil wir ihn nicht nur bergauf sondern zuerst einmal bergab laufen mussten. Außerdem war er mit Matschbahnen gespickt, die so glitschig wie Schmierseife waren. Dazu ist der Weg hier teilweise extrem steil.
Steile Rampe im Wald des Schreckens Aber heute habe ich nicht schon 60 km in den Knochen und es ist nicht Nacht ist. Stattdessen taucht die Abendsonne den Wald des Schreckens in ein warmes und freundliches Licht. Da ich es außerdem nicht eilig habe, mutiert so der Wald des Schreckens in einen Wald der Freude und Erholung. Mancher der später folgenden Ultraläufer mag mich vielleicht jetzt für verrückt erklären, aber ich genieße diesen Streckenabschnitt wie eine Wellnesstour. Nach dem Wald des Schreckens folgt auch noch gleich die Wiese des Schreckens. Sie ist ebenfalls extrem steil und es führt kein Weg hoch, sondern man muss sie auf der direkten Falllinie ersteigen. So sind 50 % Steigung garantiert!
Die extrem steile Wiese des Schreckens, wo der nicht vorhandene Weg hochführt Letztes Jahr kam ich an dieser Stelle einige male ins
Schwanken und torkelte so irgendwie hoch. Weil es damals Nacht war, sah ich
Gott sei Dank nicht wie steil es hier ist! Heute lass ich mir Zeit. Nur die
Abendsonne prellt hier noch einmal so richtig runter, dass ich ganz schön
ins Schwitzen komme. Aber am Ende der Wiese erreiche ich einen Fahrweg und
im Bauernhof Unterprecht kann ich an einem Brunnen Wasser nachfassen, weil
die Wasservorräte schon wieder zur Neige gehen. Auf gerade mal gut 1,5 km
Laufstrecke habe ich nun schon etwa 450 Höhenmeter seit dem tiefsten Punkt
überwunden, was schon einiges über die Steile dieses Streckenabschnitts
aussagt, zumal die Anstiege auch noch ungleichmäßig verteilt sind.
Die Churfirsten im Abendlicht Kunst der RomantikHinter Oberprecht in knapp 1700 Meter Höhe endet der Fahrweg. Aber zuerst geht es auf einer flach ansteigenden Almwiese weiter. Ich genieße diese liebliche Almlandschaft, bevor es nun zurück ins schroffe Hochgebirge geht. Als ich noch einmal zurückblicke, muss ich kurz verweilen, weil mich die herrliche Szenerie an ein romantisches Gemälde von Caspar David Friedrich erinnert:
Wie ein Gemälde von Caspar David Friedrich
Der einsame Baum von Caspar David Friedrich Auch wenn "Der einsame Baum" von Friedrich eine knorrige Bergeiche ist, die Berge im Hintergrund im Riesengebirge liegen, das ganze im Morgenlicht stattfindet und der Schäfer mit seinen Schafen hier fehlt, passt die hiesige Stimmung treffend zu diesem alten Gemälde. Naturschauspiel beim Wechsel vom Tag zur NachtBerauscht von meinen Sinnen wandle ich auf meinem
Bergpfad weiter gen Hochgebirge. Noch scheint mir die Sonne ins Gesicht,
aber schon naht der Abend und bald die finstere und kalte Nacht.
Aufkommender Bergnebel Werde ich dann so alleine und verlassen noch meinen Weg finden? Verloren in einer zwar grandiosen aber auch feindlichen Bergwelt? Die Markierungen sind hier rar gesät und seit der Alp Gamidauer in knapp 2100 Meter Höhe ist auf den Bergwiesen auch kaum mehr ein Weg zu erkennen. Bei mir hält sich aber die Gefahr des Verlaufens in Grenzen, da ich ja noch den GPS-Track des letzten Jahr dabei habe. Allerdings weichen gerade jetzt die offizielle Strecke und die im letzten Jahr gelaufene Strecke voneinander ab. Ich halte mich zwar an der offiziellen Strecke, kann mich aber zusätzlich an Karte und Track vom Vorjahr orientieren. Während ich weiterhin an Höhe gewinne, verzieht sich der Nebel wieder bzw. bleibt weiter unten im Tal hängen. Dadurch ergibt sich ein fantastisches Naturschauspiel mit den Bergen im Abendlicht, das von den zahlreichen Wolkenfetzen reflektiert wird:
Bergnebel im Abendlicht
Mittlerweile habe ich nun schon fast die letzte Passhöhe erreicht. Daher wundere ich mich, dass mich noch keiner der Ultraläufer eingeholt hat. Wo bleiben die nur? Deren Strecke muss in der Tat noch viel härter sein, als es sich selbst die Pessimisten unter uns vorgestellt haben. Letzte PasshöheAbsolut genau im Zeitplan erreiche ich nach 3 Stunden um
19:00 die letzte Passhöhe bei der Gamidaurspitze in 2270 m Höhe. Dort
verweilt ein einsamer Streckenposten. Nun treffen sich zwei Menschen und
wenn sich solche vereinsamten Seelen treffen ergibt sich ein Gespräch!
Ich posiere auf der letzten Passhöhe. Manche behaupten wie mein "Urgroßvater" Luis Trenker beim Film "Der Berg ruft!" Der Abstieg und die aufkommende NachtNun beginnt der lange Abstieg, wo ich noch einmal etwa 800 Höhenmeter verlieren werde. Gleichzeitig verschwindet die Sonne und es wird langsam dunkel und auch entsprechend kalt, so dass ich mal wieder meine Laufjacke auspacken muss.
Die Nacht bricht an! NächstenliebeIn Gaffia empfängt mich ein einsamer Fotograf. Er bietet
mir ein Bier an. Alle einsamen Menschen in den Bergen sind so lieb und
teilen noch das Letzte, wenn sie auf einen Weggenossen treffen. Hier werden
noch urchristliche Wert praktiziert! Wie heilsam und angenehm in einer sonst
so verrohten Ellbogengesellschaft! Unerwarteter HindernislaufEr warnt mich vor Hindernissen wie Zäune, Kühne und Regenrinnen auf dem weiteren Weg. Eigentlich ist es zuerst einmal ein Fahrweg, aber wegen der vielen großen Steinbrocken auf dem Weg ein sehr holpriger und unangenehm laufender Weg. Dazu wird es nun dunkel. Also packe ich meine Stirnlampe aus, die ich in der Tat noch auf der letzten halben Stunde meiner Strecke benötige. Oh, da weist eine Markierung links vom Weg weg. Ich lauf nun auf einen schmalen Wiesenpfad mit weichen Untergrund, was nach so viel steinigen Untergrund den Füßen gut tut. Aber die Freude währt nicht lange, als die ersten Sumpflöcher auftauchen. Während ich zwischen diesen Löchern balanciere, frage ich mich, ob so was am Ende der Strecke unbedingt sein muss. Irgendwie laufen wir durch Viehweiden und immer wieder müssen wir dabei Stromzäune queren, die man in der Nacht nicht gut sieht. Immerhin hat man sie mit Plastikbändern sichtbarer gemacht, nicht dass doch noch einer über sie stolpert. Drunter oder Drüber?Schließlich stehe ich vor einen Stromzaun ohne Durchgang,
also wo man den Stromzaun nicht vorübergehend öffnen kann. Da gibt es
nur zwei Wege: entweder drüber oder drunter. Die Sportlichen und Jungspunde
unter uns springen da sicher drüber, nicht aber so ich. Ich laufe in der Dunkelheit weiter und stehe zu meinem
Entsetzen vor einem weiteren Stromzaun. Er ist etwas höher als der
vorherige. Vom vorherigen Stromschlag schlauer geworden, will ich nun
natürlich unten durchkriechen, was mir mit schweren Beinen zwar wenig Spaß
macht, aber immerhin besser ist als ein weiterer Stromschlag. Das ZielEndlich erreiche ich wieder den Fahrweg und kann nun schon das Ziel erkennen. Das baut mich wieder auf. Oh, da am rechten Rand des Weges steht eine dunkle Gestalt. Das ist ja Gaby! Freudig begrüßen wir uns und laufen gemeinsam ins Ziel, das ich nach 11 Stunden und 4 Minuten Laufspaß und an vielen Lauferfahrungen reicher passiere. Am Ziel sind alle sehr nett zu mir und neben OK-Chef Umberto, der jeden Finisher persönlich begrüßt, entdecke ich auch Erwin, der den Ultra lief und auch viel Interessantes und Abenteuerliches davon zu erzählen hat. Ach war das schön! Gerade diese Seen und Berge! Auch der Marathon war zwar ultrahart, aber all die Erlebnisse und Eindrücke entschädigten voll für all die Strapazen und auch Zweifel, die bei mir wegen der Cutoffzeit vor Schwendi aufkamen!
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